Aktenzeichen III R 42/12
Leitsatz
NV: Der Kindergeldanspruch eines in Deutschland wohnhaften polnischen Staatsangehörigen für sein in Polen im Haushalt des geschiedenen anderen Elternteils lebenden Kindes kann nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG i.V.m. Art. 67 der VO Nr. 883/2004, Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 durch den vorrangigen Kindergeldanspruch des anderen Elternteils verdrängt werden (Anschluss an BFH-Urteil vom 28. April 2016 III R 68/13).
Verfahrensgang
vorgehend FG Münster, 26. Juli 2012, Az: 4 K 3940/11 Kg, Urteil
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 26. Juli 2012 4 K 3940/11 Kg aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist der Kindergeldanspruch für den Zeitraum Mai 2011 bis Oktober 2011.
2
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein polnischer Staatsangehöriger, ist der Vater einer im Mai 1990 geborenen Tochter (T). Er lebte im Streitzeitraum in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und war dort nichtselbständig beschäftigt. T lebte im Streitzeitraum bei ihrer vom Kläger geschiedenen Mutter in Polen und ging dort einem Studium nach. Die Kindsmutter war in Polen nicht erwerbstätig und bezog dort für T bis August 2009 polnische Familienleistungen.
3
Der Kläger erhielt in der Vergangenheit inländisches Differenzkindergeld und beantragte am 16. Mai 2011 erneut die Festsetzung von Kindergeld. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 25. Mai 2011 unter Verweis auf eine nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorrangige Berechtigung der Kindsmutter ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 6. Oktober 2011).
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Die Klage, mit welcher der Kläger einen ab Mai 2011 bestehenden Anspruch auf Kindergeld in voller Höhe geltend machte, hatte Erfolg.
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Mit ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt die Familienkasse die sich aus einer unzutreffenden Auslegung des § 64 EStG ergebende Verletzung materiellen Rechts.
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Die Familienkasse beantragt,das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Mit Beschluss vom 25. November 2014 hat der Bundesfinanzhof (BFH) das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das bei ihm anhängige Vorabentscheidungsersuchen C-378/14 angeordnet. Der EuGH hat mit Urteil vom 22. Oktober 2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2015, 1501) über die Vorlagefragen entschieden.