Arbeitsrecht

Versorgung, Krankenhausbehandlung, Krankenkasse, Fallpauschale, Eingruppierung, Beurlaubung, Krankenhaus, Gutachten, MDK, Erstattungsanspruch, Aufenthalt, Zahlung, Klage, Aufrechnung, medizinischer Zusammenhang

Aktenzeichen  S 8 KR 1521/19

Datum:
10.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54050
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.169,86 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 12.10.2019 zu bezahlen.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben die Klägerin – im Hinblick auf die Teilrücknahme – 80 % und die Beklagte 20 % zu tragen.  

Gründe

Die Klage ist – soweit sie nicht in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde – als Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) zulässig und begründet.
Streitgegenstand ist noch ein Zahlungsanspruch in Höhe von 1.169,86 Euro. Die Beklagte hatte ursprünglich den streitigen Betrag auf 1.161,86 Euro beziffert und gleichwohl eine Aufrechnung in Höhe von 6.667,25 Euro vorgenommen. Die Klägerin hatte mit der Klage zunächst eine Forderung in Höhe von 5.457,39 Euro geltend gemacht. Auf einen gerichtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung, dass dieser Betrag nicht plausibel erscheine, hat der Bevollmächtigte der Klägerin telefonisch Rücksprache mit seiner Mandantschaft genommen und anschließend die Klage im Umfang von 4.287,53 Euro zurückgenommen. In diesem Umfang habe die Beklagte bereits Zahlungen geleistet. Damit bleibt es bei einem streitigen Betrag in Höhe von 1.169,86 Euro, den die Beklagte noch nicht ausgeglichen hat.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 1.169,86 Euro zu.
Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Behandlungen anderer Versicherter der Beklagten zunächst Anspruch auf die abgerechnete Vergütung in Höhe von 1.169,86 Euro hatte; eine nähere Prüfung durch die Kammer erübrigt sich insoweit (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.2016, B 1 KR 9/16 R, Rn. 8 m.w.N.).
Die Beklagte hat diesen Vergütungsanspruch nicht durch wirksame Aufrechnung (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 387, 389 BGB) mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch erfüllt. Ihr stand nämlich ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe von 1.169,86 Euro im Hinblick auf die Behandlung der Versicherten E. nicht zu. Die Klägerin hatte der Beklagten diesen Betrag zu Recht in Rechnung gestellt. Insbesondere durfte die Klägerin zwei Behandlungsfälle abrechnen.
1. Rechtsgrundlage des von der Klägerin wegen der stationären Behandlung des Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 KHEntgG und § 17b KHG. Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus (BSG, Urteil vom 27.10.2020, B 1 KR 9/20 R, Rn. 9 m.w.N.).
Die Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs der Klägerin liegen vor. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und i.S. von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (BSG, a.a.O., Rn. 10).
Die stationäre Behandlung der Versicherten war während beider Behandlungsepisoden (23.-24.04.2019 und 03.-06.05.2019) medizinisch erforderlich. Hiervon ist die Klammer überzeugt, weil der MDK in einem der Gutachten vom 01.08.2019 die Notwendigkeit stationärer Behandlung auch hinsichtlich des ersten Klinikaufenthalts ausdrücklich bestätigt hat. Die Frage ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Zwar hat die Beklagte in ihrem Schreiben vom 22.04.2021 hinsichtlich des ersten Klinikaufenthaltes Zweifel an der Notwendigkeit einer stationären Behandlung bekundet. Sie hat daran jedoch in der mündlichen Verhandlung nicht festgehalten und ausgeführt, die Notwendigkeit einer stationären Behandlung vom 23.-24.04.2019 habe man wegen der notfallmäßigen Aufnahme nicht streitig gestellt.
2. Die Klägerin berechnete die Vergütung auf Grundlage des tatsächlichen Geschehensablaufs sachlich-rechnerisch zutreffend. Die Krankenhausvergütung bemisst sich nach Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Klägerin rechnete die einschlägigen Fallpauschalen nach der FPV 2019 korrekt ab. Danach waren – bei unterstellter Wirtschaftlichkeit – insbesondere die Voraussetzungen einer abrechnungstechnisch gebotenen Fallzusammenführung nicht erfüllt.
a) Es liegt keine Einstufung in dieselbe Basis-DRG vor (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FPV 2019). Vielmehr wurde der erste Klinikaufenthalt mit der Basis-DRG N60 abgerechnet; der zweite Klinikaufenthalt mit der Basis-DRG N02.
b) Eine Fallzusammenführung wegen Eingruppierung der zweiten Fallpauschale in die „operative Partition“ (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FPV 2019) kommt nicht in Betracht, weil der erste Klinikaufenthalt der Versicherten mit der Fallpauschale N60B (bösartige Neubildung der weiblichen Geschlechtsorgane, ein Belegungstag oder Alter über 18 Jahre, ohne äußerst schwere CC) abgerechnet wurde. Diese Fallpauschale ist im Fallpauschalenkatalog 2019 in Spalte 13 gekennzeichnet. Damit wird eine entsprechende Zusammenfassung und Neueinstufung nicht vorgenommen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 FPV 2019).
c) Eine in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallende Komplikation (§ 2 Abs. 3 Satz 1 FPV 2019) lag nicht vor.
3. Die Klägerin behandelte die Versicherte auch wirtschaftlich. Insbesondere kann sich die Beklagte nicht auf ein fiktives wirtschaftliches Alternativverhalten der Klägerin in Form einer Beurlaubung der Versicherten berufen. Die Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 27.10.2020, B 1 KR 9/20 R, Rn. 13 ff. zu einer Behandlung im Jahr 2012 kann nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden.
Dies ergibt sich aus § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG, der mit Art. 9 Nr. 6 Buchstabe c des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes ( vom 11.12.2018, BGBl I 2394) eingefügt wurde und am 01.01.2019 in Kraft getreten ist. Danach ist in anderen als den vertraglich oder gesetzlich bestimmten Fällen eine Fallzusammenführung insbesondere aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht zulässig. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/5593, S. 125 zu Nr. 6 Buchstabe c) heißt es hierzu:
„Die Ergänzung von § 8 Absatz 5 stellt klar, dass die von den Vertragsparteien auf Bundesebene in der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) getroffenen Abrechnungsbestimmungen zur Fallzusammenführung als abschließende Konkretisierung der Zulässigkeit einer Fallzusammenführung aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots zu verstehen sind. Eine von den Regelungen der FPV abweichende oder darüber hinausgehende Argumentation zur Notwendigkeit einer Fallzusammenführung, die sich auf das Wirtschaftlichkeitsgebot stützt, ist damit nicht zulässig.“
§ 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG richtet sich demnach primär an die Krankenkassen. Diesen ist verwehrt, sich bei der Prüfung von Krankenhausabrechnungen auf das Erfordernis einer Fallzusammenführung – also einer einheitlichen Abrechnung mehrerer zeitlich getrennter Klinikaufenthalte – zu berufen, wenn eine solche nicht gesetzlich oder vertraglich bestimmt ist. Die Berufung auf das Wirtschaftlichkeitsgebot genügt insoweit nicht.
Gesetzlich oder vertraglich bestimmt ist eine Fallzusammenführung, wenn Voraussetzungen festgelegt sind, bei deren Vorliegen entweder unmittelbar kraft Gesetzes bzw. Vertrags nur ein einziger Abrechnungsfall vorliegt oder das Krankenhaus verpflichtet ist, eine Fallzusammenführung vorzunehmen.
Nicht ausreichend ist dagegen, wenn eine Fallzusammenführung lediglich zulässig ist. Daher ist in § 1 Abs. 7 Satz 5 und 6 FPV 2019 keine Fallzusammenführung bestimmt. Dort heißt es:
„Eine Beurlaubung liegt vor, wenn ein Patient mit Zustimmung des behandelnden Krankenhausarztes die Krankenhausbehandlung zeitlich befristet unterbricht, die stationäre Behandlung jedoch noch nicht abgeschlossen ist. Bei Fortsetzung der Krankenhausbehandlung nach einer Beurlaubung liegt keine Wiederaufnahme im Sinne von § 2 vor.“
Dabei handelt es sich um eine Definition der Beurlaubung und die Festlegung einer Rechtsfolge. Die Bestimmung enthält jedoch weder Voraussetzungen, unter denen unabhängig vom Willen und Verhalten des Krankenhauses eine Beurlaubung vorliegt, noch ein Gebot, unter bestimmten Umständen eine Beurlaubung vorzunehmen. Ob ein Patient beurlaubt oder entlassen wird, entscheidet im Einzelfall das Krankenhaus unter Mitwirkung des Patienten. Besonders deutlich wird das Fehlen einer Rechtspflicht zur Beurlaubung, wenn man § 2 Abs. 1 Satz 1 FPV 2019 zum Vergleich heranzieht, wo es heißt: „Das Krankenhaus hat … vorzunehmen, wenn …“.
Dieses Verständnis entspricht auch der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 27.10.2020 (B 1 KR 9/20 R, Rn. 13 ff.). Hier hat das BSG weder aus dem Vorliegen der Voraussetzungen (a.a.O., Rn. 19) das tatsächliche Vorliegen einer Beurlaubung abgeleitet, noch der FPV eine Pflicht zur Beurlaubung entnommen. Das BSG hat vielmehr die – tatsächlich nicht vorliegende – Beurlaubung als fiktives wirtschaftliches Alternativverhalten angesehen und seine Entscheidung damit nicht auf einen Verstoß des Krankenhausträgers gegen die FPV, sondern ausschließlich auf einen Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot gestützt.
Damit haben die Vertragsparteien der FPV 2019 die Beurlaubung nur als Option ausgestaltet. Wird von dieser Option nicht Gebrauch gemacht, liegt allenfalls ein Verstoß gegen das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 Satz 2 sowie§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 3, § 70 Abs. 1 SGB V) vor. Darauf kann sich die Beklagte nach § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG jedoch nicht mit Erfolg berufen.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB und der einschlägigen Entgeltvereinbarung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 161 Abs. 1, 155 Abs. 1 und 2 VwGO.


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