Arbeitsrecht

Verdienstausfallentschädigung des Arbeitnehmers wegen Quarantäne, Quarantänepflicht nach Urlaubsrückkehr aus Risikogebiet, Quarantäne als subjektives Leistungshindernis des Arbeitnehmers

Aktenzeichen  B 7 K 21.222

Datum:
7.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18069
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 56 Abs. 1 S. 1 und 2
IfSG § 56 Abs. 5
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
BGB § 616
EQV § 1

 

Leitsatz

Die Quarantäne eines Arbeitnehmers ist auch dann ein in seiner Person liegender Grund im Sinne eines subjektiven Leistungshindernisses, wenn diese nicht wegen eines „Kategorie-I-Kontakts“ des Arbeitnehmers oder eines „positiven Covid-19-Testergebnis“ des Arbeitnehmers angeordnet wurde, sondern sich die Verpflichtung zur häuslichen Isolation aus § 1 Abs. 1 Satz 1 der (damals) in der Fassung vom 15.06.2020 geltenden Einreise-Quarantäneverordnung (EQV) wegen der Einreise des Arbeitnehmers nach Bayern aus einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 4 EQV ergab.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Das Gericht konnte über die Klage gem. § 84 Abs. 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden zum Erlass eines Gerichtsbescheids gehört und haben sich mit Schriftsätzen vom 28.04.2021 bzw. 06.05.2021 mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
II.
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der beim Beklagten am 30.10.2020 beantragten „Verdienstausfallentschädigung“ für ihren Arbeitnehmer … (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung einer Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in der zum Zeitpunkt der Quarantäne am 16.09.2020 gültigen Fassung (vgl. zur Frage der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Rahmen des § 56 IfSG grundlegend: VG Bayreuth, U.v. 21.6.2021 – B 7 K 21.110 – juris) besteht schon deswegen nicht, weil der Arbeitnehmer der Klägerin keinen Verdienstausfall i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG erlitten hat. Die Klägerin war vielmehr gem. § 616 Satz 1 BGB verpflichtet, ihrem Arbeitnehmer für den 16.09.2020 die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung trotz Quarantäne zu bezahlen.
1. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der maßgeblichen Fassung (s.o.) erhält, wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern i.S.v. § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld. Das Gleiche gilt gem. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können. Nach § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG hat bei Arbeitnehmern der Arbeitgeber die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen. Auf Antrag werden dem Arbeitgeber von der zuständigen Behörde die ausgezahlten Beträge erstattet (§ 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG).
a) Dass das Fernbleiben eines Arbeitnehmers von der Arbeit aufgrund einer Quarantäne im Zusammenhang mit der „Corona-Pandemie“ ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Grund – und nicht (nur) ein objektives Leistungshindernis ist – hat die Kammer bereits mit Gerichtbescheid vom 05.05.2021 (B 7 K 21.210 – juris) grundsätzlich entschieden.
Die Kammer führte insoweit aus:
„Die Quarantäne, die für die Arbeitnehmerin als Ansteckungsverdächtige angeordnet wurde, ist ein in der Person der Arbeitnehmerin liegender Grund im Sinne eines subjektiven Leistungshindernisses (wohl h.M, vgl. schon BGH, U.v. 30.11.1978 – III ZR 43/77 – juris Rn. 20; so auch z.B. Henssler in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 616 Rn. 25; Bieder in: BeckOK BGB, Stand 01.02.2020, § 616 Rn. 17; Meßling in: Schlegel/Meßling/Bockholdt, Covid-19-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales, 1. Aufl. 2020, § 19 Rn. 10; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 414 f.; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1140; Noack, NZA 2021, 251, 253; a.A. z.B. Klein, NJ 2020, 377, 378; Sievers, jM 2020, 189, 190; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1018 f.). Denn auch wenn die Pandemie als solche ein globales und gesamtgesellschaftliches Ereignis ist, ist der Anlass der Quarantäneanordnung im Einzelfall in hohem Grade von der betroffenen Person und den jeweiligen Umständen abhängig. Erst eine konkrete, infektionsgefährliche Situation im Sinne eines „Kategorie-I-Kontakts“ oder ein positives Covid-19-Testergebnis kann zur Einordnung einer Person als „Ausscheider“, „Ansteckungsverdächtiger“ oder „Krankheitsverdächtiger“ führen und sie damit zum Adressaten einer Isolierungsanordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 i.V.m. § 31 IfSG machen. Gerade die Beurteilung der jeweiligen Kontaktsituation auf der Tatbestandsseite im Hinblick darauf, in welchem Maße eine Übertragungsgefahr besteht, erfordert eine umfassende individuelle Beurteilung der Gegebenheiten anhand zahlreicher Kriterien, wie z.B. Dauer und räumliche Nähe des Kontakts, Lüftungsverhältnisse, das Tragen von Masken etc. (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html, Stand 21.04.2021). Die bloße Möglichkeit, dass von einer gefährlichen Kontaktsituation im Einzelfall mehrere Personen betroffen sein können (z.B. durch eine Anreicherung infektiöser Aerosole im Raum) lässt das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Beurteilung der Infektionsgefahr für jeden Betroffenen nicht entfallen, ändert demgemäß auch nichts am Charakter der Quarantäneanordnung als individualisiertem, einzelfallabhängigen Verwaltungsakt und führt – mit Blick auf die arbeitsrechtlichen Folgen – mithin auch ersichtlich nicht zu einem objektiven Charakter des daraus resultierenden Leistungshindernisses (nicht überzeugend daher Kraayvanger/Schrader, NZA-RR 2020, 623, 625 f.).“
Diese Sichtweise der Kammer gilt auch im vorliegenden Fall, in dem die Quarantäne des Arbeitnehmers der Klägerin zwar nicht wegen eines „Kategorie-I-Kontakts“ oder eines „positiven Covid-19-Testergebnis“ angeordnet wurde, sondern sich die Verpflichtung zur häuslichen Isolation aus § 1 Abs. 1 Satz 1 der (damals) in der Fassung vom 15.06.2020 geltenden Einreise-Quarantäneverordnung (EQV) wegen der Einreise nach Bayern aus einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 4 EQV ergab. Allein dadurch, dass sich die Verpflichtung zur häuslichen Isolation unmittelbar aus der EQV ergab, liegt noch kein objektives Leistungshindernis vor. Vielmehr hat der Arbeitnehmer der Klägerin durch sein persönliches Verhalten, nämlich durch den Antritt einer Auslandsreise im Sommer 2020 – in Kenntnis dessen, dass ihm bei einer Rückkehr eine Quarantäne „drohen könnte“, falls die Urlaubsregion als Risikogebiet eingestuft wird – selbst den Grund dafür gelegt, dass ihm die Ausübung der Arbeitstätigkeit am 16.09.2020 rechtlich unmöglich wurde. Die EQV knüpft insoweit ihrerseits an einem persönlichen, risikobehafteten Verhalten des Einzelnen an, nämlich dem Aufenthalt in einem Gebiet, in dem eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit für eine unerkannte Infektion mit SARS-CoV-2 besteht. Da schon die Quarantäne eines Arbeitnehmers infolge eines unbewussten Kontaktes mit einem Infizierten als „ein in seiner Person liegender Grund“ im Sinne eines subjektiven Leistungshindernisses zu qualifizieren ist, gilt dies erst recht bei Arbeitnehmern, die sich im Sommer 2020 bewusst dem Risiko ausgesetzt haben, nach einer Urlaubsrückkehr eine erhöhte Infektionsgefahr aufzuweisen, deshalb in Quarantäne zu müssen und dementsprechend ihre geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen konnten.
b) Da die lediglich eintägige Nichterbringung der Arbeitsleistung infolge der Quarantäne am 16.09.2020 eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ darstellt (vgl. hierzu: VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 5.5.2021 – B 7 K 21.210 – juris) und die Anwendbarkeit des § 616 BGB im vorliegenden Fall nicht abbedungen wurde, hat der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch für den 16.09.2021 nicht verloren und damit keinen Verdienstausfall i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG erlitten. Ein „Entschädigungserstattungsanspruch“ der Klägerin gem. § 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG scheidet damit ebenfalls aus.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.


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