Arbeitsrecht

Zuschlagspflichtige Arbeitszeiten eines Busfahrers – Arbeitsvertragsauslegung

Aktenzeichen  11 Sa 377/19

Datum:
13.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 44092
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 611
RiLi 2003/88/EG Art. 3 Nr. 5
ZPO § 138 Abs. 3, § 286
MTV § 7 Ziff. 5 Nr. 2a, Nr. 2b
MTV C § 8 Ziff. 2, § 15 Abs. 3
ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1, § 66 Abs. 1, Abs. 2, § 72 Abs. 2 Ziff. 2

 

Leitsatz

Parallelentscheidung zu BAG, BeckRS 2019, 44093 (dort dokumentiert).  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 Ca 146/17 2019-02-27 Endurteil ARBGROSENHEIM ArbG Rosenheim

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Rosenheim (Az.: 4 Ca 146/17) vom 27.02.2019 wird zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichtes Rosenheim (Az.: 4 Ca 146/17) vom 27.02.2019 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet, die zulässige Berufung der Beklagten hingegen in vollem Umfang begründet.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaften Berufungen der Parteien sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 und 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO). Sie sind daher zulässig.
II.
Die Berufung des Klägers ist unbegründet, da der Kläger schon keinen Anspruch auf die von ihm zusätzlich geltend gemachten Zulagen, die Einmannfahrerzulagen und Schichtzulagen, über die bereits geleisteten Zahlungen hinaus besitzt. Demgegenüber ist die Berufung der Beklagten begründet, weil die streitgegenständlichen Ansprüche, die der Kläger geltend gemacht hat, grundsätzlich nicht bestehen, vielmehr die arbeitsvertraglichen Ansprüche des Klägers erfüllt sind. Demgemäß konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben, war vielmehr die Berufung der Beklagten vollumfänglich erfolgreich.
1. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Zahlung der Einmannfahrer- bzw. Schicht zulage für die streitgegenständlichen Zeiträume vom 01.07.2016 bis 31.08.2018 über die bereits erhaltene Vergütung für diesen Zeitraum hinaus, da die arbeitsvertragliche Regelung hinsichtlich der Zahlung der Einmannfahrerzulage und der Schichtzulage dem Kläger zwar einen eigenständigen Anspruch zugesteht, dieser jedoch hinsichtlich seiner Voraussetzungen nicht erfüllt ist, da die dem Kläger für diesen Zeitraum zustehenden Vergütungsansprüche inklusive der Zulagenansprüche von der Beklagten durch Erfüllung der tarifvertraglichen Ansprüche bereits erfüllt sind.
a) Das Arbeitsgericht hat zutreffend und auch im Einklang mit dem in einem Parallel verfahren vor der 1. Kammer des LAG München ergangenen Urteils (Az. 1 Sa 154/17) eine eigenständige vertragliche Vergütungszusage angenommen.
aa) Entsprechend der Grundsätze der Auslegung von Arbeitsverträgen gemäß §§ 133, 157 BGB, wonach die dem Vertrag zugrundeliegenden Willenserklärungen nach dem objektiven Empfängerhorizont so zu verstehen sind, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste, sowie den Auslegungsgrundsätzen allgemeiner Geschäftsbedingungen, wonach die Klauseln nach objektivem Inhalt und typischen Sinn so auszulegen sind, wie sie von einem verständigen und redlichen Vertragspartner unter Abwägung der Interessen der normalerweise im Rechtsverkehr Beteiligten zu verstehen sind, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners zugrunde zu legen sind, kann nach den zutreffenden Darlegungen des Arbeitsgerichtes die Regelung der Schicht- und Einmannfahrerzulage in Ziff. 6 des Arbeitsvertrages aufgrund des Wortlauts nur als eigenständige, von der Anwendbarkeit und den Voraussetzungen eines Tarifvertrages unabhängige Zusage verstanden werden. Denn bereits die in Ziff. 6 a) vorgesehene Regelung, wonach die Schicht- und Einmannfahrerzulagen, soweit die tariflichen Voraussetzungen nicht vorliegen, übertariflich gezahlt werden, zeigt eindeutig, dass hier nicht nur die tarifliche Regelung wiederholt und erneut abgebildet werden sollte, denn dann hätte es tatsächlich einer ausdrücklichen Verselbständigung gegenüber der tariflichen Voraussetzung nicht bedurft. Insofern wäre die Regelung sogar widersprüchlich, weil sie ja gerade von den Voraussetzungen des Tarifvertrages abgekoppelt werden sollte. Auch steht die Regelung letztlich im systematischen Zusammenhang mit Ziff. 6 c, wonach die übertarifliche Leistung jederzeit nach freiem Ermessen widerruflich gewährt wird, bzw. eine Anrechenbarkeit auf tarifliche Lohnerhöhungen vorgesehen ist. Denn zu Recht hat das Arbeitsgericht in Anlehnung an das Urteil der
1. Kammer des LAG darauf hingewiesen, dass die Regelung in Ziff. 6 a in Zusammenhang mit c keinen Sinn ergeben würde, wenn man die Benennung der Zulagen unter Verweis auf Ziff. 10 des Arbeitsvertrages als bloße Information über die derzeitige tarifliche Situation ohne eigenen Regelungsgehalt oder als bloße Gleichstellungsabrede verstehen würde. Denn dann würde sich tatsächlich die Frage nach einem Widerruf oder der Anrechnung auf tarifliche Lohnerhöhungen nicht stellen.
bb) Aus dieser Eigenständigkeit der arbeitsvertraglichen Regelung hinsichtlich der Schicht- und Einmannfahrerzulage folgt aber nicht zwingend, dass auch ein entsprechender Anspruch auf diese besteht, da die Regelung des Arbeitsvertrages in Ziff. 6 a), wonach „soweit die tariflichen Voraussetzungen nicht vorliegen“ die Einmannfahrerzulagen übertariflich gezahlt werden, gleichzeitig beinhaltet, dass jedenfalls neben einer tariflichen Zahlung der Zulagen nicht ein weiterer arbeitsvertraglicher Anspruch existieren soll. Zu Recht hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass, sollte der Kläger einen entsprechenden Zulagenanspruch in Höhe von je 10% der Grundvergütung bereits nach Tarifvertrag besitzen und bezahlt erhalten haben, daneben nicht noch ein weiterer Anspruch in gleicher Höhe aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelung geschuldet ist. Letztlich bestreitet dies auch der Kläger nicht, der auch seinerseits nicht etwa eine 40%ige Zuschlagshöhe, d. h. 20% aus Tarifvertrag + 20% aus dem Arbeitsvertrag, für gerechtfertigt erachtet. Auch der Kläger sieht nur einen einmaligen Anspruch, in Höhe von 20% insgesamt, der sich aus dem Arbeitsvertrag, bezogen auf die tarifliche Grundvergütung ergeben soll. Die oben genannte Formulierung in Ziff. 6 a) zeigt also, dass der arbeitsvertragliche Anspruch nur dann in Kraft treten und den Anspruch auslösen soll, soweit nicht bereits nach den tariflichen Voraussetzungen eine entsprechende Zulage verlangt werden kann. Ist dies der Fall, hat der Kläger schon einen tariflichen Anspruch, der vorrangig vor den arbeitsvertraglichen Anspruch tritt. Denn nur „soweit“ die tariflichen Voraussetzungen nicht vorliegen, ergibt sich der arbeitsvertragliche übertarifliche Anspruch. Soweit aber die tariflichen Voraussetzungen erfüllt sind, besteht der arbeitsvertragliche Anspruch nicht darüber hinaus.
b) Diese Voraussetzungen des arbeitsvertraglichen Anspruchs sind jedoch nicht erfüllt, da der Kläger bereits nach dem abgeschlossenen Haustarifvertrag letztlich ab Juni 2000 die Einmannfahrer- und Schichtzulage über den dort im Haustarifvertrag vorgesehenen Lohn erhalten hat, und insoweit die tariflichen Voraussetzungen für den Erhalt dieser Zulagen vorlagen für den Kläger, sodass die arbeitsvertragliche Anspruchsgrundlage nicht zum Tragen kam.
aa) Mit Einführung des Manteltarifvertrages vom 08.02.2000, geschlossen zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (MTV C., Bl. 195 ff. d. A.), wurden die Einmannfahrer- und Schichtzulagen zwar eigenständig im Tarifvertrag nicht mehr vorgesehen, jedoch wurden sie nicht vollständig aufgegeben, sondern vielmehr in der Gesamtgrundlohnvergütung integriert. Dies ergibt zumindest die Auslegung des Tarifvertrages.
bb) Tarifverträge sind wegen ihres normativen Charakters wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei einem unbestimmten Wortsinn sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit dies im Text seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (vgl. BAG vom 23.07.2019 – 3 AZR 377/18; vom 25.09.2018 – 3 AZR 402/17).
cc) Vom reinen Wortsinn der tarifvertraglichen Regelung her ergäbe sich zwar demnach kein Hinweis darauf, dass in den in den Tarifverträgen der C., also im Manteltarifvertrag und im Entgelttarifvertrag, vorhandenen Regelungen die Einmannfahrer- und Schichtzulage beinhaltet ist, jedoch ist in § 6 des Manteltarifvertrages unter Ziff. 3 jedenfalls vorgesehen, dass die Vergütung für Mehr-, Nacht-, Sonntags-, Feiertags- und Schichtarbeit sowie die Zuschläge und Zulagen eines Abrechnungsmonats jeweils am 25. des darauffolgenden Monats angewiesen werden. Insofern ist die letztlich im Lohntarifvertrag (vgl. Bl. 643 ff. d. A.) enthaltene Darlegung des Tariflohns insoweit nicht eindeutig, als nicht erkennbar ist, inwieweit hier tatsächlich Zuschläge im Einzelnen ausgewiesen sind. Die dort dargestellten Löhne ergeben sich lediglich aus Lohntabellen, der Stundenlohn nach der Regelung in § 2 des Lohntarifvertrages aus der Dividierung durch 167. Somit ist in der Lohntabelle für Arbeiter über sechs Jahre, wie bei dem Kläger vorliegend, ein Stundenlohn von 23,34 DM vorgesehen. Der Manteltarifvertrag, der auf Zuschläge und Zulagen auch für Schichtarbeit sowie weitere Zulagen verweist, regelt in § 8 zuschlagspflichtige Arbeit, wobei dort eine explizite Schichtzulage zum Beispiel nicht mehr geregelt ist. Auch neben den sonstigen Zuschlägen für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, sind keine weiteren Zulagen geregelt. Insoweit erscheint der Manteltarifvertrag, soweit er in § 6 zur Vergütung solcher Arbeit Zulagenregelungen enthält, widersprüchlich und auslegungsbedürftig. Dabei ist nach der oben genannten Regelung insbesondere auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien, zumindest sofern und soweit dies im Text seinen Niederschlag gefunden hat, abzustellen. Nach den vorliegenden Unterlagen, insbesondere aber dem Vorwort der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands zum Tarifvertrag für die Beschäftigten der C. (vgl. Bl. 629 d. A.) ergibt sich zumindest als klarer Wille der Tarifvertragsparteien, der im Übrigen auch dem der Beklagten nach eigener Darlegung entspricht, dass die Zulagen (10% – 29%) in die Stundenlöhne integriert wurden. Nachdem im Tarifvertrag selbst noch Zu schläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit geregelt sind, kann sich diese Darlegung nur beziehen auf die weitergehenden Zulagen, insbesondere die 10%ige Einmannfahrer- bzw. Schichtzulage. Insofern hat zwar der Kläger bestritten, dass die Zulagen in den Lohn aufgenommen wurden, aus den hier eindeutig vorliegenden Unterlagen hat das Gericht aber in freier Beweiswürdigung sämtlicher Umstände gemäß § 286 ZPO die Überzeugung gewonnen, dass es dem tatsächlichen Willen der Tarifvertragsparteien entsprach, die Zulagen in dieser Form in die Löhne zu integrieren und aufzunehmen, wie es auch die Gewerkschaft in ihrem Vorwort dargestellt hat. Das Vorwort der Gewerkschaft ist allerdings nicht Bestandteil des Tarifvertrages. Der beabsichtigte Wille der Tarifvertragsparteien muss aber als solcher im Text des Tarifvertrages seinen Niederschlag gefunden haben. Insofern erscheint es allerdings als ausreichend, dass über die Zuschlagsregelung im Manteltarifvertrag und letztlich in der im Tarifvertrag in den Lohntabellen geregelten Lohnhöhe ersichtlich ist, dass der normale Grundlohn letztlich von 19,45 DM exakt um 20% auf 23,34 DM angehoben wurde, woraus sich dieser Wille der Tarifvertragsparteien zumindest andeutungsweise nachvollziehen lässt.
dd) Manifestiert und umgesetzt wurde dies letzten Endes dann auch, ersichtlich aus den Lohnabrechnungen der Busfahrer, wie etwa auch beim Kläger dahingehend, dass dessen Lohn von 19,45 DM (vgl. Bl. 363 d. A.) ab Juni 2000 (vgl. Bl. 364 d. A.) auf exakt diese 23,34 DM erhöht wurde. Während vorher noch die Zulagen im Einzelnen ausgewiesen waren, waren sie letztlich danach nicht mehr in den Lohnabrechnungen ausgewiesen. Dort erscheint lediglich der erhöhte Tariflohn.
c) Der Arbeitsvertrag des Klägers beinhaltet letztlich in Ziff. 6a) die Regelung der Tätigkeitsvergütung des Klägers. Dort ist insbesondere beinhaltet, dass der Kläger Anspruch auf den Grundstundenlohn zuzüglich 10% Schicht- und 10% Einmannfahrerzulage haben soll. Diese Regelung zeigt aber, dass der Kläger letztlich insgesamt eine Vergütung erhalten soll, bestehend aus einem Grundlohn und den jeweiligen 10%igen Zulagen. Wie oben dargelegt aber der Wille der Tarifvertragsparteien zeigt, war der im Haustarifvertrag ab dem Jahr 2000 geregelte Lohn letztlich nichts anderes als die Zahlung eines derartigen Grundlohns zuzüglich dieser Zulagen, die exakt auf den damaligen gültigen Grundlohn aufgeschlagen wurden. Der Kläger erhielt damit über diese Zahlung dieses erhöhten Lohns die vertraglich geschuldete Vergütung in gleichbleibender Höhe weitergezahlt. Damit hat der Kläger aber diese geschuldete Zahlung, die er entweder über den Tarifvertrag erhalten sollte oder aber über den Arbeitsvertrag letztlich weiterhin bezahlt erhalten. Dies gilt auch für den streitgegenständlichen Zeitraum, auch wenn die ursprüngliche Regelung später von anderen Regelungen abgelöst wurde. Zumindest hat der Kläger hier nichts Gegenteiliges vorgetragen.
d) Der Haustarifvertrag kam auch auf den Kläger zur Anwendung. Der Kläger selbst hat letztlich auch bestätigt und auch nichts dagegen eingewandt, dass, auch wenn der Kläger nicht Mitglied der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands war und ist und insofern Kraft Tarifbindung nicht die tarifliche Leistung erhielt, dennoch zum einen die tariflichen Löhne tatsächlich erhalten, andererseits ergab sich die Anwendung des Haustarifvertrages letzten Endes aus der Inbezugnahmeklausel in § 10 des Arbeitsvertrages. Dort ist der Verweis auf die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer im Omnibusverkehr enthalten in ihrer jeweils gültigen Fassung. Diese Regelung ist auch hinreichend bestimmt. Wie schon das Arbeitsgericht festgestellt hat, sind Bezugnahmeklauseln an sich nicht überraschend gem. § 305 c Abs. 1 BGB. Ebenso wenig ist das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verletzt. Insoweit entsprechen die Bezugnahmeklauseln auf das jeweils gültige Tarifrecht einer üblichen Regelungstechnik. Auch genügt nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 des Nachweisgesetzes der bloße allgemeine Hinweis auf Tarifverträge (vgl. BAG Urteil vom 18.03.2015 – 7 AZR 272/13). Dabei ist es ausreichend, wenn im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung die geltenden, in Bezug genommenen Regelungen bestimmbar sind (vgl. BAG vom 23.03.2011 – 10 AZR 831/09). Gegebenenfalls ist durch Auslegung oder auch durch Heranziehung von Kollisionsregeln der zutreffende Tarifvertrag zu bestimmen. Im vorliegenden Fall war dies der Haustarifvertrag, da dieser als speziellerer Tarifvertrag den Flächentarifvertrag verdrängte. Denn Firmentarifverträge stellen gegenüber Flächentarifverträgen stets die speziellere Regelung dar (vgl. BAG vom 20.01.2009 – 9 AZR 146/08). Nachdem die Haustarifverträge die damals einzig von der Beklagten selbst abgeschlossenen Tarifverträge darstellten, wurden denkbare andere Flächentarifverträge jedenfalls verdrängt und konnte sich die Bezugnahmeklausel daher bestimmbar nur auf diese Haustarifverträge beziehen. Letztlich haben der Kläger und die anderen Arbeitnehmer dies auch nicht bestritten. Vielmehr wurden über die Jahre hinweg auf das Arbeitsverhältnis immer diese Haustarifverträge angewendet.
e) Die Haustarifverträge kamen hinsichtlich der Zulagenzahlung auch zum Tragen, auch wenn in Ziffer 10 des Arbeitsvertrages geregelt ist, dass das Arbeitsverhältnis nur „im Übrigen“ diesen tariflichen Vorschriften unterliegt. Denn gerade was die Vergütungsregelung anbetraf, war hinsichtlich der Zulagenzahlung auf die Voraussetzungen des Tarifvertrages verwiesen. Soweit daher über die Bezugnahmeklausel im Tarifvertrag eine Vergütung der Zuschläge geregelt war, fand diese über die Bezugnahmeklausel letztlich Anwendung und war vorrangig zur arbeitsvertraglichen Zulagenregelung.
f) Hinzu kommt, dass auch die Arbeitsvertragsparteien die entsprechenden Zahlungen nach der Praktizierung über 15 Jahre hinweg so verstanden haben. Denn über diesen langen Zeitraum hinweg hat der Kläger und auch kein anderer Arbeitnehmer letztlich die Zulagenbezahlung geltend gemacht. Vielmehr wurde die höhere Vergütungszahlung wohl als entsprechende Zahlung auf die Zulagen verstanden und akzeptiert. Insoweit verweist der Kläger selbst in anderem Zusammenhang mit der praktizierten Zahlung auf jede erbrachte Arbeitsstunden darauf hin, dass bei der Auslegung von Verträgen nicht nur auf den Wortlaut der Erklärung abzustellen ist, sondern auch etwa das nachträgliche Verhalten von Vertragsparteien, insbesondere könne eine feststehende Vertragspraxis für die Auslegung bedeutsam sein, falls sich hieraus Anhaltspunkte für den tatsächlichen Vertragswillen ergeben können (vgl. BGH vom 06.11.2003 – III ZR 376/02). Zwar handelt es sich bei der Zahlung als solche nicht um eine Willenserklärung, jedoch ist auch in Bezug auf ein gelebtes Arbeitsverhältnis ein Parteiwille, wie er sich aus einer geübten Vertragspraxis ergibt, nicht unmaßgeblich (vgl. BAG vom 02.11.2016 – 10 AZR 419/15). Insofern zeigte der lange gelebte Vertragszeitraum von 15 Jahren, dass der Kläger und die anderen Omnibusfahrer die tarifliche Lohnzahlung in der um 20% angestiegenen Höhe ab Mitte 2000 als Zahlung auf die Zulagen angesehen haben. Damit wurde aber der arbeitsvertragliche Anspruch der nach der arbeitsvertraglichen Regelung aus einem Grundstundenlohn zuzüglich der 10 prozentigen Zulagen bestehen sollte, letztlich erfüllt, so dass ein zusätzlicher Anspruch nicht mehr in Betracht kommt.
g) Insoweit greift auch das Günstigkeitsprinzip, worauf sich der Kläger berufen hat, nicht ein. Die arbeitsvertragliche Regelung ist insoweit nicht günstiger, da sie dem Kläger an und für sich nur den selben Anspruch gewährt, wie er ihn über die tarifliche Regelung erhalten würde und auch erhalten hat. Die Zahlung über den Lohn nach dem Tarifvertrag ist im Gegenteil gegenüber der arbeitsvertraglichen Regelung die letztlich eine übertarifliche Zulage vorsieht, sogar günstiger. Denn die tarifliche Vergütung nimmt an Lohnerhöhungen automatisch teil, es besteht auch keine Anrechenbarkeit auf Tariflohnerhöhungen, anders als dies üblicherweise auch bei übertariflichen Zulagen möglich ist und wie es etwa auch im Arbeitsvertrag des Klägers geregelt ist, auch wenn diese arbeitsvertragliche Regelung wegen des Eingreifens der Betriebsvereinbarung möglicherweise nicht zum Tragen kommt. Die grundsätzliche Zahlung über den Grundlohn ist aber eine günstigere Regelung für den Kläger.
Somit konnte aus diesem Grund schon die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben, vielmehr war der Berufung der Beklagten stattzugeben.
2. Selbst wenn man den eigenständigen Anspruch des Klägers aufgrund des Arbeits vertrages bejahen würde, wäre dieser Anspruch auch durch einvernehmliche Abänderung des Arbeitsvertrages nicht mehr vorhanden. Denn nach der Rechtsprechung kann nach einem Änderungsangebot, dessen Umsetzung sich sofort auswirkt, im Arbeitsverhältnis die widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer sich als konkludente Annahme des Änderungsangebotes insgesamt herausstellen (vgl. BAG vom 01.08.2001 – 4 AZR 129/00). Zwar hat die Beklagte gegenüber dem Kläger kein ausdrückliches Änderungsangebot etwa dahingehend abgegeben, dass der Kläger ab dem Inkrafttreten des Haustarifvertrages statt der Einmannfahrer- und Schichtzulage nunmehr den erfüllten Lohn des Haustarifvertrages erhalten sollte und insoweit das Arbeitsverhältnis abgeändert werden sollte. Letztlich kann aber, sollte ein eigenständiger Anspruch darin gesehen werden, in der Zahlung dieses Lohns durchaus das konkludente Angebot der Arbeitgeberseite gesehen werden, künftig statt der einzeln ausgewiesenen Zulagen die Gesamtgrundvergütung zu zahlen. Dieses konkludente Angebot, das letzten Endes mit der Lohnzahlung und der Ausweisung in der Lohnabrechnung stattgefunden hat, hat der Kläger auch, obwohl sich dies sofort in Form der künftigen Lohnzahlungen ausgewirkt hat, durch widerspruchsloses Weiterarbeiten ohne Monieren konkludent akzeptiert, so dass sich auch der Arbeitsvertragsinhalt dahingehend geändert hat, dass der Grundlohn, in den die Zulagen integriert waren, das heißt der um 20% angestiegen war, künftig die vertragliche Vergütung darstellten sollte. Auch insoweit bestand daher kein darüber hinausgehender Zulagenanspruch mehr.
3. Schließlich stünde dem Verlangen des Klägers auch tatsächlich der Einwand der Verwirkung entgegen.
a) Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB).
Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes und trägt dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechnung. Die Verwirkung verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner bereits dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger seine Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruches nicht mehr zuzumuten ist. Zeit- und Umstandsmoment beeinflussen sich wechselseitig. Beide Elemente sind miteinander verbunden. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände sind, die ein Geltendmachen für den Gegner unzumutbar machen, desto schneller kann ein Anspruch oder Recht verwirken. Umgekehrt gilt, je mehr Zeit verstrichen ist, desto geringer sind die Anforderungen an das Umstandsmoment. Es müssen letztlich besondere Verhaltensweisen sowohl des Berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (vgl. BAG vom 24.08.2017 – 8 AZR 265/16; vom 22.06.2011 – 8 AZR 752/09).
b) Insoweit ist die Kammer der Auffassung, dass bei dem extrem langen hier vorlie genden Zeitraum von über 15 Jahren, nur noch geringe Anforderungen an das Umstandsmoment zu stellen sind. Dabei reicht es nach Auffassung der Kammer aus, dass der Kläger die in den Lohnabrechnungen seit Juni 2000 ausgewiesene höhere Vergütung widerspruchslos entgegengenommen hat, ebenfalls die Lohnabrechnungen und damit als auf die geschuldete Leistung bezogen in vollem Umstand als Erfüllung akzeptiert hat. Aus diesem langen Zeitraum ist daher ein Vertrauen erwachsen darauf, dass diese erhöhte Vergütung letzten Endes die vertraglich geschuldete Vergütung darstellt, worauf sich die Beklagte, auch etwa im Rahmen ihrer Wirtschaftlichkeitsberechnungen verlassen durfte. Denn die Personalausgaben sind unmittelbar auch Auswüchse letzten Endes der Kosten, welche die Beklagte ggf. über Fahrpreise zum Beispiel wiedererlangen muss. Wenn sie aber über einen derart langen Zeitraum davon ausgehen durfte, dass die Vergütung so akzeptiert wird und entsprechend keine Vorkehrungen etwa dafür getroffen werden müssen, weitere Nachforderungen abdecken zu müssen, dies auch insbesondere für die Vergangenheit nicht mehr möglich ist, etwa über erhöhte Fahrpreise, stellt sich das Vertrauen der Beklagten auf die Praktizierung und darauf, dass letzten Endes darüber hinausgehende Zulagen nicht mehr geltend gemacht werden als schutzwürdiger dar, als die Interessen des Klägers. Es scheint daher auch nach Treu und Glauben als unzumutbar, nunmehr die Zulagenansprüche erneut geltend machen zu dürfen. Daher steht auch der Gesichtspunkt der Verwirkung der Geltendmachung von Zulagen auf den tariflich erhöhten Lohn entgegen.
Aus all diesen Gründen konnte die Berufung des Klägers auf Zahlung weiterer Zulagen über die erstinstanzlich hinaus ausgeurteilten Ansprüche keinen Erfolg haben, da Ansprüche des Klägers schon grundsätzlich auf weitere Zulagen nicht gegeben sind. Hingegen war auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 91 ZPO.
5. Aufgrund des Abweichens von der Entscheidung der ersten Kammer des LAG München war gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 2 ArbGG die Revision zuzulassen. Insoweit wird auf die nachfolgende Rechtsmittelbelehrungverwiesen.


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