Arbeitsrecht

Vergütung des Wahlverteidigers in Bußgeldsachen

Aktenzeichen  6 II OWi 215/19

Datum:
8.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19706
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Viechtach
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 14

 

Leitsatz

1. Bei der Bestimmung der Gebühr durch den Wahlverteidiger im Bußgeldverfahren ist weniger die Höhe der im Bußgeldbescheid verhängten Geldbuße relevant; von Bedeutung sind vielmehr die sonstigen Auswirkungen des Bescheids für den Betroffenen, wie etwa ein drohendes Fahrverbot oder der Fahrerlaubnisentzug durch die Verwaltungsbehörde. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Einordnung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind der Aktenumfang, die Anzahl und Dauer der Besprechungen mit Mandanten, Sachverständigen und Dritten, die Notwendigkeit der Einarbeitung in die Rechtsmaterie, Zahl und Umfang der Schriftsätze, auswärtige Beweisaufnahmen, Auswertungen von Beiakten oder Sachverständigengutachten zu berücksichtigen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Unbillig im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 4 RVG ist die Bestimmung einer Gebühr durch den Rechtsanwalt jedenfalls, wenn sie um als 20 % von der angemessenen Gebühr abweicht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Kostenfestsetzungsbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 10.04.2019 wird aufgehoben,soweitdie über 515,98 EUR hinausgehende Auslagenforderung der Betroffenen als unbillig zurückgewiesen wurde. Die der Betroffenen zu erstattenden Auslagen werden auf 568,58 EUR festgesetzt.
II. Im übrigen wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens – mit Ausnahme der Gerichtsgebühr – und die notwendigen Auslagen der Betroffenen tragen die Staatskasse zu 1/4 und die Betroffene zu 3/4. Die Gerichtsgebühr trägt die Betroffene. Diese wird auf die Hälfte ermäßigt.

Gründe

I.
Mit Bußgeldbescheid vom 06.06.2018 wurde gegen die Betroffene wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße in Höhe von 70 EUR verhängt und die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister, bei Vorliegen keiner Voreintragung, angeordnet. Nach Einspruch durch den Wahlverteidiger mit anwaltlichem Schriftsatz vom 09.01.2019 wurde das Verfahren gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Gegen die unterbliebene Auslagenauferlegung im Einstellungsbescheid vom 16.01.2019 auf die Staatskasse, hat die Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz vom 01.02.2019, der mit 2 1/2 DIN A4-Seiten begründet wurde, Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, worauf am 28.02.2019 die notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt wurden. Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 11.03.2019 hat RA B. folgende Kosten für seine Mandantin zur Festsetzung angemeldet:
Grundgebühr (Nr. 5100 VV)
100,00 Euro
Verfahrensgebühr (Nr. 5103 VV)
192,00 Euro
Zusatzgebühr (Nr. 5115 VV)
192,00 Euro
Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV)
20,00 Euro
Verfahrensgebühr (Nr. 5200 VV) Vollstreckung
78,00 Euro
Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV)
15,60 Euro
Summe netto
597,60 Euro
19 % MwSt (Nr. 7008 VV)
113,54 Euro
Auslagen der Stadt Dachau
5,00 Euro
Gesamt
716,14 Euro
Mit Bescheid vom 10.04.2019 hat die Zentrale Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt folgende Kostenfestsetzung vorgenommen:
Grundgebühr (Nr. 5100 VV)
70,00 Euro
Verfahrensgebühr (Nr. 5103 VV)
125,00 Euro
Zusatzgebühr (Nr. 5115)
125,00 Euro
Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV)
20,00 Euro
Verfahrensgebühr (Nr. 5200 VV) Vollstreckung
78,00 Euro
Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV)
15,60 Euro
Summe netto:
433,60 Euro
19 % MwSt (Nr. 7008 VV)
82,38 Euro
Gesamt
515,98 Euro
Hiergegen richtet sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 16.04.2019. Der Antrag wendet sich insbesondere gegen die Kürzung der Grundgebühr und der Verfahrensgebühr für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde. Nach Auffassung des Wahlverteidigers wäre jeweils eine Mittelgebühr anzusetzen.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß §§ 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2.62 OWiG zulässig. Insbesondere ist die zweiwöchige Frist des § 108 Abs. 1 Satz 2 OWiG eingehalten.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zum Teil begründet.
1. Das RVG sieht für die Vergütung des in Bußgeldsachen tätigen Rechtsanwalts unterschiedliche Gebührenrahmen vor, deren Höhe sich nach der Höhe der verhängten Geldbuße richtet. Innerhalb des vorgegebenen Gebührenrahmens muss der Rechtsanwalt unter Anwendung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG die jeweils angemessene Gebühr bestimmen. Von Bedeutung sind alle Umstände des Einzelfalls, vor allem aber Umfang und Schwierigkeit der Tätigkeit des Rechtsanwaits, die Bedeutung der Angelegenheit und auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen. Üblicherweise findet die Zumessung zunächst durch Bestimmung der Mittelgebühr statt, die dann innerhalb des Gebührenrahmens herauf – oder herabgesetzt wird. Die Mittelgebühr ist aber keine „versteckte Festgebühr“ (vgl. Krumm in Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Auflage 2018, Vorbemerkung 5, Rn. 15). Die Mittelgebühr gilt für die „normalen“ Fälle, in denen weitgehend alle Umstände durchschnittlich sind. Weicht ein Umstand vom Normalfall ab, kann das zu einem Unterschreiten oder Überschreiten der Mittelgebühr führen, es sei denn die Abweichung wird durch andere unter- bzw. überdurchschnittliche Umstände kompensiert (vgl. Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 23. Auflage 2017, Teil 5. Bußgeldsachen, Einleitung, Rn. 18).
2. Die Bestimmung der Gebühren durch den Rechtsanwalt ist für Dritte, die die Gebühr zu ersetzen haben, nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 3 RVG). Unbilligkeit wird von der überwiegenden Rechtsprechung jedenfalls dann angenommen, wenn die angemessene Gebühr um mehr als 20 % von der festgesetzten Gebühr abweicht (vgl. Winkler in Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Auflage 2018, § 14 RVG, Rn. 56 mit weiteren Nachweisen). Die von der Rechtsprechung entwickelte 20 %-Toleranzgrenze ist nicht grundsätzlich und generell anwendbar. Voraussetzung ist in jedem Fall die Ausübung des billigen Ermessens durch den Rechtsanwalt. Unterbleibt dies, ist für die 20 %-Toleranzgrenze kein Platz (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, § 14 RdNr. 52-59, beck-online).
Bei der Bemessung der angemessenen Gebühr gelten nach ständiger Rechtsprechung dieses Gerichts folgenden Grundsätze:
a) Relevante Kriterien bei der Bedeutung der Angelegenheit
Die Höhe der im Bußgeldbescheid verhängten Geldbuße sagt bei Verkehrsordnungswidrigkeiten in der Regel nicht viel über die Bedeutung der Angelegenheit aus, da die Geldbußen meistens im unteren Bereich angesiedelt sind. In erster Linie werden bei Verkehrsordnungswidrigkeiten Einsprüche gegen Bußgeldbescheide eingelegt wegen den mit der Geldbuße verbundenen Punkten im Fahreignungsregister im Hinblick auf ein zukünftig drohendes Fahrverbot oder Fahrerlaubnisentzug durch die Verwaltungsbehörde, wegen eines verhängten Fahrverbots oder zur Abwehr oder Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche. Von Bedeutung ist insbesondere auch, ob d. Betr. beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.
b) Maßgebende Kriterien zur Einordnung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit
Bei der Einordnung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind u.a. die Kriterien des Aktenumfangs, der Anzahl und Dauer der Besprechungen mit Mandanten. Sachverständigen und Dritten, der Notwendigkeit der Einarbeitung in Rechtsmaterie, einschließlich des ggfs. notwendigen Studiums von Rechtsprechung und Literatur, Zahl und Umfang der Schriftsätze, auswärtige Beweisaufnahmen, Auswertungen von Beiakten oder Sachverständigengutachten zu berücksichtigen.
3. Für den vorliegenden Fall gilt unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe folgendes:
a) Bedeutung der Angelegenheit
Die Bedeutung der Angelegenheit für die Betroffene ist auch unter Würdigung des Umstands, dass sie als Pharmareferentin im Außendienst beruflich auf ihre Fahrerlaubnis angewiesen ist, im Hinblick auf die Höhe des Bußgelds und der Verhängung nur eines Punktes im Fahreignungsregister bei Vorliegen keiner Voreintragung, als gering anzusehen.
b) Zur Grundgebühr 5100:
Diese fällt an für die erstmalige Einarbeitung in die Sache und das erste Mandantengespräch. Der Zeitaufwand hierfür kann nur als unterdurchschnittlich bewertet werden. Weder zum Zeitpunkt des Erstgesprächs, noch im Rahmen des Einspruchsverfahrens bis zur Einstellung des Verfahrens war Akteneinsicht gewährt worden, sodass die Einarbeitung in den Fall bis zur Einstellung „nur das Studium des Bußgeldbescheids und das Mandantengespräch“ umfassen konnte. Der Ansatz der Mittelgebühr ist daher angesichts des geringen Umfangs der Sache zum Zeitpunkt der erstmaligen Einarbeitung, welche ein maßgebliches Kriterium für die Bemessung der Grundgebühr ist (vgl. hierzu Krumm in Mayer/Kroiß, Kommentar zum RVG, 7. Aufl. 2018 RdNr. 7), nicht angemessen. Allerdings erscheint vorliegend unter Berücksichtigung der Gesamtumstände eine Grundgebühr von 80 EUR angemessen, da aufgrund des dargelegten Zeitdrucks fernmündliche Nachforschungen beim Polizeiverwaltungsamt angestellt wurden. Tätigkeiten im Zusammenhang mit der drohenden Vollstreckung wurden durch die Gebühr 5200 VV RVG berücksichtigt.
c) Zur Verfahrensgebühr 5103:
Hier ist (neben der unterdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit) auch der Umfang und Schwierigkeitsgrad im weiteren Verlauf des Verfahrens zu berücksichtigen. Vorliegend ist dabei nicht nur der begründete Einspruch zu berücksichtigen, sondern auch der gestellte und umfangreich begründete Antrag auf gerichtliche Entscheidung, was nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall einen durchschnittlichen Umfang der Angelegenheit zu begründen vermag. Auch unter Berücksichtigung der unterdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit ist bei Berücksichtigung des durchschnittlichen Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit hinsichtlich der Verfahrensgebühr ein Ansatz knapp unter der Mittelgebühr in Höhe von 140 EUR angemessen. Gleiches gilt hinsichtlich der Zusatzgebühr 5115 VV RVG.
Hinsichtlich der Verfahrensgebühr (Vollstreckung) 5200 VV RVG verbleibt es bei der beantragten und festgesetzten Gebühr in Höhe von 78 EUR. Für die Zurückweisung der bei der Stadt Dachau entstandenen Auslagen von 5 EUR ist keine Begründung ersichtlich. Der Betrag ist glaubhaft gemacht und aus der Staatskasse zu erstatten.
Die festzusetzenden Gebühren errechnen sich nach dem Vorgesagten wie folgt:
Grundgebühr (Nr. 5100 VV)
80,00 Euro
Verfahrensgebühr (Nr. 5103 VV)
140,00 Euro
Zusatzgebühr (Nr. 5115 VV)
140,00 Euro
Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV)
20,00 Euro
Verfahrensgebühr (Nr. 5200 VV) Vollstreckung
78,00 Euro
Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV)
15,60 Euro
Summe netto
473,60 Euro
19 % MwSt (Nr. 7008 VV)
89,98 Euro
Auslagen der Stadt Dachau
5,00 Euro
Gesamt
568,58 Euro
Hinsichtlich der Verzinsung hat die Zentrale Bußgeldstelle teilweise abgeholfen. Da im Ausgangsbescheid lediglich ein Endbetrag von 515,98 EUR festgesetzt wurde, war dieser insoweit aufzuheben. Dem Betroffenen sind für notwendige Auslagen insgesamt 568,58 EUR zu erstatten.
4. Hinsichtlich der weitergehenden Gebührenforderung war der Antrag zurückzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 S. 1, 473 Abs. 4 StPO.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben