Arbeitsrecht

Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist.

Aktenzeichen  3 Sa 928/20

Datum:
4.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 5802
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 322, § 519, § 520
BGB § 253 Abs. 2, § 280, § 823 Abs. 1

 

Leitsatz

Hat ein Gericht die Schmerzensgeldklage wegen Mobbings rechtskräftig abgewiesen, kann eine erneute Schmerzensgeldklage grundsätzlich nur auf Tatsachen gestützt werden, die zeitlich nach dem bereits entschiedenen Sachverhalt entstanden sind. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung sind auch die Umstände zu berücksichtigen, die der Vorentscheidung zugrunde lagen. Dabei hat das Gericht den Inhalt der Vorentscheidung in Bezug auf die rechtliche Einzelwürdigung zugrunde zu legen und lediglich zu überprüfen, ob sich aufgrund der neu entstandenen Tatsachen eine abweichende Gesamtbetrachtung rechtfertigt.
1. Nach § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Über einen Schmerzensgeldanspruch eines Arbeitnehmers aufgrund seine Gesundheit und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzenden Handlungen, die sich bis einschließlich Herbst 2018 ereignet haben sollen, ist im Vorprozess nicht entschieden worden. Es liegt deshalb keine Identität der Streitgegenstände vor, die – in seltenen Fällen – zur Unzulässigkeit der erneuten Klage führen würde. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar erwachsen die tatsächlichen Feststellungen in einem Urteil nicht in Rechtskraft. Die Rechtskraft der Entscheidung über den im Vorprozess erhobenen Anspruch darf jedoch nicht mit dem Vorbringen ausgehöhlt werden, das rechtskräftige Urteil gründe sich auf unrichtige tatsächliche Feststellungen. Hat das Gericht den Streitgegenstand eines rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses erneut zu prüfen, hat es deshalb seinem Urteil den Inhalt dieser Entscheidung zugrunde zu legen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen „Mobbings“ kann sich als vertraglicher Anspruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen. Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist der Arbeitgeber verpflichtet, auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen, ihn vor Gesundheitsgefahren, auch psychischer Art, zu schützen und ihn keinem Verhalten auszusetzen, das bezweckt oder bewirkt, dass seine Würde verletzt wird.  (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. Nach der Rechtsprechung des BAG stellt nicht jede Auseinandersetzung, Meinungsverschiedenheit oder nicht gerechtfertigte Maßnahme des Arbeitgebers in Gestalt einer Abmahnung, Versetzung oder Kündigung eine rechtswidrige und vorwerfbare Verletzung der Rechtsgüter des Arbeitnehmers und damit eine unerlaubte Handlung oder einen Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB dar. Im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen, auch wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, sind nicht geeignet, derartige Tatbestände zu erfüllen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

19 Ca 13704/18 2020-07-27 Urt ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 27.07.2020 – 19 Ca 13704/18 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.
II.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass dem Kläger der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch schon dem Grunde nach nicht zusteht.
1. Die Klage ist zulässig. Die Rechtskraft des Urteils des LAG München vom 18.05.2018 – 7 Sa 869/17 – steht der hiesigen Klage nicht entgegen, § 322 Abs. 1 ZPO.
Nach § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Über einen Schmerzensgeldanspruch des Klägers aufgrund seine Gesundheit und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzenden Handlungen, die sich bis einschließlich Herbst 2018 ereignet haben sollen, ist im Vorprozess nicht entschieden worden. Es liegt deshalb keine Identität der Streitgegenstände vor, die – in seltenen Fällen – zur Unzulässigkeit der erneuten Klage führen würde (vgl. BAG, Urteil vom 19.08.2010 – 8 AZR 315/09 – Rn. 32 f.).
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schmerzens geld. Die Beklagte hat weder arbeitsvertragliche Pflichten (§ 280 Abs. 1 i. V. m. § 242 Abs. 2 BGB) noch die Gesundheit oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers (§ 823 Abs. 1 BGB) verletzt, die sie zum Ersatz immaterieller Schäden (§§ 249 ff., 253 Abs. 2, 823 Abs. 1 BGB) verpflichten würden.
a) Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen „Mobbings“ kann sich als vertraglicher An spruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen. Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Nach § 241 Abs. 2 BGB erwachsen jeder Vertragspartei aus einem Schuldverhältnis nicht nur Leistungs-, sondern auch Verhaltenspflichten zur Rücksichtnahme und zum Schutz der Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen, ihn vor Gesundheitsgefahren, auch psychischer Art, zu schützen und ihn keinem Verhalten auszusetzen, das bezweckt oder bewirkt, dass seine Würde verletzt oder ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. In diesem Zusammenhang ist der Arbeitgeber insbesondere zum Schutz der Gesundheit und des Persönlichkeitsrechts des Arbeitgebers verpflichtet.
Der Arbeitgeber haftet dem geschädigten Arbeitnehmer gemäß § 278 Satz 1 BGB auch für schuldhaft begangene Rechtsverletzungen, die für ihn als Erfüllungsgehilfen eingesetzte Mitarbeiter oder Vorgesetzte begehen. Dabei ist es erforderlich, dass die schuldhafte Handlung des Mitarbeiters in einem engen sachlichen Zusammenhang mit den Aufgaben steht, die der Arbeitgeber ihm als Erfüllungsgehilfen zugewiesen hat. Ein solcher Zusammenhang ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Erfüllungsgehilfe gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers konkretisiert oder wenn er ihm gegenüber Weisungsbefugnis besitzt (vgl. BAG, Urteil vom 15.09.2016 – 8 AZR 351/15 – Rn. 30 – 32 m. w. N.).
Ein Schadensersatzanspruch wegen „Mobbings“ kann aber auch als deliktischer Anspruch insbesondere aus § 823 Abs. 1 bzw. § 831 BGB folgen. Dabei verbietet § 823 Abs. 1 BGB nicht nur eine widerrechtliche Verletzung der in dieser Bestimmung ausdrücklich aufgeführten, besonders geschützten Rechtsgüter, u. a. der Gesundheit. Auch das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als sonstiges Recht i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB anerkannt, weshalb seine widerrechtliche Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen kann. Allerdings ist zu beachten, dass die Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wegen seiner Eigenart als Rahmenrecht nicht absolut festliegt, sondern grundsätzlich erst durch eine Abwägung der widerstreitenden, grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden muss. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist deshalb nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. Der Anspruch setzt deshalb voraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handelt und dass die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen (vgl. BAG, Urteil vom 15.09.2016 – 8 AZR 351/15 – Rn. 30 – 35 m. w. N.).
Nach der Rechtsprechung des BAG stellt nicht jede Auseinandersetzung, Meinungsverschiedenheit oder nicht gerechtfertigte Maßnahme des Arbeitgebers in Gestalt einer Abmahnung, Versetzung oder Kündigung eine rechtswidrige und vorwerfbare Verletzung der Rechtsgüter des Arbeitnehmers und damit eine unerlaubte Handlung oder einen Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB dar. Im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen, auch wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, sind nicht geeignet, derartige Tatbestände zu erfüllen, weshalb es gilt, sog. folgenloses bzw. sozial- und rechtsadäquates Verhalten aufgrund einer objektiven Betrachtungsweise, d. h. ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers, von der rechtlichen Bewertung auszunehmen. Es kommt bei der Zusammenarbeit im Rahmen von Arbeitsverhältnissen typischerweise zu Konflikten und Meinungsverschiedenheiten, ohne dass die dabei zutage tretenden Verhaltensweisen des Arbeitgebers oder der Vorgesetzten bzw. Kollegen des Arbeitnehmers zwangsläufig zu einer widerrechtlichen Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Arbeitnehmers führen oder einen Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht bedeuten. Die Grenze zum nicht rechts- bzw. sozialadäquaten Verhalten ist allerdings dann überschritten, wenn Verhaltensweisen bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird (vgl. BAG, Urteil vom 15.09.2016 – 8 AZR 351/15 – Rn. 36 und 37 m. w. N.).
Stellen einzelne Handlungen oder Verhaltensweisen von Arbeitskollegen, Vorgesetzten oder des Arbeitgebers für sich allein betrachtet noch keine Rechtsverletzung dar, ist zu prüfen, ob in einer Gesamtschau dieser einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen eine Vertrags- oder Rechtsgutsverletzung anzunehmen ist, bei deren Zusammenfassung aufgrund der ihnen zugrundeliegenden Systematik und Zielrichtung es zu einer Beeinträchtigung eines geschützten Rechts des Arbeitnehmers führt. Dann sind alle Handlungen bzw. Verhaltensweisen, die den systematischen Prozess der Schaffung eines bestimmten Umfeldes zuzuordnen sind, in die Betrachtung mit einzubeziehen, einzelne zurückliegende Handlungen oder Verhaltensweisen dürfen bei der Beurteilung nicht unberücksichtigt gelassen werden. Diese Qualifizierung des Verhaltens erfolgt aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles (vgl. BAG, Urteil vom 15.09.2016 – 8 AZR 351/15 – Rn. 38 m. w. N.).
b) Danach können die vorgetragenen Vorwürfe weder für sich betrachtet noch in ihrer Gesamtheit die geltend gemachten Ansprüche begründen. Es wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen, denen die erkennende Kammer ausdrücklich zustimmt. Im Übrigen führen die Berufungsangriffe des Klägers aus nachfolgenden Gründen nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung:
aa) Soweit sich der Kläger zur Begründung seines Anspruchs auf Tatsachen stützt, die bis zum 24.10.2017 entstanden sind, ist er mit seinem Vorbringen aufgrund der Rechtskraft des Urteils des LAG München vom 18.05.2018 – 7 Sa 869/17 – präkludiert, d.h. ausgeschlossen.
(1) Zwar erwachsen die tatsächlichen Feststellungen in einem Urteil nicht in Rechtskraft. Die Rechtskraft der Entscheidung über den im Vorprozess erhobenen Anspruch darf jedoch nicht mit dem Vorbringen ausgehöhlt werden, das rechtskräftige Urteil gründe sich auf unrichtige tatsächliche Feststellungen. Hat das Gericht den Streitgegenstand eines rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses erneut zu prüfen, hat es deshalb seinem Urteil den Inhalt dieser Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 30.06.2017 – V ZR 134/16 – Rn. 8; zur Rechtskraftwirkung eines rechtskräftigen Teilurteils in sog. Mobbingfällen vgl. BAG, Urteil vom 19.08.2010 – 8 AZR 315/09 – Rn. 36 f.).
Dabei erfasst die Präklusionswirkung der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozess nicht nur die dort vorgetragenen Tatsachen, die zu einer Abweichung von der rechtskräftig festgestellten Rechtsfolge führen sollen. Vielmehr erfasst sie auch alle Tatsachen, die zu dem Lebenssachverhalt gehören, auf den sich das Rechtsschutzbegehren des Klägers im Vorprozess bezieht, unabhängig davon, ob einzelne Tatsachen dieses Lebenssachverhaltes von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht und auch unabhängig davon, ob die Parteien die im Vorprozess nicht vorgetragenen Tatsachen des Lebenssachverhaltes damals bereits kannten oder hätten vortragen können (vgl. BGH, Urteil vom 30.06.2017 – V ZR 134/16 – Rn. 9).
Andererseits geht die Tatsachenpräklusion nicht weiter als die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess. Die Tatsachenpräklusion ist kein Institut neben der materiellen Rechtskraft, sondern nur die notwendige Kehrseite der Maßgeblichkeit der Entscheidung. Außerhalb der Grenzen des Streitgegenstandes besteht keine Präklusion, auch wenn mit der neuen Klage ein wirtschaftlich identisches Ziel verfolgt wird und sich die Tatsachen überschneiden. Bei der Geltendmachung von Teilansprüchen ergreift die Rechtskraft nur diesen Teil, so dass das Urteil, das einen Teilanspruch zuspricht oder aberkennt, nicht darüber Rechtskraft bewirkt, ob dem Kläger mehr als der geltend gemachte Teil zusteht oder noch andere aus dem Sachverhalt zustehen (vgl. BGH, Beschluss vom 22.09.2016 – V ZR 4/16 – Rn. 18 und 19 m.w.N.).
(2) Nach diesen Grundsätzen kann sich der Kläger hinsichtlich des jetzt verfolgten Schmerzensgeldanspruchs nicht erneut auf die Behauptungen zu einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen der Beklagten oder ihrer Beschäftigten stützen, die bis einschließlich 24.10.2017 entstanden sind. Aufgrund des Urteils des LAG München vom 18.05.2018 steht insoweit fest, dass diese vorgetragenen Tatsachen einen Schmerzensgeldanspruch wegen Mobbings nicht begründen (vgl. BAG, Urteil vom 19.08.2010 – 8 AZR 315/09 – Rn. 39). Der Zeitpunkt 24.10.2017 leitet sich aus dem im Vorprozess mit Schriftsatz vom 01.11.2017 erhobenen Vorwurf des Klägers ab, die Beklagte habe rechtswidrig den ihm zunächst vom 13. bis 24.10.2017 gewährten Urlaub widerrufen und auch mit diesem Vorfall versucht, ihn mürbe zu machen. Präkludiert sind dabei im Anschluss an die vorstehende Rechtsprechung auch diejenigen Tatsachen, die nicht vorgetragen worden sind.
Die gegen die Rechtskraftwirkung vorgebrachten Einwände des Klägers greifen nicht durch. Ausweislich des im Verfahren vor dem LAG München zum Geschäftszeichen 7 Sa 869/17 gestellten Antrags ist über einen Schmerzensgeldanspruch des Klägers wegen Mobbings entschieden worden. Die Klage ist auch nicht wegen Unzulässigkeit, sondern wegen Unbegründetheit abgewiesen worden. Auf etwaige Versäumnisse der vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers kommt es wegen der Rechtskraftwirkung des Urteils im Vorprozess gerade nicht an.
Zu prüfen bleibt im hiesigen Verfahren deshalb, ob durch einzelne Handlungen oder Verhaltensweisen der Beklagten bzw. der bei ihr Beschäftigten nach dem 24.10.2017 für sich allein betrachtet eine Rechtsverletzung vorliegt. Sodann ist eine Gesamtschau der einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen vorzunehmen, die unter Berücksichtigung auch derjenigen Handlungen oder Verhaltensweisen zu erfolgen hat, die bereits Gegenstand des Vorprozesses waren. Denn die vorzunehmende Gesamtschau kann im Ergebnis von der des Vorprozesses abweichen, weil sie die weiteren Einzelhandlungen nach dem 24.10.2017 einbezieht.
bb) Die Handlungen nach dem 24.10.2017 vermögen etwaige Rechtsverletzungen nicht zu begründen.
(1) Der Urlaub vom 20.05. bis 03.07.2018 ist nicht zu Unrecht verweigert worden. Der Kläger ist unstreitig durchgehend vom 13.10.2016 bis 06.12.2018 und damit auch im beantragten Urlaubszeitraum arbeitsunfähig erkrankt. Die Differenzierung des Klägers zwischen Arbeitsunfähigkeit und Dienstpostenunfähigkeit erschließt sich nicht, da der Kläger unstreitig Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die ihm rechtmäßig zugewiesene Tätigkeit auf dem Dienstposten „Kanalreiniger“ vorgelegt hat.
(2) Die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe das BEM-Verfahren nur vorgetäuscht, wird durch die zwischen den Parteien geführte Korrespondenz nicht bestätigt. Der Kläger begründet dies auch nicht, sondern beschränkt sich auf die erstinstanzliche Wiedergabe seines Vortrags. Dies genügt gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 – 4 ZPO für eine Berufungsbegründung nicht. Im Übrigen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht München erklärt, das BEM sei erst auf seinen mehrfachen Vorschlag hin erfolgt. Inwieweit es dann vorgetäuscht sein soll, erschließt sich nicht. Wenn der Kläger in der Berufungsbegründung darüber hinaus ausführt, das BEM sei von der Beklagten grundlos abgebrochen worden, hält er den Vorwurf, es sei „vorgetäuscht“ worden, gleichfalls nicht aufrecht. Es kann nur etwas abgebrochen werden, was vorher begonnen worden ist.
Der weitere Vorwurf der fehlenden Ernstlichkeit, mit der die Beklagte das BEM-Verfahren betrieben habe, ist nicht nachvollziehbar. Die Beklagte hat sich um einen Ersatztermin bemüht, nachdem der Kläger den Termin am 18.06.2018 abgesagt hatte. Sie hat ihn aufgefordert und erinnert mitzuteilen, ob das Inklusionsamt und/oder der Integrationsfachdienst am nächsten Gespräch teilnehmen solle. Diese Frage war auch berechtigt, nachdem insoweit Unklarheit bestand. Gründe, die den Kläger hinderten, auf diese Anfrage innerhalb der Fristen zu antworten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Bereits mit Schreiben vom 03.07.2018 war dem Kläger auch mitgeteilt worden, dass das Inklusionsamt nicht vor Ende August 2018 an einem Termin teilnehmen könne. Der dann auf den 29.08.2018 anberaumte Termin war deshalb nicht kurzfristig oder überraschend. Dass eine kurzfristige Teilnahme des Inklusionsamtes und des Integrationsfachdienstes dann nicht möglich war, lag am Kläger, der sich diesbezüglich gegenüber der Beklagten nicht geäußert hatte. Auch steht der Ernstlichkeit, das BEM-Verfahren durchführen zu wollen, nicht entgegen, dass die vertrauensärztliche Untersuchung des Klägers am 27.08.2018 stattfand und die Ergebnisse im BEM-Gespräch am 29.08.2018 nicht (schriftlich) vorliegen konnten. Das BEM-Verfahren erschöpft sich nicht in einem Termin. Der Klägervertreter war auch nicht nach § 167 Abs. 2 SGB IX berechtigt, am BEM-Termin teilzunehmen, zumal die diesbezügliche Ablehnung durch die Beklagte nicht darauf schließen lässt, sie wolle das BEM-Verfahren nicht ernstlich durchführen. Schließlich hätte der Kläger auf das Schreiben der Beklagten vom 27.08.2018 reagieren und mitteilen können, dass er ein BEM-Gespräch entgegen der Annahme der Beklagten trotz seiner vorherigen zweifachen Absage doch durchführen wolle. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass Verhaltensweisen von Arbeitgeber oder Vorgesetzten nicht in die Prüfung einbezogen werden, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich gemobbten Arbeitnehmer darstellen. Insoweit fehlt es an der so bezeichneten eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation (vgl. BAG, Urteil vom 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 85 f.). Wenn die Beklagte durch ihre Mitarbeiterin Frau W. aufgrund der vorstehend beschriebenen Verhaltensweisen des Klägers „genervt“ annimmt, der Kläger wolle von der Durchführung eines BEM-Sprächs gänzlich Abstand nehmen, ist dies deshalb nicht zu berücksichtigen.
(3) Die Behauptung des Klägers, die Beklagte würde sein Privatleben durch die Verwendung von Facebook-Einträgen und Zeitungsartikeln ausspionieren, ist präkludiert. Der Kläger stützt sich insoweit auf einen Vortrag der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 19.09.2017 im Verfahren 21 Ca 135/17 und damit auf eine Tatsache vor dem 24.10.2017.
cc) Die seitens des Klägers vorgetragenen einzelnen Handlungen und Verhaltensweisen der Beklagten und ihrer Beschäftigten sind auch im Rahmen der gebotenen Gesamtschau nicht geeignet, einen Schmerzensgeldanspruch des Klägers zu rechtfertigen. Es fehlt hierzu jegliche Begründung seitens des Klägers. Das Gericht kann in ihnen aber auch nicht eine zugrundeliegende Systematik und Zielrichtung erkennen, die dazu diente, den Kläger einzuschüchtern, zu erniedrigen oder herabzuwürdigen und dadurch aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen. Der 2013 um die Rechtmäßigkeit der Dienstpläne entstandene Konflikt der Parteien hat sich durch die schwere Pflichtverletzung des Klägers am Abend des 02.06.2015 verschärft, ohne die es nicht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 15.06.2015 und ihrer Folge im März 2017 nicht zur Versetzung des Klägers auf den Dienstposten des Kanalreinigers gekommen wäre. Dies verkennt der Kläger trotz rechtskräftiger Gerichtsurteile zum Teil über drei Instanzen. Er übersieht auch, dass er durch seine (öffentlichen) Erklärungen über die Beklagte und der bei ihr tätigen Oberregierungsamtsrätin Frau W. auf Facebook und gegenüber Dritten zu dem Fortbestehen des Konflikts beigetragen hat. Wenn der Kläger in seiner E-Mail an den Landtagsabgeordneten M. vom Juni 2018 von den „Herrschaften in X.“ spricht, „allen voran eine Frau W.“, die ihn „in jeder erdenklichen Weise“ seit 5,5 Jahren schikanierten, versuchten ihn zu zermürben und kaputt zu machen, wobei man ihn gesundheitlich und finanziell bereits in massivster Weise geschädigt habe, fehlt es an der so bezeichneten eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation (vgl. BAG, Urteil vom 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 85 f; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.01.2017 – 1 Sa 6/16), die es ausschließt, dem Kläger im Rahmen einer Gesamtbetrachtung eine Schmerzensgeldzahlung wegen Mobbings zuzusprechen.
III.
Der Kläger hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Es bestand kein Grund im Sinne des 72 Abs. 2 ArbGG, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.


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