Arbeitsrecht

Wohnungssuchender, Öffentlich geförderte Wohnungen, Gemeindeordnung, Besondere Dringlichkeit, Dringlichkeitsstufe, Verwaltungsgerichte, Verpflichtungsklage, Obdachlosenunterbringung, Wohnberechtigungsschein, Einweisungsbescheid, Klageänderung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Vormerkung, Drohende Obdachlosigkeit, Prozeßbevollmächtigter, Rechtsschutzinteresse, Kosten der Unterkunft, Prozeßkostenhilfeverfahren, Außergewöhnliche Härte

Aktenzeichen  M 12 K 20.1504

Datum:
8.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41815
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayWoBindG Art. 5
DVWoR § 3 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleiche Höhe leistet.  

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
I.
Die Klage ist zulässig. Der zuletzt gestellte Antrag auf Verpflichtung des Beklagten stellt sich nicht als Klageänderung nach § 91 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – dar. Denn dieses Klagebegehren war bereits aus der Begründung bei Erhebung der Klage ersichtlich. Damit wäre der Klageantrag von vornherein nach § 88 VwGO als Verpflichtungsklage auszulegen gewesen, zumal die Klägerin nicht durch einen rechtskundigen Bevollmächtigten vertreten wird (vgl. Wolff in: BeckOK VwGO, 55. Edition, Stand 1.4.2020, § 91 Rn. 15). Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre die Klageänderung zulässig. Denn der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 13. Mai 2020 selbst angeregt, dass die Klage als Verpflichtungsklage auszulegen sei und damit in eine etwaige Klageänderung konkludent eingewilligt.
II.
Die Verpflichtungsklage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Festsetzung der sozialen Dringlichkeit der Wohnungssuche in Rangstufe 1,  § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Bescheid des Beklagten vom 4. März 2020 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist Art. 5 des Bayerischen Wohnungsbindungsgesetzes – BayWoBindG. Die Gemeinden G. … und K. … gehören zu den Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf, Art. 5 Satz 1 BayWoBindG i.V.m. § 3 Abs. 1 der Durchführungsverordnung Wohnungsrecht – DVWoR. Der Beklagte hat als zuständige Stelle in Bezug auf Sozialwohnungen nach Art. 5 Satz 2 BayWoBindG gegenüber den Verfügungsberechtigten ein Benennungsrecht. Bei der Benennung sind gemäß Art. 5 Satz 3 BayWoBindG insbesondere schwangere Frauen, Familien und andere Haushalte mit Kindern, alleinstehende Elternteile mit Kindern, ältere Menschen und schwerbehinderte Menschen vorrangig zu berücksichtigen. Das Benennungsrecht ermächtigt die zuständige Behörde aus Gründen der Praktikabilität auch, vor der eigentlichen Benennung eine rechtlich verbindliche Vorentscheidung über die Voraussetzungen der Wohnberechtigung und über den Grad der sozialen Dringlichkeit zu treffen. Diese Vorentscheidung erfolgt durch Aufnahme in eine nach Dringlichkeitsstufen und Punkten differenzierende Vormerkkartei, wobei es sich um einen im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakt handelt (BayVGH, B.v. 11.0.2014 – 12 C 14.380 – juris Rn. 12,13).
2. Zur gleichmäßigen Ermessensausübung hat der Beklagte eine Dienstanweisung (Rangliste) erstellt. Es handelt sich dabei um ermessensbindende interne Richtlinien, deren konsequente Anwendung dem Gleichbehandlungsgrundsatz entspricht und die regelmäßig zu einer Selbstbindung der Verwaltung führt. Solche Dienstanweisungen sind ein geeignetes Mittel, um die Bewertung der sozialen Dringlichkeit transparent zu machen und dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung zu tragen (BayVGH, B.v. 14.4.1999 – 24 S 99.110 – juris).
Nach der im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden Rangstufenliste vom 24. März 2017 werden drei Rangstufen (Rangstufe 1: sehr dringlich – Rangstufe 2: dringlich – Rangstufe 3: nicht dringlich) unterschieden. In Rangstufe 1 werden dabei (nicht abschließend) Fälle wie bestehende oder drohende Obdachlosigkeit, soziale Notlagen (Entlassung aus Therapie- oder Strafanstalten, Schwangerschaft oder mehrere eine Notlage begründende Umstände), schwerwiegende gesundheitliche Gründe oder dringende Fälle sozialer Hilfebedürftigkeit erfasst.
Weiter ist unter „Berücksichtigung der Verweildauer (Hauptwohnung) des Wohnungssuchenden im Landkreis S. …“ geregelt, dass Wohnungssuchende mit Dringlichkeitskriterien der Rangstufe 1, die ihren Wohnsitz außerhalb des Landkreises S. … haben, erst nach einer Wartezeit von drei Jahren in Rangstufe eins vorgemerkt werden. Während der Wartezeit erfolgt die Vormerkung in Rangstufe 2. Bei gleicher Rangstufe hat der Wohnungssuchende mit der längeren Verweildauer Vorrang. Zudem wird die Vormerkdauer der Wohnungssuchenden, die ihren Wohnsitz außerhalb des Landkreises haben, der Verweildauer wohnungssuchender Landkreisbürger gleichgestellt.
Wie sich aus dem Schreiben des Beklagten vom 18. März 2020, einem Aktenvermerk von 17. April 2020 und der Klageerwiderung vom 13. Mai 2020 ergibt, gilt die Wartezeitenregelung dabei nicht pauschal. Von ihr kann abgesehen werden, wenn außergewöhnlich schwerwiegende Gründe hinzukommen und ein Absehen von der Wartezeit rechtfertigen.
3. Die Entscheidung des Beklagten, die Klägerin danach in Rangstufe 2 einzustufen, ist nicht zu beanstanden.
Da es sich um eine behördliche Ermessensentscheidung handelt, kann gerichtlich nach § 114 Satz 1 VwGO nur überprüft werden, ob überhaupt Ermessen ausgeübt wurde, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
a) Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 DVWoR sind Wohnungssuchende unter Berücksichtigung von Dringlichkeit und Strukturkomponente in einer Art. 5 Satz 6 BayWoBindG entsprechenden Rangfolge zu benennen. Die Dringlichkeit bestimmt sich nach § 3 Abs. 3 Satz 3 DVWoR nach dem sozialen Gewicht des Wohnungsbedarfs und ergänzend danach, wie lange sich der antragstellende Wohnungssuchende schon in der kreisfreien Gemeinde oder dem Landkreis gewöhnlich aufhält, wo er sich um eine Wohnung bewirbt.
Es ist wegen des im Einzugsgebiet der Landeshauptstadt München bestehenden und gerichtsbekannten Mangels an öffentlich geförderten Wohnungen – der Beklagte weist insoweit auf die Diskrepanz von ca. 800 Bewerbern auf ca. 100 freiwerdende Wohnungen im Landkreis hin – nicht von vornherein unsachgerecht, wenn der Beklagte Wohnungssuchende, die außerhalb des Landkreises wohnen, hinter den im Landkreis ansässigen Personen zurückstuft (BayVGH, B.v. 10.1.2006 – 24 C 05.3012 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 11.3.2014 – 12 C 14.380 – juris Rn. 15). Dabei ist indes zu beachten, dass durch die Berücksichtigung des „Hilfskriteriums“ der Verweildauer der vom Gesetzgeber in Art. 5 Sätze 3 und 5 BayWoBindG i.V.m. § 3 Abs. 3 DVWoR verbindlich festgelegte Vorrang der sozialen Dringlichkeit nicht unterlaufen wird. Eine wie auch immer ausgestaltete Wartezeitregelung darf nicht dazu führen, dass Bewerber von der Benennung für eine öffentlich geförderte Wohnung ausgeschlossen werden (BayVGH, B.v. 11.3.2014, a.a.O. Rn. 15, 16 – zur ehemaligen Wartezeitregelung der Landeshauptstadt München, die einen generellen Ausschluss vor Erfüllung der Wartezeit vorsah).
b) Gemessen daran ist die Einstufung in Rangstufe 2 nicht zu beanstanden. Zwar lebt die Klägerin zur Überzeugung des Einzelrichters weiterhin zur Abwendung der sonst bestehenden Obdachlosigkeit in der derzeitigen Pension. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob dies noch aufgrund des Einweisungsbescheid der Gemeinde E. … auf Grundlage des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes – LStVG – der Fall ist. Denn jedenfalls wohnt die Klägerin nicht in dem Pensionszimmer, weil sie keine eigene Wohnung beziehen möchte, sondern weil es ihr bisher nicht möglich war, eine eigene Wohnung zu finden und sie andernfalls obdachlos wäre. Dass es sich nicht um eine normale Unterkunft handelt, wird auch aus dem Bewilligungsbescheid des Jobcenters F. … vom 10. Juni 2020 ersichtlich, ausweislich dem dieses die Kosten für eine Obdachlosenunterbringung übernimmt. Entsprechend ist die Klägerin dem Grunde nach in Rangstufe 1 nach der Rangstufenliste für den Landkreis S. … einzuordnen.
Gleichzeitig lebt die Klägerin nicht im Landkreis S. …, sondern seit Jahren – auch schon vor der Obdachlosigkeit – im Landkreis F. … mit der Folge, dass nach der Wartezeitregel derzeit nur eine Einstufung in Rangstufe 2 erfolgt. Es ist nach den obigen Ausführungen nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die Wohnungssuche landkreisexterner Bewerber im Landkreis S. … als weniger dringlich einstuft als die der Kreisangehörigen. Schon aus dem Rechtsgedanken des Art. 11 Abs. 1 Satz 2 Landkreisordnung – LKrO – ergibt sich, dass Kreisangehörige gegenüber landkreisexternen Bewerbern bei Vorliegen sachlicher Gründe bevorzugt werden dürfen (vgl. Heimrath in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Werkstand: 30. EL Februar 2020, Art. 11 LKrO Rn. 2). In Gebieten mit erhöhten Wohnungsbedarf besteht ohnehin schon eine derart angespannte Wohnmarktsituation, dass die Versorgung der gebietsansässigen Kreisangehörigen mit geeignetem Wohnraum nicht mehr hinreichend sichergestellt ist. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, wenn die soziale Dringlichkeit der Wohnungssuche außerhalb des eigenen Landkreises bzw. der eigenen kreisfreien Stadt – auch zur Vermeidung eines Pull-Effekts – als nicht so dringlich angesehen wird, wie die Wohnungssuche der Kreisangehörigen in eigenen Landkreis. Externe Bewerber werden durch diese Regelung auch nicht von einer Benennung generell ausgeschlossen. Auch in einer niedrigeren Rangstufe kann sich eine Benennung ergeben, sofern keine vorrangigen Bewerber für eine Wohnung vorhanden sind. Dadurch, dass die Wartezeitregelung nicht pauschal angewandt wird, sondern bei Vorliegen besonderer Härten von dieser abgesehen wird, ist auch sichergestellt, dass der gesetzlich geforderte Vorrang der sozialen Dringlichkeit gewahrt bleibt.
Die Klägerin hat keine Gründe vorgetragen, die ein Absehen von der Wartezeit rechtfertigen würden. Zwar ist zu sehen, dass sie im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung seit sechs Jahren obdachlos ist. Auch wurde ihre Wohnungssuche bisher durch die im Internet frei verfügbaren Informationen ihr Insolvenzverfahren betreffend erheblich erschwert. Insoweit ist allerdings anzumerken, dass diese offenbar nicht mehr zugänglich sind. Jedenfalls konnte der Einzelrichter bei einer am Tag vor der mündlichen Verhandlung durchgeführten Recherche auf Google keine Eintragungen mehr finden, wie es noch im Mai 2020 der Fall war. Unabhängig davon ist dadurch keine besondere Härte gegeben, die einen Zuzug in den Landkreis S. … objektiv zwingend erforderlich machen würde. Das zeigt sich auch darin, dass die Klägerin seit dem Jahr 2016 keinen weiteren Antrag beim Beklagten für diesen Landkreis gestellt hatte.
Auch aus Art. 11 Grundgesetz – GG – ergibt sich dabei kein Anspruch auf eine höhere Einstufung. Danach wird allen Deutschen Freizügigkeit in ganzen Bundesgebiet gewährleistet. Zur Freizügigkeit gehört auch das Recht, seinen Wohnsitz nach freiem Belieben zu nehmen (vgl. statt aller BVerfG, U.v. 17.3.2004 – 1 BvR 1266/00 – BeckRS 2005, 25904). Aus dieser Gewährleistung folgt allerdings nicht, dass durch den Staat am Ort der gewünschten Wohnsitznahme eine Wohnung zur Verfügung gestellt werden muss.
Soweit die Klägerin weiter die Befürchtung geäußert hat, durch die Einstufung in Rangstufe 2 im Landkreis S. … bei einer Vormerkung in anderen Landkreisen oder Gemeinden Nachteile zu erleiden, ist anzumerken, dass die einzelnen Kreisverwaltungsbehörden und kreisfreien Städte gerichtsbekannt unterschiedliche Kriterien bei ihrer Ermessensentscheidung zugrunde legen. Sie sind auch nicht an die Einschätzung des Landratsamts S. …, das eine Vormerkung nur für das Kreisgebiet bewirken kann, gebunden, sondern bewerten die Dringlichkeit innerhalb ihrer örtlichen Zuständigkeit eigenständig. Anzumerken ist auch, dass die Einstufung bezüglich der Vormerkung mit dem allgemeinen Wohnberechtigungsschein – der für ganz Bayern gilt – nicht im Zusammenhang steht.
III.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
IV.
Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.


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