Arbeitsrecht

Vor Schließung der Zusatzversorgung der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger entstandener und festgestellter Anspruch auf Ruhegeld

Aktenzeichen  21 BV 16.1024

Datum:
28.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 117336
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SchfG § 29 Abs. 5 S. 1 – 6
SchfHwG § 27 Abs. 2, § 37 Abs. 6, § 38 Abs. 6 Nr. 1
SchfHwG a.F. § 49 Abs. 2

 

Leitsatz

Die für die Feststellung eines Ruhegeldsanspruchs maßgebenden Regelungen des Schornsteinfegergesetzes bleiben auf Ruhegeldansprüche anwendbar, die entstanden sind, bevor das Schornsteinfegergesetz mit Ablauf des 31. Dezember 2012 außer Kraft getreten ist.

Verfahrensgang

M 12 K 14.5342 2016-04-07 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 7. April 2016 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Oktober 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Bescheid, soweit er Gegenstand des Verfahrens ist, findet seine Rechtsgrundlage in § 29 Abs. 5 Satz 6 SchfG. Denn die für die Feststellung eines Ruhegeldanspruchs maßgebenden Regelungen des Schornsteinfegergesetzes bleiben auf Ruhegeldansprüche anwendbar, die entstanden sind, bevor das Schornsteinfegergesetz mit Ablauf des 31. Dezember 2012 außer Kraft getreten ist (1.). Die Voraussetzungen für eine Neufeststellung des vom Kläger zu beanspruchenden Ruhegeldes sind erfüllt (2.).
1. Rechtsgrundlage für die vom Kläger im Bescheid vom 10. Juni 2014 allein angefochtene Neufeststellung des Ruhegelds für die Zeit ab dem 1. Juli 2014 ist § 29 Abs. 5 Satz 6 SchfG. Danach hat die beklagte Versorgungsanstalt das Ruhegeld neu festzustellen, wenn die Rente aus den sozialen Rentenversicherungen neu berechnet wird, es sei denn, die Neuberechnung beruht auf den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch über das Zusammentreffen von Renten und von Einkommen.
Diese Bestimmung ist anzuwenden, auch wenn das Schornsteinfegerhandwerksgesetz nach Art. 4 Abs. 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Schornsteinfegerwesens vom 26. November 2008 (BGBl I S. 2242) mit Ablauf des 31. Dezember 2012 außer Kraft getreten ist. Die für die Feststellung des Ruhegeldanspruchs des Klägers maßgebenden Regelungen des Schornsteinfegergesetzes sind nach wie vor heranzuziehen. Denn aufgehobene Rechtsvorschriften bleiben anwendbar auf Rechtsverhältnisse, die während ihrer Geltung entstanden sind, bis und soweit diese Rechtsverhältnisse vom neuen Recht erfasst werden (vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, S. 298; Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rn. 532; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 113 Rn. 220).
1.1 Der Ruhegeldanspruch des Klägers ist noch im Dezember des Jahres 2012 und damit vor dem Außerkrafttreten des Schornsteinfegergesetzes entstanden. Die Kreisverwaltung Daun versetzte den Kläger gemäß § 10 SchfG mit Ablauf des 1. Dezember 2012 in den Ruhestand mit der Folge, dass die Bestellung zu diesem Zeitpunkt nach § 8 Nr. 3 SchfG erlosch und der Ruhegeldanspruch gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SchfG entstand.
1.2 Der Ruhegeldanspruch wird von den im Schornsteinfegerhandwerksgesetz enthaltenen Regelungen zur Versorgung der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger (§§ 27 bis 41 SchfHwG), die am 1. Januar 2013 in Kraft getretenen sind (Art. 6 des Gesetzes zur Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister und zur Änderung anderer Gesetze vom 5.12.2012 – BGBl I S. 2467) nicht erfasst, soweit es um dessen erstmalige oder neue Feststellung geht.
1.2.1 Das Schornsteinfegerhandwerksgesetz regelt nicht, ob und wie ein Ruhegeldanspruch erstmals oder – bei Änderungen der gesetzlichen Rente – neu festzustellen ist, der noch unter der Geltung des Schornsteinfegergesetzes entstanden ist. Die Vorschriften des § 37 Abs. 3 bis 7 SchfHwG befassen sich lediglich mit der Berechnung der bis zum 31. Dezember 2012 erworbenen Anwartschaften der Versorgungsberechtigten auf Ruhegeld (§ 37 Abs. 1 Satz 1 SchfHwG). Gegenstand des § 38 SchfHwG ist ausschließlich das Ruhegeld bei einer Berufsunfähigkeit, die nach dem 31. Dezember 2012 eingetreten ist. Das folgt ohne Weiteres daraus, dass ein Versorgungsberechtigter nach § 38 Abs. 1 Nr. 4 SchfHwG Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit nur dann erhält, wenn die Bestellung auf Grund des § 12 SchfHwG aufgehoben worden ist. § 12 SchfHwG trat aber nach Art. 4 Abs. 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Schornsteinfegerwesens vom 26. November 2008 erst am 1. Dezember 2013 in Kraft.
1.2.2 Es gibt keine Übergangsregelung, nach der die bis zum 31. Dezember 2012 entstandenen Ansprüche auf Ruhegeld dem alten Recht entzogen sind.
Der Gesetzgeber hat die mit dem Gesetz zur Neuregelung des Schornsteinfegerwesens beschlossenen Übergangsregelungen (§§ 49 bis 51 SchfHwG a.F.), die am 1. Januar 2013 in Kraft treten sollten, mit dem Gesetz zur Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister und zur Änderung anderer Gesetze in modifizierter Form in die §§ 27, 28 und 31 SchfHwG übernommen (BT-Drs. 17/10749 S. 16).
Während § 49 Abs. 1 Satz 1 SchfHwG a.F. bestimmte, dass die am 31. Dezember 2012 bestehenden Ansprüche auf Versorgungsleistungen fortbestehen sollen und nach § 49 Abs. 2 SchfHwG a.F. Änderungen des Rentenbezugs, der Rentenart und der Rentenhöhe in der gesetzlichen Rentenversicherung nachvollzogen werden, beschränkt sich § 27 Abs. 2 SchfHwG – soweit hier maßgebend – auf die Regelung, dass die am 31. Dezember 2012 festgestellte Versorgungsleistung Ruhegeld weitergezahlt wird.
Der Normtext der (Übergangs-)Regelung des § 27 Abs. 2 SchfHwG lässt nicht erkennen, dass die Versorgungsleistung Ruhegeld unter Abkehr von dem bis zum 31. Dezember 2012 bestehenden und für die Zusatzversorgung im Schornsteinfegerhandwerk maßgebenden System der Gesamtversorgung fortbestehen soll. Eine solche weitreichende Entscheidung kann der lediglich auf die abstrakte Leistung abstellenden Regelung nicht entnommen werden. Vielmehr handelt es sich nach dem Willen des Gesetzgebers um eine Bestimmung, die vor dem Hintergrund der Schließung der Versorgungsanstalt (§ 27 Abs. 1 SchfHwG) klarstellen soll, dass die bestehenden Ansprüche auf Versorgungsleistungen dem Grunde nach bestehen bleiben. Mit der Vorschrift des § 27 SchfHwG sollen lediglich die „Grundsätze“ der Schließung des bisherigen umlagefinanzierten Pflicht-Zusatzversorgungssystems für die Zukunft dahingehend festlegt werden, dass die laufenden Versorgungsleistungen und die in der Vergangenheit erworbenen Anwartschaften der Bezirksschornsteinfegermeister auf (Alters-)Ruhegeld fortbestehen sollen. Die Berufsunfähigkeitsabsicherung sowie die Absicherung der Witwen, Witwer und Waisen soll nach Maßgabe der §§ 38 bis 40 SchfHwG erhalten bleiben (vgl. BT-Drs. 17/10749 S. 14).
Dementsprechend lässt sich die Berechnung der in der Vergangenheit erworbenen Anwartschaften auf Ruhegeld und des Ruhegelds bei Berufsunfähigkeit dem Schornsteinfegerhandwerksgesetz im Einzelnen entnehmen (vgl. § 27 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 bis 7 SchfHwG, § 38 Abs. 5 und 6 SchfHwG). Dabei ist durch die vorgeschriebene Kürzung des Monatsbetrags der Anwartschaft bzw. des Ruhegelds bei Berufsunfähigkeit um den Zahlbetrag einer Versicherten- oder Verletztenrente (§ 37 Abs. 6 SchfHwG, § 38 Abs. 6 SchfHwG) nach wie vor berücksichtigt, dass es sich bei der spezifischen Altersversorgung des Schornsteinfegerhandwerks um eine berufsständische Zusatzversorgung handelte, die mit den Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine aufeinander bezogene Gesamtversorgung darstellte. Entsprechendes gilt für das Witwen- und Witwergeld (§ 39 SchfHwG) sowie das Waisengeld (§ 40 SchfHwG), denn es setzt einen Ruhegeldanspruch des Verstorbenen voraus. Wenn das Schornsteinfegerhandwerksgesetz demgegenüber zur erstmaligen und neuen Feststellung von Ruhegeldansprüchen, die vor dem 31. Dezember 2012 entstanden sind, nichts regelt, verbleibt es insoweit bei den Vorschriften des alten Rechts. Dafür spricht auch, dass nach § 27 Abs. 3 Satz 2 SchfHwG, die Beklagte verweist zu Recht darauf, für nach dem 31. Dezember 2012 eintretende Versorgungsfälle Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit, Witwen- und Witwergeld sowie Waisengeld nach Maßgabe der §§ 38 bis 40 SchfHwG geleistet werden. Umgekehrt bedeutet das, dass es für die Feststellung der vorher entstandenen Versorgungsansprüche bei den einschlägigen Bestimmungen des Schornsteinfegergesetzes verbleibt.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 27 Abs. 4 Satz 1 SchfHwG. Danach werden die Leistungen und Anwartschaften nach den Abs. 2 und 3 des § 27 SchfHwG zum 1. Juli eines jeden Jahres im Grundsatz um den Prozentsatz verändert, um den sich der aktuelle Rentenwert in der gesetzlichen Rentenversicherung ändert. Nach dieser (Übergangs-)Bestimmung soll (lediglich) die Anpassung der Leistungen künftig unabhängig von einem Gesamtversorgungssystem erfolgen (vgl. BT-Drs. 17/10749 S. 14 f.). Sie ersetzt mithin für die nach altem Recht entstandenen Versorgungsansprüche lediglich die Dynamisierungsvorschrift des § 27 Abs. 7 SchfG, nicht aber die für die erstmalige oder neue Berechnung dieser Ansprüche maßgebenden Vorschriften des Schornsteinfegergesetzes. Die „alten“ Ansprüche werden damit ebenso wenig losgelöst vom System der Gesamtversorgung festgestellt wie die nach dem Schornsteinfegerhandwerksgesetz zu berechnenden Leistungen und Anwartschaften.
2. Nach der zwingenden Regelung des § 29 Abs. 5 Satz 6 ist das Ruhegeld neu festzustellen, wenn die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung neu berechnet wurde.
Eine Neuberechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne dieser Vorschrift besteht jedenfalls darin, dass der Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung zunächst mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 15. November 2012 abgelehnt wurde und dem Kläger später mit Bescheid vom 6. August 2013 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen gewährt wurde. Eine Neuberechnung der Sozialversicherungsrenten liegt nicht nur im Fall einer betragsmäßigen Änderung innerhalb einer Rentenart vor, sondern auch dann, wenn nach erstmaliger Feststellung des Ruhegelds eine Rente oder eine andere Rentenart gewährt wird.
Gegen die Berechnung des Ruhegelds unter Anrechnung der Rente sind Bedenken weder erhoben noch sonst ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und die vorläufige Voll33 streckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
4. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO bestehen nicht.


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