Arbeitsrecht

Versetzung, Mitbestimmung

Aktenzeichen  5 Sa 774/20

Datum:
24.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22489
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG § 99 Abs. 1
BetrVG § 95 Abs. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

34 Ca 13113/19 2020-06-24 Urt ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 24.06.2020, Az.: 34 Ca 13113/19 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend die Beklagte zutreffend zu einer Weiterbeschäftigung der Klägerin im Betrieb B-Stadt b mit ihren bisherigen Arbeitsbedingungen als Sekretärin verurteilt.
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung der Beklagten bleibt in der Sache erfolglos. Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag zu 3) zu Recht stattgeben und den Beschäftigungsanspruch in dem Betrieb bejaht, in dem die Klägerin vor ihrer Zuordnung zum Bereich GP tätig war. Das Arbeitsgericht hat in der Zuordnung der Klägerin zum Bereich GP zutreffend eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne bejaht, die auf Grund fehlender Mitbestimmung des Betriebsrats unwirksam ist. Das Berufungsgericht schließt sich der Begründung des Arbeitsgerichts München im Ergebnis und in wesentlichen Teilen an.
Die von der Beklagten vorgenommene Personalmaßnahme einer Zuordnung der Klägerin zum Bereich GP ist nur dann wirksam, wenn sie sowohl individualvertraglich zulässig ist, als auch entsprechend den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes unter Beachtung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates getroffen wurde.
1. Die Zuordnung der Klägerin mit Schreiben vom 25.10.2019 und die daran anschließende Zuweisung anderer Arbeitsaufgaben stellen eine Versetzung gem. § 95 Abs. 3 BetrVG dar, die aufgrund fehlender Mitbestimmung unwirksam ist, da die vorgeschriebene Unterrichtung des Betriebsrats gem. § 99 Abs. 1 BetrVG nicht erfolgt ist.
1.1 Eine Versetzung liegt auf der betriebsverfassungsrechtlichen Ebene gem. §§ 99 Abs. 1 Satz 1, 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG dann vor, wenn die tatsächliche Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Der „Arbeitsbereich“ wird in § 81 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 1 BetrVG umschrieben als die Aufgabe und die Verantwortung des Arbeitnehmers, sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebes und umfasst nach ständiger Rechtsprechung neben der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den gegebenen Platz in der betrieblichen Organisation. Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handelt es sich, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als eine „andere“ anzusehen ist (BAG 9.4.2019, 1 ABR 30/17, Rn 26, m.w.N.; NK-ArbRPreuss § 99 BetrVG Rn. 95ff; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz § 99 BetrVG, Rn. 123ff).
Eine erhebliche Änderung der äußeren Umstände, die auch bei einer nur kurzfristigen Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs eine Versetzung darstellt, liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer seine gleich bleibende Arbeit in einer anderen organisatorischen Einheit erbringen soll (BAG 10.4.1984, 1 ABR 67/82; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz § 99 BetrVG, Rn. 138, m.w.N.). Dies ist stets der Fall, wenn eine Zuweisung zu einem anderen Betrieb (BAG 19.02.1991, 1 ABR 36/90) oder zu einem anderen Betriebsteil erfolgt (Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz § 99 BetrVG, Rn. 138; DKKW-Bachner, § 99 Be trVG, Rn. 106 f., 113; Richardi-Thüsing, § 99 BetrVG, Rn.124, jeweils m.w.N.).
1.2 Bei der Zuweisung von Tätigkeiten aus dem Bereich GP mit Schreiben vom 25.10.2019 und der anschließenden Übertragung entsprechender Aufgaben zur Vorbereitung der Bildung eines so genannten GP-Betriebes zum 01.12.2019 der dann zum 01.01.2020 auf die neu gegründete Gesellschaft übergegangen ist, handelt es sich um eine Versetzung im oben genannten Sinne. Die Veränderung der Arbeitsumstände der Klägerin hatte zum Ziel, dass ihre Zuordnung zu einem anderen Betrieb erfolgt. Die Klägerin wurde – wenn auch im Rahmen von Sekretariatsaufgaben – nicht nur mit anderen Tätigkeiten betraut, als sie bislang durchgeführt hat und einer anderen übergeordneten GP Führungskraft zugeordnet, sondern zugleich auch einem anderen Geschäftsbereich (GP), der zum 01.12.2019 einen eigenständigen GP-Betrieb gebildet hat.
Hierzu hat das Arbeitsgericht und auch das Arbeitsgericht Berlin zutreffend festgestellt, dass die reinen Arbeitsaufgaben als Sekretärin, die möglicherweise austauschbar sind, nicht getrennt werden können von den organisatorischen Veränderungen, die auf Grund des Interessenausgleichs vom 24.10.2019 bei Ausspruch der Anweisung vom 25.10.2019 bereits feststanden. Für die Organisationseinheiten GP stand dabei zu diesem Zeitpunkt bereits fest, dass diese zu eigenständigen GP-Betrieben werden und sodann im Wege des Betriebsübergangs ausgegliedert werden auf dem I II KG. Durch die Zuteilung von Aufgaben für GP wurde dadurch die Klägerin dauerhaft einem neuen Bereich und sodann auch einem anderen Betrieb zugeordnet. Allein dies bedingt die Einordnung der Maßnahme als Versetzung. Hinzukommt vorliegend eine noch weitergehende Veränderung der organisatorischen Einheit dadurch, dass der Wechsel in den Bereich GP durch den bereits geplanten Betriebsübergang zu einem Arbeitgeberwechsel für die Klägerin führen sollte, oder im Falle ihres Widerspruchs zu der nunmehr vom Arbeitgeber durchgeführten Zuordnung zu den so genannten „Restbetrieben GP“, für die aktuell keine Aufgaben bestehen und in der Freistellung der Klägerin ab dem 19.12.2019 gemündet haben, die bis zur letzten mündlichen Verhandlung am 24.02.2021 angedauert hat.
2. Die auf Grund der Versetzung der Klägerin erforderliche Beteiligung des Betriebsrates gem. § 99 Abs. 1 BetrVG ist nicht erfolgt, so dass eine Frist für den Betriebsrat zur Verweigerung der Zustimmung gem. § 99 Abs. 3 BetrVG nicht in Lauf gesetzt wurde und schon deshalb eine Fiktion der Zustimmung gem. § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG nicht in Betracht kommt.
2.1 Entgegen der Ansicht der Beklagtenseite ist keine ausreichende Information und Anhörung zur Versetzung durch die Vorlage einer so genannten „Wanderliste“ erfolgt. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit diese die hierfür gem. § 99 Abs. 1 Satz 1 und 2 BetrVG erforderlichen Informationen enthalten haben und geeignet gewesen sein soll, die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen. Der Vortrag der Beklagten beschränkt sich auf die Behauptung, dass der Betriebsrat – zu einem unbekannten Zeitpunkt – unstreitig Listen erhalten habe. Auf diesen seien alle Informationen gegeben worden, die für eine Entscheidung des Betriebsrats zur Zustimmung erforderlich waren. Die Mitarbeiter seien klar identifizierbar gewesen sowie alle Änderungen, wie die neue Organisationseinheit, neue Führungskraft, Kostenstelle und Planstelle seien vorhanden gewesen. Auch die Tatsache, dass Gehalt und Funktionen gleichbleiben, sowie der Hintergrund der Maßnahmen und der Stichtag seien dem Betriebsrat zur Kenntnis gegeben worden. Die Form, die Information als sogenannte Wanderliste in einem Dokument darzustellen, sei bei der Beklagten üblich und widerspreche auch nicht den gesetzlichen Vorgaben.
Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich keine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats. Eine ordnungsgemäße Anhörung nach § 99 Abs. 1 BetrVG erfordert mindestens die zusammengefasste Angabe, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat um eine Zustimmung zu einer Versetzung bittet, sowie auch eine Information über die Auswirkungen der Maßnahme und den genauen Zeitplan. Ein Vortrag der Beklagten dazu, wann sie unter welchen Umständen das Zustimmungsverfahren so eingeleitet haben will, dass für den Betriebsrat erkennbar war, dass die Bekl. überhaupt ein Zustimmungsverfahren nach § 99 BetrVG einleiten wollte, ist nicht erfolgt.
Im Übrigen hat eine Beteiligung des Betriebsrats vor Durchführung einer Personalmaßnahme zu erfolgen. Die Arbeitgeberseite bleibt hier jeglichen Vortrag schuldig, warum dies bei der Anweisung vom 25.10.2019 in Bezug auf eine Information des örtlichen Betriebsrats in Folge des erst am Vortag abgeschlossenen Interessenausgleichs der Fall gewesen sein soll. Die Einhaltung der in § 99 Abs. 3 BetrVG für die Reaktion des Betriebsrats vorgesehenen Wochenfrist vor einer Durchführung der Maßnahme erscheint hier rein rechnerisch auch bei Unterstellung des Zutreffens des Beklagtenvortrags als schlechterdings unmöglich. Schon aus diesem Grunde liegt keine ordnungsgemäße Versetzung der Klägerin vor.
2.2 Ein abweichendes Verfahren der Mitbestimmung wurde auch nicht in Ziff. 3 des Interessenausgleichs vereinbart. Abgesehen davon, dass der Gesamtbetriebsrat nicht befugt wäre, Regelungen zu Lasten der örtlichen Betriebsräte zu treffen und dass die gesetzlichen Regelungen der zwingenden Mitbestimmung gem. § 99 BetrVG nicht betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet sind und Mindestanforderungen für eine wirksame Interessenvertretung enthalten (Richardi-Thüsing, § 99 BetrVG, Rn 8f; Richardi-Richardi, Einleitung Rn 137 ff; HSGW-Hess, Vorb. § 1 Rn. 64; DKKWDäubler Einleitung Rn. 85 f., jeweils m.w.N.), liegt schon dem Wortlaut nach keine Abweichung von der gesetzlich vorgesehenen Mitbestimmung vor.
In Ziff. 3 des Interessenausgleichs ist lediglich geregelt, dass die Betriebsleitungen die örtlichen Betriebsräte der betroffenen Betriebsratseinheiten über die konkreten Auswirkungen der in der Ziff. 2 genannten Zuordnungen an ihrem Standort durch Wanderlisten informieren, aus denen die detaillierte Zuordnung der Mitarbeiter hervorgeht und dass außerdem der örtliche Betriebsrat entsprechend den Vorschriften des BetrVG eingebunden wird. Ein Wille der Betriebsparteien, von dem gesetzlich vorgeschriebenen Mitbestimmungsverfahren des BetrVG einschließlich der Mitbestimmung gem. § 99 BetrVG abzuweichen, ergibt sich daraus gerade nicht. Vielmehr wird die erforderliche Einbindung der örtlichen Betriebsräte nach den gesetzlichen Vorschriften noch einmal ausdrücklich bekräftigt.
3. Die fehlende Zustimmung des Betriebsrats führt zu einer Unwirksamkeit der Versetzung auf der individualrechtlichen Ebene. Das Mitbestimmungsrecht bei der Versetzung dient auch dem Schutz des von der Versetzung betroffenen Arbeitnehmers (s. § 99 II Nr. 4 BetrVG). Die fehlende Zustimmung des Betriebsrats hat daher zur Folge, dass die Versetzung auch individualrechtlich unwirksam ist. Das gilt auch dann, wenn sich das Direktionsrecht des Arbeitgebers auf die vorgesehene Versetzung erstreckt (Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz § 99 BetrVG, Rn. 283; BAG 22.04.2010, 2 AZR 491/09). Aus diesem Grunde hat die Klägerin einen Anspruch auf Beschäftigung, wie er ohne die unwirksame Versetzung und Zuordnung zu einem anderen Betriebsbereich bestanden hat. Daher hat die Klägerin den geltend gemachten Anspruch auf Beschäftigung im Betrieb der C. in B-Stadtb, BB in … B-Stadt zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Sekretärin.
4. Ohne das es für die Entscheidung darauf ankäme, sei im Hinblick auf den Vortrag der Parteien im Berufungsverfahren darauf hingewiesen, dass auch fraglich ist, ob die im Rahmen des Direktionsrechts erfolgte Versetzung der Klägerin gem. § 106 GewO auf der individualrechtlichen Ebene billigem Ermessen entspricht. Die Beklagte hat außer der Tatsache, dass die Klägerin durch ihre Tätigkeit für F dem Bereich des Clusters Services angehörte und eine Querschnittsaufgabe hatte, keine Tätigkeiten genannt hat, die die Klägerin in ihrem bisherigen Arbeitsbereich konkret für GP erledigt hat. Dass auch GP über Grundstücke verfügt hat, die von F mitbetreut wurden, ändert hieran bezogen auf die konkret von der Klägerin ausgeführten Tätigkeiten nichts.
Die von der Beklagten vorgenommene Zuordnung und Änderung der Aufgaben der Klägerin erfolgte damit ersichtlich am 25.11.2019 ausschließlich zu dem Zweck, die Klägerin den neu zu bildenden GP-Bereichen zuzuordnen, die dann zu GP-Betrieben wurden und vom Betriebsübergang betroffen waren. Dem Arbeitgeber ist es aber verwehrt, anlässlich eines Betriebsübergangs eine willkürliche Zuordnung von Arbeitnehmern, die von der bisherigen tatsächlichen Zuordnung abweicht, vorzunehmen oder auch eine solche in einem Interessenausgleich zu regeln, da dies der Wertung des § 613 a BGB widerspricht (s. Elking, Zuordnungsentscheidung und Versetzung vor Betriebsübergang NZA 2014, 295; BAG 21.02.2013, 8 AZR 877/11, Rn. 38).
Daher muss bei der Ausübung des Direktionsrechts die Wertung des § 613 a BGB beachtet werden. Eine Weisung, die den ausschließlichen Zweck einer Separierung von dem verbleibenden Betrieb verfolgt, erscheint tendenziell als problematisch.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung. Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde zulassen sollte. Die Beklagte wird auf deren Möglichkeit und deren Voraussetzungen gem. § 72 a ArbGG hingewiesen.


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