Arbeitsrecht

Versicherungsrechtlicher Status einer Doktorandin

Aktenzeichen  S 30 R 1549/14

Datum:
13.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV SGB IV § 7 Abs. 1, § 7a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Eine Doktorandin ist in einem Beschäftigungsverhältnis gem. § 7 Abs. 1 SGB IV tätig, wenn die Doktorarbeit und die Zahlung des Entgelts in einem System der engen arbeitsteiligen und hierarchischen Einbindung in den wissenschaftlichen Apparat stattfindet. (redaktioneller Leitsatz)
Das Bild eines Beschäftigungsverhältnisses wird nicht durch das Fehlen von Regelungen über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und über Urlaub relativiert. Eine Selbstständigkeit ist nicht durch die Abbedingung von Arbeitnehmerrechten zu konstruieren. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage gegen den Bescheid vom 14.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2014 wird abgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet. § 7 a Abs. 1 S. 1 SGB IV ermöglicht ein Anfrageverfahren über die Frage einer strittigen Beschäftigung in Abgrenzung zu einer selbstständigen Tätigkeit. Abs. 1 S. 3 der Vorschrift begründet eine bundesweite Sonderzuständigkeit der Beklagten für entsprechende Statusfeststellungen. Nach Abs. 2 der Vorschrift entscheidet die Beklagte aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt.
Das Gericht konnte den Rechtsstreit auf der Basis des vorhandenen Materials und der bisherigen Äußerungen entscheiden und eine Vertagung zur Fortsetzung der Beweiserhebung ablehnen. Anders als von der Klägerin dargestellt kommt es nämlich nicht entscheidend darauf an, mit welcher förmlichen oder nichtförmlichen Verbindlichkeit die Beigeladene beispielsweise zu Besprechungen geladen worden ist. Eine in der mündlichen Verhandlung Zeugeneinvernahme angeklungene geradezu kriminalistische Detailgenauigkeit insoweit ist nicht streitentscheidend.
Bereits die unstrittigen grundsätzlichen Rahmenbedingungen des Tätigwerdens der Beigeladenen lassen ein kaum mehr korrigierbares Bild einer abhängigen Beschäftigung entstehen. Wenn ein Unternehmen oder auch eine Behörde jemanden im allerweitesten eigenen Produktions- oder Dienstleistungsspektrum, in der Erhaltung oder Verbesserung der betrieblichen Struktur oder in der Förderung und Fortbildung des Personals in großer Regelmäßigkeit arbeiten lässt und dafür ein entsprechendes regelmäßiges festes Entgelt ohne Orientierung an konkreten Einzelleistungen oder Erfolgen bezahlt, ist der Grundtypus einer Beschäftigung nach der äußerst kurzen Legaldefinition des § 7 Abs. 1 SGB IV bereits verwirklicht, und zwar ganz unabhängig von der Frage, ob in einem schriftlichen Vertrag typische arbeitsrechtliche Begriffe enthalten sind. Allein schon aufgrund der selbstverständlichen Verantwortung gegenüber den Eigentümern eines Unternehmens ist zu unterstellen, dass ein regelmäßiges Entgelt in Anerkennung eines benennbaren betriebswirtschaftlichen Nutzens erbracht wird. Die Klägerseite selbst hat mit der Beibringung einer Bundestagsdrucksache die alternative Möglichkeit eines Stipendiums benannt, das jedoch definitionsgemäß nur in Betracht kommt, wenn die fördernde Institution ganz ausdrücklich und typischerweise satzungsgemäß eine Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ohne jeden eigenen Vorteil erbringen will. Vorliegend bedingt sich A-Firma jedoch ganz explizit die vollständige wirtschaftliche Verwertung der Dissertation aus.
Damit steht das erbrachte Entgelt im unmittelbaren ökonomisch relevanten Austausch zu einer wissenschaftlichen Gegenleistung. Dass die konkrete Nutzbarkeit der jeweiligen Doktorarbeiten recht unterschiedlich ausfallen kann, liegt in der Natur der grundsätzlichen Offenheit von Forschungsarbeiten im Spektrum zwischen langfristig wertvoller Grundlagenarbeit, zügiger Beantwortung aktueller Fragestellungen und einer möglicherweise als Reserve angelegten ergänzenden Abdeckung von Randthemen.
Ein Entgelt von EUR 2178,45 nebst einem Mietkostenzuschuss von EUR 200,00 kann im breiten Umfeld von Tariflöhnen und Beamtenbesoldungen keineswegs nur als „Unterhaltszuschuss“ gelten. Wissenschaftlicher Nachwuchs darf zwar hoffen, bei entsprechendem beruflichem Erfolg sehr viel mehr zu verdienen, muss aber in der heute oft prekären Situation der Praktika und Hospitationen oftmals mit einem Bruchteil dieses Betrages leben.
Die Beigeladene hat in anschaulicher Weise dargestellt, dass die Grundpflichten des Beschäftigungsverhältnisses, nämlich Anfertigung der Doktorarbeit und Zahlung des Entgelts, in einem System der engen arbeitsteiligen und hierarchischen Einbindung in den wissenschaftlichen Apparat der Klägerin erfolgte. Die Beigeladene ist weder Juristin noch Betriebspsychologin, so dass ihre entsprechenden Schilderungen auch ohne exakte Differenzierung zwischen verbindlichen Anweisungen und gespürten Gewohnheiten und Erwartungshaltungen einleuchten.
Insoweit ist auch zu unterstellen, dass hochqualifizierte technische Mitarbeiter und ambitionierte Wissenschaftler miteinander nicht in einem Stil von Befehl und Gehorsam, von Hierarchie und Stechuhr und von Kontrolle und Wachsamkeit miteinander verkehren, sondern auf der Basis kollegialer Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. Eine gelebte betriebliche Wirklichkeit wird nicht nur durch formelle Regeln und ausdrückliche Anweisungen geprägt, sondern auch durch nonverbale Botschaften.
Das Bild eines Beschäftigungsverhältnisses wird nicht durch das Fehlen von Regelungen über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und über Urlaub relativiert. Eine Selbstständigkeit ist nicht durch die Abbedingung von Arbeitnehmerrechten zu konstruieren, die bereits vor vielen Jahrzehnten gesetzliche und tarifliche Selbstverständlichkeiten geworden sind.
Innerhalb der zur Statusfeststellung notwendigen Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit kann die Klägerseite nicht allein schon mit dem Nachweis einer gewissen akademischen Freiheit der Beigeladenen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Vergleich zur Position etwa von fest angestelltem Laborpersonal Erfolg haben. Vielmehr müsste sie die überreichlich mit Argumenten für eine Beschäftigung gefüllte argumentative Waagschale mit einer noch gewichtiger gefüllten Waagschale mit Argumenten für eine Selbstständigkeit der Beigeladenen aufwiegen können. Diese Waagschale bleibt jedoch völlig leer. Wer seine komplette wöchentliche, monatliche und jährliche Arbeitszeit in eine einzige Firma einbringt und von dort ein festes Entgelt bezieht, verwertet kein eigenes Kapital mit der ungewissen Aussicht auf Ertrag, riskiert keinen Verlust von Kapital und keine Fehlinvestition von Arbeitszeit, hat keinerlei Anlass für Werbemaßnahmen, kann die Abhängigkeit vom Hauptarbeitgeber nicht durch die Erfüllung von Aufträgen aus anderen Richtungen relativieren und verzichtet auf jede Kalkulation und Buchführung. Verhandlungen zwischen A-Firma und der Beigeladenen fanden zu keiner Zeit statt und hätten auch kein definierbares Thema haben können.
Im Gesamtergebnis ist nicht annähernd auch nur der bei der Statusfeststellung häufige Grenzfall zwischen einer sehr freizügig gehandhabten Teilzeitbeschäftigung und einer selbstständigen Auftragserledigung in relativ engem Rahmen zu erkennen, sondern der eindeutige Fall einer Vollzeitbeschäftigung in enger betrieblicher Eingliederung.
Im Rückblick auf die mündliche Verhandlung darf nochmals daran erinnert werden, dass Frau Dr. C. in prozessualer Hinsicht keine Zeugin ist, deren Glaubwürdigkeit von den Prozessparteien infrage zu stellen ist, sondern als Beigeladene eine dritte Prozessbeteiligte mit eigenen Rechten. Ihre plausibel und widerspruchsfrei vorgetragenen Schilderungen gelten dem Gericht auch bei der einen oder anderen begrifflichen Unschärfe als wahr und bedürfen genauso wenig wie die Äußerungen der Klägerin oder Beklagten einer detaillierten Beweisführung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).


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