Arbeitsrecht

Zusammensetzung des Aufsichtsrats einer GmbH

Aktenzeichen  38 O 4505/20

Datum:
25.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 44306
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EGAktG § 27
AktG § 97, § 98, § 99
GmbHG § 52
DrittelbG § 1 Abs. 1 Nr. 1
MitbestG § 1 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Das Statusverfahren nach §§ 97  ff. AktG ist auch auf eine GmbH anwendbar, die infolge des Absinkens ihrer Arbeitnehmerzahl aus der Mitbestimmung herausfällt und deshalb von ihrer Aufsichtsratspflicht befreit wird (Anschluss an OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2011, 559).  (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Ermittlung der Mitbestimmungspflicht ist für die Bemessung der Referenzperiode zur Festlegung der Beschäftigtenzahl die Dauer des Wahlverfahrens und des Statusverfahrens zu berücksichtigen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Feststellung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats nach dem Drittelbeteiligungsgesetz wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten des Verfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Geschäftswert wird auf € 50.000,– festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats bei der Antragsgegnerin.
1. a. Die Antragsgegnerin gehört zur A… Inc., einem der weltweit größten Distributoren für Komponenten der Elektronikindustrie. Im Betrieb der Antragstellerin in P… werden Logistikservice- und Produktveredelungsdienstleistungen für diesen weltweiten Industriezweig erbracht, wobei die Antragsgegnerin von ihrem Standort in P… aus als logistisches Rückgrat für die Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika (EMEA) weltweit in mehr als 60 Länder distribuiert. Seit Anfang 2012 unterhielt die Antragsgegnerin in P… zwei parallel betriebene Lagerstätten in der G. Straße 60 (P… 1) sowie Im Technologiepark 12 (P… 2). Ein Umzug in das neue Lagergebäude P… 2 wurde im Juli 2019 abgeschlossen. Die A… Inc. entschied am 17.4.2018 die Verlagerung der Waren des Kunden A… S… frühestens mit Wirkung vom 1.12.2018 dauerhaft nach T… in Belgien zu verlagern. Mit Ende das Jahres 2019 beendete L… als Hauptlieferant das Distributionsverhältnis mit der Antragsgegnerin. Zur teilweisen Kompensation gelang es der Antragsgegnerin einen Ausgleich und eine weiter ansteigende Kapazitätsauslastung dadurch zu erreichen, dass die über den Kunden A… S… vertriebene Ware der Hersteller O… S…, N… und B… von T… wieder nach P… verlagert werden konnte.
b. Bei der Antragsgegnerin gibt es seit dem Jahr 2017 einen drittelparitätisch nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG gebildeten Aufsichtsrat, von dem zwei Mitglieder von der Antragsgegnerin bestellt und ein Mitglied von den Arbeitnehmern des Betriebs gewählt wurden, nachdem im Zeitpunkt der Aufsichtsratswahl am 8.3.2017 in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer bei der Antragsgegnerin beschäftigt waren. Mit Schreiben vom 20.7.2020 und vom 21.7.2020 (Anlagen ASt 4 und 5) an den Betriebsrat/Betriebsausschuss beantragte die Antragsgegnerin für die Zeit vom 21.7. bis 25.7. und vom 27.7. bis 1.8.2021 Überstunden angesichts eines zu erwartenden stark erhöhten Inbound-Volumens der EBV Hersteller A… . Für die Sitzung des Wirtschaftsausschusses am 25.5.2020 (Anlage AG 3) bat der Wirtschaftsausschuss zu der unternehmerischen Entscheidung auf EMEA-Ebene zur Abmilderung des Verlusts des Hauptlieferanten L… unter Verweis auf die Personalplanung mit einem Überfluss von 90 Mitarbeitern. In den Monaten Juli 2019 bis Mai 2020 lag die Zahl der Beschäftiggen jeweils unter 500 mit im Zeitverlauf sinkender Tendenz; im Juni 2020 beschäftigte die Antragsgegnerin 392 Arbeitnehmer, davon 296 im Bereich Warehouse [scil.: Lager], 43 im Bereich PMC, also Programmierung, sowie 53 in der Administration. Am 5.8.2020 traf die Antragsgegnerin vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie mit sehr deutlichen Rückgängen beim Umsatz und des Rückzugs von L… die unternehmerische Entscheidung (Anlage AG 6), die Anzahl der Mitarbeiter/innen im Betriebsteil Warehouse von 268 auf 250, also um insgesamt 18 Mitarbeiter/innen, und im Betriebsteil PMC [scil.: Programmierung] von 41 auf 34, also um 7 Mitarbeiter/innen zum Stichtag 1. Oktober 2018 zu reduzieren.
c. Die Geschäftsführer der Antragsgegnerin ließen im Bundesanzeiger vom 12.3.2020 eine Bekanntmachung der Geschäftsführung (Anlage ASt 1) veröffentlichen, wonach sie der Auffassung ist, bei ihr müsse kein Aufsichtsrat mehr nach den Vorgaben des DrittelbG gebildet werden.
2. Zur Begründung seines Antrags vom 12.4.2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, ein nur vorübergehendes Absinken der Zahl der Beschäftigten unter den Schwellenwert von 500 führe nicht zur Beendigung des Mitbestimmung nach dem DrittelbG. Innerhalb des Prognosezeitraums von 17 bis 20 Monaten könne davon bei der Antragsgegnerin nicht ausgegangen werden. Alle den Beteiligten bekannten Umstände würden auf eine zukünftige positive Entwicklung hindeuten, weshalb erst die Betriebsänderung aufgrund der Verlagerung von A… S… vertriebener Ware mit Umsetzung Ende des Jahres 2019 auf 2020 rechtfertige nicht den Wegfall der Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Die Ursache des Übersteigens des Schwellenwerts von 500 Arbeitnehmern bei der Aufsichtsratswahl am 8.3.2017 liege in der gegebenen Auftragslage, nicht im Doppelbetrieb zweier Lagergebäude, wobei das neue Lagergebäude P… 2 auf mehr als 500 Arbeitnehmer ausgelegt sei. Die Personalreduzierung habe ihre Ursache in der Auftragsverlagerung innerhalb des Konzerns nach T…, was sich auch aus dem Entwurf eines Interessenausgleichs ergebe. Aus der Schließung des Standorts in Ne… müsse von einer weiteren Verlagerung von Ware und damit Aufträgen von S… nach P… ausgegangen werden. Auch zeige der zweimalige Antrag auf Überstunden den aktuellen Personalmangel bei der Antragsgegnerin ebenso wie der Rückstand in der Auftragsbearbeitung. Ebenso seien die Forecast-Zahlen der Antragsgegnerin in den letzten drei Monaten vor Juni 2020 um ca. 10% überschritten worden, wobei die Tendenz in die gleiche Richtung ziele.
3. Die Antragsgegnerin beantragt demgegenüber die Zurückweisung des Antrags, weil die Personalplanung belege, dass die Mitarbeiterzahlen in der Zukunft bis 2023 unterhalbe der Grenze von 500 Mitarbeitern liegen werde. Im Zeitraum von Juni 2020 bis Juni 2021 schwanke die Zahl zwischen 352 und 263, wobei der Höchststand aus dem Monat Juni 2020 stamme; die Marke von 300 Mitarbeitern werde erst im Jahr 2021 überschritten. Ohne die Rückverlagerung des Auftragsvolumens der drei Ehrsteller von T… zurück nach P… liege die Zahl der Mitarbeiter um 17 bis 50 Mitarbeiter niedriger. Im Geschäftsjahr 2021/2022 und 2022/2023 ergebe sich ein Personalbedarf von 384 bzw. 404 Arbeitnehmer. Dieser werde auch bestätigt durch die Umsatzplanung, wonach das Umsatzniveau des Zeitraums von Januar bis März 2020 erst wieder im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2022/2023 erreicht werde. Vorübergehende Ereignisse wie der „Umzug“ der Waren von T… nach P… seien nicht geeignet, eine dauerhaften Personalmehrbedarf zu begründen.
4. Das Gericht hat mit Verfügung vom 20.4.2020 (Bl. d.A.) die Veröffentlichung des Antrags im Bundesanzeiger veranlasst.
5. Zur Ergänzung des wechselseitigen Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.
II.
1. Der Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.
a. Der Antrag ist zulässig.
(1) Der Antrag ist statthaft aufgrund von § 27 EGAktG. Nach dieser Vorschrift gelten §§ 97 bis 99 AktG sinngemäß für Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Ist streitig oder ungewiss, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, so entscheidet darüber auf Antrag gem. § 98 Abs. 1 AktG ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. Dabei gilt dies nicht nur für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats gilt, sondern auch dann, wenn es um die Frage geht, ob die ursprüngliche Verpflichtung zur Bildung eines Aufsichtsrats wieder weggefallen ist. Allerdings passt die in § 97 AktG vorgesehene Regelung über die Bekanntmachung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats durch den Vorstand der Aktiengesellschaft beziehungsweise die Geschäftsführung der GmbH von ihrem Wortlaut her nicht auf den Fall, bei dem die GmbH infolge des Absinkens ihrer Arbeitnehmerzahl aus der Mitbestimmung herausfällt und deshalb von ihrer Aufsichtsratspflicht befreit wird. Für eine von der Aufsichtsratspflicht frei gewordene GmbH bestehen angesichts des in § 52 GmbHG für die Bildung eines Aufsichtsrats formulierten Primats der Satzung keine gesetzlichen Vorschriften (mehr). Aus diesem Grunde ist die Geschäftsführung nicht in der Lage, in einer Bekanntmachung gesetzliche Vorschriften zu benennen, die nunmehr für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats anwendbar sein sollen, da ein solcher nicht mehr zwingend zu bilden ist. Auf Grund der Bedeutung des in § 96 Abs. 2 AktG niedergelegten Kontinuitätsprinzips ist aber auch in diesem Fall das Verfahren nach §§ 97 ff. AktG zumindest analog oder aber auf Grund eines Erst-Recht-Schlusses anzuwenden Auch für die GmbH, die auf Grund der gesetzlichen Vorschriften einen Aufsichtsrat installiert hat, gilt der vom Gesetzgeber für die Einführung des Kontinuitätsgrundsatzes in § 96 Abs. 2 AktG (damals noch § 93 AktG) gesehene Zweck, dass dem Aufsichtsrat eine sichere Rechtsgrundlage zu geben ist: Es kann zweifelhaft sein, ob der Aufsichtsrat nach dem MitbestG, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz, dem Betriebsverfassungsgesetz oder ohne Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zusammenzusetzen ist. Die dafür maßgebenden Merkmale sind manchmal schwer festzustellen. Unter dieser Ungewissheit leidet die Arbeit des Aufsichtsrats. Noch nach Jahren kann sich herausstellen, dass der Aufsichtsrat schon seit Langem falsch zusammengesetzt ist. Das zieht Auseinandersetzungen über die Rechtsgültigkeit der von ihm gefassten Beschlüsse nach sich. Dieser unsichere Zustand ist auf Dauer nicht tragbar (vgl. OLG Frankfurt NZG 2011, 353, 354 = ZIP 2011, 21, 22 f. – Asklepios; LG Berlin AG 2007, 455, 456; Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl., § 52 Rdn. 159; Spindler in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl., § 52 Rdn. 68; Giedinghagen in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl., § 52 Rdn. 41; Wicke in: Wicke, GmbHG, 4. Aufl., § 52 Rdn. 14; Wichert in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 6 MitbestG Rdn. 6; Oetker in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Aufl., § 6 MitbestG Rdn. 4; Weiler NZG 2004, 988 ff.; Brock GmbHR 2019, 101, 105).
(2) Der Antragsteller ist antragsbefugt im Sinne der §§ 27 EGAktG, 98 Abs. 2 Nr. 4 AktG, wonach in den Fällen, in denen wie hier kein Gesamtbetriebsrat, sondern nur ein Betriebsrat existiert, der Betriebsrat antragsberechtigt ist.
(3) Der Antrag wurde innerhalb der Monatsfrist der §§ 27 EGAktG, 97 Abs. 2 AktG gestellt, so dass es nicht darauf ankommen kann, ob ein verspätet eingegangener Antrag unzulässig wäre oder ein solcher Antrag auch nach Ablauf der Monatsfrist gestellt werden kann, wovon die heute ganz überwiegend vertretene Auffassung mit sehr guten Gründen ausgeht (vgl. nur Habersack in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 97 Rdn. 30 m.w.N.)
b. Der Antrag ist jedoch nicht begründet, weil bei der Antragsgegnerin kein mitbestimmter Aufsichtsrat nach §§ 1 ff. DrittelbG zu bilden ist. Die Arbeitnehmer haben nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat nach Maßgabe dieses Gesetzes in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern. Die Gesellschaft hat dann einen Aufsichtsrat zu bilden. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG sind indes bei der Antragsgegnerin nicht erfüllt.
(1) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Schwellenwert von 500 Arbeitnehmern in dem hierfür maßgeblichen Zeitraum überschritten werden wird. Die Beschäftigtenzahl ist nicht durch Abzählen an einem bestimmten Stichtag, sondern unter Berücksichtigung der Vergangenheit und der zukünftigen Entwicklung festzulegen. Der dafür angemessene Bemessungszeitraum (Referenzperiode) muss dem Zweck dienen, dass bei Schwankungen der Arbeitnehmerzahl kein häufiger Wechsel der Mitbestimmungsform eintritt. Daher kann nach der Rechtsprechung die Schwelle des § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG nur dann als über- oder unterschritten angesehen werden, wenn die Beschäftigtenzahl nach der Personalplanung des Unternehmens als für längere Zeit gesichert angesehen werden kann. Schon von daher verbietet sich eine zu kurze Bemessung der Referenzperiode (vgl. OLG Saarbrücken ZIP 2016, 1286, 1287; OLG Düsseldorf DB 1995, 277, 278). Ausgehend von den für das Verfahren gemäß §§ 97 f. AktG und für das Wahlverfahren für die Arbeitnehmervertreter maßgeblichen Zeiträumen ist daher eine Berücksichtigung der Unternehmensplanung über 17 bis 20 Monate erforderlich. Die Prognose der Zahl der Beschäftigten muss nach Möglichkeit sicherstellen, dass nicht bereits vor Ablauf dieser Zeitspanne eine neuerliche Änderung der Mitbestimmungsform erforderlich wird. Wird hiernach die Dauer des Wahlverfahrens mit etwa zehn Monaten und des Verfahrens nach §§ 97 f. AktG mit etwa sieben bis zehn Monaten angesetzt, so sind die nächsten 17 bis 20 Monate der Unternehmensplanung bei der Ermittlung der fraglichen Arbeitnehmerzahl zu berücksichtigen, was aber auch als ausreichend angesehen werden muss. Das notwendige Maß an Sicherheit bei der Beurteilung künftiger Entwicklungen ist bei einer so bemessenen Referenzperiode noch zu gewährleisten (vgl. BAG NZA 2016, 559, 564 = AG 2016, 363, 365 = ZIP 2016, 783, 787 f. = BB 2016, 1146, 1150 = AP § 9 MitbestG Nr. 2; OLG München, Beschluss vom 26.3.2020, Az. 31 Wx 279/18; OLG Düsseldorf AG 1995, 328, 329 = DB 1995, 277, 278; OLG Saarbrücken NZG 2016, 941, 942 f. = AG 2016, 829, 831 f. = ZIP 2016, 1286, 1287 = GmbHR 2016, 932, 935; Oetker in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, a.a.O., § 1 MitbestG Rdn. 14; Brock GmbHR 2019, 101, 105).
(2) Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei der Antragsgegnerin in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Im Juli 2019 wurde der Schwellenwert erstmals unterschritten mit 40 Arbeitnehmern. Ab diesem Zeitpunkt waren die Zahlen bis Mai 2020 mit dann 392 Arbeitnehmern weiter rückläufig, was auch vom Antragsteller nicht infrage gestellt wurde. Die Personalplanung der Antragsgegnerin mit Stand zum 15.6.2020 geht davon aus, dass im Juli 2020 mit 263 Arbeitnehmern der Tiefstand erreicht ist und dann innerhalb des Folgejahres ein Anstieg bis zu maximal 316 Arbeitnehmern geplant ist. In diese Zahlen sind bereits die Folgen der Rückverlagerung des Auftragsvolumens der drei Hersteller O… S…, N… und B… von T… nach P… berücksichtigt. Soweit der Antragsteller geltend macht, aufgrund des Rückstandes in der Auftragsbearbeitung im Juli 2020 müsse mit erheblichem Personalmehrbedarf in einer Größenordnung von ca. 20% bis 30% gerechnet werden, kann dies die Planung nicht infrage stellen. Selbst bei Unterstellung der Richtigkeit dieser Überlegungen, die die Antragsgegnerin verneint hat, würde dies zu maximal 411 Arbeitnehmern führen, was immer noch deutlich unter dem Schwellenwert liegt. Abgesehen davon ist auch aus dem Vortrag des Antragstellers nicht erkennbar, inwieweit der Rückstand in der Auftragsbearbeitung dauerhaft sein kann. Zwischen den Beteiligten ist nämlich unstreitig, dass im Juli 2020 die Waren der N… von T… nach P… zurückzuführen sind, wodurch es über einen Zeitraum von drei Wochen zu mehr als 15.000 zusätzlich abzuarbeitenden Auftragspositionen kam. Darauf beruhte zumindest auch der Antrag auf Überstunden, der parallel zu den Move-Lines mit einem stark erhöhten Eingangsvolumen der Hersteller A… für EBV zu rechnen sei. Aus einem derartigen Antrag kann nicht auf einen dauerhaft erhöhten Personalbedarf geschlossen werden, weil Mehrarbeit vielfach wegen eines vorübergehenden zusätzlichen Arbeitsanfalls angeordnet wird, was dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG unterliegt. Ein dauerhafter Personalmehrbedarf spiegelt sich aber gerade auch in der Planung der Gesellschaft, ab Juli 2020 bis Juni 2021 zwischen 17 und 50 Arbeitnehmern zusätzlich zu beschäftigen. Dem Vortrag der Beteiligten ist auch nicht zu entnehmen, dass danach noch weitere Anträge wegen Mehrarbeit an den Betriebsrat gestellt worden wären.
Gegen die Unangemessenheit der Ansätze der Antragsgegnerin spricht aktuell die durch die COVID-19-Pandemie bedingte schlechte wirtschaftliche Lage, die sich auch in nicht konstant steigenden Mitarbeiterzahlen reflektiert. Allerdings zeigt auch die Personalplanung, dass mit einem Anstieg gerechnet wird, wenn bis Juni 2021 von 312 Mitarbeitern ausgegangen wird; was im Vergleich zu Juli 2020 eine Anstieg von etwa 22% bedeutet. Gerade in der aktuellen wirtschaftlichen Lage, die auch bei Distributoren für Komponenten der Elektronikindustrie betrifft, ist jedenfalls für die hier relevante Referenzperiode wohl von einem Aufschwung auch in der Personalplanung auszugehen. Bei der Bejahung der Plausibilität kann nicht außer Acht gelassen werden, dass unklar ist, wann genau und wie sich die Wirtschaft erholen wird. Dabei geht die quartalsweise erfolgte Umsatzplanung entsprechend der Anlage AG 2 von einer drei Quartale umfassenden Stagnation mit anschließendem Anstieg ab dem dritten Quartal des Geschäftsjahres 2020/2021 in mehreren Stufen bis zum ersten Quartal des Geschäftsjahres 2022/2023, in dem die Zahlen des Zeitraums Oktober bis November 2019 wieder überschritten werden sollen. Dieser Ansatz eines V- bis U-förmigen Verlaufs der Krise – also einem raschen Einbruch mit schneller Erholung oder einem bestimmten Beharrungszustand am Tiefpunkt der Kreise – entspricht auch den Überlegungen, wie sie vielfach zur wirtschaftlichen Entwicklung während und nach der Überwindung der COVID-19-Pandemie in wirtschaftlicher Hinsicht angestellt werden (vgl. Castedello/Tschöpel WPg 2020, 914, 917). Zudem muss berücksichtigt werden, dass Entwicklungen am Arbeitsmarkt regelmäßig zu den Spätindikatoren der konjunkturellen Entwicklung zählen, weshalb es auch nachvollziehbar ist, wenn bei der Antragsgegnerin auch in den kommenden Jahren bis Juni 2023 mit einer Zahl von Arbeitnehmern geplant wird, die deutlich unter 500 liegt.
Dem kann seitens des Antragstellers nicht entgegengehalten werden, die als Folge des Brexit erfolgte Schließung des Werks in Norwich werde zu einer Steigerung der Mitarbeiterzahlen führen. Aus der als Anlage ASt 10 vorgelegten Presseerklärung ergibt sich nämlich, dass das Geschäft aus Norwich nach T… verlagert werden soll – daher könne dadurch neue Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl in P… bei der Antragsgegnerin nicht erwartet werden.
Inwieweit die Schließung des Lagers 1 in P… (mit-)ursächlich für eine gewisse Reduktion der Mitarbeiterzahlen waren, muss die Kammer daher nicht mehr abschließend entscheiden, auch wenn es nachvollziehbar ist, wenn dadurch Doppelstrukturen vermieden und infolge von damit verbundenen Synergieeffekten weniger Arbeitnehmer benötigt werden.
Angesichts dessen konnte der Antrag keinen Erfolg haben.
2. a. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Gerichtskosten auf § 23 Nr. 10 GNotKG, wonach Kostenschuldnerin im Verfahren nach §§ 98, 99 AktG die Gesellschaft ist, soweit die Kosten nicht dem Antragsteller auferlegt sind. Die Voraussetzungen des § 99 Abs. 6 Satz 1 AktG, wonach die Kosten ganz oder zum Teil dem Antragsteller auferlegt werden können, wenn dies der Billigkeit entspricht, sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Zwar ist im Ausgangspunkt davon auszugehen, ein Kostenausspruch zulasten des Antragstellers sei vor allem bei offensichtlich unbegründeten oder unzulässigen Anträgen geboten (vgl. Spindler in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 99 Rdn. 22; Habersack in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 99 Rdn. 27; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 99 Rdn. 12). Von einer derartigen Ausnahmesituation kann hier indes nicht ausgegangen werden. Dies ergibt sich bereits aus der Erwägung heraus, dass es bei der Antragsgegnerin bislang einen drittelparitätisch besetzten Aufsichtsrat gab und die Geschäftsführung eine Bekanntmachung über den Wegfall der Voraussetzungen des Drittelbeteiligungsgesetzes veröffentlichten. Dann aber muss es das Recht des antragsberechtigten Aufsichtsrates sein, die Richtigkeit dieser Auffassung einer gerichtlichen Überprüfung durch ein Statusverfahren zu unterziehen. Von einer offensichtlichen Unbegründetheit kann nicht gesprochen werden – diese liegt nicht auf der Hand.
b. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet aufgrund der Vorschrift des § 99 Abs. 6 Satz 2 AktG nicht statt.
3. Die Entscheidung über den Geschäftswert ergibt sich aus § 75 GNotKG.


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