Arbeitsrecht

Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz – fiktive Einbeziehung –  betriebliche Voraussetzung – Privatisierung eines VEB – Stichtag – Produktionsmittelübergang – “leere Hülle”

Aktenzeichen  B 5 RS 3/09 R

Datum:
19.10.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2010:191010UB5RS309R0
Normen:
§ 1 AAÜG
§ 8 AAÜG
Art 9 EinigVtr
Art 17 EinigVtr
Art 19 EinigVtr
Anlage II Kap VIII H EinigVtr
Anlage II Kap VIII H III Nr 9 EinigVtr
§ 7 VoEigUmwV
§ 1 TreuhG
§ 11 TreuhG
§ 22 RAnglG
Art 3 Abs 1 GG
§ 31 VoEigKombV
§ 37 VoEigKombV
§ 19 ZGB DDR
§ 1 RVInkrsG
§ 18 RVInkrsG
§ 19 RVInkrsG
§ 1 GmbHG
§§ 1ff GmbHG
ZAVtIV
Anl 1 Nr 1 AAÜG
§ 5 AAÜG
Spruchkörper:
5. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Magdeburg, 26. Mai 2005, Az: S 8 RA 397/03, Urteilvorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, 28. Mai 2009, Az: L 1 RA 183/05, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 28. Mai 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Zeit vom 1.9.1967 bis 30.6.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) sowie die dabei erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
2
Der 1943 geborene Kläger erwarb an der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik M. das Recht, die Berufsbezeichnung “Ingenieur” zu führen und arbeitete ab dem 1.9.1967 als Betriebsingenieur beim Volkseigenen Betrieb (VEB) SET (später: VEB SKET ). Berufsbegleitend absolvierte er von September 1970 bis März 1975 ein Fernstudium der Fachrichtung Fertigungsprozessgestaltung an der Technischen Hochschule O. Sektion für Technologie der metallverarbeitenden Industrie – und erhielt im März 1975 den akademischen Grad “Diplom-Ingenieur” verliehen. Von Juni 1972 bis Februar 1987 war er im VEB SKET-Stammbetrieb als (selbständiger) Produktionslenker tätig und übernahm im März 1987 die Funktion des “Leiters Planung und Ökonomie PF 13”, die er auch am 30.6.1990 noch ausübte. Eine Versorgungszusage der AVItech erhielt er nicht.
3
Am 13.6.1990 erklärten der VEB SKET, der VEB SKET-Stammbetrieb und die Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt), den VEB SKET-Stammbetrieb in eine Aktiengesellschaft (AG) und eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) umzuwandeln. Gleichzeitig übertrugen sie das Vermögen aus der bisherigen Fondsinhaberschaft des VEB SKET-Stammbetrieb zum 1.5.1990 auf die neugegründete SKET AG sowie die SKET GmbH, die am 10.7.1990 ins Handelsregister eingetragen wurden.
4
Den Antrag des Klägers, seine Zusatzversorgungsanwartschaften zu überführen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3.3.2003 ab. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 19.6.2003, Urteile des Sozialgerichts Magdeburg vom 26.5.2005 und des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 28.5.2009). Das LSG hat ausgeführt, der Kläger habe am 30.6.1990 keinen Anspruch auf Erteilung einer (fiktiven) Versorgungszusage gehabt, weil er an diesem Tag nicht (mehr) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens beschäftigt gewesen sei. Der VEB SKET-Stammbetrieb habe am Stichtag keine Sachgüter produzieren können, weil sein Vermögen aus der bisherigen Fondsinhaberschaft einschließlich der Produktionsmittel aufgrund der Umwandlungserklärung vom 13.6.1990 zum 1.5.1990 auf die AG und GmbH übergegangen sei. Seitdem existiere der vermögenslose VEB SKET-Stammbetrieb als Wirtschaftseinheit faktisch nur noch “auf dem Papier” und habe am Markt wirtschaftlich nicht mehr tätig werden können. Stattdessen habe die Vor-GmbH bereits vor der Eintragung ins Handelsregister am 10.7.1990 die wirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen und den VEB SKET-Stammbetrieb vollständig abgelöst. Deshalb könne offen bleiben, ob dieser Betrieb überhaupt Sachgüter industriell, dh überwiegend seriell produziert oder größere Anlagen in Einzelfertigung hergestellt habe.
5
Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts: Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 21.8.1996 (I R 85/95 – BFHE 181, 437) klargestellt habe, seien VEB und GmbH in der Umwandlungsphase abgabenrechtlich unterschiedlich zu behandelnde Rechtsträger. In Umwandlungsfällen sei keine steuerpflichtige Vorgesellschaft zwischengeschaltet; bis die Umwandlung wirksam werde, unterliege allein der VEB den abgaberechtlichen Vorschriften. Die Umwandlung sei frühestens am 1.7.1990 nach dem Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz ) vom 17.6.1990 (GBl DDR I 300) und spätestens am 10.7.1990 (Löschung der VEB aus dem Register der volkseigenen Betriebe und Eintragung der AG und GmbH ins Handelsregister) wirksam geworden. Die vorherige Übertragung der Fondsinhaberschaft auf eine inexistente Vor-GmbH habe deshalb rein deklaratorischen Charakter gehabt. Denn eine GmbH, die (noch) kein Steuerrechtssubjekt sei, könne nicht als Wirtschaftseinheit existieren. Folglich habe der VEB am 30.6.1990 die Betriebstätigkeit fortgeführt und keinesfalls nur auf dem Papier bestanden. Vielmehr sei der umgekehrte Schluss richtig: Bis zum Wirksamwerden der Umwandlung habe nur die GmbH auf dem Papier existiert.
6
           
Der Kläger beantragt,
        
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 28. Mai 2009 und das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 26. Mai 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. März 2003 und den Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 1. September 1967 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
7
           
Die Beklagte beantragt,
        
die Revision zurückzuweisen.
8
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der VEB sei am 30.6.1990 kein “Produktionsbetrieb” mehr gewesen, weil er zu diesem Zeitpunkt keine industriellen Sachgüter hergestellt habe. Denn über die Produktionsanlagen habe bereits die Kapital-Vorgesellschaft verfügt, die “kraft notariellem Umwandlungsakt” vor dem 30.6.1990 entstanden sei.


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