Aktenzeichen M 12 K 16.381
VwGO VwGO § 67 Abs. 2 S. 1, § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Vor Ausübung des Benennungsrechts in Bezug auf Sozialwohnungen gegenüber dem Verfügungsberechtigten trifft die Behörde eine verbindliche Ermessensentscheidung über die Voraussetzungen der Wohnberechtigung und den Grad der sozialen Dringlichkeit durch Aufnahme des Wohnungssuchenden in eine Vormerkkartei (Vormerkbescheid). (redaktioneller Leitsatz)
Zur gleichmäßigen Ausübung des Ermessens hat die Behörde eine “Punktetabelle” erstellt, die als interne Richtlinie über den Gleichbehandlungsgrundsatz zur Selbstbindung der Verwaltung führt und geeignet ist, die Bewertung der sozialen Dringlichkeit der Wohnungssuche transparent zu machen (VGH München BeckRS 1999, 26710). (redaktioneller Leitsatz)
Bei einer akuten gesundheitlichen Gefährdung durch die derzeitigen Wohnverhältnisse können nach der Verwaltungspraxis maximal 88 Grundpunkte zuerkannt werden. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Behörde bei einer behaupteten Bedrohung durch das Wohnumfeld von diesem Höchstwert ausgeht. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 2016 entschieden werden, obwohl die Klägerin hierzu nicht erschienen ist. Die Klägerin wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 26. April 2016 form- und fristgerecht zur mündlichen Verhandlung geladen. In der Ladung wurde ferner darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer höheren Dringlichkeit (§ 113 Abs. 5 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO). Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2016, mit dem die Klägerin mit zuletzt 111 Gesamtpunkten in Rangstufe I für eine öffentlich geförderte Einzimmerwohnung vorgemerkt wurde, erweist sich vielmehr als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist Art. 5 des Bayerischen Wohnungsbindungsgesetzes (BayWoBindG). Die Landeshauptstadt München gehört zu den Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf. Die Beklagte hat als zuständige Stelle in Bezug auf Sozialwohnungen nach Art. 5 Satz 2 BayWoBindG gegenüber den Verfügungsberechtigten ein Benennungsrecht. Bei der Benennung sind gemäß Art. 5 Satz 3 BayWoBindG insbesondere schwangere Frauen, Familien und andere Haushalte mit Kindern, junge Ehepaare, alleinstehende Elternteile mit Kindern, ältere Menschen und schwerbehinderte Menschen vorrangig zu berücksichtigen. Das Benennungsrecht ermächtigt die zuständige Behörde aus Gründen der Praktikabilität auch, vor der eigentlichen Benennung eine rechtlich verbindliche Vorentscheidung über die Voraussetzungen der Wohnberechtigung und über den Grad der sozialen Dringlichkeit zu treffen. Diese Vorentscheidung erfolgt durch Aufnahme in eine nach Dringlichkeitsstufen und Punkten differenzierende Vormerkkartei, wobei es sich um einen im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakt handelt (BayVGH vom 23.9.1987, DWW 1988, 55).
Zur gleichmäßigen Ermessensausübung hat die Beklagte eine Punktetabelle erstellt. Es handelt sich dabei um eine ermessensbindende interne Richtlinie, deren konsequente Anwendung dem Gleichbehandlungsgrundsatz entspricht und die regelmäßig zu einer Selbstbindung der Verwaltung führt. Diese Punktetabelle ist ein geeignetes Mittel, um die Bewertung der sozialen Dringlichkeit transparent zu machen und dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung zu tragen (BayVGH vom 14. 04. 1999 – 24 S 99.110). Nach der Punktetabelle können aus gesundheitlichen Gründen 45 Grundpunkte vergeben werden, soweit nicht 71 oder 88 Grundpunkte zutreffen. 88 Grundpunkte werden dabei nach der Verwaltungspraxis der Beklagten nur im Falle einer akuten gesundheitlichen Gefährdung durch die jetzigen Wohnverhältnisse zuerkannt.
Die Bewertung des von der Klägerin vorgetragenen Lebenssachverhaltes mit 88 Grundpunkten ist vorliegend rechtlich nicht zu beanstanden. Die von der Klägerin geltend gemachte Bedrohung durch Wohnumfeld ist in der Punktetabelle der Beklagten nicht als eigenständiger Tatbestand aufgeführt. Mit der Zuerkennung von 88 Grundpunkten hat die Beklagte die Situation der Klägerin mit Fällen gleichgesetzt, in denen die Antragsteller durch ärztliche Atteste nachweisen, dass sie aufgrund ihrer derzeitigen Wohnsituation einer akuten gesundheitlichen Gefährdung ausgesetzt sind. Diese Bewertung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Situation der Klägerin ist vergleichbar mit Fällen, in denen die Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen bei einem Verbleib in ihrer Wohnung einer akut lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt sind. Die Beklagte hat mit der vorgenommenen Dringlichkeitseinstufung damit der von der Klägerin als äußerst bedrohlich wahrgenommenen Situation in ihrem Wohnumfeld hinreichend Rechnung getragen. Die Festsetzung einer höheren Grundpunktezahl scheidet im Vergleich zu anderen Wohnungsnotstandsfällen aus, zumal die Klägerin – abgesehen von der bei der Polizei erstatteten Strafanzeige – bislang auch keine weiteren Beweise dafür erbracht hat, dass sie tatsächlich durch ihr Wohnumfeld bedroht wird. Auch aufgrund der vorgelegten ärztlichen Atteste kommt keine höhere Einstufung ihres Wohnungsantrags in Betracht, da der Klägerin mit 88 Grundpunkten bereits die nach der Punktetabelle höchstmögliche Anzahl an Grundpunkten aus gesundheitlichen Gründen zuerkannt worden ist.
Die Vergabe von Vorrangpunkten scheidet vorliegend trotz der Behinderung der Klägerin aus, da der Grad der festgestellten Behinderung unter 50 v. H. liegt. Auch die Zuerkennung von 23 Anwesenheitspunkten ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung auf die Änderung der internen Richtlinie für die Festsetzung von Anwesenheitspunkten zum 10. März 2016 reagiert und die Anzahl der Anwesenheitspunkte im Fall der Klägerin entsprechend den Vorgaben der geänderten Richtlinie angepasst. Die derzeitige Einstufung der Dringlichkeit des Antrags der Klägerin mit insgesamt 111 Punkten ist daher rechtmäßig.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.