Arbeitsrecht

Zurückstufung eines Postbeamten wegen unterlassener Frankierung von Gewerkschaftspost

Aktenzeichen  16b D 18.876

Datum:
23.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32482
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BDG § 9, § 13
StGB § 263 Abs. 1
BBG § 61 Abs. 1 S. 2, S. 3, § 62 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Die unfreie Versendung von Gewerkschaftspost entgegen der dem Beklagten bekannten Bestimmungen der DPAG erfüllt den Tatbestand des Betruges nach § 263 Abs. 1 StGB (Rn. 22). (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht von dem Konzept der Regeleinstufung abgedrückt ist und ausdrücklich betont, dass sich ein wie auch immer gearteter Schematismus im Disziplinarrecht in besonderer Weise verbietet, können die Kriterien der Regeleinstufung bei einem strafbaren Verhalten für die Bestimmung des Disziplinarmaßes innerhalb des Orientierungsrahmens weiterhin hilfreich sein und Berücksichtigung finden (Rn. 26). (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Mandatsstellung des Beklagten erhöht das Gewicht der Pflichtverletzung nicht (Rn. 31). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 19B DK 17.2533 2018-02-21 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg.
Der Beklagte hat ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen (1.). Die grundsätzliche Zuordnung des Dienstvergehens nach seiner Schwere zu einer Disziplinarmaßnahme nach § 13 Abs. 1 BDG richtet sich nach dem gesetzlich bestimmten Strafrahmen (2.1). Die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens, der hier bis zur Entfernung aus dem Dienst reicht, war nicht geboten. In der Gesamtschau ist die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung in das Amt einer Postobersekretärs (BesGr. A 7) die angemessene Disziplinarmaßnahme (2.2).
1. In tatsächlicher Hinsicht steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte die ihm vorgeworfene Dienstpflichtverletzung begangen hat. Er hat die Vorfälle sowohl im behördlichen Disziplinarverfahren (vgl. Niederschrift über die Befragung von Verdächtigen vom 5.7.2016, Bl. 9 ff. der Disziplinarakte) als auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingeräumt.
Die unfreie Versendung von Gewerkschaftspost entgegen der dem Beklagten bekannten Bestimmungen der DPAG erfüllt den Tatbestand des Betruges nach § 263 Abs. 1 StGB. Betrügerisch im Sinne der genannten Strafvorschrift handelt, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält. Mit der Verwendung des Frankiervermerks „Postsache“ hat der Beklagte seine Kollegen beim Zustellstützpunkt Kempten getäuscht; diese irrten über die Entgeltpflichtigkeit der Versendung und trafen eine Vermögensverfügung durch die unfreie Versendung der Briefe. Die Klägerin hat dadurch einen Vermögensschaden erlitten. Dieser bestand bei der hier erfolgten unentgeltlichen Inanspruchnahme von Leistungen, für die üblicherweise ein Entgelt zu bezahlen ist, in der vorenthaltenen Gegenleistung. Durch das Verhalten des Beklagten entstand der Betriebsgruppenkasse ein Vermögensvorteil. Er handelte dabei mit Vorsatz und in Bereicherungsabsicht. Die Tat ist vollendet, weil der Vermögensschaden bereits mit der Versendung an die adressierten Zustellstützpunkte entstanden ist. Im Übrigen belastet eine versuchte Straftat den Beamten genauso wie eine vollendete. Entscheidend ist insoweit allein, dass der Beamte durch ein bestimmtes Verhalten schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt hat (BVerwG, B.v. 29.1.1999 – 2 B 34.08 – juris Rn. 9). Welche dienstlichen Anordnungen der Anweisung vom 998/16 vom 22. Juni 2009 vorausgingen und nachfolgten, bedurfte hier keiner weiteren Aufklärung. Der Beklagte hat eingeräumt, dass nur Sendungen mit geschäftlich veranlasstem Inhalt als „Postsache“ versandt werden durften.
Durch sein Verhalten hat der Beklagte seine Pflichten sich gesetzestreu (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG), das ihm übertragende Amt uneigennützig nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen (§ 61 Abs. 1 Satz 2 BBG), sich achtungs- und vertrauensgerecht zu verhalten (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG) und dienstliche Anordnungen auszuführen (§ 62 Abs. 1 Satz 2 BBG), verletzt. Sein Fehlverhalten ist als innerdienstlich anzusehen, weil das pflichtwidrige Verhalten in das Amt und die dienstlichen Pflichten des Beamten eingebunden war (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Rn. 14).
2. Nach § 13 Abs. 1 BDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12 m.w.N.).
2.1 Da die Schwere des Dienstvergehens nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzungen, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 16).
Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, greift der Senat auch bei innerdienstlich begangenen Straftaten nunmehr auf den Strafrahmen zurück und folgt damit der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O.; B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Rn. 14). Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht von dem Konzept der Regeleinstufung abgedrückt ist (BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 37; Urban in Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Aufl. 2017, § 13 Rn. 37) und ausdrücklich betont, dass sich ein wie auch immer gearteter Schematismus im Disziplinarrecht in besonderer Weise verbietet (BVerwG, U.v. 18.6.2015 – 2 C 25.14 – juris Rn. 37; OVG NW, U.v. 28.11.2018 – 3d A 754/12.O – juris Rn. 145), können die Kriterien der (vom Bundesverwaltungsgericht aufgegebenen) Regeleinstufung bei einem strafbaren Verhalten für die Bestimmung des Disziplinarmaßes innerhalb des Orientierungsrahmens weiterhin hilfreich sein und Berücksichtigung finden (vgl. BVerwG, U.v. 28.2.2013 – 2 C 3.12 – juris Rn. 31).
Für die dienstliche Ahnung einer innerdienstlichen Straftat mit einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 20). Damit ist hier im Hinblick auf den für Betrug geltenden Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet.
2.2 Die in Ausfüllung dieses Rahmens nach Maßgabe des § 13 BDG zu treffende Bemessungsentscheidung führt zur Zurückstufung im vom Verwaltungsgericht tenorierten Umfang.
Die Ausschöpfung des maßgeblich in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens kommt nur in Betracht, wenn dies auch dem Schweregehalt des vom Beamten konkret begangenen Dienstvergehens entspricht. Danach ist hier die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafdrohung gebildeten Orientierungsrahmens wegen der konkreten Umstände des Dienstvergehens nicht geboten.
Zulasten des Beklagten wirkt sich aus, dass er seinen Dienstherrn über einen langen Zeitraum hinweg betrogen hat, wobei der Senat von der vom Verwaltungsgericht festgestellten Schadenshöhe ausgeht. Die Schadenssumme erhöht das Gewicht des Dienstvergehens nicht, weil darin hier ansonsten die erschwerend wirkende Dauer der Pflichtverletzungen doppelt verwertet würde. Erschwerend wirkt, dass der Beklagte seine Kollegen an den Zustellstützpunkten in seine Dienstpflichtverletzung involvierte, weil diese die unfrankierten Briefe weiter behandelten bzw. zustellten und sich damit möglicherweise selbst eines Dienstvergehens schuldig gemacht haben.
Die Mandatsstellung des Beklagten erhöht das Gewicht der Pflichtverletzung hingegen nicht. Sowohl § 78 Satz 2 BetrVG als auch § 179 Abs. 2 SGB IX verbieten eine Benachteiligung der Mitglieder des Betriebsrats bzw. der Vertrauenspersonen für schwerbehinderte Menschen (vgl. LAG RhPf, B.v. 24.10.2017 – 8 TaBV 19/17 – juris Rn. 79 zu § 78 Satz 2 BetrVG: keine Erhöhung des Gewichts der Pflichtverletzung). Eine besondere Vertrauensstellung hatte der Beklagte nicht inne. Das in § 2 Abs. 1 BetrVG enthaltene Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit bezieht sich lediglich auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat bzw. den einzelnen Betriebsratsmitgliedern (Richardi/Maschmann in Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 16. Aufl. 2018, § 2 Rn. 8 f.; Fitting, Betriebsverfassungsgesetz, 27. Aufl. 2014, § 2 Rn. 17). Der Umstand, dass der Beklagte die Gewerkschaftsbriefe in Versandtaschen bzw. -mappen bündelte und durch die äußere Adressierung den Eindruck erweckte, es handele sich um eine Postsache mit geschäftlich veranlasstem Inhalt, ist bereits als Betrugstatbestand (Täuschung) berücksichtigt worden. Das von der Klägerin so bezeichnete „Verstecken“ ist nicht nochmals auf einer zweiten Ebene als weiteres belastendes Moment zu berücksichtigen.
Für den weder disziplinar- noch strafrechtlich vorbelasteten Beklagten spricht, dass er sich einsichtig gezeigt hat und die von der Klägerin zu hoch veranschlagte Schadenssumme i.H.v. 6.470 € vollständig und aus eigenen Mitteln zurückerstattet hat, ohne den Versuch zu unternehmen, einen auch nur teilweisen Ersatz aus der Betriebsgruppenkasse zu erlangen. Diese Schadensersatzleistung erfolgte auch vor einer abschließenden Klärung hinsichtlich der Berechnung und Höhe der Schadensersatzforderung. Der Beklagte, der sich von Anfang an kooperationsbereit gezeigt hat, verzichtete auf seine Mandate und erklärte sich mit einer Zuweisung an einen privaten Arbeitgeber einverstanden. Er hat mit der unfreien Versendung der Gewerkschaftspost im Jahre 1996 eine geübte Praxis übernommen, die faktisch geduldet worden war. Eine ausdrücklich entgegenstehende Weisungslage hinsichtlich der Benutzung des Vermerks „Postsache“ wurde für das Jahr 2009 nachgewiesen. Letztlich ist es der Klägerin nicht gelungen, die Mitarbeiter dafür zu sensibilisieren, dass Gewerkschaftspost nicht unfrei versendet werden darf und dass strikt zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft zu trennen ist. Die im behördlichen Disziplinarverfahren als Zeugen vernommenen Zustellkräfte führten teils aus, der Umstand, dass Gewerkschaftspost nicht als Postsache versendet werden dürfe, sei ihnen nicht bekannt gewesen (Bl. 122 DA I). Andere Zusteller äußerten, sie hätten darauf vertraut, dass schon „alles in Ordnung“ (Bl. 108, 112, 119 DA I) und „von oben abgesegnet“ (Bl. 116 DA I) sei oder aber gemeint, dass Betriebsrat und Gewerkschaft sowieso eine Einheit (Bl. 119 DA I) seien. Bei dieser Ausgangslage, der fremdnützigen Tatbegehung, dem Fehlen jeglicher Kontrolle und einer eingefahrenen betrieblichen Übung, die innerhalb der Zustellstützpunkte vielen bekannt war, kommt der Senat in der Gesamtschau aller bemessungsrelevanten Umstände deshalb zu dem Ergebnis, dass die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Zurückstufung die angemessene Disziplinarmaßnahme ist, zumal die Postvorschrift 988/16 ausweislich ihrer Seite 6 (Bl. 35 DA Bd. I) selbst zugrundelegt, dass für Verstöße maximal eine Zurückstufung in Betracht kommt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 69 BDG, § 132 VwGO).


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben