Arbeitsrecht

Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz – persönliche Voraussetzung bei einem Ingenieur für Biomedizinische Technik – betriebliche Voraussetzung – Privatisierung – Aufspaltungskonstellationen – Fortbestehen eines volkseigenen Betriebes am Stichtag 30.6.1990 – Kapitalgesellschaft – kein modifizierter oder erweiterter Prüfmaßstab

Aktenzeichen  S 18 R 1655/19

Datum:
9.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG Altenburg 18. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:SGALTEN:2021:0609.S18R1655.19.00
Normen:
§ 1 Abs 1 S 1 AAÜG
Anl 1 Nr 1 AAÜG
§ 1 ZAVtIV
§ 1 Abs 1 S 1 ZAVtIVDBest 2
§ 1 Abs 1 IngV
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Die Berufsbezeichnung “Ingenieur für Biomedizinische Technik” entspricht dem Titel “Ingenieur” iS des § 1 Abs 1 S 1 ZAVtIVDBest 2. Ein Fachschulabsolvent, dem diese Berufsbezeichnung zuerkannt wurde, erfüllt damit die persönliche Voraussetzung für eine fiktive Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz. (Rn.46)


2. Für “Aufspaltungskonstellationen”, in denen zum Stichtag 30.6.1990 neben einer durch Eintragung wirksam gewordenen Kapitalgesellschaft der ursprüngliche VEB fortbesteht (vgl BSG vom 7.12.2017 – B 5 RS 1/16 R = BSGE 125, 1 = SozR 4-8570 § 1 Nr 21), gilt für das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzung kein modifizierter oder erweiterter Prüfmaßstab iS eines hinzukommenden negativen Tatbestandsmerkmals. (Rn.65)

Verfahrensgang

nachgehend Thüringer Landessozialgericht, 23. Juli 2021, L 3 R 628/21

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2019 verpflichtet, den Bescheid vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2007 und den Bescheid vom 14.06.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2013 zurückzunehmen und den Zeitraum vom 01.09.1985 bis 30.06.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz nach der Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG sowie die darin erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Zugunstenverfahrens über die Verpflichtung der Beklagten als Versorgungsträger, die Beschäftigungszeit der Klägerin vom 01.09.1985 bis 30.06.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz nach Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG festzustellen.
Die am 20.02.1963 geborene Klägerin absolvierte von 1979 bis 1982 eine Lehre als Physiklaborant beim VEB C Z J. Von September 1982 bis August 1985 studierte sie an der Ingenieurschule für wissenschaftlichen Gerätebau „C Z“ in J in der Fachrichtung Biomedizinische Technik. Mit Urkunde vom 31.08.1985 wurde ihr die Berechtigung zuerkannt, die Berufsbezeichnung „Ingenieur für Biomedizinische Technik“ zu führen. Am 19.07.1985 stellte der Rat der Stadt J, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, für die Klägerin mit Wirkung vom 01.09.1985 eine Erlaubnis zur Ausübung des Berufs als Ingenieur für Biomedizinische Technik aus auf der Grundlage der Anordnung vom 07.08.1980 über die staatliche Erlaubnis zur Ausübung der medizinischen, pharmazeutischen und sozialen Fachschul- und Facharbeiterberufe (GBl I Nr. 28, 254; im Folgenden: AusübungsAO) aus.
Mit Arbeitsvertrag vom 17.06.1985 wurde die Klägerin ab dem 01.09.1985 bei dem VEB Elektronik G als Mitarbeiterin Forschung/Entwicklung bei ERA 2 beschäftigt. Als Arbeitsaufgaben waren im Vertrag benannt: Vertragsbearbeitung zu den bestehenden Kooperationspartnern, Koordinierung der außerbetrieblichen Kooperationsaufgaben im Rahmen der Fertigung von Bedampfungsanlagen und Baugruppen, Materialwirtschaftsaufgaben.
Im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung (SV-Ausweis) ist für den Zeitraum 01.01.-30.06.1990 und darüber hinaus als Bezeichnung der Tätigkeit „MA F/E“ aufgeführt, genauso wie bereits in den Vorjahren. Zum 01.01.1990 und zum 30.06.1990 ist ein Stempel „ELEKTRONIK G – Lohnbüro“ gesetzt. In den darauffolgenden Zeilen sind die Eintragungen für 01.07.1990 bis 31.12.1990 bzw. vom 01.01.1991 bis 28.02.1991 jeweils zum Beginn und Ende mit dem Stempel „E-GmbH P Str. 10, Tel G “ versehen.
Die Klägerin führte seit dem 01.12.1985 bis 30.06.1990 Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) ab. Sie erhielt keine Versorgungszusage und war zu Zeiten der DDR nicht in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen.
Der VEB Elektronik G war am 11.02.1977 in das Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragen worden. Er hatte Betriebsteile in G und P. Am 12.06.1990 unterzeichneten der Betriebsdirektor des VEB Elektronik G und der Vertreter der Anstalt der treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt) aufgrund der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen vom 01.03.1990 (Umw-VO, GBl. DDR I 1990, S. 107) eine Erklärung zur Umwandlung des VEB Elektronik G in zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Es wurden die E-GmbH mit Sitz in G und die B-GmbH mit Sitz in P errichtet. Am selben Tag wurden die Gesellschaftsverträge geschlossen, die Bestandteile der Umwandlungserklärung sind. Zur Durchführung der Umwandlung wurden mit Stichtag vom 01.05.1990 das Vermögen aus der bisherigen Fondsinhaberschaft des VEB Elektronik G anteilig der E-GmbH und der B-GmbH unter Zugrundelegung der Bilanz vom 30.04.1990 übertragen. Die E-GmbH wurde am 27.06.1990, die B-GmbH am 03.07.1990 in die beim Staatlichen Vertragsgericht in G bzw. N geführten Register eingetragen. Am 19.09.1990 wurde im Register der volkseigenen Wirtschaft die Löschung des VEB Elektronik G eingetragen mit Beendigung der Rechtsfähigkeit des Betriebes zum 03.07.1990.
Am 04.05.2007 beantragte die Klägerin die Überführung ihrer Versorgungsanwartschaften. Mit Bescheid vom 15.05.2007 lehnte die Beklagte dies ab, da das AAÜG nicht anwendbar sei. Der VEB Elektronik G sei bereits vor dem 30.06.1990 privatisiert worden. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte am 07.08.2007 zurück. Die hiergegen eingelegte Klage (Aktenzeichen S 18 R 2469/07) wurde am 06.05.2008 abgewiesen. In 2012 stellte die Klägerin einen Überprüfungsantrag, den die Beklagte mit Bescheid vom 14.06.2012 ablehnte, wiederum mit der Begründung, dass es sich beim Beschäftigungsbetrieb der Klägerin am 30.06.1990 nicht mehr um einen volkseigenen Produktionsbetrieb gehandelt habe. Auch der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 09.01.2013).
Mit Antrag vom 28.12.2018 (Eingang bei der Beklagten) begehrte die Klägerin unter Verweis auf die aktuelle Rechtsprechung des BSG die Überprüfung hinsichtlich der Überführung von Zusatzversorgungszeiten. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23.05.2019 ab. In den früheren Bescheiden sei weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Die persönliche Voraussetzung sei nicht erfüllt. Nicht zu den Ingenieuren im Sinne der Versorgungsordnung der Altersversorgung der technischen Intelligenz zählten Berufsbezeichnungen, deren Gepräge außerhalb des technischen Ingenieurwesens liegt. Die Klägerin habe ihr Fachschulstudium als Ingenieur für Biomedizinische Technik abgeschlossen. Am 19.05.1985 habe sie die staatliche Erlaubnis zur Ausübung ihres Berufs erhalten auf der Grundlage der AusübungsAO.
Mit ihrem Widerspruch vom 04.06.2019 machte die Klägerin geltend, dass das Berufsbild des Ingenieurs für Biomedizinische Technik ein reich technisches sei und in keiner Weise mit sozialen, therapeutischen und medizinischen Inhalten verbunden sei. Lediglich die Nähe zum medizinischen Einsatz der technischen Anlagen und Geräte sei vorhanden. Sie verwies insbesondere auf die von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichte Beschreibung des Berufsbildes. Der VEB Elektronik G habe zusammen mit dem Institut von A in D eine Bedampfungsanlage FOBA 800 entwickelt. Deren Einsatz in D sei biomedizintechnisch ausgerichtet gewesen, im VEB Elektronik G sei die Verwendung der Bedampfungs- bzw. Sputtertechnik zur Beschichtung von Papierkondensatoren erfolgreich weiterentwickelt worden. In diesem Rahmen hätten sich ihre Arbeitsaufgaben in der Forschungsabteilung „ERA 2“ bewegt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.08.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Qualifikation der Klägerin entspreche nicht der in der Versorgungsordnung der technischen Intelligenz geforderten Qualifikation. Mit dem Fachschulstudium als Ingenieur für Biomedizinische Technik erfülle sie nicht die persönliche Voraussetzung für eine fiktive Einbeziehung in die Zusatzversorgung der technischen Intelligenz. Nur diejenigen Versicherten, die einen ingenieurtechnischen Studienabschluss erworben hatten, seien berechtigt gewesen, die Berufsbezeichnung „Ingenieur“ im Sinne von § 1 der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung „Ingenieur“ (IngVO-DDR) i. V. m. § 1 Abs. 1 S. 1 der 2. Durchführungsbestimmung zu führen. Das BSG habe in seinem Urteil vom 18.10.2007 – B 4 RS 17/07 R – entschieden, dass nach dem Sprachgebrauch der DDR der Titel des Diplom-/Ingenieurs nur solchen Hoch- und Fachschulabsolventen zuerkannt wurde, die eine (ingenieur-)technische Ausbildung absolviert hatten. Im Zusammenhang mit der AusübungsAO handele es sich bei einem Ingenieur für Biomedizinische Technik um einen medizinischen Fachschulberuf. Die Prüfung der sachlichen und betrieblichen Voraussetzung sei damit entbehrlich.
Hiergegen hat die Klägerin am 02.09.2019 Klage zum Sozialgericht Altenburg erhoben mit dem Ziel, die Beschäftigungszeit ab 01.09.1985 bis 30.06.1990 als Zusatzversorgungszeit feststellen zu lassen. Sie sei am 30.06.1990 noch bei dem VEB Elektronik G, also einem volkseigenen Betrieb angestellt gewesen. Bei ihrem Beruf habe es sich nicht um einen medizinischen Fachschulberuf, sondern um einen technischen Beruf gehandelt. Dies sei schon der Stundentafel der Fachrichtung Biomedizinische Technik (gültig ab 01.09.1982, vgl. Bl. 27 GA) zu entnehmen. Die technischen Unterrichtsstunden hätten den überwiegenden Anteil der Ausbildung ausgemacht, medizinische Grundlagen seien lediglich in 90 von insgesamt 3.240 Unterrichtsstunden gelehrt worden. In der DDR sei es in sensiblen Bereichen wie dem Gesundheits- und Sozialwesen erforderlich gewesen, eine spezielle Erlaubnis zur Ausübung des Berufs zu besitzen, die bei nicht staatskonformen Verhalten entzogen werden konnte. Es habe sich aber nur um eine Erlaubnis zur Ausübung des Berufs im Geltungsbereich des Gesundheits- und Sozialwesens gehandelt. Die Anerkennung des Berufs als solcher bzw. die Berechtigung zum Führen der Berufsbezeichnung werde davon nicht berührt. Die AusübungsAO sei für die Einstufung als technischer Ingenieur daher nicht relevant. Gleiches gelte für die von der Beklagten in Bezug genommene Nomenklatur der Hoch- und Fachschulausbildung, die lediglich für statistische, planerische und Abrechnungszwecke herangezogen worden sei. Die Klägerin sei zudem in der gesamten Zeit ihrer Tätigkeit beim VEB Elektronik G mit Entwicklungsaufgaben betraut gewesen. Bereits ihre Abschlussarbeit im Studium mit der Aufgabenstellung „Entwicklung einer Filmkerbeinrichtung“ sei eine rein technische Programmierarbeit gewesen.
Auf Anforderung des Gerichts hat die Klägerin den Inhalt ihrer Beschäftigung in einer umfänglichen Stellungnahme vom 31.01.2021 ausführlich beschrieben: Im Bereich der Produktion von Wickelkondensatoren habe es eine grundlegende Umstellung der Herstellungstechnologie bzw. Fertigungsweise gegeben. Auf die Papier- bzw. Isolationsschicht selbst sei eine nur Mikrometer dünne Aluminiumschicht als elektrischer Leiter im Hochvakuumverfahren aufgedampft worden, um Material und Arbeitsschritte zu sparen und geringere Größen zu erreichen. Hierfür habe es einer Bedampfungsanlage bedurft, welche im Institut von Ardenne in Dresden bereits vorhanden gewesen sei. Diese sei ursprünglich für die Beschichtung von Humanimplantaten entwickelt worden und von der Klägerin und ihren Kollegen auf die speziellen Bedürfnisse der Kondensatorenherstellung angepasst und weiterentwickelt worden. Es seien Bauelemente ersetzt bzw. neu angelegt worden, die Anlage sei neu aufgebaut, geprüft und schrittweise in Betrieb genommen worden.
In der persönlichen Anhörung durch das Gericht hat die Klägerin nochmals ihren Tätigkeitsinhalt beschrieben. Dieser habe mit den Arbeitsaufgaben, wie sie im Arbeitsvertrag vom 17.06.1985 niedergeschrieben waren, nicht voll übereingestimmt. So sei etwa „die Vertragsbearbeitung zu den bestehenden Kooperationspartnern“ nicht Gegenstand ihrer Tätigkeit gewesen. Ab Januar 1990 sei sie in Elternzeit gewesen, während dieser Zeit habe es keine Änderungsverträge, Kündigung oder Auflösung des Arbeitsvertrags gegeben. Von der Umwandlung des Betriebs in die GmbH habe sie nichts mitbekommen. Sie sei nach der Elternzeit nicht wieder an den Arbeitsplatz zurückgekehrt, denn ab Januar 1991 sei Kurzarbeit 0 angeordnet gewesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2019 zu verpflichten, den Bescheid vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2007 und den Bescheid vom 14.06.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2013 zurückzunehmen und den Zeitraum vom 01.09.1985 bis 30.06.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz nach der Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG sowie die darin erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zunächst auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides. Die Klägerin sei nicht befugt gewesen, den Titel eines Ingenieurs im Sinne der Versorgungsordnung zu führen, da sie keinen Studiengang der technischen Wissenschaft absolviert habe. Unter Berücksichtigung der AusübungsAO handele es sich im weitesten Sinne um einen Beruf im Gesundheits- und Sozialwesen. Die Berufsbezeichnung sei innerhalb der Fachrichtung Medizin/Gesundheitswesen verliehen worden, nicht innerhalb der technischen Wissenschaften, was sich insbesondere aus der „Anlage zur Broschüre – ausgewählte Signierschlüssel für die Planung und Abrechnung im Hoch- und Fachschulwesen der DDR, Nomenklatur der Hoch- und Fachschulausbildung, Stand Juni 1986“ (Bl. 53ff GA) ergebe. Hier sei die Biomedizinische Technik mit der Nr. 31105 dem Bereich Medizin/Gesundheitswesen, gerade nicht den Technischen Wissenschaften zugeordnet. Das Urteil des BSG vom 18.10.2007 – B 4 RS 17/07 R – beziehe sich auch auf Fachschulabsolventen, die eine technische Ausbildung absolviert haben. Das BSG habe festgestellt, dass unter Berücksichtigung der Anordnung über die Erteilung und Führung von Berufsbezeichnungen im Ergebnis nur die Absolventen eines Studiengangs der technischen Wissenschaften befugt gewesen seien, den Titel Diplomingenieur zu führen. Darüber hinaus sei auch die sachliche Voraussetzung nicht erfüllt, da die im Arbeitsvertrag benannten Aufgaben (Vertragsbearbeitung, Koordinierungsaufgaben, Materialwirtschaftsaufgaben) nicht der Ausbildung der Klägerin entsprochen hätten. Hier seien nicht die Fähigkeiten und Kenntnisse gebraucht worden, die ihr im Studium vermittelt worden seien, so dass sie berufsfremd tätig gewesen sei.
Zu der betrieblichen Voraussetzung, die im vorliegenden Verfahren nicht thematisiert wurde, vertritt die Beklagte in zahlreichen parallel anhängigen Verfahren folgende Rechtsauffassung: Das BSG habe in seiner Entscheidung vom 07.12.2017 (B 5 RS 1/16 R) für Aufspaltungskonstellationen den Prüfmaßstab für das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzung um ein weiteres anspruchsbegründendes negatives Tatbestandsmerkmal erweitert, indem es die negative Wendung benutzt habe, es dürfe „kein Beendigungstatbestand“ nach dem AGB-DDR vorliegen. In Anbetracht der Koexistenz von zwei möglichen Arbeitgebern sei entscheidend und von der Klägerin zu belegen, dass der Arbeitsvertrag mit dem VEB Elektronik G nicht aufgelöst worden sei. Auch für negative Umstände, die es für anspruchsbegründende Tatsachen zu verneinen gilt, gelte bei einem non liquit im Klageverfahren die Beweislast für die Klägerin. Es gebe keinen Grundsatz der automatischen Beweislastumkehr, wenn es darum geht, das Nichtvorhandensein bestimmter Gegebenheiten belegen zu müssen. Nicht die Beklagte habe das Vorliegen etwaiger Beendigungstatbestande zu behaupten oder zu belegen, sondern die Klägerin habe nachzuweisen, dass es keine das Arbeitsrechtsverhältnis mit dem VEB Elektronik G beendenden Aktionen gegeben hat.
Das Gericht hat zur Ausrichtung des Studiums der Klägerin eine Auskunft bei der E Hochschule J als Nachfolgerin der Ingenieurschule für wissenschaftlichen Gerätebau „C Z“ in J eingeholt.
In der mündlichen Verhandlung am 09.06.2021 hat die Kammer die Klägerin persönlich angehört. Zudem ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung der Zeugen R und M, zweier früherer Arbeitskollegen der Klägerin. Hinsichtlich deren Angaben wird auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
In einem Parallelverfahren (Aktenzeichen S 18 R 267/20) hat die Kammer Archivakten mit Unterlagen zum VEB Elektronik G vom Thüringer Staatsarchiv in R beigezogen und in Teilen Abzüge hiervon gefertigt. Die Beklagte hat Einsicht in diese Akten genommen.
In einem weiteren Parallelverfahren (Aktenzeichen S 18 R 222/20) hat die Kammer am 29.04.2021 den ehemaligen Direktor Ökonomie beim VEB Elektronik G bzw. späteren Leiter Personalwesen K B als Zeugen vernommen. Auf den Inhalt dessen Aussage, die den Beteiligten zur Kenntnis gegeben wurde, wird ebenfalls Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die fristgerecht erhobene Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt 1 und 3 SGG) zulässig und begründet. Der Bescheid vom 23.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung der Bescheide vom 15.05.2007 und 14.06.2012 in Gestalt der Widerspruchsbescheide und Feststellung der Beschäftigungszeit vom 01.09.1985 bis zum 30.06.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz nach Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG und der in dieser Zeit erzielten Entgelte.
Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Nach Abs. 2 ist im Übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Vorliegend ist § 44 Abs. 2 SGB X heranzuziehen. Dessen Voraussetzungen sind erfüllt. Die bestandskräftigen Bescheide vom 15.05.2007 und 14.06.2012 waren im Zeitpunkt des Erlasses rechtswidrig und sind von der Beklagten zu beseitigen, indem sie Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz festzustellen hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das AAÜG auf die Klägerin anwendbar.
Nach § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Die Sonderregelung des Satzes 2 ist hier nicht einschlägig, weil die Klägerin (unstreitig) zu keinem Zeitpunkt in ein Versorgungssystem einbezogen war und folglich die Fiktion der Vorschrift, wonach bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem der Verlust der Anwartschaft als nicht eingetreten gilt, in ihrem Fall nicht greift.
Einen „Anspruch“ auf Versorgung (damit ist das Vollrecht gemeint) hat die Klägerin bei Inkrafttreten des AAÜG am 01.08.1991 nicht gehabt. Denn ein „Versorgungsfall“ war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Klägerin stand am 01.08.1991 aber auch keine „Anwartschaft“ zu (damit ist die Versorgungsberechtigung gemeint). Insofern ist allein auf das zu diesem Zeitpunkt gültige Bundesrecht abzustellen. Dieses Bundesrecht verbietet es, ab dem 01.07.1990 noch neue Versorgungsberechtigungen zu begründen. Dies ergibt sich aus der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchst. a Satz 1, 2. Halbsatz zum Einigungsvertrag (EV) vom 31.08.1990 in Verbindung mit dem am 03.10.1990 zu (sekundärem) Bundesrecht gewordenen § 22 Abs.1 des Rentenangleichungsgesetzes der DDR vom 28.06.1990. Nach diesen Regelungen sind Neueinbeziehungen ab dem 01.07.1990 nicht mehr zulässig; folglich ist rückschauend auf die tatsächlichen Verhältnisse am 30.06.1990 abzustellen.
Bei Personen, die zu diesem Zeitpunkt nicht in ein Versorgungssystem einbezogen waren und die nachfolgend auch nicht durch originäres Bundesrecht einbezogen wurden (z. B. nach Art. 9 Abs. 2, 17, 19 EV; deren Voraussetzungen liegen hier nicht vor), ist allerdings im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG zu prüfen, ob sie aus der Sicht des am 01.08.1991 gültigen Bundesrechts nach den am 30.06.1990 gegebenen Umständen einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten.
Die Klägerin war am 01.08.1991 Inhaberin einer fingierten Versorgungsanwartschaft. Ein solcher fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Zusage ist nach der Rechtsprechung des BSG durch eine erweiternde verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG entwickelt worden, um Wertungswidersprüche innerhalb des Gesetzes zu vermeiden (vgl. z. B. BSG, Urt. v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R).
Im Bereich der sogenannten technischen Intelligenz hängt der Anspruch nach § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17.08.1950 (GBl. I Nr. 93 S. 844) und der zweiten Durchführungsbestimmung zur AVItech (2. DB) vom 24.05.1951 (GBl. Nr. 62 S. 487) von drei Voraussetzungen ab. Dieses Versorgungssystem war geschaffen worden für
– Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und
– die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar
– in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).
Die drei genannten Voraussetzungen müssen am Stichtag 30.06.1990 kumulativ vorgelegen haben (vgl. z. B. BSG Urt. v. 18.12.2003 – B 4 RA 20/02 R; zur Verfassungsmäßigkeit des Stichtags vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.10.2005 – 1 BvR 1921/04 u. a.).
Die Klägerin erfüllt alle diese Voraussetzungen.
1. Zur Überzeugung der Kammer hat die Klägerin zu der ausdrücklich in § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB aufgeführten Personengruppe der „Ingenieure“ gehört und damit die persönliche Voraussetzung erfüllt.
Abs. 1 des § 1 2. DB (Versorgungsberechtigte aus dem Kreis der technischen Intelligenz) bestimmte Folgendes: „Als Angehörige der technischen Intelligenz im Sinne des § 1 der Verordnung vom 17.08.1950 über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben gelten: Ingenieure, Konstrukteure, Architekten und Techniker aller Spezialgebiete, wie Ingenieure und Techniker des Bergbaus, der Metallurgie, des Maschinenbaus, der Elektrotechnik, der Feinmechanik und Optik, der Chemie, des Bauwesens und Statiker (S. 1).“
Unter „Ingenieur“ in diesem Sinne sind solche Personen zu verstehen, die ein Recht auf Führung des Titels „Ingenieur“ hatten. Ausreichend war nicht die bloße Ausübung von Ingenieurstätigkeiten (bzw. Technikertätigkeiten), sondern es kam auf den Titel des Ingenieurs (bzw. Technikers) an, was sich aus § 1 Abs. 1 S. 3 2. DB ergibt. Nach dieser Bestimmung konnten außerdem auf Antrag des Werkdirektors u. a. andere Spezialisten, die nicht den Titel eines Ingenieurs oder Technikers haben, aber durch ihre Arbeit bedeutenden Einfluss auf den Produktionsprozess ausüben, eingereiht werden. Dies verdeutlicht (im Umkehrschluss), dass unter „Ingenieur“ im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 VO-AVItech Personen zu verstehen waren, die den Titel eines Ingenieurs (oder Technikers) führen durften (vgl. BSG, Urt. v. 10.04.2002 – B 4 RA 18/01 R, Rn. 35).
Zur Beantwortung der Frage, was unter der Berufsbezeichnung Ingenieur nach dem staatlichen Sprachgebrauch der DDR bei Schließung der Versorgungssysteme zu verstehen ist, kann die Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung „Ingenieur“ vom 12.04.1962 (GBl II 278; IngVO-DDR) als faktisches Indiz herangezogen werden (vgl. z. B. BSG, Urt. v. 18.10.2007 – B 4 RS 17/07 R, Rn. 30).
Gemäß § 1 Abs. 1 IngVO-DDR waren zur Führung der Berufsbezeichnung „Ingenieur“ berechtigt:
a) (betrifft Dr.-Ing., Dr. Ing. habil);
b) in der Wortverbindung “Dipl.Ing.” Personen, die den Nachweis eines ordnungsgemäß abgelegten technischen Abschlussexamens an einer deutschen Hochschule oder Universität vor 1945 oder den Hochschulen bzw. Universitäten der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt erbringen können und denen das entsprechende Diplom verliehen wurde;
c) Personen, die den Nachweis eines abgeschlossenen technischen Studiums bzw. einer erfolgreich abgelegten Prüfung durch das Ingenieurzeugnis einer staatlich anerkannten deutschen Fachschule vor 1945 oder einer Fachschule der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt erbringen können;
d) Personen, denen die Berufsbezeichnung „Ingenieur“ aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen zuerkannt wurde.
Voraussetzung ist also nach alledem, dass neben einer qualifizierten Ausbildung das Recht zur Führung des Titels durch einen besonderen Staatsakt verliehen worden war (vgl. BSG, Urt. v. 10.04.2002 – B 4 RA 18/01 R, Rn. 36). Zu erbringen ist – betreffend § 1 Abs. 1 c) IngVO-DDR – der Nachweis sowohl eines abgeschlossenen technischen Studiums als auch einer erfolgreich abgelegten Prüfung durch ein Ingenieurzeugnis einer Fachschule (vgl. BSG, Urt. v. 16.03.2006 – B 4 RA 29/05 R, Rn. 28). Beides trifft auf die Klägerin zu.
Die Klägerin hat an der Ingenieurschule für wissenschaftlichen Gerätebau „C Z“ J in der Fachrichtung Biomedizinische Technik studiert und den Fachschulabschluss erworben. Laut Zeugnis vom 31.08.1985 war sie damit berechtigt, die Berufsbezeichnung Ingenieur für Biomedizinische Technik zu führen.
Nach § 3 Abs. 3 Anordnung vom 04.03.1988 (Gbl DDR 1979, Sonderdruck Nr. 1024,3) und § 4 Abs. 1 Anordnung vom 03.03.1976 (GBl DDR 1976, Sonderdruck Nr. 869,3) jeweils über die Erteilung und Führung von Berufsbezeichnungen der Hoch- und Fachschulausbildung konnten Inhaber einer Urkunde über einen Hochschulabschluss (Staatsexamen, Hauptprüfung, Diplom, Attestation, Zuerkennung u.a.) bzw. einen Fachschulabschluss eine ihrer Ausbildung entsprechende im Verzeichnis der Berufsbezeichnungen (für Absolventen der Universitäten, Hoch- und Fachschulen) genannte Berufsbezeichnung bzw. ihnen mit Zeugnis oder Urkunde erteilte Berufsbezeichnung führen. Nach dem von der Klägerin vorgelegten Zeugnis war sie berechtigt, die Berufsbezeichnung Ingenieur für Biomedizinische Technik zu führen. Weder im Verzeichnis der Berufsbezeichnungen für Absolventen der Universitäten, Hoch- und Fachschulen (Stand 15.08.1979) noch im Verzeichnis der erwerbbaren Berufsbezeichnungen und Ergänzungen zur Berufsbezeichnung von Absolventen der Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR (Stand 01.02.1988) findet sich unter Ziff. II – Berufsbezeichnungen der Fachschulausbildung weder unter 1. „Technische Wissenschaften“ noch unter 2. „Medizin/Gesundheitswesen“ die Berufsbezeichnung des Ingenieurs für Biomedizinische Technik. Insofern ist allein auf die mit Zeugnis vom 31.08.1985 erfolgte Erteilung der Berufsbezeichnung durch die Ingenieurschule abzustellen.
Bei dem von der Klägerin absolvierten Studium handelt es sich um ein technisches Studium im Sinne des § 1 Abs. 1 c) IngVO-DDR. Dies ergibt sich bereits aus dem Lehrinhalt, wie er aus der Stundentafel der Fachrichtung Biomedizinische Technik (Bl. 142 GA) hervorgeht. Neben den Grundfächern wie Deutsch, Sozialistische Betriebswirtschaft, Mathematik, Physik, Chemie und Informationsverarbeitung wurden von der Anzahl her die meisten Unterrichtseinheiten absolviert in Elektrotechnik (198), Biomedizinische Technik (198), Mechanik (162), Elektronik (158), Biomedizinische Gerätetechnik (144), Werkstofftechnik (126). Daneben kamen Fächer vor wie Mess- und Prüftechnik, Konstruktionsgrundlagen, Medizin- und Labortechnik, Automatisierungstechnik. In den technischen Fächern sowie in Physik und Chemie war ein Praktikum vorgesehen. Im Fach „Medizinische Grundlagen“ wurden 90 Unterrichtseinheiten im ersten Studienjahr absolviert und war kein Praktikum vorgesehen. Das Studium schloss mit einem halbjährlichen Ingenieurpraktikum im dritten Studienjahr ab.
Schon aus dieser Übersicht geht hervor, dass die technischen Studieninhalte den eindeutigen Schwerpunkt der Ausbildung bildeten. Aus dem medizinischen Bereich wurden lediglich Grundlagen vermittelt. Die Ingenieurschule für wissenschaftlichen Gerätebau war zudem dem Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik unterstellt, dem zentralen Anleitungs- und Kontrollorgan des Ministerrats der DDR zur Planung und Leitung der elektrotechnischen und elektronischen Industrie der DDR (vgl. Schreiben der E Hochschule J, Bl. 140 GA). Neben der Fachrichtung Biomedizinische Technik wurde in drei weiteren Studienfächern ausgebildet, der Technischen Optik, der Feinwerktechnik/Technologie und der Feinwerktechnik/Konstruktion. Die gesamte Fachschule war daher auf den technischen Bereich ausgerichtet.
Auch die von der Beklagten angeführten Umstände sind letztlich nicht geeignet, durchgreifende Zweifel am Vorliegen eines technischen Studiums und damit einer von der AVItech umfassten beruflichen Qualifikation zu begründen.
Die Fachrichtung Biomedizinische Technik ist zwar tatsächlich in der Nomenklatur der Hoch- und Fachschulausbildung Stand Juni 1986 des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesens, Sektor Statistik in den Bereich Medizin/Gesundheitspflege und nicht unter die Überschrift Technische Wissenschaften eingeordnet. Sie findet sich dort unter der FS-Nom.-Nr. 31 105 bzw. Schlüsselnummer zur Berufssystematik 08502 unter der Zwischenüberschrift Nr. 31 1 – Medizintechnik. Auch im Teil 3 der Informationen über Berufe, Ausbildungsschwerpunkte und Einsatzgebiete der Fachrichtungen an den Ingenieur- und Fachschulen der DDR im Direkt-, Fern-, Frauensonder- und Abendstudium, herausgegeben von Herbert Thur, wird die Biomedizinische Technik in der Fachrichtungsgruppe Medizintechnik behandelt neben den Fachrichtungen Augenoptik und Medizinische Fachpräparation. Diese Zuordnung zu dem Bereich Medizin/Gesundheitswesen erfolgte jedoch offenkundig nicht nach dem Inhalt der jeweiligen Ausbildungen bzw. der Ausrichtung des Studiums, sondern vielmehr nach dem generellen Einsatzbereich der Fachschulabsolventen. Jedenfalls dürften hier allein Zuordnungs- und Statistikzwecke Hintergrund der Einteilung sein, zumal es sich um eine „Anlage zur Broschüre – Ausgewählte Signierschlüssel für die Planung und Abrechnung im Hoch- und Fachschulwesen der DDR“ – handelte. Die Umstände der „Planung und Abrechnung“, die im Einzelnen für die Einordnung der Studiengänge zu den technischen Wissenschaften, Medizin/Gesundheitswesen, Agrarwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften etc. zum Tragen gekommen sind, erscheinen für die Kammer nicht entscheidend zur Qualifizierung einer Fachschulausbildung als „technisches Studium“ im Sinne der IngVO-DDR. Diese dürfte sich allein an dem Studieninhalt und dem speziellen Einsatzgebiet des Fachschülers bemessen.
Insofern spricht auch die Beschreibung in den „Informationen zu den Fachschulberufen Teil 3“ eher für als gegen eine Qualifizierung als technische Ausbildung. Vorausgesetzt war ein Beruf der elektrotechnisch-elektronischen oder der feinmechanisch-optischen Industrie. Hinsichtlich der Physiologie und Pathophysiologie wurden lediglich Grundkenntnisse vermittelt, die es dem Absolventen „ermöglichen, die Grundlagen der klinischen Funktionsdiagnostik zu verstehen und die Verbindung zu den ingenieurtechnischen Aufgaben zu ziehen“. Hauptaufgaben des Ingenieurs für Biomedizinische Technik seien „die Planung und Organisation einer rationellen Anwendung vorhandener Medizintechnik, die Überprüfung und Sicherung der Funktionsfähigkeit sowie der Betriebsbereitschaft medizinischer Geräte und die Gewährleistung des Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutzes beim Einsatz medizintechnischer Geräte“.
Auch das von der Beklagten wiederholt herangezogene Urteil des BSG (vom 18.10.2007 – B 4 RS 17/07 R) vermag eine andere Einschätzung nicht zu begründen. Abgesehen davon, dass diese Entscheidung zu einer Ausbildung aus dem Bereich Agrarwissenschaften ergangen ist und die Ausführungen speziell nur die dort umfassten Berufe betreffen, trägt sie die von der Beklagten angenommene Schlussfolgerung, dass allein die Absolvierung eines Studiums der technischen Wissenschaften zur Einbeziehung in die AVItech führen kann, gerade nicht. Bereits der Leitsatz lautet allgemein: „Die persönliche Voraussetzung des fiktiven Anspruchs auf Einbeziehung in die Altersversorgung der technischen Intelligenz erfüllen nur solche Ingenieure, denen der Titel aufgrund eines (ingenieur-)technischen Hoch- oder Fachschulstudiums zuerkannt worden ist.“ Das BSG stellt in den Gründen sodann – entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung – maßgeblich auf die Anforderungen des § 1 IngVO-DDR ab, die der dortige Kläger als Diplom-Landwirt nicht erfüllte (Rn. 31). Selbst der Titel des Diplom-Agraringenieurs wäre nicht dem von technischen Ingenieuren gleichzustellen. Hierzu verweist das BSG auf die Anlage zur Anordnung über die Erteilung und Führung von Berufsbezeichnungen der Hoch- und Fachschulbildung, speziell auf den Umstand, dass im Rahmen der Hochschulausbildung zwar die Absolventen von technisch-wissenschaftlichen Studiengängen die Berufsbezeichnung Diplom-Ingenieur führen durften, im Rahmen der agrarwissenschaftlich ausgerichteten Studienfächer jedoch nur die Absolventen der technisch-wissenschaftlich ausgerichteten Studiengänge, nämlich Mechanisierung der Landwirtschaft und Lebensmitteltechnologie. Somit zeigt es sogar auf, dass auch innerhalb der Agrarwissenschaften Fachrichtungen vorhanden waren, die einen technischen Schwerpunkt hatten, womit die Führung des Titels Diplom-Ingenieur gerechtfertigt war. Die Beklagte verweist insbesondere auf die zusammenfassenden Ausführungen des BSG in Rn. 36, wo es heißt: „Daraus wird ersichtlich, dass nach dem Sprachgebrauch der DDR der Titel eines Diplom-Ingenieurs nur solchen Hoch- und Fachschulabsolventen zuerkannt wurde, die eine technische Ausbildung absolviert hatten.“ Diese Formulierung ist jedoch zum einen unpräzise, da ein Diplom als niedrigster akademischer Grad stets ein abgeschlossenes Studium an einer Universität oder Hochschule voraussetzte (vgl. § 4 Verordnung über die akademischen Grade vom 06.11.1968, Gbl II Nr. 127, 1022), Fachschulabsolventen ihn demnach nicht erlangen konnten. Zum anderen wird auch hier wiederum nur auf eine absolvierte „technische Ausbildung“, nicht jedoch eine Ausbildung ausschließlich in einem Bereich der „Technischen Wissenschaften“ abgestellt. Dass eine solche technische Ausbildung auch im Rahmen einer anderen Wissenschaftsgruppe vorkommen kann, hier explizit der Agrarwissenschaften, wird damit gerade nicht ausgeschlossen. Dies ist aus Sicht der Kammer genauso auf den Bereich der Fachschulausbildung zu übertragen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.07.2016 – L 2 R 1025/15 Rn. 44), so dass (allein) die Einordnung der Biomedizinischen Technik unter den Bereich Medizin/Gesundheitswesen nicht ausschließt, dass eine technische Ausbildung im Sinne der IngVO-DDR vorliegt.
Auch der Umstand, dass der Klägerin vom Kreisarzt des Rates der Stadt J am 19.07.1985 die Staatliche Erlaubnis zur Ausübung ihres Berufs auf der Grundlage der AusübungsAO erteilt wurde, spricht nicht gegen die Berechtigung einer Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz. Die Kammer schließt sich insofern den Ausführungen der Klägerseite an, wonach mit dem Erfordernis einer solchen Erlaubnis keinerlei Einordnung oder Bewertung der Ausbildung bzw. Qualifikation an sich verbunden war. Zwar werden die unter § 5 AusübungsAO aufgezählten Berufe in § 2 als „medizinische, pharmazeutische oder soziale Fachschul- oder Facharbeiterberufe“ bezeichnet. Dies erfolgt jedoch lediglich im Rahmen einer zusammenfassenden Benennung, nicht mit dem Ziel einer bestimmten Kategorisierung. Bereits aus der Präambel geht der Hintergrund der Anordnung, nämlich Regelungen allein für die Ausübung der Berufe zu treffen, hervor. Danach stellt die „Erfüllung der Aufgaben in der medizinischen und sozialen Betreuung“ „hohe Anforderungen an die fachliche Qualifikation und das moralisch-ethische Verhalten“. „Die im Gesundheits- und Sozialwesen tätigen Fachschulkader und Facharbeiter leisten eine verantwortungsvolle Arbeit, die im besonderen Maße Zuverlässigkeit, Sorgfalt, Hilfsbereitschaft und Einsatzfreude erfordert.“ Daher sei für die Ausübung der erfassten Berufe eine staatliche Erlaubnis erforderlich. Zurückzunehmen oder zu versagen war die Erlaubnis nach §§ 10, 14 AusübungsAO etwa, wenn die staatsbürgerlichen Rechte aberkannt wurden oder sich aus einem rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergab, dass die erforderliche Eignung und Zuverlässigkeit fehlt. Schließlich lässt sich den Regelungen der AusübungsAO, die vom Minister des Gesundheitswesens erlassen wurde, kein irgendwie gearteter versorgungsrechtlicher Bezug zuschreiben.
2. Die Klägerin erfüllt darüber hinaus auch die sachliche Voraussetzung für die fiktive Einbeziehung in die AVItech.
Für die Prüfung der sachlichen Voraussetzung ist von der erworbenen Berufsbezeichnung im Sinne der 2. DB auszugehen und zu ermitteln, welches Berufsbild dieser unter Berücksichtigung der Ausbildung und der im späteren Ausbildungsberuf typischerweise gewonnenen Erfahrungen zu Grunde liegt. Im Anschluss hieran ist festzustellen, welche Tätigkeit der Versicherte konkret ausgeübt hat und zu fragen, ob diese im Schwerpunkt dem der Berufsbezeichnung zu Grunde liegenden Berufsbild entspricht. Dies ist zu bejahen, wenn die ausgeübte Tätigkeit überwiegend durch die in der Ausbildung zu einem Beruf im Sinne des § 1 Abs. 1 der 2. DB gewonnenen Kenntnisse und Fertigkeiten und die im Ausbildungsberuf typischerweise gewonnenen Erfahrungen geprägt ist (vgl. BSG, Urt. v. 09.10.2012 – B 5 RS 9/11 R, Rn. 20, Urt. v. 09.05.2012 – B 5 RS 7/11 R, Rn. 25).
Am Stichtag 30.06.1990 war die Klägerin als Mitarbeiterin Forschung/Entwicklung beschäftigt, wobei es unerheblich ist, dass sie ihre Arbeitsaufgaben wegen Elternzeit zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nicht ausübte. Im Rahmen dieser Beschäftigung war sie mit der Entwicklung und dem Aufbau einer auf die besonderen Bedürfnisse der Kondensatorenherstellung angepassten Bedampfungsanlage befasst. Sowohl aus ihren eigenen Beschreibungen als auch den damit übereinstimmenden Angaben der Zeugen R und M geht anschaulich hervor, dass es sich um eine überwiegend und unmittelbar technisch ausgerichtete Tätigkeit gehandelt hat. Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass die im Arbeitsvertrag vom 17.06.1985 aufgeführten auch administrativen Aufgaben (Vertragsbearbeitung, Koordinierung der Kooperationsaufgaben) allenfalls in untergeordnetem Umfang vorkamen. Die Klägerin gab an, dass die Vertragsbearbeitung in dem Sinne nicht Gegenstand ihrer Arbeit gewesen sei. Eine Kooperation hatte tatsächlich mit dem Institut von A in D bestanden, von wo die Abteilung ERA 2 des VEB Elektronik G die grundsätzlichen Kenntnisse bzw. Pläne für den Aufbau der eigenen Bedampfungsanlage übernehmen konnte. Die Zeugen bekundeten spontan und detailliert, dass die Klägerin genauso wie alle Mitarbeiter mit der Bearbeitung technischer Aufgaben betraut war und diese aufgrund ihrer Ausbildung auch in vollem Umfang ausführen konnte. Dass die Klägerin eine Ausbildung im medizintechnischen Bereich hatte, war den Zeugen gar nicht bewusst. Dies habe sich jedoch auch in keiner Weise hinsichtlich ihrer Qualifikation für die anstehenden ingenieurtechnischen Entwicklungs-, Fertigungs-, Prüfaufgaben etc. ausgewirkt.
Auch wenn die Klägerin damit nicht im medizintechnischen Bereich im engeren Sinne gearbeitet hat, entsprachen ihre Aufgaben doch im Schwerpunkt dem der Berufsbezeichnung zu Grunde liegenden Berufsbild. Ein Einsatz der Absolventen der Biomedizinischen Technik war selbst nach der „Information zu den Fachschulberufen“ neben den Einrichtungen des Gesundheitswesens auch in wissenschaftlichen Einrichtungen, in Forschung und Entwicklung und der medizintechnischen Industrie vorgesehen. Zudem hatte hier die Befassung mit der Sputtertechnik gerade einen konkreten Bezug zur Medizintechnik dadurch, dass sie bislang für die Bedampfung von Implantaten eingesetzt worden war und nunmehr auf die Kondensatorenproduktion angepasst werden musste.
In der Gesamtschau ist nachgewiesen, dass die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit überwiegend durch die in der Fachschulausbildung gewonnenen Kenntnisse und Fertigkeiten geprägt war. Es kann nicht von einem berufsfremden Einsatz ausgegangen werden.
3. Schließlich ist die Kammer auch davon überzeugt, dass die Klägerin zum maßgeblichen Stichtag 30.06.1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie beschäftigt war (siehe unten b.). Einen für „Aufspaltungskonstellationen“ wie vorliegend modifizierten oder erweiterten Prüfmaßstab für das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzung sieht die Kammer nicht (siehe a.)
Ob die betriebliche Voraussetzung im Sinne der VO-AVItech i. V. m. der 2. DB erfüllt ist, bestimmt sich danach, wer Arbeitgeber im rechtlichen Sinn war, wobei auf die tatsächlichen Gegebenheiten abzustellen ist (vgl. BSG, Urt. v. 18.12.2003 – B 4 RA 20/03 R). Es muss daher ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 1 Nr. 1 SGB VI in Verbindung mit § 7 Abs. 1 SGB IV bestanden haben, also im Regelfall ein Arbeitsverhältnis im arbeitsrechtlichen Sinn (vgl. BSG, Urt. v. 09.10.2012 – B 5 RS 9/11 R, Rn. 23).
a. In der Entscheidung des BSG vom 07.12.2017 (B 5 RS 1/16 R), in welcher ebenso wie hier der VEB Elektronik G. bzw. Nachfolgebetrieb als Beschäftigungsbetrieb zu beurteilen war, hat das BSG festgestellt, dass für den Stichtag 30.06.1990 sowohl die E-GmbH mit Sitz in G als auch der zu diesem Zeitpunkt noch fortbestehende VEB Elektronik G als Arbeitgeber in Betracht kommen. Bei der ursprünglich rechtswidrigen – weil von der vorliegend allein in Betracht kommenden UmwVO vom 01.03.1990 nicht vorgesehenen (vgl. BGH, Urt. v. 27.05.1999 – VII ZR 245/97) – Spaltung ein und derselben Wirtschaftseinheit in mehrere Kapitalgesellschaften ergab sich zum Stichtag das Bestehen mehrerer Rechtssubjekte. Mit der Eintragung der E-GmbH in das Register zum 27.06.1990 wurde der Entstehungsmangel nach § 75 GmbHG geheilt. Zugleich hat der VEB Elektronik G mangels Erfüllung der Voraussetzungen von § 7 UmwVO, der von der Umwandlung in eine einzige juristische Person und dem vollständigen Übergang auf diese als Rechtsnachfolger ausgeht, über diesen Zeitpunkt hinaus auch am 30.06.1990 noch fortbestanden. Die Koexistenz einer durch Eintragung wirksam gewordenen abgespaltenen Kapitalgesellschaft und eines mangels Erfüllung der Beendigungsvoraussetzungen noch fortbestehenden VEB steht auch in keinem erkennbaren Widerspruch zu einem gesellschaftsrechtlichen „Grundsatz der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit“ (BSG, a. a. O, Rn. 14).
Allein durch die Umwandlung des VEB Elektronik G in die E-GmbH und die B-GmbH ist es nicht zu einem Arbeitgeberwechsel bei der Klägerin gekommen. Ein Übergang der Arbeitgebereigenschaft auf die E.-GmbH ist weder im Wege einer nach § 12 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Spaltung der von der Treuhand verwalteten Unternehmen (SpTrUG) vom 05.04.1991 (BGBl I 854) geheilten Einzelübertragung noch aufgrund einer Universalsukzession nach § 7 S. 2 UmwVO erfolgt (BSG, a. a. O., Rn. 17ff, 27). Dem hat sich neben dem Bayerischen LSG (vgl. Urt. v. 12.12.2018 – L 1 RS 3/13, Rn. 95, 99) auch das Thüringer LSG in seiner Entscheidung vom 07.08.2019 (L 3 R 242/17, unveröffentlicht) angeschlossen und seine frühere Rechtsprechung zu dieser Problematik aufgegeben.
Das BSG hat in der Entscheidung vom 07.12.2016 (vgl. Rn. 28) bei Zurückverweisung an die Vorinstanz (das Bayerische LSG) darauf hingewiesen, dass für die Zuordnung des Arbeitsverhältnisses entscheidend sei, ob das Arbeitsverhältnis des dortigen Klägers beim VEB Elektronik G am 30.06.1990 nach dem zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Arbeitsrecht der DDR aufgelöst war. Es seien die in der früheren Entscheidung vom 09.10.2012 – B 5 RS 9/11 R – näher ausgeführten Beendigungstatbestände zu prüfen. Für die Annahme der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und dem VEB Elektronik G genüge jedoch nicht der bloße Hinweis auf die Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses.
Die Kammer sieht im Gegensatz zur Beklagten in diesen Ausführungen des BSG keine Erweiterung des Prüfungsmaßstabes für das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzung um ein negatives Tatbestandsmerkmal in der speziellen „Aufspaltungskonstellation“.
Allein aus der vom BSG genutzten Wendung „entscheidend ist folglich, ob das Arbeitsverhältnis (…) aufgelöst war“, lässt sich eine solche Schlussfolgerung nicht ableiten. Diese Wortwahl muss in dem Kontext gesehen werden, dass die Vorinstanz eine fortbestehende Arbeitgebereigenschaft des VEB Elektronik G aus den nunmehr vom BSG nicht für tragfähig erachteten Gründen verneint hatte. Das Bayerische LSG hätte trotzdem zu demselben Ergebnis kommen können, sofern die Arbeitgebereigenschaft des VEB aus anderen Gründen bereits vor dem 30.06.1990 entfallen wäre, namentlich aufgrund von individual-arbeitsrechtlichen Vereinbarungen. Da es hierzu noch keine Aussagen getroffen hatte, ist ihm aufgegeben worden, entsprechende Feststellungen nachzuholen.
Auch in dem Fall, dass wie hier der VEB als möglicher Arbeitgeber neben einer wirksam errichteten Nachfolge-GmbH weiter fortbestand, bleibt es dabei, dass zum Stichtag sowohl die persönliche, sachliche und auch betriebliche Voraussetzung erfüllt sein müssen, d. h. bezogen auf die betriebliche Voraussetzung die Beschäftigung des Anspruchstellers in einem volkseigenen Betrieb zum Stichtag 30.06.1990 feststehen muss. Dies muss im Sinne eines Vollbeweises nachgewiesen sein.
Der Vollbeweis erfordert eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 27. 06.2006 – B 2 U 20/04 R), die dann erreicht ist, wenn die Tatsache in so hohem Maß wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 128 Rn. 3b; Thüringer LSG, Urt. v. 01.10.2015 – L 6 R 91/15, Rn. 23). Das Gericht muss von der zu beweisenden Tatsache mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen können. Es darf dabei kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalls begründeter Zweifel mehr bestehen.
Kann die maßgebliche Tatsache trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht im erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen werden, so geht dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte (vgl. BSG, Urt. v. 24.11.2010 – B 11 AL 35/09 R, Rn. 20). Für das Vorliegen der Voraussetzungen der fiktiven Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz trägt daher – unabhängig von einer Aufspaltungskonstellation – stets die Klägerin die Darlegungs- sowie die objektive Beweislast.
Die Regeln der objektiven Beweislast greifen jedoch erst und nur dann, wenn das Gericht im Rahmen der Amtsermittlung alle Ermittlungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung aller speziellen Umstände des Einzelfalles ausgeschöpft hat und eine bestimmte Tatsache nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen kann (vgl. Keller, a. a. O., § 103 Rn. 19f). Eine solche Situation ist vorliegend nicht eingetreten, da sich das Gericht vom Vorliegen der betrieblichen Voraussetzung überzeugen konnte.
Gegen die Annahme, das BSG habe in seiner Entscheidung vom 07.12.2017 eine Erweiterung des Beweismaßstabs vorgenommen, spricht zudem der ausdrückliche Verweis auf die bereits in der Entscheidung vom 09.10.2012 – B 5 RS 9/11 R – benannten, zu prüfenden Beendigungstatbestände. Der dort behandelte Sachverhalt betraf keine Aufspaltungskonstellation. Der dortige Kläger war zum 01.06.1990 in eine Position bei einer Nachfolge-GmbH berufen worden, die erst nach dem 30.06.1990 ins Register eingetragen wurde. Das LSG Sachsen-Anhalt hatte „bezweifelt“, dass der Kläger auch noch am Stichtag für den VEB tätig gewesen sei. Insoweit stellte das BSG klar: „Um diese Aussage zu untermauern, hätte sich das LSG jedoch davon überzeugen müssen, dass, wie und ggf. zu welchem Zeitpunkt das seit dem 01.01.1975 bestehende Beschäftigungsverhältnis mit dem VEB aufgelöst worden ist, also entweder das Erlöschen des VEB (z. B. durch Betriebsumwandlung in ein Nachfolgeunternehmen) oder das Eingreifen eines arbeitsrechtlichen Beendigungstatbestandes feststellen müssen“ (BSG, a. a. O., Rn. 24). Dafür genüge es allerdings nicht bereits, auf die Aufnahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses (mit der M. GmbH) hinzuweisen, weil ein altes Beschäftigungsverhältnis nicht automatisch (eo ipso) durch Aufnahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses beendet werden konnte.
In keiner Weise ist ersichtlich, dass und ggf. in welcher Art und Weise das BSG mit dieser Entscheidung die anspruchsbegründenden, nachzuweisenden Umstände zur Feststellung der betrieblichen Voraussetzung in derartigen Fallgestaltungen mit mehreren in Betracht kommenden Arbeitgebern ändern oder erweitern würde. Vielmehr zeigt dieser Fall auf, dass durchaus verschiedenste Konstellationen denkbar sind, in denen zwar nicht durch wirksame Betriebsumwandlung (weil Eintragung der Nachfolgegesellschaft erst nach dem 30.06.1990 erfolgte), jedoch durch individualvertragliche Umstände eine Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses mit dem VEB als ursprünglichen Beschäftigungsbetrieb in Betracht kommt (ebenso auch im Fall des BSG, Urt. v. 29.07.2004 – B 4 RA 4/04 R). Nach Ansicht der Kammer ist in sämtlichen Fällen, in denen für volkseigene Betriebe vor dem Stichtag Umwandlungserklärungen abgegeben worden sind, die Möglichkeit einer individuellen Vertragsbeendigung mit dem VEB bzw. Überleitung zur Nachfolgegesellschaft zu bedenken. Bei Fehlen jeglicher Anhaltspunkte hat dies jedoch auch bisher die Beklagte nicht zum Anlass genommen, weitere Nachweise zum Fehlen von Beendigungstatbeständen einzufordern. Sofern keinerlei gegenteilige Anhaltspunkte ersichtlich sind, bestehen grundsätzlich am Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses mit dem jeweiligen fortexistierenden VEB keine Zweifel. Insoweit ist der Kammer nicht erklärlich, inwieweit die Beklagte eine Besonderheit für die Prüfungsanforderungen daraus herleitet, dass die Nachfolge-GmbH hier bereits vor dem Stichtag in das beim Staatlichen Vertragsgericht geführte Register eingetragen und damit wirksam errichtet worden ist. Allein der Fakt des tatsächlichen (also nicht nur angenommenen) Bestehens zweier Rechtssubjekte (hier ab dem Zeitpunkt der Eintragung am 27.06.1990), die als Arbeitgeber in Betracht kommen, sagt nichts über eine individuell arbeitsrechtlich bewirkte Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses beim VEB aus.
Eine negative Tatbestandsvoraussetzung wird durch das Erfordernis einer „Nichtbeendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem VEB“ auch schon deshalb nicht begründet, weil es sich dabei lediglich um die negative Fassung der gleichbedeutenden positiven Wendung für die betriebliche Voraussetzung „bei einem volkseigenen Produktions- oder gleichgestellten Betrieb beschäftigt“ handelt. Durch den Ausschluss von Beendigungstatbeständen vor dem 30.06.1990 wird die positive Form lediglich erläutert und nicht ersetzt (insoweit entsprechend die Verneinung einer negativen Tatbestandsvoraussetzung für die sachliche Voraussetzung: BSG, Urt. v. 09.05.2012 – B 5 RS 7/11 R, Rn. 26).
Davon abgesehen erschließt sich der Kammer nicht, wie ein nicht eingetretener Umstand mit Nachweisen belegt werden könnte. Die Beklagte macht geltend, die Kläger hätten nachzuweisen, dass es keine das Arbeitsrechtsverhältnis beendenden Aktionen gegeben habe, die Nichtbeendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem VEB Elektronik G sei zu belegen. In welcher Art und Weise dies gelingen könnte, teilt die Beklagte nicht mit. Tatsächlich kann sich ein Nachweis jeweils nur auf wahrnehmbare Umstände, tatsächliche Gegebenheiten beziehen. Aus Geschehnissen und Fakten und aus der Betrachtung der Gesamtumstände kann sodann ggf. auf das Nichtvorliegen entgegenstehender Umstände (nur) geschlossen werden.
Für die vorliegende Konstellation, dass die Tatsache eines bestehenden Dauerschuldverhältnisses festzustellen ist, muss nach Auffassung der Kammer allein dessen Begründung nachgewiesen werden und das Fortbestehen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt qualifiziert behauptet werden. Nur bei – von der Beklagten vorgebrachten oder sonstig erkennbaren – Anhaltspunkten für eine Auflösung oder Änderung des Dauerschuldverhältnisses ergibt sich für den Antragsteller die Pflicht, diejenigen Umstände, die Anlass zu Zweifeln geben, durch positive Nachweise zu widerlegen.
b. Die Kammer ist hier nach persönlicher Anhörung der Klägerin und unter Würdigung der Gesamtumstände des Falles bzw. der Ermittlungen in den Parallelverfahren zur Überzeugung gelangt, dass zum 30.06.1990 ein Arbeitsrechtsverhältnis zwischen Klägerin und dem fortexistierenden VEB Elektronik G tatsächlich bestand. Es ist – hiervon hat sich die Kammer mit der notwendigen Gewissheit ohne vernünftige Zweifel überzeugen können – bis zum 30.06.1990 nicht nach dem maßgeblichen (Individual-)Arbeitsrecht der DDR aufgelöst worden.
aa. Die Klägerin war seit September 1985 im VEB Elektronik G als Mitarbeiterin Forschung und Entwicklung beschäftigt. Der ursprüngliche Arbeitsvertrag liegt vor, Änderungsverträge hat es in der relativ kurzen Beschäftigungszeit, die zudem von zwei Elternzeiten unterbrochen war, nicht gegeben. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist weder durch fristgemäße noch fristlose Kündigung (§§ 54, 56 AGB-DDR), noch durch Aufhebungsvertrag (§ 51 AGB-DDR) oder Überleitungsvertrag §§ 51, 53 AGB-DDR) oder auf sonstige Weise erfolgt. Da eine Berufung der Klägerin in das Arbeitsverhältnis nicht erfolgt war, kommt eine Abberufung nicht in Betracht, zumal auch eine solche der Schriftform und exakten Angabe der Gründe bedurfte (§ 62 Abs. 2 AGB-DDR).
Die Klägerin hat nachvollziehbar und glaubhaft bekundet, dass ihr Arbeitsvertrag mit dem VEB Elektronik G nicht beendet worden sei, es keine Kündigung oder Auflösung gegeben habe. Von Januar 1990 an war sie in Elternzeit, ab Januar 1991 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses war sie in Kurzarbeit 0. An ihrer Arbeitsaufgabe und Arbeitsort habe sich im Laufe der Zeit nichts geändert. Während der Elternzeit habe sie keine konkreten Auswirkungen der Umwandlung des VEB Elektronik G zur E-GmbH wahrgenommen.
Weder aus dem Akteninhalt noch aus den Gesamtumständen ergeben sich für die Kammer Anhaltpunkte dafür, dass seitens der Klägerin oder einer insoweit für den Betrieb legitimierten Person Willenserklärungen abgegeben worden sind, die auf eine Auflösung des bisherigen Arbeitsvertrages oder auf den Abschluss eine Überleitungsvertrages gerichtet waren.
Ein Aufhebungsvertrag kam durch gegenseitige Willensübereinstimmung über den Tag der Auflösung zustande (vgl. vgl. Kunz/Thiel, Arbeitsrecht, Lehrbuch, 3. Aufl. 1986, S. 137). Weder für ein durch den Betrieb erklärtes Angebot, d. h. den Vorschlag zum Abschluss eines konkreten (Aufhebungs-)Vertrags mit der Klägerin, noch für eine Annahme durch diese gibt es irgendwelche Anhaltspunkte. Allein das Bewusstsein der Beteiligten, dass mit der Gründung der GmbH die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten auf diese übergehen werden, ersetzt nicht konkrete auf das einzelne Arbeitsverhältnis bezogene Willenserklärungen. Vielmehr spricht es dafür, dass solche Erklärungen von den Beteiligten für die Fortführung der Arbeitsverhältnisse in der GmbH gar nicht für erforderlich gehalten wurden. Insofern vermag die Kammer der Argumentation der Beklagten nicht zu folgen, dass schon die offenkundigen Umwandlungsbestrebungen den Schluss nahelegen, dass das Arbeitsverhältnis mit dem VEB Elektronik G keinen Fortbestand mehr haben sollte. Wenn die Beteiligten von einem Eingreifen der Vorschriften der UmwVO ausgegangen waren, worin die Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit dem VEB im Wege der Universalsukzession vorgesehen war, so hatte es aus ihrer Sicht doch gerade keiner individualvertraglichen Regelungen bedurft.
Die Kammer sieht letzteres durch das Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen bestätigt.
Aus den Angaben des im Verfahren S 18 R 222/20 als Zeugen vernommenen ehemaligen Direktors Ökonomie des VEB Elektronik G, dessen Aussage hier im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden kann (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 117 Rn. 5), ergibt sich in Zusammenschau mit dem Inhalt der vom Thüringer Staatsarchiv beigezogenen Archivakten für das erste Halbjahr 1990 das Bild einer großen Unsicherheit bei Betriebsleitung und Belegschaft hinsichtlich der Zukunft des Betriebs und der gesellschafts- sowie sozialrechtlichen Zusammenhänge. Es bestanden keine geordneten Verhältnisse. Trotz teilweise erkennbarer Schwierigkeiten des Herrn B, die zeitliche Zuordnung einzelner Abläufe und rechtlicher Hintergründe noch konkret vorzunehmen, gab er jedoch – für die Kammer glaubhaft – wiederholt an, dass durch den VEB Elektronik G jedenfalls bis zum 30.06.1990 keine Kündigungen von Mitarbeitern erfolgt sind. Zwar geht aus seinen Angaben auch hervor, dass von vornherein eine Perspektive zur Erhaltung der Arbeitsplätze nur für ca. 1.200 Beschäftigte gesehen wurde. Der Aussage ist jedoch weder zu entnehmen, dass mit der (seiner Aussage nach im Mai 1990 eingeleiteten) Umwandlung des Betriebes regelhaft Auflösungen von Arbeitsverträgen einhergegangen wären, noch dass wegen der Gründung der GmbH neue Arbeitsverträge mit den Mitarbeitern geschlossen worden wären. Für den Einzelnen habe es keine veränderten Arbeitsverträge gegeben. Kündigungen seien erst nach dem 01.07.1990 in Abstimmung mit den Gewerkschaften und unter Anwendung von Betriebsvereinbarungen erfolgt. Vielmehr sei durch Anweisung der „Gesellschafterversammlung“ das Ende des VEB zum 30.06.1990 festgelegt und damit ein Schlussstrich gezogen worden. Dem sei man durch die Eintragungen in den SV-Ausweisen nachgekommen, zumal auch eine Schlussbilanz zum 30.06.1990 aufgestellt worden sei.
Die Angaben des Herrn B zu den nicht vorgenommenen Kündigungen sind für die Kammer schlüssig und nachvollziehbar, insbesondere auch unter Beachtung der Regelungen des AGB-DDR und verschiedener in den Archivakten enthaltener Dokumente.
Das Arbeitsrecht der DDR war geprägt von der Verantwortung der Betriebe für die Sicherung des Rechts auf Arbeit. Für Auflösungen von Arbeitsverträgen war der Aufhebungsvertrag zur bestimmenden Form geworden (vgl. Kirschner/Michas, Abschluss, Änderung und Auflösung des Arbeitsvertrags, Schriftenreihe zum Arbeitsgesetzbuch der DDR, 2. Aufl. 1981, S. 64). War die Auflösung eines Arbeitsvertrags erforderlich, sollte sie durch Vereinbarung zwischen dem Werktätigen und dem Betrieb (Aufhebungsvertrag) oder durch Vereinbarung zur Überleitung des Werktätigen in einen anderen Betrieb zwischen dem bisherigen Betrieb, dem Werktätigen und dem übernehmenden Betrieb (Überleitungsvertrag) erfolgen. Bei Auflösung des Arbeitsvertrags auf Initiative des Betriebs war dieser nach § 51 Abs. 2 AGB-DDR verpflichtet, dem Werktätigen einen Änderungsvertrag über die Aufnahme einer zumutbaren anderen Arbeit oder, soweit dies nicht möglich war, einen Überleitungsvertrag anzubieten (vgl. Kirschner/Michas, a. a. O., S. 67). Für den Überleitungsvertrag nach § 53 AGB-DDR galten die allgemeinen Bedingungen für den Abschluss eines Arbeitsvertrags (§§ 40 bis 45 AGB-DDR). Auch dieser kam durch die übereinstimmenden Willenserklärungen der drei Vertragspartner über den Inhalt des Vertrags zustande. Es bedurfte vor Abschluss einer intensiven Vorbereitung, insbesondere einer Aussprache der beteiligten Partner. Wurde der Überleitungsvertrag im Zusammenhang mit Rationalisierungsmaßnahmen oder Strukturveränderungen erforderlich, hatte der bisherige Betrieb zu gewährleisten, dass dieser rechtzeitig, mindestens drei Monate vor Beginn der neuen Tätigkeit, abgeschlossen wird (vgl. § 53 Abs. 2, 3 AGB-DDR).
Die Orientierung des AGB-DDR ging dahin, Kündigungen durch den Betrieb zum seltenen Ausnahmefall werden zu lassen (vgl. Kirschner/Michas, a. a. O., S. 76, 80: „Tatsache ist, dass die Schutzbestimmungen besonders im Zusammenhang mit Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen so umfassend sind, dass es nicht zu Kündigungen aus diesem Grund kommen kann.“). Die allgemeinen Kündigungsvoraussetzungen gemäß § 54 Abs. 2 AGB-DDR besagten, dass die fristgemäße Kündigung durch den Betrieb erst möglich war, wenn der Betrieb nachweislich versucht hat, den Werktätigen mit der Übertragung anderer zumutbarer Arbeit weiter zu beschäftigen, oder, falls das nicht möglich ist, ihm einen Überleitungsvertrag anzubieten und der Werktätige dieses Angebot abgelehnt hat (vgl. Kunz/Thiel, Arbeitsrecht, Lehrbuch, 3. Aufl. 1986, S. 142). Nach § 54 Abs. 4 AGB-DDR bedurfte die Kündigung der Schriftform. Gemäß § 57 Abs. 1 AGB-DDR bedurfte jede fristgemäße und fristlose Kündigung der vorherigen Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung.
Dass auch in der Umbruchphase Anfang 1990 die arbeitsrechtlichen Vorschriften durchaus als verbindlich angesehen wurden, zeigt sich z. B. aus der Anweisung des Betriebsdirektors F vom 14.03.1990, überschrieben mit „Arbeitsrechtsinformation zur Vorbereitung von Kadergesprächen im Zusammenhang mit den Strukturveränderungen per 1.4.1990“. Dort wies der Betriebsdirektor auf die Notwendigkeit hin, mit allen Werktätigen des VEB Elektronik G, für die Strukturveränderungen wirksam werden, aktenkundige Gespräche unter Einbeziehung der zuständigen Gewerkschaftsleitung zu führen. Zur „Vorbereitung des Arbeitsänderungsvertrages ist § 49, speziell Abs. 2 AGB [betrifft den Abschluss mindestens drei Monate vor Beginn der neuen Tätigkeit] zu berücksichtigen.“ Sei eine Auflösung des Arbeitsvertrages auf Initiative des Betriebes erforderlich, sei die Einhaltung des § 51 AGB zu gewährleisten. Im Übrigen wurde auf die Vorschriften der §§ 121, 54ff AGB sowie die Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld hingewiesen.
In der Anweisung des Betriebsdirektors F vom 26.03.1990 heißt es: „Alle arbeitsvertraglichen Veränderungen zur Person sowie die Vorbereitung anderer notwendiger Festlegungen orientieren auf den 01.07.1990.“
All dies spricht aus Sicht der Kammer gegen die Annahme, dass es bereits bis 30.06.1990 irgendwelche konkreten Aktivitäten zur Beendigung oder „aktiven“ Überleitung der mit dem VEB Elektronik G bestehenden Arbeitsverhältnisse gegeben hat. Hierzu finden sich in den beigezogenen Archivunterlagen auch keinerlei Hinweise, wobei doch zumindest bei in größerem Maßstab eingeleiteten Personalgesprächen, avisierten Änderungsverträgen oder zur Notwendigkeit von Überleitungen (sei es auch nur auf die spätere Nachfolgegesellschaft) oder ähnlichen Aktivitäten jedenfalls Vermerke oder zumindest Unterlagen der Gewerkschaftsleitung zu erwarten gewesen wären. Auch in keinem der zahlreichen weiteren bei der Kammer anhängigen Fälle zur Problematik des VEB Elektronik G finden sich Anhaltspunkte für eine Vorbereitung oder Durchführung von Überleitungs- oder Aufhebungsverträgen im Zusammenhang mit der Umwandlung des Betriebs in eine GmbH, weder in den Angaben der betroffenen Kläger, noch in den vorgelegten Unterlagen.
An mehreren Stellen der historischen Unterlagen ist jedenfalls erwähnt, dass es Entlassungen im ersten Halbjahr 1990 trotz erheblichem Arbeitskräfteüberhangs nicht gegeben hatte. Im „Auskunftsbericht zur Geschäftslage Elektronik G anlässlich Umwandlung durch Treuhandgesellschaft“ vom 30.05.1990 werden auf S. 4 die erforderlichen Entscheidungen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens ab 01.07.1990 aufgezählt. Dort heißt es: „Zur Zeit noch keine Kündigungen ausgesprochen“. Für „2.768 freigesetzte Arbeitskräfte“ musste die „Übernahme der Lohnfortzahlung“ bzw. für „ca. 2.100 Werktätige die Übernahme der Umschulungskosten“ gesichert werden. Im „Bericht über den Stand des Unternehmens E-GmbH in G“ vom 28.08.1990 heißt es auf S. 4 unter der Überschrift Sozialpolitik: „Demzufolge bisher als wichtigstes Ergebnis „keine Entlassungen““.
Im Sanierungskonzept der E-GmbH vom 28.08.1990 ist unter „III. Mitarbeiterkonzept“ die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen vom 01.01.1990 bis 01.08.1990 dargestellt. Hier ist von einer Reduzierung durch Ausgliederungen, Reprivatisierung, natürliche Fluktuation und Vermittlung von Arbeitsstellen die Rede. Hinweise auf Kündigungen gibt es nicht. Vielmehr wird die große Zahl der in Kurzarbeit befindlichen Mitarbeiter deutlich (864 Kurzarbeiter mit X-Stunden, 1.600 Kurzarbeiter mit 0 Stunden).
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Kammer an keiner Stelle, weder in den schriftlichen Unterlagen aus dem Jahr 1990, noch aus der Zeugenaussage des damaligen Direktors Ökonomie, noch aus den zwischenzeitlich in zahlreichen weiteren Fällen von betroffenen Ingenieuren abgegebenen Erklärungen irgendwelche Hinweise oder Anhaltspunkte dafür sieht, dass die Umwandlung des VEB Elektronik G in die E-GmbH als ein Umstand behandelt oder auch nur wahrgenommen worden wäre, der unmittelbar arbeitsrechtliche Handlungsschritte auslösen würde. Dass es im Zuge der Privatisierung des Betriebs zu einem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die GmbH kommen würde, war den Mitarbeitern bewusst, wobei dies sicherlich bei jedem einzelnen in unterschiedlicher Deutlichkeit und mit verschiedenem Hintergrundwissen der Fall war. Dies ändert aber nichts daran, dass selbst die Kenntnis von der (geplanten) Übernahme der Arbeitsverhältnisse des VEB Elektronik G durch die E-GmbH nicht schon per se Rechtswirkungen für bestehende oder entstehende Arbeitsverträge hatte (vgl. Thüringer LSG, Urt. v. 07.08.2019 – L 3 R 242/17).
bb. Die Eintragungen im SV-Ausweis der Klägerin sind zur Überzeugung der Kammer nicht geeignet, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem VEB Elektronik G zum 30.06.1990 in Zweifel zu ziehen. Eintragungen im SV-Ausweis haben zunächst keine konstitutive Wirkung, sondern können allenfalls Indiz für die darin bescheinigten Sachverhalte sein (vgl. BSG, Urt. v. 23.08.2007 – B 4 RS 1/06 R; Thüringer LSG, Urt. v. 13.04.2016 – L 12 R 55/14). Bescheinigt wird dort ein zum 01.01.1990 beim „ELEKTRONIK G“ bestehendes Arbeitsverhältnis mit „Ende der Tätigkeit“ zum 30.06.1990, ebenfalls gestempelt vom „ELEKTRONIK G – Lohnbüro“. Zum 01.07.1990 wird als Beschäftigungsbetrieb die E-GmbH angegeben mit gleichbleibender Bezeichnung der Tätigkeit als Mitarbeiter F/E. Gehalt wurde für das die beiden Halbjahre 1990 nicht erfasst, was auf die Elternzeit zurückgeht.
Die Klägerin konnte sich nicht mehr erinnern, wann der SV-Ausweis in 1990 im Lohnbüro zur Vornahme der Eintragungen vorgelegt wurde. Wie Herr B bestätigte, sind die Eintragungen in den SV-Ausweisen jeweils nach Ablauf der bescheinigten Zeiträume vorgenommen worden, was auch denknotwendig so gewesen sein muss, da erst dann die Lohnabrechnungen abschließend vorlagen. Im Juli 1990 hatte der VEB Elektronik G unter keinen rechtlichen Gesichtspunkten mehr bestanden, so dass es nachvollziehbar ist, dass ein entsprechender Stempel nicht mehr verwendet wurde. Welche Umstände genau zu der Verwendung des Stempels „ELEKTRONIK G“ bzw. zur Verwendung anderer Stempel ab welchem anderen Zeitraum geführt haben, kann im Nachhinein nicht mehr nachvollzogen werden. Jedenfalls wird aber auch hier eine Zäsur zum 30.06.1990 deutlich, nicht aber bereits zu einem früheren Zeitpunkt.
cc. Ein weiteres Indiz gegen eine aktiv erfolgte Beendigung des mit dem VEB Elektronik G bestehenden Arbeitsvertrages sieht die Kammer in dem Schreiben der E-GmbH vom 20.08.1990 (Bl. 11 VA), womit auf eine Eingabe der Klägerin hinsichtlich einer Gehaltserhöhung reagiert worden war. Darin wurde eine auf den 01.09.1989 rückwirkende Einstufung in die Gehaltsgruppe G 9 mit 870 M Grundgehalt + LAG zuerkannt und die Lohnbuchhaltung zur Nachzahlung angewiesen. Im Arbeitsvertrag von 1985 war noch die Gehaltsgruppe G 8 mit 800 M erfasst gewesen. Auch insofern wird deutlich, dass offenbar von einem „automatischen“ und unveränderten Übergang der Arbeitsverträge auf die Nachfolgegesellschaft ausgegangen wurde. Eine irgendwie geartete Zäsur bzw. Beendigung des mit dem VEB Elektronik G bestehenden Vertrages hätte auch in der Gehaltsgestaltung Erwähnung gefunden bzw. einer derartigen Rückwirkung bis zurück ins Jahr 1989 entgegengestanden.
4. Nachdem das AAÜG auf die Klägerin Anwendung findet, sind dem 30.06.1990 vorausgehende Zeiten zu berücksichtigen, sofern auch insoweit die persönliche, sachliche und betriebliche Voraussetzung in diesen Zeiten vorlagen. Sie war nach den Feststellungen in der Beweisaufnahme ab dem 01.09.1985 in derselben Tätigkeit als Mitarbeiter F/E beschäftigt. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Klägerin zwischenzeitlich irgendwann überwiegend berufsfremd, d. h. in Ausübungen von Tätigkeiten eingesetzt war, die nicht schwerpunktmäßig durch die durchlaufene Ausbildung und die im Ausbildungsberuf typischerweise gewonnenen Erfahrungen geprägt waren (vgl. z. B. BSG, Urt. v. 09.10.2012 – B 5 RS 9/11 R, Rn. 19).
Der Klage war daher vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.


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