Arbeitsrecht

Wähler nicht von Wahlvorstand auf Wahlkabine hingewiesen

Aktenzeichen  M 20 P 16.4255

Datum:
5.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 54134
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayPVG Art. 19 Abs. 1, Art. 25 Abs. 1
WO – BayPVG § 16 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine Personalratswahl ist nichtig, wenn der Wahlvorstand nicht auf eine Wahlkabine hinweist und die Wähler an einsehbaren Tischen wählen lässt.

Tenor

I. Die Wahl des Personalrats vom 30. August 2016 wird für nichtig erklärt.
II. Der Gegenstandswert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Schriftsatz vom 16. September 2016 macht der Antragsteller die Ungültigkeit bzw. die Nichtigkeit der Personalratswahl vom 30. August 2016 geltend. Er machte dabei mehrere Verstöße gegen das Wahlrecht geltend. Der Wahlvorstand sei fehlerhaft bestellt worden. Durch einen Wahlabbruch sei die Wahl beeinflusst worden. Das Wahlausschreiben sei aus mehreren Gründen fehlerhaft. Es habe kein Wählerverzeichnis existiert. Durch eine verfrühte Wahlwerbung sei eine unzulässige Beeinflussung erfolgt. Die Wahlvorschlagslisten seien manipuliert worden. Die Wahlkabine sei durch ein bodentiefes Fenster einsehbar gewesen. Zwischen der Tischoberfläche und der als Sichtschutz vor den Tisch gestellten Tafel seien acht bis zehn Zentimeter Abstand gewesen, so dass von der Sitzposition des Wahlvorstandes aus die Tischoberfläche einsehbar gewesen sei. Dies verstoße gegen den Grundsatz der geheimen Wahl. Es sei Equipment benutzt worden, dass sich immer in der Begegnungsstätte befunden habe, so dass die Wähler die Wahlkabine nicht als solche wahrgenommen hätten. Die Stimmabgabe habe somit auf am Rande stehenden Tischen stattgefunden. Dies sei zumindest bei Frau D … und Herrn S … so gewesen. Die Wahlurne habe aus einem Schuhkarton bestanden, der einen Schlitz gehabt habe, der so groß gewesen sei, dass ohne Öffnung der Urne die Stimmzettel wieder hätten entnommen werden können. Herr St* … habe die Wahlurne in einer Plastiktüte unversiegelt mitgenommen.
Mit weiterem Schriftsatz vom 18. September 2016 ergänzte der Bevollmächtigte des Antragstellers, dass auch die Aufteilung der Stimmen falsch durchgeführt worden sei.
Mit Schriftsätzen vom 28. November 2016 und 26. Januar 2017 beantragte der Bevollmächtigte des Beteiligten, den Antrag abzulehnen. Der Personalrat sei zurückgetreten. Die Sache habe sich daher erledigt.
Mit Schriftsatz vom 13. Februar 2017 erklärte der Bevollmächtigte des Antragstellers, dass keine Erledigung eingetreten sei. Es sei auch die Nichtigkeitsfeststellung geltend gemacht worden. Der Rücktritt der Beteiligten lasse das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen.
Mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2017 erwiderte der Bevollmächtigte des Beteiligten, dass die Wahl nicht an einem schweren und offenkundigen Fehler leide. Eine Nichtigkeit sei daher nicht gegeben. Es wurde ausführlich zu den vom Antragsteller geltend gemachten Fehlern bei der Wahl ausgeführt. Die Wahlhandlung habe nicht von außen beobachtet werden können. Um einen anonymen Bereich zu schaffen, habe der Wahlvorstand Posterstellwände aufgebaut, die ihm von der Geschäftsführung gestellt worden seien. Ein Einsehen der auf dem Tisch liegenden Wahlunterlagen sei nicht möglich gewesen. Der Wähler sei bei der Stimmabgabe unbeobachtet gewesen. Zudem habe kein einziger Wähler Beschwerden geäußert.
Die Beteiligten wurden am 5. Juni 2018 mündlich vor dem Gericht angehört und die Zeugen D … T …, S … D …, B … S …, C … St … und Dr. M … B … vernommen.
Der Vertreter des Antragstellers stellte zuletzt den Antrag,
die Wahl des Personalrats vom 30. August 2016 für nichtig zu erklären.
Der Bevollmächtigte des Beteiligten stellt den Antrag,
den Antrag abzulehnen.
Auf die Niederschrift der Anhörung wird Bezug genommen, ebenso wegen der Einzelheiten auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakte.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Die Wahl des Personalrats vom 30. August 2016 war nach Art. 25 Bayerisches Personalvertretungsgesetz (BayPVG) für nichtig zu erklären, da die Wahl an einem derart schweren und offenkundigen Fehler leidet, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt. Sie genügt nicht den Anforderungen einer nach demokratischen Grundsätzen durchgeführten Wahl.
Der Annahme einer absoluten Nichtigkeit der Wahl sind im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit enge Grenzen gezogen. Sie ist nur im Ausnahmefall anzunehmen (Ballerstedt/Schleicher/Faber, Komm. zum BayPVG, Bd. 1, Art. 25 Rn. 39 ff.).
Der Personalrat wird nach Art. 19 BayPVG, § 16 Wahlordnung zum BayPVG in geheimer und unmittelbarer Wahl gewählt. Der Wahlvorstand trifft Vorkehrungen, dass der Wähler den Stimmzettel im Wahlraum unbeobachtet kennzeichnen und zusammenfalten kann.
Unbeobachtet ist der Wähler nur dann, wenn er objektiv beim Ausfüllen seines Stimmzettels und dessen Zusammenfalten den Blicken aller weiteren Personen so entzogen ist, dass die Vornahme der Wahl nicht beobachtet werden kann. Denn schon das Gefühl, dass dies anders ist, kann gegebenenfalls Auslöser dafür sein, dass der Betroffene „Druck“ verspürt, seine Stimme in dem einen oder anderen Sinn zu vergeben, also seine Wahlentscheidung nicht mehr wirklich „frei“ zu treffen sei (Ballerstedt/Schleicher/Faber, Kom. zum BayPVG, Bd. 4, § 16 Rn. 20 ff).
Die Wahl am 30. August 2016 war nicht geheim im Sinne von Art. 19 Abs. 1 BayPVG. Der Wahlvorstand hat auch keine Vorkehrungen getroffen, dass die Wähler den Stimmzettel im Wahlraum unbeobachtet kennzeichnen können im Sinne von § 16 Abs. 1 Wahlordnung zum BayPVG.
Die Zeugin T. schilderte glaubwürdig, dass sie die Wahlkabine nicht wahrgenommen habe und auch nicht auf eine Wahlkabine hingewiesen wurde. Sie hat sich daher an einen Tisch gesetzt und an diesem den Wahlzettel ohne Sichtschutz ausgefüllt. Dabei hat mindestens eine weitere Person ebenfalls an einem normalen Tisch gewählt. Der Wahlvorstand hat nicht eingegriffen.
Herr S. schildert glaubwürdig, dass er vom Wahlvorstand auf keine Wahlkabine hingewiesen wurde. Die Wahlkabine sei nicht als solche erkennbar gewesen. Er schilderte, dass mindestens eine weitere Person im Raum war, die auch nicht in einer Wahlkabine gewählt hat. Er habe das Gefühl gehabt, dass er bei der Wahl beobachtet werden konnte.
Frau D. schilderte ebenfalls glaubwürdig, dass sie keine Wahlkabine wahrgenommen hat. Sie hat ihren Stimmzettel an einem Tisch, der von allen Seiten einsehbar war, ausgefüllt. Sie hat nicht das Gefühl gehabt, dass es sich um eine anonyme Wahl handelt. Die Wahlkabine hat sie erst später entdeckt. Sie ist auch nicht auf sie hingewiesen worden. Sie hat die Wahlkabine nach ihrer Aussage auch nicht als solche erkennen können.
Herr St., damals Wahlvorstand, gab glaubhaft an, dass er sich daran erinnere, dass es Leute gegeben habe, die direkt vor seinen Augen das Kreuz gemacht und ihm anschließend den gefalteten Wahlzettel gegeben hätten.
Er habe die Wähler auf die Wahlkabine hingewiesen.
Herr Dr. B., der Wahlvorstand war, gab an, dass viele Wähler keine Wahlkabine benutzt hätten, obwohl man sie darauf hingewiesen habe. Der Wahlvorstand habe dies zugelassen, da man auf die geheime Wahl verzichten könne.
Der Grundsatz der geheimen Wahl stellt den wichtigsten institutionellen Schutz der Wahlfreiheit dar. Zwar bestehen keine Bedenken, dass der Wähler vor oder nach der Wahl seine Entscheidung offenbart, jedoch kann er nicht auf eine geheime Wahlhandlung verzichten. Eine Abstimmung außerhalb einer Wahlkabine kann daher nicht als geheim angesehen werden, wenn ansonsten nicht sichergestellt ist, dass der Wähler unbeobachtet wählen kann. Die Wahl ist ungültig, da der Wähler nicht auf die geheime Wahlhandlung verzichten kann (so Wachsmuth in PdK Bayern, Bd1, Gemeindeordnung, 7. Fassung 2017, zu Art. 51 GO unter 3.2. und Käß in PdK Bayern, A-26, Landeswahlrecht, April 2018, zu Art. 19 LWG unter 4.4.).
Der Wahlvorstand hat daher die Wähler nicht ausreichend darauf hingewiesen, dass die Wahlvorschriften eine geheime Wahl vorsehen und hierfür eine Wahlkabine zur Verfügung steht.
Selbst wenn der Wahlvorstand immer auf die Wahlkabine hingewiesen hätte und der Wähler darauf verzichten wollte, hätte er den Wähler darüber aufklären müssen, dass er auf die geheime Wahlhandlung nicht verzichten kann.
Dies ist nicht geschehen.
Eine unter solchen Umständen durchgeführte Wahl entspricht nicht mehr demokratischen Grundsätzen, vielmehr liegt ein so schwerer und offenkundiger Fehler vor, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt.
Nach § 23 Abs. 3 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen. Da der Sach- und Streitstand keine Anhaltspunkte enthält, wird unter Rückgriff auf § 52 Abs. 2 GKG der Gegenstandswert auf 5.000,00 Euro festgesetzt.


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