Arbeitsrecht

Vorliegen eines Diebstahls als Kündigungsgrund im Arbeitsverhältnis – Anhörungsrüge und Gegenvorstellung bei Anwaltshaftungsprozess

Aktenzeichen  15 U 1222/17 Rae

Datum:
26.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 157310
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 321a Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine Anhörungsrüge erfordert konkreten Vortrag dahin erforderlich, dass das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat; auch wenn das Gericht auf einen wesentlichen Tatsachenvortrag für einen zentralen Rechtspunkt nicht eingegangen ist, muss dargelegt werden, dass im angegriffenen Urteil ein Rechtsstandpunkt eingenommen worden ist, bei dem das als übergangen gerügte Vorbringen schlechthin nicht unberücksichtigt bleiben konnte und seine Nichtberücksichtigung sich deshalb nur damit erklären lässt, dass es nicht zur Kenntnis genommen worden ist (im konkreten Fall verneint). (Rn. 5 – 9) (red. LS Ulf Kortstock)
2 Zur Frage des Vorliegens einer Zueignungsabsicht, wenn ein Arbeitnehmer meint, an mitgenommenen Unterlagen des Arbeitgebers (Patentanwaltskanzlei) ein Mitnahmerecht zu haben, weil er sie selbst erstellt hat. (Rn. 16) (Rn. 18 – 19)  (red. LS Ulf Kortstock)

Verfahrensgang

15 U 1222/17 Rae 2017-08-31 Bes OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

Die Anhörungsrüge des Klägers vom 8.9.2017 gegen den Beschluss des OLG München vom 31.8.2017 wird verworfen. Die Gegenvorstellung vom 8.9.2017 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Bezüglich des bisherigen Verfahrensgangs wird auf die Darstellung im Beschluss vom 31.8.2017, dort unter Ziffer I verwiesen.
Gegen den Beschluss vom 31.8.2017 legte der Kläger mit Schriftsatz vom 8.9.2017 (Bl. 186/198 d.A.) Anhörungsrüge bzw. Gegenvorstellung ein.
II.
Die Anhörungsrüge ist unzulässig, die Gegenvorstellung ist in der Sache ohne Erfolg:
1. Anhörungsrüge:
Die Anhörungsrüge ist zwar fristgemäß eingelegt worden (§ 321a Abs. 2 ZPO), zeigt aber inhaltlich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs auf.
1.1. Nach der Rechtsprechung gilt insoweit folgendes (vgl. BGH, Beschluss vom 23.8.2016 – VIII ZR 79/15):
§ 321a ZPO eröffnet nach allgemeiner Auffassung ausschließlich die Möglichkeit, einen Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör geltend zu machen. Andere Rechtsverletzungen können nach § 321a ZPO nicht gerügt werden, so dass auf eine Anhörungsrüge hin nur zu prüfen ist, ob das Gericht gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen hat, also seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (zuletzt BGH, Beschluss vom 14. April 2016 – IX ZR 197/15, ZinsO 2016, 1389 Rn. 13, 22 mwN).
In dem so gesteckten Rahmen ist eine Anhörungsrüge nur zulässig, wenn mit ihr eine neue und eigenständige Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG durch das erkennende Gericht gerügt wird; dabei ist gemäß § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 5 ZPO in substantiierter Weise darzulegen, dass das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (BGH, Beschlüsse vom 17. Februar 2015 – XI ZR 17/14, juris Rn. 2; vom 12. Dezember 2012 – V ZR 7/12, juris Rn. 2; jeweils mwN). Denn eine solche Rechtsverletzung kann nicht schon darin gesehen werden, dass das Gericht die Rechtslage abweichend von der Auffassung der Anhörungsrüge beurteilt hat (BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 2008 – VII ZR 159/07, juris Rn. 3; vom 20. November 2007 – VI ZR 38/07, NJW 2008, 923 Rn. 6). Vielmehr muss zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör hinzukommen, dass sich aus besonderen Umständen des Falles klar ergibt, dass das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat.
Zwar lässt in Fällen, in denen das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht eingeht, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, dieser Umstand auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2016 – 1 BvR 1890/15, juris Rn. 15; BGH, Beschlüsse vom 23. Februar 2016 – VII ZR 28/15, IHR 2016, 124 Rn. 7; vom 16. März 2011 – VIII ZR 338/09, WuM 2011, 300 Rn. 3; jeweils mwN).
Da das Gericht aber nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich oder jedenfalls mit einer bestimmten Intensität zu befassen, erfordert die substantiierte Darlegung einer Gehörsverletzung in einer Anhörungsrüge unter anderem auch, dass die Rüge sich nicht auf eine wiederholende Darstellung oder Rechtfertigung des vermeintlich übergangenen Vorbringens beschränkt.
Sie muss vielmehr zugleich anhand des angegriffenen Urteils näher herausarbeiten, dass darin ein Rechtsstandpunkt eingenommen worden ist, bei dem das als übergangen gerügte Vorbringen schlechthin nicht unberücksichtigt bleiben konnte und seine Nichtberücksichtigung sich deshalb nur damit erklären lässt, dass es nicht zur Kenntnis genommen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2012 – V ZR 79/12, juris Rn. 3).
1.2. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung zeigt der Schriftsatz des Klägers schon keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör auf:
Bei Ziffer 1 (Seite 2 des Schriftsatzes vom 8.9.2017) geht es dem Kläger nicht um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern darum, dass der Kläger den Sachverhalt nicht als Diebstahl gewürdigt haben will, indem er gegen die Annahme einer Zueignungsabsicht und von Rechtswidrigkeit argumentiert.
Entsprechendes gilt für die Ausführungen unter Ziffer 2 und 3 (Seite 4), die darauf basieren, dass der Kläger mit der Bewertung als Diebstahl nicht einverstanden ist. Eine Gehörsverletzung liegt darin nicht.
Der Vortrag unter Ziffer 4 zeigt schon im Ansatz keine Gehörsverletzung auf, sondern befasst sich inhaltlich mit den „nicht nachvollziehbaren“ Ausführungen des Senats. Entsprechendes gilt für Ziffern 5 und 6, wo die Ausführungen des Senats als „widersprüchlich“ bezeichnet werden. Im Übrigen wurde unter Ziffer 6 des Beschlusses nachvollzogen, inwieweit die landgerichtliche Entscheidung zu Recht von einer Unzumutbarkeit einer Abmahnung ausgegangen war. Die Stellungnahmemöglichkeit insoweit hatte der Kläger durch seine Ausführungen im PKH-Antrag vom 10.4.2017.
Die Ausführungen unter Ziffer 7 (Seiten 7 ff) zeigen keine Gehörsverletzung auf, sondern enthalten abweichende rechtliche Ausführungen; entsprechendes gilt für Ziffer 8 (Seite 10).
Die Ausführungen unter Ziffer 9 des Beschlusses vom 31.8.2017 enthalten nur zusätzliche Erwägungen zur Schadensberechnung, stellen aber keine tragenden Überlegungen im Rahmen der PKH-Entscheidung dar, so dass offenbleiben kann, inwieweit vorher entsprechende Hinweise an den Kläger hätten ergehen müssen.
2. Gegenvorstellung
Es muss nicht entschieden werden, inwieweit neben der Anhörungsrüge überhaupt eine Gegenvorstellung zulässig ist. In der Sache hat sie keinen Erfolg.
2.1. Der Senat hält weiter daran fest, dass das Einstecken der Unterlagen in den Einkaufswagen des Klägers einen – vollendeten – Diebstahl dargestellt hat. Dass er anschließend auf Herausforderungen einen Teil der Unterlagen herausholte und vorzeigte, ändert an der Vollendung des Tatbestandes nichts. Inwieweit der Kläger Vorsatz hatte oder nicht, konnte der Senat aus dem äußeren Geschehensablauf rückschließen und dem anschließenden Verhalten des Klägers.
2.2. Soweit der Kläger sich auf die Entscheidung des BAG (vom 8.5.2014 – 2 AZR 249/13) bezieht, lässt sich daraus nicht zwingend der Schluss ziehen, dass auch im vorliegenden Fall eine Abmahnung erforderlich gewesen wäre, da immer die Umstände des jeweiligen Einzelfalles maßgebend sind. Dies ergibt sich insbesondere aus der vom BAG vorgenommenen Überprüfung des vom LAG vorgenommenen Abwägungsprozesses (Rn. 37 der Entscheidung bei Juris).
2.3. Unter Ziffer 4 des Beschlusses hat der Senat lediglich die Überschrift des Klägers aus dessen PKH-Antrag übernommen (dort Seite 6); inhaltlich hat er die Frage thematisiert, inwieweit der Kläger davon ausgehen durfte, dass er die von ihm in seinem Einkaufswagen verstauten Unterlagen mit nach Hause nehmen darf.
Die Ausführungen des Klägers auf Seite 5, 2. Absatz von oben zeigen im Übrigen, dass er weiterhin – rechtsirrig – der Ansicht ist, dass es sich bei den Unterlagen ausschließlich um eigene Unterlagen gehandelt habe, weil er sie selbst erstellt hatte. Hierzu hat der Senat bereits unter Ziffer 4 des Beschlusses vom 31.8.2017 Stellung genommen.
2.4. Der Senat hat unter Ziffer 6 seines Beschlusses keine unzulässige Beweisantizipation vorgenommen und er hätte dem Kläger auch keine weitere Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Der Kläger hatte im Rahmen seines PKH-Antrages die Möglichkeit aufzuzeigen, dass die landgerichtliche Bewertung fehlerhaft ist. Anhand seiner Ausführungen hatte der Senat dann unter Heranziehung der landgerichtlichen Beweiswürdigung zu beurteilen, inwieweit das PKH-Gesuch Erfolg haben könnte. Diese Frage hat der Senat verneint.
2.5. Die behauptete Ausnahmesituation des Klägers hat der Senat unter Ziffer 5 seines Beschlusses vom 31.8.2017 berücksichtigt.
2.6. Der Senat bleibt bei seiner Ansicht, dass es sich nicht um eine berufliche Ausbildung, sondern um eine berufliche Fortbildung gehandelt hat.
Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des BAG (9 AZR 78/14) bezieht, besteht schon vom Sachverhalt her keine Vergleichbarkeit mit seiner Situation: Im Fall des BAG ging es um eine Rettungsassistentin, die anschließend ein Medizinstudium absolvieren wollte; auch war ihr Vertrag als „Praktikantenvertrag“ bezeichnet worden. Der Kläger war bereits ausgebildeter Physiker.
Der Hinweis des Klägers auf die Vorschriften der Ausbildungs- und Prüfungsordnung ändern nichts daran, dass der Inhalt des Beschäftigungsverhältnisses nicht darauf gerichtet war, dem Kläger eine berufliche Handlungsfähigkeit zu vermitteln, sondern sein berufliches Spektrum zu erweitern.
2.7. Die Vorschriften des Mindestlohngesetzes beziehen sich nicht auf die Situation des Klägers, der für seine Tätigkeit gemäß § 4 des Anstellungsvertrages (Anlage K 1) 3.300 € brutto monatlich erhalten hat. Im übrigen ist das Gesetz erst am 16.8.2014 in Kraft getreten, so dass es schon deshalb sich nicht zur Auslegung des Anstellungsvertrages gemäß K 1 vom 8.8.2008 eignet.
2.8. Soweit der Kläger auf Seite 10 dem Zeugen H. Belastungseifer bzw. übereifriges Aussagen vorwirft, versucht er lediglich, seine Bewertung an die Stelle des Landgerichts zu setzen. In der Sache kann der Senat weiterhin keinen Fehler in der landgerichtlichen Beweiswürdigung erkennen.
3. Die Anhörungsrüge ist daher als unzulässig zu verwerfen, die Gegenvorstellung ist zurückzuweisen.


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