Arbeitsrecht

Wohngeldanspruch: Zahlungen eines nahen Angehörigen als zu berücksichtigendes Einkommen

Aktenzeichen  M 22 K 16.1853

Datum:
17.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16505
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WoGG § 4, § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 2 Nr. 19
EStG § 22 Nr. 1 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

1 Zur Klärung der Frage, ob ein wirksamer Darlehensvertrag geschlossen worden ist, welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hat und ob eine konkrete Rückzahlungsverpflichtung besteht, und damit letztlich das Darlehen als Einkommen bei der Berechnung des Wohngeldes zu berücksichtigen ist, sind alle Umstände des Einzelfalles sorgsam zu ermitteln und umfassend zu würdigen. Soweit die relevanten Umstände in familiären Beziehungen wurzeln, ist es gerechtfertigt, äußerlich erkennbare Merkmale als Beweisanzeichen (Indizien) heranzuziehen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dabei kann die Wahrung der im Geschäftsverkehr üblichen Modalitäten als Indiz dafür gewertet werden, dass ein wirksamer Darlehensvertrag geschlossen worden ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 Darlehen, die für den Lebensunterhalt verwendet werden, sind jedenfalls dann wie Einnahmen zu behandeln, wenn mit der Rückzahlung entweder überhaupt nicht oder doch nur bei Eintritt eines ungewissen Ereignisses gerechnet werden kann. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4 Wiederkehrende Bezüge nach § 14 Abs. 2 Nr. 19 WoGG iVm § 22 Nr. 1 S. 1 EStG setzen voraus, dass die Bezüge in bestimmten Zeitabständen oder Zeiträumen mit einer gewissen Regelmäßigkeit und für eine gewisse Dauer zufließen. Sie müssen in einem inneren Zusammenhang stehen; Leistungen stets in derselben Höhe sind nicht erforderlich. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin hat aus rechnerischen Gründen im maßgeblichen Bewilligungszeitraum in den Monaten Mai bis Juli 2015 keinen Anspruch auf die Gewährung eines höheren als ihr von der Beklagten bereits bewilligten Wohngeldes. Abzustellen ist vorliegend auf das Wohngeldgesetz in der zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung.
1. Nach § 4 WoGG richtet sich der Wohngeldanspruch nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder (§§ 5 bis 8 WoGG), der zu berücksichtigenden Miete oder Belastung (§§ 9 bis 12 WoGG) sowie dem Gesamteinkommen (§§ 13 bis 18 WoGG) und ist nach § 19 WoGG zu berechnen. Die Beklagte bzw. die Widerspruchsbehörde hat vorliegend korrekt die zur berücksichtigende Miete mit dem Höchstbetrag in Höhe von EUR 407,00 nach § 12 Abs. 1 WoGG (zur Verfassungsgemäßheit einer Höchstbetragsgrenze vgl. etwa BayVGH, B.v. 14.2.2017 – 12 C 17.121 – juris Rn. 2) in Abzug gebracht. Auch wurde das monatliche Gesamteinkommen der Klägerin ordnungsgemäß ermittelt, wobei insbesondere die monatlichen Zahlungen des Sohnes der Klägerin zur Überzeugung des Gerichts als Einnahmen der Klägerin zu bewerten sind.
2. Gemäß § 13 Abs. 1 WoGG wird die Summe der Jahreseinkommen der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder abzüglich der Freibeträge und der Abzugsbeträge für Unterhaltsleistungen als Gesamteinkommen angesetzt. Zum Jahreseinkommen zählen nach § 14 Abs. 2 Nr. 19 WoGG unter anderem auch die nach § 22 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes dem Empfänger oder der Empfängerin nicht zuzurechnenden Bezüge, die ihm oder ihr von einer Person, die kein Haushaltsmitglied ist, gewährt werden, mit Ausnahme der Bezüge bis zu einer Höhe von EUR 4.800 jährlich, die für eine Pflegeperson oder Pflegekraft geleistet werden, die den Empfänger oder die Empfängerin wegen eigener Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 14 des Elften Buches Sozialgesetzbuch pflegt. Dabei handelt es sich nach § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG um wiederkehrende Bezüge, die freiwillig oder auf Grund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht oder einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person gewährt werden. Demgegenüber erhöhen – auch monatlich gewährte – Darlehen das wohngeldrechtlich zu berücksichtigende Einkommen nicht, weil die Darlehensvaluta gerade nicht dauerhaft im Vermögen des Empfängers verbleiben soll.
2.1 Die Beantwortung der Frage, ob im Anwendungsbereich des Wohngeldgesetzes bei der Ermittlung des in Ansatz zu bringenden Einkommens ein (behauptetes) Darlehen zu berücksichtigen ist oder nicht, richtet sich nach denselben Kriterien, die das Bundesverwaltungsgericht für das Ausbildungsförderungsrecht aufgestellt hat (zu den Kriterien im Ausbildungsförderungsrecht s. BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 30/07 – juris; zur Anwendung derselben Kriterien im Wohngeldrecht s. BVerwG, B.v. 9.12.2011 – 5 B 28/11 – juris Rn. 6).
Nach diesen Grundsätzen haben die Wohngeldbehörden an den Nachweis des Abschlusses und die Ernsthaftigkeit eines Darlehensvertrages strenge Anforderungen zu stellen. Zur Klärung der Frage, ob überhaupt ein wirksamer Darlehensvertrag geschlossen worden ist, welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hat und ob eine konkrete Rückzahlungsverpflichtung besteht, sind alle Umstände des Einzelfalles sorgsam zu ermitteln und umfassend zu würdigen. Soweit die relevanten Umstände in familiären Beziehungen wurzeln oder sich als innere Tatsachen darstellen, die häufig nicht zweifelsfrei feststellbar sind, ist es gerechtfertigt, für die Frage, ob ein entsprechender Vertragsschluss vorliegt, äußerlich erkennbare Merkmale als Beweisanzeichen (Indizien) heranzuziehen (BVerwG, B.v. 9.12.2011 – 5 B 28/11 – juris Rn. 6; VG Stuttgart, U.v. 15.8.2017 – 8 K 5706/16 – juris Rn. 47). Dabei darf eine Wohngeldbehörde das erhöhte Missbrauchsrisiko berücksichtigen, wenn eine Wohngeld beantragende Person die Behauptung aufstellt, dass laufenden Zuwendungen naher Angehöriger ein Darlehensvertrag zugrunde liegt (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 30/07 – juris Rn. 24). Die Darlehensgewährung muss sich auch anhand ihrer tatsächlichen Durchführung klar und eindeutig von einer verschleierten Schenkung oder einer verdeckten, auch freiwilligen Unterhaltszahlung abgrenzen lassen (BVerwG, B.v. 9.12.2011 – 5 B 28/11 – juris Rn. 6; BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 30/07 – juris Rn. 24).
Zwar muss – entgegen der Darstellung im Widerspruchsbescheid – die Annahme einer wirksam begründeten Darlehensschuld unter Angehörigen nicht zwingend einem strikten Fremdvergleich in dem Sinne standhalten, dass sowohl die Gestaltung (z.B. Schriftform, Zinsabrede oder Gestellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung des Vereinbarten in jedem Punkt dem zwischen Fremden – insbesondere mit einem Kreditinstitut – Üblichen zu entsprechen hat (zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs s. U.v. 4.6.1991 – IX R 150/85 – BFHE 165, 53; B.v. 25.6.2002 – X B 30/01 – BFH/NV 2002, 1303). Die Wahrung der im Geschäftsverkehr üblichen Modalitäten kann aber im Rahmen der vorzunehmenden umfassenden Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls als Indiz dafür gewertet werden, dass ein wirksamer Darlehensvertrag geschlossen worden ist. Demgegenüber spricht es etwa gegen die Glaubhaftigkeit der Behauptung einer wirksamen Darlehensschuld, wenn der Inhalt der Abrede (insbesondere die Darlehenshöhe sowie die Rückzahlungsmodalitäten) und der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht substantiiert dargelegt werden (vgl. zur Berücksichtigung weiterer Indizien insbesondere BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 30/07 – juris Rn. 27 und VG Augsburg, U.v. 17.10.2013 – Au 6 K 13.1174 – juris Rn. 18). Insbesondere sind Darlehen, die für den Lebensunterhalt verwendet werden, jedenfalls dann wie Einnahmen zu behandeln, wenn mit der Rückzahlung entweder überhaupt nicht oder doch nur bei Eintritt eines ungewissen Ereignisses gerechnet werden kann (vgl hierzu BVerwG, U.v. 30.11.1972 – VIII C 81.71 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 23.12.2004 – 9 C 04.2900 – juris Rn. 18; B.v. 27.1.2006 – 9 C 05.3109 – juris Rn.15; VG Augsburg, U.v. 17.10.2013 – Au 6 K 13.1174 – juris Rn. 17).
Diese Maßstäbe zugrunde gelegt stellen die regelmäßigen Zahlungen des Sohnes unter Würdigung aller in Betracht kommenden Indizien wohngeldrechtlich kein wirksames Darlehen, sondern vielmehr Einnahmen der Klägerin dar.
2.1.1 Die Klägerin hat zum Nachweis einer wirksamen Darlehensschuld lediglich zwei Bestätigungen ihres Sohnes vorgelegt, in denen jeweils bereits geleistete Zahlungen nachträglich aufgelistet werden, ohne dass daraus weitere Vereinbarungen bezüglich der Darlehensschuld hervorgehen. Die Bestätigungen lassen nicht erkennen, von welchen Grundsätzen die Parteien bei Eingehung der Darlehensschuld ausgegangen sind. Insbesondere wurden keinerlei Vereinbarungen hinsichtlich der Modalitäten einer Rückzahlung aufgenommen. Erstmals kommt eine Regelung der Rückzahlung in der nach Klageerhebung vorgelegten eidesstaatlichen Versicherung vom 26. bzw. 28. Juni 2016 zur Sprache. Jedoch ist auch hier nur die Rede von einer Rückzahlung in variablen Raten und in Abhängigkeit von der finanziellen Situation der Klägerin. Konkrete Beträge oder ein konkreter Zeitraum für die Rückzahlung werden hingegen nicht genannt. Eine greifbare Rückzahlungsperspektive war deshalb nach der maßgeblichen ex-ante-Betrachtungsweise insbesondere aufgrund der Bindung der Rückzahlungsverpflichtung an die unsichere finanzielle Situation der Klägerin nicht gegeben. Auch ist nicht ersichtlich, zu welchem Zeitpunkt die Darlehensvereinbarung zwischen den Beteiligten geschlossen worden sein soll. Die vorgelegten Bestätigungen datieren sämtlich auf Zeiträume, zu denen die Unterstützungsleistungen bereits ausbezahlt worden sind. Ob, wann und zu welchen Bedingungen (beispielsweise auch hinsichtlich der Darlehenshöhe) eine konkrete Darlehensvereinbarung hierüber getroffen wurde, kann dementsprechend nicht gefolgert werden.
2.1.2 Zum Zeitpunkt der vermeintlichen Darlehensgewährung war es insbesondere völlig ungewiss, ob überhaupt mit einer Rückzahlung gerechnet werden konnte. Die Klägerin ist bereits seit langer Zeit gesundheitlich sehr angeschlagen und musste ihr Studium immer wieder unterbrechen. Auch ist es ihr bis heute nicht möglich, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Klägerin bezog bereits in der Vergangenheit – wie auch derzeit – immer wieder Leistungen nach dem SGB II. Zwar bringt die Klägerin vor, bis Mai 2016 bereits EUR 950,00 zurückbezahlt zu haben und auch aktuell noch Rückzahlungen zu leisten, was ein Indiz für das Vorliegen einer wirksamen Darlehensschuld gewertet werden könnte. Für das Gericht ist jedoch nicht nachvollziehbar, wie die Klägerin die Beträge für eine Rückzahlung hätte aufbringen können, da ein geregeltes Einkommen nicht bestanden hat. Die Klägerin bezog seither entweder geringe Einnahmen aus einer geringfügigen Beschäftigung oder Unterstützungsleistungen nach dem SGB II. Anderweitige Einkünfte sind weder ersichtlich noch von der Klägerin vorgetragen. Eine Rückzahlung der ihr vom Sohn überlassenen Beträge erscheint unter diesen Umständen nicht realistisch, zumal die Klägerin von den ihr zur Verfügung stehenden Einnahmen ihre monatlichen Fixkosten – allen voran die Mietzahlungen – sowie ihren allgemeinen Lebensbedarf decken muss. Dabei ist zu beachten, dass in den Zeiträumen, in denen die Klägerin einem Minijob nachging, die Einnahmen hieraus unterhalb den monatlich aufzubringenden Mietkosten lagen. Es bleibt daher unklar, wie die Klägerin unter diesen finanziellen Voraussetzungen Rücklagen für eine Rückzahlung der ihr überlassenen Beträge hätte bilden können.
2.2 Bei den vom Sohn der Klägerin gewährten Zahlungen handelt es sich auch um wiederkehrende Bezüge i.S.d. § 14 Abs. 2 Nr. 19 WoGG i.V.m. § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG. Der Begriff der wiederkehrenden Bezüge setzt voraus, dass die Bezüge in bestimmten Zeitabständen oder Zeiträumen mit einer gewissen Regelmäßigkeit und für eine gewisse Dauer zufließen. Sie dürfen aber nicht einzeln auf Grund eines jeweils neu gefassten Entschlusses gegeben werden, sondern müssen in einem inneren Zusammenhang stehen, d. h. auf einer einheitlichen Rechtsgrundlage oder einem einheitlichen Entschluss des Gebers beruhen. Leistungen stets in derselben Höhe sind nicht erforderlich (vgl. hierzu Nacke in Blümich, EStG, 140. Auflage 2018, § 22 Rn. 32 f.).
Demgemäß sind – auch unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung – keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Zahlungen des Sohnes nicht als wiederkehrende Bezüge einzustufen wären. Die Geldleistungen sind über einen nicht zu vernachlässigenden Zeitraum in einer gewissen Regelmäßigkeit an die Klägerin geflossen. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Sohn der Klägerin bei jeder Zahlung einen eigenständigen Willen bzw. Entschluss gefasst hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die regelmäßigen Unterstützungsleistungen auf den einheitlich gefassten Entschluss zurückgehen, die finanziell angeschlagene Klägerin zu unterstützen. Dies kommt auch in der ersten Bestätigung des Sohnes vom 18. Mai 2015 deutlich zum Ausdruck, in der er angibt, auch künftig Unterstützungsleistungen zugunsten der Klägerin in Erwägung zu ziehen.
2.3 Aus dem so ermittelten monatlichen Gesamteinkommen hat die Beklagte zutreffend ein Wohngeld in Höhe von EUR 84,00 monatlich ermittelt. Ein darüber hinausgehender Anspruch der Klägerin besteht nicht.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.


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