Arbeitsrecht

Verdienstausfallentschädigung, Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit, bisherige Erwerbstätigkeit, Saisonhelferin, häusliche Quarantäne vor bzw. bei vertraglich vereinbartem Beginn der Erwerbstätigkeit, keine ausgeübte Erwerbstätigkeit bei Quarantäneanordnung

Aktenzeichen  W 8 K 21.896

Datum:
29.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 46998
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 56 Abs. 1
IfSG § 56 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erstattung einer Verdienstausfallentschädigung sowie abgeführter Sozialversicherungsbeiträge für ihre Arbeitnehmerin V. (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil der notwendige Entschädigungsanspruch der Arbeitnehmerin nicht gegeben ist. Es fehlt bereits an der tatbestandlich vorausgesetzten bisherigen Erwerbstätigkeit der Arbeitnehmerin i.S.d. § 56 Abs. 1 IfSG.
Gem. § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne im September und Oktober 2020 maßgeblichen Fassung mit Gültigkeit vom 23. Mai 2020 bis 18. November 2020 (vgl. zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage i. R. d. § 56 IfSG: VG Bayreuth, U.v. 21.6.2021 – B 7 K 21.110 – juris) erhält der Arbeitgeber, der für die zuständige Behörde die Entschädigung auszahlt, auf Antrag eine entsprechende Erstattung, wenn sein Arbeitnehmer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden.
Vorliegend hat die Klägerin ihrer Arbeitnehmerin zwar für den Zeitraum der Quarantäne ein Arbeitsentgelt ausgezahlt und bei der Regierung von Unterfranken einen Antrag auf dessen Erstattung gestellt. Der Erstattungsanspruch der Klägerin besteht jedoch deshalb nicht, weil der Arbeitnehmerin kein – zunächst von der Klägerin für die zuständige Behörde zu erfüllender – Entschädigungsanspruch gem. § 56 Abs. 1 IfSG zusteht.
Die Arbeitnehmerin war zwar i. S. d. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG abgesondert worden. Der Anspruch scheitert jedoch daran, dass sie durch die Absonderung nicht in der Ausübung ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit i. S. d. § 56 Abs. 1 IfSG beeinträchtigt war, da sie ihre Tätigkeit bei der Klägerin erst am 1. Oktober 2020 und mithin am Tag nach Beginn der Absonderung aufnehmen sollte.
Denn ein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung besteht nach dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG nur für die bisherige Erwerbstätigkeit, sprich, nur für die Erwerbstätigkeit, welche zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Maßnahme durch die betroffene Person ausgeübt wurde (vgl. Aligbe, Infektionsschutzrecht in Zeiten von Corona, 9. Kapitel Nr. 2, Entschädigung bei Verboten der Erwerbstätigkeit; Erdle, IfSG, 8. Auflage, S. 190; Gerhardt, IfSG, 5. Aufl. 2021, § 56 Rn. 8; Kümper in Kießling, IfSG, 2. Aufl. 2021, § 56 Rn. 17). Eine künftige Erwerbstätigkeit genügt nicht (Eckart/Kruse in BeckOK InfSchR, 9. Edition Stand: 20.12.2021, IfSG § 56 Rn. 22), da § 56 Abs. 1 IfSG bloß künftige Erwerbschancen nicht umfasst (vgl. Becker in Huster/Kingreen InfektionsschutzR-HdB, Kap. 9 Öffentliches Entschädigungsrecht Rn. 117). Auch nach einem Berufswechsel ist der neu aufgenommene Beruf kein tauglicher Anknüpfungspunkt für einen Anspruch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG (vgl. Erdle, IfSG, 8. Auflage, S. 191; Kümper in Kießling, IfSG, 2. Aufl. 2021, § 56 Rn. 17). Dies gilt ebenfalls für den Anspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG. Denn aufgrund seines Wortlauts, „Das Gleiche gilt für“, ist das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG – mit Ausnahme des Tätigkeitsverbotes – Voraussetzung für den Anspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG (vgl. Aligbe, Infektionsschutzrecht in Zeiten von Corona, 9. Kapitel Nr. 3., Entschädigung bei Quarantäne; Eckart/Kruse in BeckOK InfSchR, 9. Edition Stand: 20.12.2021, IfSG § 56 Rn. 22; Gerhardt, IfSG, 5. Aufl. 2021, § 56 Rn.13; wohl auch: VG Oldenburg, U.v. 26.4.2021 – 7 A 1497/21 – juris Rn. 14). Gründe, aus denen die Beschränkung auf die bisherige Erwerbstätigkeit nur für Ansprüche aus § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht aber für Ansprüche aus § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG gelten sollte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, weshalb § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG künftige Erwerbschancen umfassen sollte, § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG hingegen nicht. Daher genügt auch für einen Anspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG eine erst nach Wirksamwerden der Absonderungsanordnung aufgenommene Erwerbstätigkeit nicht. Eine anderweitige Auslegung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG verbietet sich, da § 56 Abs. 1 IfSG als Billigkeitsregelung eng auszulegen ist (vgl. Erdle, IfSG, 8. Auflage, S. 190; Tholl, Staatshaftung und Corona, Rn. 31; Winter/Thürk in Schmidt, COVID-19 Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Auflage 2021, § 22 Rn. 16). Danach soll nicht jeder finanzielle Nachteil ausgeglichen werden, sondern nur dann, wenn der Betreffende seiner bisherigen regelmäßigen Tagesarbeit aufgrund behördlicher Anordnung nicht mehr nachgehen kann (vgl. Eckart/Kruse in BeckOK InfSchR, 9. Edition, Stand 20.12.2021, IfSG § 56 Rn. 3.1).
Etwas Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem klägerischen Vortrag, die Anordnung der Quarantäne vor Beginn des Arbeitsverhältnisses stehe einem Anspruch nicht entgegen, da der Arbeitsvertrag bereits vor Beginn des Arbeitsverhältnisses geschlossen worden sei und daher bereits zu diesem Zeitpunkt eine Lohnfortzahlungsverpflichtung der Klägerin gegenüber ihrer Arbeitnehmerin entstanden sei. Denn eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 56 IfSG besteht, entsprechend dem Sinn und Zweck der Norm, Betroffene vor materieller Not aufgrund des Entfallens des erwarteten Lohnes für die Dauer der infektionsschutzrechtlichen Maßnahme zu schützen (vgl. BT-Drs. 3/1888, 27), nicht bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages, sondern erst ab Beginn des Arbeitsverhältnisses, da der Arbeitnehmer in der Regel erst ab dann einen Lohn enthält. Darüber hinaus ist vorliegend bereits nicht ersichtlich, woraus sich die behauptete Lohnfortzahlungsverpflichtung überhaupt ergeben sollte. Sie ist weder vertraglich geregelt, noch ergibt sie sich aus § 616 BGB, da die Arbeitnehmerin angesichts der vertraglich vereinbarten Dauer des Arbeitsverhältnisses von lediglich eineinhalb Monaten aufgrund der angeordneten Quarantäne für 13 Tage nicht nur für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit an der Dienstleistung verhindert war (vgl. VG Bayreuth, G.v. 5.5.2021 – B 7 K 21.210 – juris Rn. 31 ff.). Doch auch wenn die behauptete Lohnfortzahlungsverpflichtung bestehen würde, ist nicht erkennbar, weshalb hieraus ein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung der Arbeitnehmerin folgen sollte. Vielmehr würde sie diesem gerade entgegenstehen, da es dann an dem tatbestandlich vorausgesetzten Verdienstausfall fehlen würde.
In der Folge besteht auch kein Anspruch auf Erstattung der für die Arbeitnehmerin abgeführten Sozialversicherungsbeiträge gem. § 57 Abs. 1 Satz 4 IfSG da hierfür der Anspruch gem. § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 1 IfSG Voraussetzung wäre.
Demnach war die Klage insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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