Arbeitsrecht

Vertragsärztliche Vergütung – Auslegung der von den Bundesmantelvertragspartnern beschlossenen Gebührentatbestände – Geltung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für vertragsärztliche Vergütungsbestimmungen des Bewertungsausschusses – Verbindlichkeit von Protokollnotizen zu einzelnen Gebührenordnungspositionen (GOP) – Therapie mit Bisphosphonaten keine “zytostatische Tumortherapie” iSd GOP 86516 der Onkologie-Vereinbarung

Aktenzeichen  B 6 KA 14/19 R

Datum:
25.11.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2020:251120UB6KA1419R0
Normen:
§ 72 Abs 2 SGB 5
§ 82 Abs 1 S 1 SGB 5
§ 87 Abs 1 S 1 SGB 5
§ 106d Abs 2 SGB 5 vom 16.07.2015
§ 106a Abs 2 SGB 5 vom 14.11.2003
Anl 7 Anh 2 Nr 86516 BMV-Ä
Anl 7 Anh 2 ProtNot BMV-Ä
Spruchkörper:
6. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Stuttgart, 26. Oktober 2017, Az: S 24 KA 2554/15, Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 14. November 2018, Az: L 5 KA 4616/17, Urteil

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. November 2018 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Berichtigung für das Quartal 1/2011 im Hinblick auf die Abrechnung der Gebührenordnungsposition (GOP) 86516 der Onkologie-Vereinbarung (“Zuschlag zu den Kostenpauschalen 86510 und 86512 für die intravasale zytostatische Tumortherapie gemäß Vereinbarung über die qualifizierte ambulante Versorgung krebskranker Patienten”).
2
Die Klägerin ist eine aus drei Fachärzten für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie sowie einem Facharzt für Allgemeinmedizin bestehende Berufsausübungsgemeinschaft (BAG), deren Mitglieder im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen und auch zur Teilnahme an der “Vereinbarung über die qualifizierte ambulante Versorgung krebskranker Patienten” (im Folgenden: Onkologie-Vereinbarung) berechtigt sind.
3
Mit Honorarbescheid vom 15.7.2011 vergütete die beklagte KÄV der Klägerin für das Quartal 1/2011 ua Kostenpauschalen der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung. Nach den im Bezirk der Beklagten bestehenden sog Sonderverträgen der Beklagten mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen wurde dieser Zuschlag mit 128,14 Euro bewertet.
4
Mit Schreiben vom 19.2.2014 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass die Honorarabrechnung für das Quartal 1/2011 (im Rahmen einer sog Schwerpunktprüfung “Praxisklinische Betreuung”) einer Plausibilitätsprüfung unterzogen werde. Es sei insbesondere aufgefallen, dass die Nr 86516 der Onkologie-Vereinbarung für die alleinige Applikation von Bisphosphonaten abgerechnet worden sei. In ihrer dazu abgegebenen Stellungnahme machte die Klägerin geltend, dass die genannte GOP auch im Falle der intravasalen Gabe von Bisphosphonaten abgerechnet werden könne. Lediglich in vier der von der Beklagten beanstandeten 24 Fälle sei die Abrechnung tatsächlich zu Unrecht erfolgt, weil hier auch Bisphosphonate nicht intravasal verabreicht worden seien.
5
Mit Bescheid vom 20.11.2014 berichtigte die Beklagte die Honorarabrechnung der Klägerin vom 15.7.2011 für das Quartal 1/2011 hinsichtlich der GOP 86516 der Onkologie-Vereinbarung in 24 Behandlungsfällen. In vier Behandlungsfällen habe bereits die Klägerin selbst eingeräumt, dass der Leistungsinhalt der streitbefangenen Kostenpauschale nicht erfüllt sei. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte ua unter Hinweis auf Stellungnahmen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vom 3.8.2012 und vom 9.1.2015 zurück (Widerspruchsbescheid vom 1.4.2015).
6
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26.10.2017) und das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 14.11.2018). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen zwar in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich sei. Indes sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung nicht Gegenstand des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä), sondern Gegenstand des Bundesmantelvertrags sei. Bei den Bundesmantelverträgen handele es sich um Normsetzungsverträge. Diese hätten normativen Charakter in dem Sinne, dass sie nicht nur gegenüber den vertragsschließenden Parteien, sondern auch gegenüber Dritten unmittelbare rechtliche Außenwirkungen entfalteten. Die für die Auslegung vergütungsrechtlicher Bestimmungen geltenden Grundsätze erführen eine dahingehende Einschränkung, dass bei Verträgen mit rechtlicher Wirkung gegenüber Dritten, wie vorliegend gegenüber der Beklagten und den Vertragsärzten, nicht auf den subjektiven Willen der Beteiligten, sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung abzustellen sei. Diese Erklärungsbedeutung sei umfassend zu ermitteln. Die Auslegung sei daher nicht etwa auf eine Wortlautauslegung beschränkt, vielmehr könne außer der Auslegung nach dem Wortlaut und der grammatischen Interpretation auch eine systematische, eine teleologische und eine entstehungsgeschichtliche Auslegung in Betracht kommen. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe erfülle die Therapie mit Bisphosphonaten, wie vorliegend mit Bondronat, Bonefos und Zometa, unter weiterer Medikation mit antineoplastischen Medikamenten auf nicht intravasalem Applikationsweg nicht die Leistungslegende der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung. Dabei werde nicht verkannt, dass Bisphosphonate langjährig – erfolgreich – bei multiplen Myelomen und bei ossärer Metastasierung auch bei der Behandlung von Krebserkrankungen eingesetzt werden. Entscheidend sei hier jedoch, dass Bisphosphonate arzneimittelrechtlich nicht für die zytostatische Tumortherapie zugelassen seien, sondern für die Prävention skelettbezogener Komplikationen bei Patienten mit fortgeschrittenen, auf das Skelett ausgedehnten Tumorerkrankungen, sowie für die Behandlung von Patienten mit tumorindizierter Hyperkalzämie. Bisphosphonate würden dementsprechend in der anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikation der WHO (ATC) auch nicht dem Code L (für antineoplastische Substanzen), sondern dem Code M (Muskel- und Skelettsystem) zugeordnet. Diese Auslegung werde durch den Inhalt der Protokollnotiz zum Anhang 2 Teil B der Onkologie-Vereinbarung bestätigt.
7
Mit ihrer Revision macht die Klägerin die fehlerhafte Auslegung der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung geltend. Für die Auslegung der GOP, die in der Onkologie-Vereinbarung enthalten sind, würden keine anderen Maßstäbe gelten als für die im EBM-Ä enthaltenden GOP. Daher komme es auch für die Auslegung der GOP 86516 der Onkologie-Vereinbarung in erster Linie auf den Wortlaut an. Die intravasale Applikation von Bisphosphonaten sei eine “intravasale zytostatische Tumortherapie” im Sinne der genannten GOP. Dem stehe nicht entgegen, dass Bisphosphonate arzneimittelrechtlich nicht als Zytostatika zugelassen seien. Entscheidend sei deren zytostatische Wirkung. Dem stehe auch die Protokollnotiz, nach der die GOP 86516 “für die alleinige Therapie mit Bisphosphonaten nicht berechnet werden” kann, nicht entgegen. Die dort enthaltene Einschränkung der Therapie mit Bisphosphonaten setze denklogisch voraus, dass eine zytostatische Therapie im Sinne der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung grundsätzlich auch bei alleiniger intravasaler Gabe von Bisphosphonaten vorliege. Das Vorhandensein der Protokollnotiz spreche deshalb dafür, dass die GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung gerade auch dann angesetzt werden könne, wenn nur Bisphosphonate intravasal und die weiteren zytostatischen Mittel auf anderem Weg verabreicht werden. Im Übrigen seien die Bisphosphonate hier im Gebiet ihrer Zulassung eingesetzt worden; ein Off-Label-Use liege nicht vor. Der Umstand, dass über die im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren festgestellten therapeutischen Wirkungen hinausgehend auch eine zytostatische Wirkung der Bisphosphonate erwartet werde, mache deren Einsatz nicht unzulässig.
8
Die Klägerin beantragt,
        
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 14.11.2018 und des SG Stuttgart vom 26.10.2017 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 20.11.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1.4.2015 insoweit zu ändern, als die Honorarberichtigung um einen Betrag von 2562,80 Euro reduziert wird.
9
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
        
die Revision zurückzuweisen.
10
Die intravasale Therapie mit Bisphosphonaten sei bei nicht intravasaler Gabe antineoplastischer Medikamente keine “intravasale zytostatische Tumortherapie” im Sinne der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung. Der Begriff der “Therapie” in der Protokollnotiz beziehe sich auf die “zytostatische Tumortherapie” im Sinne der Kostenpauschale. Dadurch werde klargestellt, dass die Abrechnungsfähigkeit der Kostenpauschale eine “zytostatische Tumortherapie” voraussetze, die bei einer Verabreichung von Bisphosphonaten gerade nicht gegeben sei. Unerheblich sei für die Abrechnungsfähigkeit der Kostenpauschale, ob über die intravasale zytostatische Tumortherapie hinaus noch Bisphosphonate verabreicht würden. Im Übrigen könne die Erwartung einer etwaigen zytostatischen Wirkung eines Medikamentes nicht mit einer gezielt eingesetzten zytostatischen Tumortherapie gleichgesetzt werden.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen. Die GOP 86516 der Onkologie-Vereinbarung war im Quartal 1/2011 nicht berechnungsfähig, wenn allein Bisphosphonate intravasal appliziert wurden, die zytostatische Tumortherapie jedoch oral erfolgte.
12
1. Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist § 106a Abs 2 SGB V (hier noch idF des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190 ; heute: § 106d Abs 2 SGB V). Danach stellt die KÄV die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität.
13
Die Beklagte ist hier nach der Begründung der angefochtenen Bescheide davon ausgegangen, eine Plausibilitätsprüfung durchzuführen. Der Senat lässt dahinstehen, ob das zutrifft. Von anderen Formen der Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung eines Arztes (zur Plausibilitätsprüfung als besondere Form der sachlich-rechnerischen Richtigstellung vgl Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand 1/2018, K § 106d RdNr 42) unterscheidet sich die Plausibilitätsprüfung, die “insbesondere” den “Umfang der je Tag abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand des Vertragsarztes” zum Gegenstand hat, in erster Linie dadurch, dass bestimmte Auffälligkeiten Abrechnungsfehler aufdecken und damit Anlass für eine weitergehende Prüfung sein können. Darüber hinaus können diese Auffälligkeiten – jedenfalls im Falle der Überschreitung von Tages- und Quartalszeitprofilen – auch geeignet sein, die Unrichtigkeit der Abrechnungen insgesamt zu belegen, soweit sie sich nicht zugunsten des Arztes erklären lassen. Tages- und Quartalszeitprofile können deshalb ein geeignetes Beweismittel sein (BSG Urteil vom 21.3.2018 – B 6 KA 47/16 R – SozR 4-2500 § 106a Nr 18 RdNr 25 f; BSG Urteil vom 24.10.2018 – B 6 KA 42/17 R – BSGE 127, 43 = SozR 4-2500 § 106a Nr 19, RdNr 20, jeweils mwN). Darum geht es im vorliegenden Verfahren jedoch nicht. Die Beklagte begründet die Unrichtigkeit der Honorarabrechnung der Klägerin nicht mit fehlender Plausibilität, sondern allein damit, dass die Leistungslegende der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung durch die erbrachten Leistungen nicht erfüllt werde. Art und Inhalt der von der Klägerin erbrachten Leistungen, die der Abrechnung der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung zugrunde lagen, sind geklärt und zwischen den Beteiligten nicht umstritten.
14
Insofern zielt die hier durchgeführte Prüfung allgemein auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots – erbracht und abgerechnet worden sind (zu diesem Inhalt der sachlich-rechnerischen Richtigstellung vgl zB BSG Urteil vom 2.4.2014 – B 6 KA 20/13 R – SozR 4-2500 § 117 Nr 6 RdNr 13; BSG Urteil vom 24.10.2018 – B 6 KA 42/17 R – BSGE 127, 43 = SozR 4-2500 § 106a Nr 19, RdNr 10; BSG Urteil vom 13.5.2020 – B 6 KA 24/18 R – RdNr 11, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen, jeweils mwN). Dazu gehört auch die Prüfung auf Vereinbarkeit mit der Leistungslegende der abgerechneten GOP. Auf die Gründe, die zur Aufdeckung einer Unrichtigkeit geführt haben, kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an. Soweit in den “Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfung der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen” (AbrPr-RL) oder in Vereinbarungen der Gesamtvertragspartner nach § 106a Abs 5 SGB V aF Regelungen zu der Frage getroffen werden, in welchen Fällen die KÄV in die nähere Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung eintritt, dienen diese grundsätzlich nicht dem Schutz des einzelnen Arztes (ebenso bereits zum Antragserfordernis bei einer Wirtschaftlichkeitsprüfung: BSG Urteil vom 21.6.1995 – 6 RKa 54/94 – BSGE 76, 149 = SozR 3-2500 § 106 Nr 28 = juris RdNr 19; BSG Urteil vom 27.6.2001 – B 6 KA 66/00 R – SozR 3-2500 § 106 Nr 53 RdNr 27 mwN; bei der Feststellung eines sonstigen Schadens: BSG vom 29.6.2011 – B 6 KA 16/10 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 31 RdNr 29). Der Senat stellt daher auch mit Blick auf das Urteil vom 15.7.2020 (B 6 KA 13/19 R – juris RdNr 14, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen) klar, dass die Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung – unabhängig davon, ob die KÄV diese als Plausibilitätsprüfung bezeichnet – grundsätzlich nicht davon abhängt, dass die in § 12 AbrPr-RL (Durchführung einer Plausibilitätsprüfung bei Abrechnungsauffälligkeiten) oder in § 20 AbrPr-RL (Prüfung aufgrund konkreter Hinweise und Verdachtsmomente) angesprochenen Gesichtspunkte gegeben sind. Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn die Unrichtigkeit der Abrechnung – anders als hier – (auch) durch die Implausibilität der Abrechnung belegt werden soll.
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2. Die auf der Grundlage von § 106a Abs 1 SGB V aF vorgenommene sachlich-rechnerische Richtigstellung, gegen die sich die Klägerin wendet, ist rechtmäßig. Die Kostenpauschale nach GOP 86516 der Onkologie-Vereinbarung war in den streitbefangenen Fällen, in denen die Klägerin allein Bisphosphonate, nicht jedoch ein zur zytostatischen Tumortherapie zugelassenes Medikament intravasal verabreicht hat, nicht berechnungsfähig.
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a) Die GOP 86516 der Onkologie-Vereinbarung lautete in der zum 1.10.2009 in Kraft getretenen, im hier maßgebenden Quartal 1/2011 unverändert geltenden Fassung (DÄ 2009, A 1680) wie folgt:
“86516
Zuschlag zu den Kostenpauschalen 86510 und 86512 für die intravasale zytostatische Tumortherapie gemäß Vereinbarung über die qualifizierte ambulante Versorgung krebskranker Patienten ‘Onkologie-Vereinbarung’
        
einmal je Behandlungsfall
        
Die Kostenpauschale 86516 ist im Behandlungsfall nicht neben den Gebührenordnungspositionen 07345, 08345, 09345, 10345, 13435, 13675, 15345 und 26315 berechnungsfähig.
        
Die Kostenpauschale 86516 ist nur unter Angabe des/der verwendeten Medikaments/Medikamente berechnungsfähig.”
17
Die Protokollnotizen zum Anhang 2 Teil B der Onkologie-Vereinbarung hatten in der ab dem 1.1.2011 geltenden Fassung (DÄ 2010, A 2590) folgenden Wortlaut:
“Der Leistungsbedarf in Euro bisheriger regionaler Gebührenordnungspositionen für die Kostenerstattung von Bisphosphonaten ist der Gebührenordnungsposition 86512 zuzuordnen. Die Gebührenordnungsposition 86516 kann für die alleinige Therapie mit Bisphosphonaten nicht berechnet werden.
Die Partner der Onkologie-Vereinbarung werden bis zum 1. Januar 2012 prüfen, ob die Vergütung der Transfusionen in einer separaten Kostenpauschale abgebildet werden soll.
Gleichermaßen wird zu diesem Zeitpunkt die Erstellung einer Medikamentenliste geprüft, in der die Medikamente erfasst werden, bei deren Anwendung die Kostenpauschale 86516 berechnungsfähig ist.”
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b) Für die Auslegung der genannten GOP ist in erster Linie der Wortlaut der Regelung maßgebend. Grund für die besondere Bedeutung des Wortlauts ist nach der zu den GOP des EBM-Ä ergangenen ständigen Rechtsprechung des Senats (BSG Urteil vom 11.12.2013 – B 6 KA 14/13 R – SozR 4-2500 § 87 Nr 28 RdNr 11; zuletzt: BSG Urteil vom 11.9.2019 – B 6 KA 22/18 R – SozR 4-5531 Nr 01210 Nr 1 RdNr 13 jeweils mwN) zum einen, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM-Ä – des Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs 1 SGB V – ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM-Ä als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände besteht nur dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden. Diese Grundsätze gelten auch für Kostenerstattungstatbestände, sofern sie eine Pauschalerstattung vorsehen (BSG Urteil vom 11.12.2013 – B 6 KA 14/13 R – SozR 4-2500 § 87 Nr 28 RdNr 11; BSG Urteil vom 16.12.2015 – B 6 KA 39/15 R – SozR 4-5531 Nr 40100 Nr 1 RdNr 25).
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c) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die genannten Maßstäbe auf die hier zu entscheidende Fallgestaltung nicht übertragbar seien, weil die GOP 86516 der Onkologie-Vereinbarung nicht Inhalt des EBM-Ä sei, der vom Bewertungsausschuss festzulegen ist, sondern Bestandteil der Bundesmantelverträge (so auch: Bayerisches LSG Urteil vom 14.11.2007 – L 12 KA 16/06 – juris RdNr 36). Das trifft nach Auffassung des Senats jedoch nicht zu.
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Richtig ist, dass die Onkologie-Vereinbarung (DÄ 2009, A 1680) in der hier maßgebenden seit dem 1.1.2011 geltenden Fassung (DÄ 2010, A 2590) einschließlich der in der Anlage 2 dieser Vereinbarung enthaltenden GOP 86516 nicht auf der Grundlage des § 87 Abs 1 Satz 1 SGB V vom Bewertungsausschuss als Teil des EBM-Ä, sondern auf der Grundlage von § 72 Abs 2 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 SGB V von der KBV und vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Teil der Bundesmantelverträge (Anlage 7) vereinbart worden ist (vgl bereits BSG Urteil vom 8.9.2004 – B 6 KA 18/03 R – SozR 4-2500 § 82 Nr 1 = juris RdNr 20). Das hat jedoch nicht zur Folge, dass für die Auslegung dieser Vergütungsbestimmung andere Maßstäbe gelten würden, als für die Auslegung der im EBM-Ä enthaltenen Vergütungsbestimmungen.
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Nach § 87 Abs 1 Satz 1 SGB V ist die Vereinbarung eines einheitlichen Bewertungsmaßstabs für die ärztlichen Leistungen Aufgabe des Bewertungsausschusses. Dabei wird der Bewertungsausschuss nicht nur als Unterausschuss des Normgebers “Bundesmantelvertragspartner” tätig. Vielmehr sind die dem Bewertungsausschuss durch § 87 Abs 1 Satz 1 SGB V übertragenen Aufgaben der – ansonsten nach § 82 Abs 1 SGB V bestehenden – Zuständigkeit der Bundesmantelvertragspartner entzogen (BSG Urteil vom 19.8.2015 – B 6 KA 34/14 R – BSGE 119, 231 = SozR 4-2500 § 87b Nr 7 RdNr 34; BSG Urteil vom 3.8.2016 – B 6 KA 42/15 R – SozR 4-2500 § 87 Nr 33 RdNr 19). Daraus folgt aber keine alleinige Zuständigkeit des Bewertungsausschusses zur Regelung vertrags(zahn)ärztlicher Vergütungstatbestände. Für eine Reihe von Konstellationen hat der Senat in stRspr gebilligt, dass die Partner der BMV-Ä auf der Grundlage des § 82 Abs 1 Satz 1 auch Abrechnungsregelungen treffen können. Dazu gehörte neben Übergangsregelungen (vgl BSG Urteil vom 8.5.1996 – 6 RKa 49/95 – BSGE 78, 191, 200 f = SozR 3-2200 § 368i Nr 1 S 11 = juris RdNr 27) und ergänzenden Abrechnungsbestimmungen zu einzelnen GOP im zahnärztlichen Bereich (BSG Urteil vom 15.11.1995 – 6 RKa 57/94 – SozR 3-5535 Nr 119 S 3 f – juris RdNr 12) vor der Änderung des § 87 Abs 1 Satz 1 SGB V durch das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz) vom 16.7.2015 (BGBl I 1211; vgl BSG Urteil vom 16.12.2015 – B 6 KA 39/15 R – SozR 4-5531 Nr 40100 Nr 1 RdNr 22; BSG Urteil vom 3.8.2016 – B 6 KA 42/15 R – SozR 4-2500 § 87 Nr 33 RdNr 19 f) die Bewertung der üblicherweise in festen DM- bzw Euro-Beträgen und nicht in Vergütungspunkten ausgewiesenen Sachkosten (zur Vergütung des technisch-analytischen Teils der Laboruntersuchungen: BSG Urteil vom 11.10.2006 – B 6 KA 46/05 R – BSGE 97, 170 = SozR 4-2500 § 87 Nr 13 RdNr 30; zu einer Kostenpauschale für Versandmaterial: BSG Urteil vom 16.12.2015 – B 6 KA 39/15 R – SozR 4-5531 Nr 40100 Nr 1 RdNr 22). Außerdem hat der Senat den Partnern der BMV-Ä in stRspr die Befugnis zugebilligt, besondere Qualifikationsanforderungen zu formulieren, deren Erfüllung Voraussetzung für die Abrechenbarkeit bestimmter GOP ist (zur “Erhebung des vollständigen neurologischen Status” vgl BSG Urteil vom 20.1.1999 – B 6 KA 23/98 R – SozR 3-2500 § 72 Nr 8 = juris RdNr 16 ff; zur Vergütung physikalisch-medizinischer Leistungen vgl BSG Urteil vom 8.3.2000 – B 6 KA 12/99 R – SozR 3-2500 § 72 Nr 11 S 29 f = juris RdNr 16 f). Die Partner des BMV-Ä haben ferner die Möglichkeit, besondere qualitätsgesicherte Behandlungsprogramme zu vereinbaren und für den mit der Teilnahme an diesen Programmen verbundenen zusätzlichen Aufwand Kostenerstattungen vorzusehen (zu der im Jahr 1994 als Anlage 12 zum Bundesmantelvertrag Ärzte/Ersatzkassen beschlossenen Schmerztherapievereinbarung vgl BSG Urteil vom 8.9.2004 – B 6 KA 18/03 R – SozR 4-2500 § 82 Nr 1 = juris RdNr 15 mwN; zu der als Anlage 7 zum BMV-Ä vereinbarten Onkologie-Vereinbarung vgl BSG Beschluss vom 11.10.2017 – B 6 KA 34/17 B – juris RdNr 9). Bezogen auf die vor der Änderung durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 16.7.2015 bestehende, hier noch maßgebende Rechtslage hat der Senat dargelegt, dass der geteilten Bewertungskompetenz keine zwingenden Sachgründe zugrunde lagen, sondern dass sich diese eher zufällig ergeben habe (BSG Urteil vom 19.8.2015 – B 6 KA 34/14 R – BSGE 119, 231 = SozR 4-2500 § 87b Nr 7 RdNr 3 RdNr 35 f).
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Daraus folgt, dass für die Auslegung der von den Partnern des BMV-Ä vereinbarten Vergütungsbestimmungen keine anderen Grundsätze gelten können, als für solche, die der Bewertungsausschuss beschlossen hat. Die og Auslegungsgrundsätze gelten generell für die Vergütungsbestimmungen im Vertragsarztrecht. Die als Teil des BMV-Ä vereinbarten Vergütungsbestimmungen erfüllen keine grundlegend andere Funktion als diejenigen, die vom Bewertungsausschuss beschlossen worden sind. In den Fällen, in denen Vergütungsbestimmungen als Bestandteil des BMV-Ä in den EBM-Ä aufgenommen worden waren (vgl BSG Urteil vom 20.1.1999 – B 6 KA 23/98 R – SozR 3-2500 § 72 Nr 8 = juris RdNr 16 ff; BSG Urteil vom 8.3.2000 – B 6 KA 12/99 R – SozR 3-2500 § 72 Nr 11 S 29 f = juris RdNr 16 f) waren diese im Übrigen auch äußerlich kaum von den GOP des EBM-Ä zu unterscheiden. Für GOP die – wie die hier maßgebende GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung – in Anlagen zum BMV-Ä enthalten sind, gilt bezogen auf die zu beachtenden Auslegungsgrundsätze nichts anderes. Der Ausschluss einer ausweitenden Interpretation der Leistungsbeschreibung und -bewertung etwa im Wege analoger Anwendung auf nicht erfasste Sachverhalte berücksichtigt den Vorrang der Selbstverwaltung bei der Festlegung des Inhalts und Umfangs vertragsärztlicher Leistungen; Verwaltung und Gerichte haben sich danach in erster Linie an den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen zu halten. Davon ist der Senat bereits seit jeher auch bezogen auf die von den Bundesmantelvertragspartnern vereinbarten Vergütungsbestimmungen ausgegangen (vgl zB BSG Urteil vom 15.11.1995 – 6 RKa 57/94 – SozR 3-5535 Nr 119 Nr 1 S 5 f = juris RdNr 12, 19; BSG Urteil vom 25.8.1999 – B 6 KA 57/98 R – MedR 2000, 201 = juris RdNr 13; BSG Urteil vom 16.12.2015 – B 6 KA 39/15 R – SozR 4-5531 Nr 40100 Nr 1 RdNr 22, 25) und hat sie ausdrücklich auch auf die GOP erstreckt, die eine Kostenerstattung in pauschalierter Form vorsehen (BSG Urteil vom 25.8.1999 – B 6 KA 57/98 R – MedR 2000, 201 = juris RdNr 14; BSG Urteil vom 31.1.2001 – B 6 KA 5/00 R – SozR 3-5533 Nr 7103 Nr 1 = juris RdNr 22). Um eine solche von den Partnern der Bundesmantelverträge vereinbarte Kostenpauschale handelt es sich auch bei der GOP 86516 der Onkologie-Vereinbarung.
23
Dem vom Berufungsgericht zur Begründung seiner davon abweichenden Auffassung in Bezug genommenen Urteil des Senats vom 3.3.1999 (B 6 KA 18/98 R – MedR 1999, 479 = juris RdNr 15) können keine anderen Maßstäbe für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen entnommen werden. Die vom LSG herangezogenen Aussagen aus der genannten Entscheidung beziehen sich zwar auf die Onkologie-Vereinbarung und damit gerade auf die Vereinbarung, in deren Anhang 2 auch die GOP 86516 enthalten ist. Es ging dort jedoch nicht um die Auslegung von Vergütungsbestimmungen und die Entscheidung enthält auch nicht die Aussage, dass bezogen auf die Auslegung von Vergütungsbestimmungen danach zu differenzieren wäre, ob diese vom Bewertungsausschuss oder aber von den Bundesmantelvertragspartnern vereinbart worden sind. Vielmehr hat der Senat in dieser Entscheidung die Auffassung vertreten, dass für die Auslegung einer bundesmantelvertraglichen Bestimmung, die den Kreis der teilnahmeberechtigten Ärzte zum Gegenstand hat, etwas andere Auslegungsgrundsätze gelten würden, als für die Auslegung von Vergütungsbestimmungen. Dazu hat der Senat in der Entscheidung ausgeführt, dass die Auslegung von Vergütungsbestimmungen im Wesentlichen auf die Wortlautauslegung beschränkt sei, während bei der Auslegung des BMV-Ä als Rechtsnorm außer der Auslegung nach dem Wortlaut und der grammatischen Interpretation auch eine systematische, eine teleologische und eine entstehungsgeschichtliche Auslegung in Betracht komme. Diese Aussage hält der Senat weiterhin grundsätzlich für zutreffend, weil sich die für Vergütungsbestimmungen geltenden Auslegungsgrundsätze nicht allgemein auf Normsetzungsverträge übertragen lassen. Allerdings sind die Unterschiede insoweit zu relativieren, als die Formulierung, nach der eine teleologische oder historische Interpretation von Vergütungsbestimmungen ausgeschlossen ist, im Zusammenhang mit dem Analogieverbot zu verstehen ist und klarstellen soll, dass es nicht Sache der Gerichte ist, unter Berufung auf Zweck oder Entstehungsgeschichte einer Gebührenregelung neue, vom Wortsinn der Leistungsbeschreibung nicht erfasste Tatbestände in deren Geltungsbereich einzubeziehen. Dagegen kann auf diese Auslegungsmethoden auch bei der Auslegung von Vergütungsbestimmungen nicht verzichtet werden, wenn deren Wortlaut unklar oder mehrdeutig ist und sich erst auf diesem Wege eindeutige Rückschlüsse auf Inhalt und Tragweite der Vorschrift gewinnen lassen (so bereits BSG Urteil vom 15.11.1995 – 6 RKa 57/94 – SozR 3-5535 Nr 119 Nr 1 S 6 = juris RdNr 19; vgl auch zB BSG Urteil vom 2.4.2003 – B 6 KA 28/02 R – SozR 4-5533 Nr 40 Nr 1 = juris RdNr 13 f).
24
d) Auch unter Zugrundelegung der hier maßgebenden für die Auslegung von Vergütungsbestimmungen geltenden Maßstäbe ist die Entscheidung des LSG im Ergebnis und auch in wesentlichen Teilen der Begründung zu bestätigen. In den Fällen, auf die sich die sachlich-rechnerischen Berichtigungen bezieht, waren die Voraussetzungen für die Abrechnung der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung nicht erfüllt.
25
Nach dem Wortlaut der Leistungslegende setzt die Abrechnung der Kostenpauschale nach GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung in der hier maßgebenden Fassung (vgl 2. a, RdNr 16) “die intravasale zytostatische Tumortherapie” voraus. Der Begriff “intravasal” kann mit “in die Gefäße” übersetzt werden. Mit Wirkung zum 1.1.2012 haben die Vertragspartner den Begriff durch “intravenös und/oder intraarteriell appliziert” ersetzt (DÄ 2011, A 2506 sowie DÄ 2011, A 2624) und für die Zeit seit dem 1.1.2020 wieder zu “intravasal” geändert (DÄ 2019, A 45 f). Der Senat lässt dahinstehen, ob damit für Zeiträume, auf die es im vorliegenden Verfahren nicht ankommt, eine inhaltliche Änderung verbunden war. Jedenfalls werden durch die orale oder subkutane Verabreichung eines Zytostatikums die Voraussetzungen nach der Leistungslegende der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung nicht erfüllt.
26
In die (Blut-)Gefäße ihrer Patienten haben die Ärzte der Klägerin in den Fällen, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, allein Bisphosphonate eingeleitet. Bei der Gabe von Bisphosphonaten handelt es sich nicht um eine “zytostatische Tumortherapie” im Sinne der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung. Als zytostatisch werden in der Medizin zytotoxische Substanzen bezeichnet, die das Zellwachstum, insbesondere die Zellteilung verhindern oder erheblich verzögern (Pschyrembel Online, https://www.pschyrembel.de/Zytostatika, letzte Aktualisierung des Artikels: 7/2018). Bisphosphonate sind keine Zytostatika in diesem Sinne. Das Vorbringen der Klägerin zur Bedeutung auch von Bisphosphonaten (hier: Bondronat, Bonefos, Zometa) in der Tumortherapie zieht der Senat insoweit nicht in Zweifel, als er davon ausgeht, dass diesen in der begleitenden Tumortherapie (sog supportive Therapie) ein wichtiger Stellenwert zukommt. So werden die Anwendungsgebiete von Bondronat in den von der Europäischen Arzneimittel-Agentur veröffentlichten Produktinformationen wie folgt beschrieben:
– Prävention skelettbezogener Ereignisse (pathologische Frakturen, Knochenkomplikationen, die eine Radiotherapie oder einen chirurgischen Eingriff erfordern) bei Patienten mit Brustkrebs und Knochenmetastasen
Behandlung von tumorinduzierter Hyperkalzämie mit oder ohne Metastasen.
27
Der Senat hat auch keine Zweifel daran, dass es unterschiedliche Typen von Zytostatika mit unterschiedlichen Wirkungsweisen gibt (ebenso zum Begriff des Zytostatikums iS des § 129 Abs 5 Satz 3 SGB V GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.3.2007, BGBl I 378: BSG Urteil vom 20.12.2018 – B 3 KR 6/17 R – SozR 4-2500 § 129 Nr 14 RdNr 38). Ausschlaggebend ist nach Auffassung des Senats jedoch, dass Bisphosphonate nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie zytostatisch wirken, sondern durch Hemmung der Osteoklastenaktivität die Kalziumfreisetzung aus dem Knochen sowie den Knochenabbau blockieren (vgl Pschyrembel Online, https://www.pschyrembel.de/Bisphosphonate, letzte Aktualisierung des Artikels: 4/2019). Dementsprechend werden sie in der anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikation (ATC) der WHO, die die Wirkstoffe nach dem Organ oder Organsystem, auf das sie einwirken, und nach ihren chemischen, pharmakologischen und therapeutischen Eigenschaften in verschiedene Gruppen einteilt, nicht dem Code “L” (“Antineoplastische und immunmodulierende Mittel”) sondern dem Code “M” (“Muskel- und Skelettsystem”) und dort den Mitteln zur Behandlung von Knochenerkrankungen (M05) bzw den Mitteln mit Einfluss auf die Knochenstruktur und die Mineralisation (M05B) zugeordnet. Das wird auch von der Klägerin grundsätzlich nicht in Frage gestellt und diese macht ausdrücklich auch nicht einen zulassungsüberschreitenden Einsatz (Off-Label-Use) der Bisphosphonate geltend. Allerdings ist sie der Auffassung, dass Bisphosphonate über die im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren festgestellten therapeutischen Wirkungen hinausgehend auch eine “zytostatische Wirkung” erwarten ließen. Ob das zutrifft, kann aus Sicht des Senats offenbleiben. Jedenfalls werden Bisphosphonate nach Auffassung des fachkundig mit zwei Ärzten besetzten Senats aus den genannten Gründen üblicherweise nicht als Zytostatika bezeichnet und eine zytostatische Wirkung ist für Bisphosphonate auch nicht im Rahmen des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens belegt worden.
28
Dieses Ergebnis wird durch die Protokollnotiz zu Anhang 2 Teil B der Onkologie-Vereinbarung bestätigt. Deren Satz 2 bestimmt ausdrücklich, dass die GOP 86516 für die alleinige Therapie mit Bisphosphonaten nicht berechnet werden kann. Zwar enthalten Protokollnotizen zum BMV-Ä nicht in jedem Fall verbindliche Regelungen. Maßgeblich ist vielmehr die jeweils im Text gewählte Formulierung und die Frage, ob darin die Auffassung nur einer oder aber das Ergebnis einer Einigung beider Vertragsparteien zum Ausdruck gebracht wird (bezogen auf Protokollnotizen zu Beschlüssen des Erweiterten BewA vgl BSG Urteil vom 5.6.2013 – B 6 KA 47/12 R – SozR 4-2500 § 87b Nr 3 RdNr 24; BSG Urteil vom 26.6.2019 – B 6 KA 66/17 R – SozR 4-2500 § 87b Nr 21 RdNr 41). Wenn in einer Protokollnotiz lediglich eine Absicht bekundet wird, wird damit regelmäßig keine verbindliche Regelung getroffen. So haben die Partner der Bundesmantelverträge in Satz 3 der Protokollnotiz zu Anhang 2 Teil B Onkologie-Vereinbarung (in der hier maßgebenden im Quartal 1/2011 geltenden Fassung) erklärt, dass sie “bis zum 1. Januar 2012 prüfen” werden, “ob die Vergütung der Transfusionen in einer separaten Kostenpauschale abgebildet werden soll”. Mit einer solchen bloßen Prüfankündigung wollten die Vertragspartner ersichtlich keine bindende Regelung treffen. Davon ist jedoch die in Satz 2 der Protokollnotiz zu Anhang 2 Teil B Onkologie-Vereinbarung getroffene Regelung zu unterscheiden. Hier wird eine ganz konkrete, die Leistungslegende ergänzende Aussage zu den Voraussetzungen getroffen, die erfüllt sein müssen, damit die GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung abgerechnet werden kann. Diese Aussage unterscheidet sich in ihrem Charakter in keiner Weise von den üblichen Anmerkungen zur Leistungslegende von den GOP des EBM-Ä. Nach stRspr des Senats haben diese Anmerkungen denselben Rang wie die Leistungslegende selbst (vgl BSG Urteil vom 27.4.2005 – B 6 KA 39/04 R – SozR 4-2500 § 106 Nr 10 RdNr 16 = juris RdNr 22; BSG Urteil vom 18.8.2010 – B 6 KA 23/09 R – SozR 4-5531 Nr 7120 Nr 1 RdNr 13, 15; BSG Beschluss vom 11.12.2013 – B 6 KA 37/13 B – juris RdNr 5; zuletzt: BSG Urteil vom 13.5.2020 – B 6 KA 24/18 R – juris RdNr 13, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen) und sind daher auch wie diese auszulegen (BSG Urteil vom 16.12.2015 – B 6 KA 39/15 R – SozR 4-5531 Nr 40100 Nr 1 RdNr 25). Für Satz 2 der Protokollnotiz zu Anhang 2 Teil B Onkologie-Vereinbarung gilt nichts anderes.
29
Die in Satz 2 der Protokollnotiz zu Anhang 2 Teil B Onkologie-Vereinbarung getroffene Regelung ist aus Sicht des Senats insofern eindeutig, als sie die Abrechnung der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung in Fällen ausschließt, in denen allein Bisphosphonate intravasal, die zytostatisch wirkenden Medikamente dagegen oral oder subkutan, aber jedenfalls nicht intravasal verabreicht werden. Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass der Abrechnungsausschluss “für die alleinige Therapie mit Bisphosphonaten” gelten würde und dass den Patienten hier zusätzlich – wenn auch nicht intravasal – Zytostatika verabreicht worden seien. Wenn das Verständnis der Klägerin zutreffend wäre, würde der Abrechnungsausschluss schon dann nicht eingreifen, wenn neben der intravasalen Therapie mit Bisphosphonaten irgendeine weitere Therapie stattfindet. Es käme auch nicht darauf an, ob es sich bei der weiteren Therapie um eine zytostatische Behandlung handelt. Satz 2 der Protokollnotiz zu Anhang 2 Teil B Onkologie-Vereinbarung hätte damit kaum einen relevanten Anwendungsbereich, weil ein onkologisch erkrankter Patient nur sehr selten ausschließlich mit Bisphosphonaten behandelt wird. Mit einer solchen Auslegung würde aber vor allem der Zusammenhang vernachlässigt, in dem die Protokollnotiz steht: Satz 2 Anhang 2 Teil B Onkologie-Vereinbarung nimmt ausdrücklich auf die GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung Bezug. Die Wendung “alleinige Therapie mit Bisphosphonaten” kann unter diesen Umständen nur dahin verstanden werden, dass die in GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung angesprochene “intravasale” Therapie gemeint ist. Wenn also – wie in den Fällen, auf die sich die streitbefangenen sachlich-rechnerischen Richtigstellungen beziehen – allein Bisphosphonate intravasal verabreicht werden, nicht jedoch die Zytostatika, dann kann die GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung nicht abgerechnet werden.
30
Gegen diese Auslegung der Protokollnotiz spricht entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht, dass sie keinen Anwendungsbereich hätte, wenn sie nur das Ergebnis der Auslegung der Leistungslegende selbst bestätigen würde. Mit der Protokollnotiz war ersichtlich eine Klarstellung beabsichtigt. Das Bedürfnis nach einer solchen Klarstellung kann vor dem Hintergrund von Rechtsstreitigkeiten, die um die Auslegung der GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung geführt worden sind (vgl Bayerisches LSG Urteil vom 14.11.2007 – L 12 KA 16/06 – juris) ohne Weiteres nachvollzogen werden und es liegt gerade im Wesen einer Klarstellung, dass sie nicht im Widerspruch zum Wortlaut der Regelung steht, auf die sie sich bezieht, sondern das bereits Gewollte noch einmal verdeutlicht.
31
Das schließt zwar nicht aus, dass eine Kostenpauschale auch für die orale Gabe von Zytostatika vereinbart wird. Die Entscheidung darüber obliegt jedoch den Partnern der Bundesmantelverträge. In dem hier maßgebenden Quartal 1/2011 existierte eine solche Kostenpauschale nicht. Das hat sich erst zum 1.1.2019 mit der Einführung der GOP 86520 Onkologie-Vereinbarung geändert (vgl DÄ 2019, A 52). Die neu eingeführte GOP 86520 wird aber deutlich niedriger – nämlich mit 50 % des für die Kostenpauschale 86516 ermittelten Gebührenwertes – bewertet. Eine Möglichkeit zur Abrechnung der höher bewerteten GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung für die Therapie mit oral zu verabreichenden Zytostatika oder für die Therapie mit intravasal applizierten Bisphosphonaten haben die Partner der Bundesmantelverträge weiterhin nicht eröffnet und insbesondere den klarstellenden Hinweis in Satz 2 der Protokollnotiz zu Anhang 2 Teil B Onkologie-Vereinbarung nicht verändert. Daran hat sich im Übrigen auch mit der Neufassung durch Beschluss der Bundesmantelvertragspartner vom 25.11.2019 (DÄ 2020, A 45 f) und vom 3.4.2020 (DÄ 2020, A 972) zum 1.1.2020 nichts geändert. Zwar ist der Begriff der “zytostatischen Tumortherapie” ua in GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung in “medikamentöse Tumortherapie” geändert worden. Dieser Begriff wird jetzt aber in § 4 Abs 3 Onkologie-Vereinbarung dahingehend konkretisiert, dass die medikamentöse Tumortherapie im Sinne dieser (und weiterer) Kostenpauschalen neben der Therapie mit unspezifisch zytostatisch wirksamen Medikamenten auch neue Medikamente umfasst, die zB gezielt bestimmte Stoffwechselschritte blockieren, die für das Tumorzellwachstum wichtig sind oder Mechanismen auslösen, die Tumorzellen immunologisch angreifbar machen. Dagegen umfasst die medikamentöse Tumortherapie ua im Sinne der GOP 86516 nicht Therapien mit ausschließlich hormonell bzw antihormonell wirksamen Medikamenten (ATC-Klasse L02-Endokrine Therapie). Auch nach der Neufassung kann die GOP 86516 Onkologie-Vereinbarung also nicht für jede Form der “medikamentösen Tumortherapie” in Ansatz gebracht werden. Bisphosphonate gehören zweifellos nicht zu den durch die Neufassung ausdrücklich einbezogenen neuen Medikamenten und Satz 2 der Protokollnotiz zu Anhang 2 Teil B Onkologie-Vereinbarung stellt unverändert klar, dass die Kostenpauschale nach GOP 86516 “für die alleinige Therapie mit Bisphosphonaten nicht berechnet werden” kann.
32
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sachliche Gründe für die von den Partnern des BMV-Ä vorgenommene Differenzierung zwischen Zytostatika und Bisphosphonaten sprechen: Der Umgang mit intravasal zu applizierenden Zytostatika ist nicht nur mit Blick auf das Nebenwirkungsspektrum auf Patientenseite, sondern auch wegen der toxischen Eigenschaften vieler Zytostatika auf Anwenderseite typischerweise aufwändig (vgl zB Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege , Zytostatika im Gesundheitsdienst – Informationen zur sicheren Handhabung, Stand 02/2019). Dies gilt nicht in gleicher Weise für den Umgang mit Bisphosphonaten (so auch bereits Bayerisches LSG Urteil vom 14.11.2007 – L 12 KA 16/06 – juris RdNr 36).
33
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Danach hat die Klägerin die Kosten des von ihr ohne Erfolg geführten Rechtsmittels zu tragen.


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