Arbeitsrecht

Zahnärztliche Vergütung für Abformungspauschale

Aktenzeichen  S 38 KA 5097/20, S 38 KA 5107/21, S 38 KA 5080/21

Datum:
10.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37713
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 82, § 87
GVZ § 6 Abs. 6
BMV-Z Anlage 1 Nr. 4.3.2

 

Leitsatz

1. Es liegt grundsätzlich in der Zuständigkeit des Bewertungsausschusses, die BEMA Nummer 7 (Abformung) abzuändern, indem konkret auch Materialkosten in den Leistungsinhalt mit aufgenommen und auch die Punktzahlen falls es für erforderlich gehalten wurde – nach oben angepasst werden (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2017, Az B 6 KA 12/16 R; BSG, Urteil vom 03.08.2016, Az B 6 KA 42/15 R). (Rn. 16)
2. Regelungen des EBM-Ä bzw. des BMA-Z sind gegenüber den regionalen Gesamtverträgen vorrangig. Der untergesetzliche Normgeber darf keine Regelungen treffen, die einem anderen Normgeber gesetzlich zugewiesen sind. Gesamtvertragliche Regelungen, die gegen die Vorgaben des EBM-Ä bzw. des BEMA-Z verstoßen, sind als nichtig anzusehen. (Rn. 16)
3. Die Öffnungsklausel in Z. 4.3.2 S. 6 der Anlage 1 zum BMV-Z erlaubt, dass abweichende bzw. ergänzende gesamtvertragliche Regelungen zum Pauschalbetrag der Abformung, zur Höhe der Versandkosten sowie zu den Praxismaterialien zulässig sind. Damit wird die den Partnern der Gesamtverträge zustehende Gestaltungsfreiheit nicht beschränkt. Darunter fallen auch Abänderungen, die im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass die Änderung des BMV-Z, Aufnahme eines Pauschalbetrages für die Abformung in Höhe von 2,80 € nicht zum Tragen kommt. (Rn. 17)
4. Es besteht weder eine Pflicht der Partner der Gesamtverträge, bei Änderungen des BMV-Z den Gesamtvertrag anzupassen, noch eine Akzessorietät zwischen dem Bundesmantelvertrag einerseits und den Gesamtverträgen andererseits. Wird durch bestehende Gesamtverträge gegen Bestimmungen des Bundesmantelvertrages nach erfolgter Änderung verstoßen, sind jedoch insoweit die Bestimmungen der Gesamtverträge unwirksam. Regelungen in bestehenden Gesamtverträgen gelten weiter, soweit sie mit dem geänderten BMV-Z zu vereinbaren sind. (Rn. 19)
Es hätte allein in der Kompetenz des Bewertungsausschusses gelegen, zur Abformungspauschale die BEMA Nr. 7 abzuändern und Materialkosten in den Leistungsinhalt bei Anhebung der Punktzahlen aufzunehmen.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage unter dem Aktenzeichen S 38 KA 5097/20 (verbundene Verfahren S 38 KA 5097/20, S 38 KA 5107/21, S 38 KA 5080/21) wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens/der Verfahren.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingereichte Anfechtungsklage (Anfechtungsklagen) ist zwar zulässig, jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind als rechtmäßig anzusehen.
Der Kläger war nach Auffassung des Gerichts nicht berechtigt, die Abformungspauschale in Höhe von jeweils 2,80 € je Abformung nach Z. 4.3.2 S. 3 der Anlage 1 zum BMV-Z in Ansatz zu bringen. Dies ergibt sich aus Z. 4.3.2 S. 6 der Anlage 1 zum BMV-Z i.V.m. § 6 Abs. 6 GVZ.
Mit Änderung des BMV-Z zum 01.07.2018 wurde in Z. 4.3.2 S. 3 der Anlage 1 zum BMV-Z als besondere Kosten für Abformmaterial ein Pauschbetrag in Höhe von 2,80 € je Abformung vorgesehen. Hierbei stellt sich bereits die Frage, ob die Partner des Bundesmantelvertrages qua ihrer gesetzlich zugewiesenen Kompetenz hierzu befugt waren. Die Aufgaben der Partner der Bundesmantelverträge ergeben sich aus § 82 Abs. 1 SGB V. Danach vereinbaren die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen in Bundesmantelverträgen den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge. Der Inhalt der Bundesmantelverträge wird dann Bestandteil der Gesamtverträge. Für die Zuständigkeit der Partner der Gesamtverträge wird der Inhalt der Gesamtverträge durch §§ 82 Abs. 2 und 83 SGB V festgelegt. Danach werden die Vergütungen der an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnehmenden Zahnärzte und Einrichtungen von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen mit den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen durch Gesamtverträge geregelt. Die Zuständigkeit des Bewertungsausschusses ergibt sich aus § 87 Abs. 1 ff. SGB V. Danach vereinbaren die Kassenärztlichen/Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigungen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen durch Bewertungsausschüsse als Bestandteil der Bundesmantelverträge einen Einheitlichen Bewertungsmaßstab für die zahnärztlichen Leistungen.
Vorbereitende Maßnahmen, dazu gehört die Abformung, Bissnahme in habitueller Okklusion für das Erstellen von dreidimensional orientierten Modellen des Oberund Unterkiefers zur diagnostischen Auswertung und Planung sowie schriftliche Niederlegung bzw. Abformung, Bissnahme für das Erstellen von Modellen des Oberund Unterkiefers zur diagnostischen Auswertung und Planung sowie schriftliche Niederlegung sind von der Bema-Nummer 7a bzw. Bema-Nummer 7b erfasst und jeweils mit 19 Punkten bewertet.
Die unterschiedlichen Zuständigkeiten bzw. Kompetenzen der Partner des BMV-Z, der Partner des GVZ und der Bewertungsausschüsse, wie sie sich aus den Vorgaben des Gesetzgebers ergeben, sind zu beachten. Es hätte grundsätzlich in der Zuständigkeit des Bewertungsausschusses gelegen, die BEMA Nummer 7 abzuändern, indem konkret auch Materialkosten in den Leistungsinhalt mit aufgenommen und auch die Punktzahlen – falls es für erforderlich gehalten wurde – nach oben angepasst worden wären. So sind beispielsweise bei Füllungsleistungen nach der BEMA 13 das praxisübliche plastische Füllmaterial eingeschlossen. Eine solche Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes als Bestandteil des Bundesmantelvertrages (§ 87 Abs. 1 SGB V) hätte auch von den Partnern der Gesamtverträge beachtet werden müssen, da letzterer auch Bestandteil der Gesamtverträge (§ 82 Abs. 1 S. 2 SGB V) geworden wäre. Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2017, Aktenzeichen B 6 KA 12/16 R) sind die Regelungen des EBM-Ä bzw. des BMA-Z gegenüber den regionalen Gesamtverträgen vorrangig. Der untergesetzliche Normgeber darf nämlich keine Regelungen treffen, die einem anderen Normgeber gesetzlich zugewiesen sind. Gesamtvertragliche Regelungen, die gegen die Vorgaben des EBM-Ä bzw. des BEMA-Z verstoßen, wären als nichtig anzusehen. Zu einer Änderung der BEMA Nummer 7 kam es jedoch nicht. Stattdessen haben die Partner der Bundesmantelverträge im Rahmen der Änderung des BMV-Z zum 01.07.2018 unter Ziffer 4.3.2 S. 3 der Anlage 1 zum BMV-Z eine Pauschale in Höhe von 2,80 € pro Abformung vorgesehen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Partner der Bundesmantelverträge überhaupt befugt waren, in einer Anlage zum BEMA-Z einen Pauschalbetrag für Abformungen in Höhe von 2,80 € festzuschreiben. Bestünde eine solche Befugnis, die sich aus § 82 Abs. 1 SGB V ergeben müsste, wären die Partner der Gesamtverträge daran gebunden. Das Gericht hat zwar einerseits Zweifel, ob eine solche Befugnis der Partner der Bundesmantelverträge besteht, zumal das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 03.08.2016, Az B 6 KA 42/15 R) wiederholt betont hat, dass spezielle Aufgaben, darunter fallen die Bewertung von Leistungen einschließlich der Sachkosten dem Bewertungsausschuss vorbehalten sind (§ 87 Abs. 1 S. 1 SGB V). Andererseits hat das BSG in der genannten Entscheidung auch ausgeführt, der Senat habe stets gebilligt, dass die BMV-Partner für bestimmte Leistungspositionen wie für die Vergütung des technisch-analytischen Teils von Laborleistungen feste Kostensätze in DMbzw. Euro-Beträgen festlegen können, soweit dies sachgerecht ist und den in § 87 Abs. 1 und 2 SGB V niedergelegten Grundsätzen zur Honorierung vertragsärztlicher Leistungen nicht zuwiderläuft. Ob es sich hierbei um einen solchen Ausnahmefall von der Kompetenzzuweisung nach § 87 Abs. 1 SGB V entsprechend dieser Rechtsprechung handelt, ist zumindest zweifelhaft, jedoch kann dies letztendlich dahinstehen.
Denn in Z. 4.3.2 S. 6 der Anlage 1 zum BMV-Z haben die Partner des Bundesmantelvertrages eine Öffnungsklausel vorgesehen. Danach sind abweichende bzw. ergänzende gesamtvertragliche Regelungen zum Pauschalbetrag der Abformung, zur Höhe der Versandkosten sowie zu den Praxismaterialien zulässig. Dies bedeutet, dass die den Partnern der Gesamtverträge zustehende Gestaltungsfreiheit eben nicht beschränkt ist. Es ist der Öffnungsklausel keinerlei Beschränkung der Partner der Gesamtverträge zu entnehmen. Darunter fallen auch Abänderungen, die im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass die Änderung des BMV-Z, Aufnahme eines Pauschalbetrages für die Abformung in Höhe von 2,80 € nicht zum Tragen kommt. Dafür spricht auch das Gemeinsame Rundschreiben der KZBV und des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, in dem die Änderung des Bundesmantelvertrages zum 01.07.2018 erläutert wurde. So heißt es beispielsweise in § 13, die Verordnung von Sprechstundenbedarf obliege dem Gestaltungsspielraum der Vertragspartner auf der Gesamtvertragsebene – KZVen, Landesverbände der Krankenkassen bzw. Ersatzkassen wie es bei den Primärkassen bislang in § 15 Abs. 2 BMV-Z vorgesehen war. In der Kommentierung zu den Anlagen (hier: Anlage 1 Behandlungsplanung und Erstellung der Abrechnung) des BMV-Z (neu), die ebenfalls in dem Gemeinsamen Rundschreiben abgebildet wurde, wird ausgeführt, der Pauschalbetrag für die Abformung für den BEMA-Teil 3 (kieferorthopädische Behandlung) betrage 2,80 € je Abformung. Im BMV-Z sei dagegen keine Regelung zur Abrechnung von Materialund Laborkosten enthalten, da die Abrechnung dieser Kosten in den Gesamtverträgen geregelt gewesen sei. Im Anschluss darauf wird wie folgt ausgeführt: „Dies ist auch insoweit weiterhin möglich, da abweichende bzw. ergänzende gesamtvertragliche Regelungen zum Pauschalbetrag der Abformung, zur Höhe der Versandkosten sowie zu den Praxismaterialien zulässig sind.“ Aufgrund der Öffnungsklausel wird die Auffassung der Klägerseite nicht geteilt, die Bewertung der Abformung habe sich insgesamt geändert.
§ 6 Abs. 6 GVZ, die eine solche abweichende Regelung im Sinne von Z. 4.3.2 S. 6 der Anlage 1 zum BMV-Z darstellt, besagt, dass solche Kosten zum Sprechstundenbedarf gehören, die mit dem Punktwert abgegolten sind. Dies bedeutet, dass der Pauschalbetrag für die Abformung in Höhe von 2,80 € nicht im Rahmen der Abrechnung des Klägers in Ansatz gebracht werden kann. Soweit der Prozessbevollmächtigten des Klägers die Auffassung vertritt, es handle sich bei dem Abformmaterial nicht um Sprechstundenbedarf, wird diese Auffassung seitens des Gerichts nicht geteilt. Unter Sprechstundenbedarf sind alle Substanzen und Medikamente zu verstehen, die der Behandlung einer Mehrzahl von Versicherten einer gesetzlichen Krankenkasse in der vertragszahnärztlichen Praxis benötigt werden. Hierunter fällt auch Abformmaterial, das gerade in einer kieferorthopädischen Praxis für eine Vielzahl von Patienten zum Einsatz gelangt.
Dagegen kann nicht eingewandt werden, die Änderung des BMV-Z zum 01.07.2018 sei durch die Partner der Gesamtverträge negiert worden und der Beklagte könne sich nicht auf einen bereits bestehenden Gesamtvertrag und dessen Regelungen berufen. Denn es besteht weder eine Pflicht der Partner der Gesamtverträge, bei Änderungen des BMV-Z den Gesamtvertrag anzupassen, noch eine Akzessorietät zwischen dem Bundesmantelvertrag einerseits und den Gesamtverträgen andererseits. Wird durch bestehende Gesamtverträge gegen Bestimmungen des Bundesmantelvertrages nach erfolgter Änderung verstoßen, sind insoweit die Bestimmungen der Gesamtverträge unwirksam. Ein solcher Verstoß ist jedoch im Hinblick auf die Öffnungsklausel in Z 4.3.2 der Anlage1 zum BMV-Z nicht ersichtlich. Regelungen in bestehenden Gesamtverträgen gelten weiter, soweit sie mit dem geänderten BMV-Z zu vereinbaren sind. Es spielt im Zusammenhang mit der Frage, ob § 6 Abs. 6 GVZ im Rahmen der Öffnungsklausel zu beachten ist, keine Rolle, wie die AOK meint, dass, falls für Abformung ein Pauschalbetrag gewährt wird, dies Berücksichtigung bei der Höhe des Punktwertes Berücksichtigung finden müsse.
Zutreffend ist allerdings der Hinweis des Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass der Gesamtvertrag zum Ende des Jahres 2019 gekündigt wurde. Dies hat aber nicht zur Folge, dass damit der gekündigte GVZ und damit § 6 Abs. 6 GVZ nicht anwendbar wäre. Denn der GVZ gilt nach § 89 Abs. 4 S. 3 SGB V fort. Dies gilt auch für den Fall, dass die dreimonatige Regelungsfrist in § 89 Abs. 4 S. 2 SGB V überschritten wird, da es sich hierbei um eine reine Ordnungsfrist handelt (Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB V, Rn. 53 zu § 89). Damit soll ein vertragsloser Zustand vermieden werden.
Ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz liegt nicht vor, wenn in anderen Bundesländern die Abformpauschale, wie sie in Z. 4.3.2 S. 3 der Anlage 1 zum BMV-Z vorgesehen ist, gewährt werden sollte, weil es dort eine dem § 6 GVZ entsprechende Vorschrift nicht gibt. Denn es handelt sich um Sachverhalte unterschiedlicher Träger öffentlicher Gewalt (Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, Rn. 9 zu Art. 3 Grundgesetz). Ansonsten wäre es auch unzulässig, dass zahnärztliche Leistungen in den einzelnen Bundesländern mit unterschiedlichen Punktwerten vergütet werden (zum Beispiel Bremen KCH, PAR, KB: 1,0971 €; Bayern AOK KCH, PAR, KB: 1,1424 €; Stand 01.01.2021).
Genausowenig ist ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz erkennbar, wenn im Ersatzkassenbereich die Abformpauschale nach Z. 4.3.2 S. 3 der Anlage 1 zum BMV-Z anders als im Primärkassenbereich gewährt wird. Denn dem liegen unterschiedliche Verträge, im Primärkassenbereich der Gesamtvertrag (GVZ) und im Ersatzkassenbereich der Ersatzkassenvertrag (EKVZ) zugrunde.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO.


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