Bankrecht

Altvertrag über eine private Rentenversicherung im sog. Policenmodell: Rechtsmissbräuchlicher Widerruf nach Beitragsfreistellung und Kündigung

Aktenzeichen  IV ZR 133/20

Datum:
8.9.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:080921BIVZR133.20.0
Normen:
§ 5a Abs 1 S 1 VVG vom 13.07.2001
§ 5a Abs 2 S 1 VVG vom 13.07.2001
§ 242 BGB
§ 286 ZPO
Spruchkörper:
4. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG Bamberg, 14. Mai 2020, Az: 1 U 382/19vorgehend LG Schweinfurt, 14. Oktober 2019, Az: 23 O 209/19

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg – 1. Zivilsenat – vom 14. Mai 2020 gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten des Klägers zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.

Gründe

1
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Rückzahlung von Versicherungsprämien einer Rentenversicherung und Herausgabe von Nutzungen aus ungerechtfertigter Bereicherung nach erklärtem Widerspruch.
2
Der Versicherungsvertrag wurde aufgrund eines Antrags des Klägers zwischen diesem und der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit Versicherungsbeginn zum 1. September 2003 nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Der Kläger erhielt die Versicherungspolice nebst Verbraucherinformationen und Versicherungsbedingungen sowie ein Begleitschreiben per Post zugesandt. Die in den Versicherungsbedingungen und dem Begleitschreiben enthaltenen Belehrungen über das Widerspruchsrecht waren nach den Feststellungen der Vorinstanzen fehlerhaft.
3
Der Kläger zahlte in der Folgezeit die vereinbarten Versicherungsprämien. Auf seinen Antrag vom 6. Januar 2008 erfolgte eine Beitragsfreistellung für die Dauer von etwa eineinhalb Jahren; auf weiteren Antrag des Klägers vom 25. August 2009 wurde der Vertrag wieder beitragspflichtig fortgeführt.
4
Mit Schreiben vom 24. Dezember 2010 kündigte der Kläger den Vertrag. Daraufhin zahlte ihm die Beklagte einen Rückkaufswert aus.
5
Mit Schreiben vom 11. Dezember 2015 bat der Kläger die Beklagte ohne Erfolg um Überprüfung der Auszahlungsbeträge zum Zweck einer “Nachregulierung”.
6
Unter dem 10. November 2017 erklärte der Kläger den Widerspruch gegen den Vertragsschluss.
7
Der Kläger meint, er sei noch zum Widerspruch berechtigt gewesen, weil er nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden sei.
8
Mit der Klage verlangt er Rückzahlung der Versicherungsbeiträge und Herausgabe von Nutzungen unter Abzug des bereits gezahlten Betrages, insgesamt 21.749,48 € nebst Zinsen.
9
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
10
Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt er sein Klagebegehren weiter.
11
II. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung auf Rückzahlung der Versicherungsprämien und Herausgabe von Nutzungen, weil auch bei Vorliegen einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung die Ausübung des Widerspruchsrechts rechtsmissbräuchlich und damit verwirkt sei. Der Fall weise in der Gesamtschau besonders gravierende Umstände auf, die die Ausübung des Widerspruchsrechts als treuwidrig erscheinen ließen. Das für eine Verwirkung notwendige Zeitmoment sei gegeben, denn zwischen dem Vertragsschluss im Jahr 2003 und dem Widerspruch im Jahr 2017 lägen rund 14 Jahre. Darüber hinaus sei in der Gesamtschau aller Umstände auch das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment gegeben. Der Kläger habe mit der beantragten Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung diese beitragsfrei gestellt und mit dem Fortführungsantrag zum Ausdruck gebracht, den Vertrag beitragspflichtig weiterführen zu wollen. Hierdurch habe er bei der Beklagten einen Vertrauenstatbestand dahingehend erzeugt, dass er an dem Vertrag festhalten möchte. Dem Antrag eines Versicherungsnehmers auf prämienpflichtige Fortführung eines Versicherungsvertrages nach Beitragsfreistellung komme nicht nur die Bedeutung einer Ausübung von Rechten im Rahmen eines bestehenden Vertrages zu; vielmehr komme damit der ausdrückliche und beim Versicherer entsprechendes Vertrauen auslösende Wille zum Ausdruck, am Versicherungsvertrag festzuhalten. Hierbei komme es nicht entscheidend auf die Beitragsfreistellung an, denn die Umwandlung des Vertrages in eine beitragsfreie Versicherung sei in den Versicherungsbedingungen angelegt. Entscheidend für die Begründung des Vertrauens in die Fortführung der Versicherung sei vielmehr die spätere Rückumwandlung des Vertrages in eine prämienpflichtige Versicherung. Die Begründung eines schutzwürdigen Vertrauens der Beklagten ergebe sich auch aus dem weiteren Ablauf der Vertragsdurchführung. Nach der Kündigung und der Auszahlung des Rückkaufswertes habe die Beklagte annehmen dürfen, dass mit dieser Abwicklung das Versicherungsverhältnis endgültig beendet worden sei. Auch das Schreiben des Klägers, mit dem er eine Überprüfung der Auszahlungsbeträge gefordert habe, sei aus der maßgeblichen Empfängersicht der Beklagten dahingehend zu werten, dass der Kläger an der Beendigung des Vertrages durch die Kündigung festhalten wolle und lediglich mit der Höhe des nach der Kündigung ausgezahlten Rückkaufswertes nicht einverstanden sei.
12
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
13
1. Die Zulassung der Revision ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache geboten.
14
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, “weil die Rechtsfrage, ob eine Beitragsfreistellung und anschließende beitragspflichtige Fortführung eines Versicherungsvertrages ein Umstand ist, der geeignet ist, eine Verwirkung des Widerspruchsrechts nach § 5a VVG a.F. zu begründen, in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eine unterschiedliche Beantwortung erfährt und darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO)”.
15
Unterschiedliche Auffassungen werden in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte indes nur zu der Frage vertreten, ob eine Beitragsfreistellung einen Umstand darstellt, der geeignet ist, das Vertrauen des Versicherers in den Fortbestand des Vertrages zu begründen. Nach einer Ansicht genügt eine Beitragsfreistellung für sich genommen nicht, um ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Fortbestand des Vertrages zu begründen, weil es sich um eine bloße Ausübung von Vertragsrechten handele (OLG Oldenburg NJW-RR 2020, 222 Rn. 28; OLG Karlsruhe WM 2020, 149 Rn. 77; OLG Dresden, Urteil vom 7. Mai 2019 – 4 U 1316/18, juris Rn. 23; OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. Dezember 2018 – 24 U 13/18, juris Rn. 7). Hingegen hat das Oberlandesgericht Köln (VersR 2016, 1103 [juris Rn. 4 f.]) die Ausübung des Widerspruchsrechts trotz einer fehlenden ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung als widersprüchliches Verhalten im Sinne von § 242 BGB angesehen, weil der Versicherungsnehmer durch seine Bitte, die Verträge nach den von ihm ausgesprochenen Kündigungen beitragsfrei fortzuführen, verdeutlicht habe, dass er an den Verträgen festhalten wolle. Das Brandenburgische Oberlandesgericht (Urteil vom 8. Januar 2019 – 11 U 10/18, juris Rn. 32) hat ein treuwidriges Verhalten eines ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrten Versicherungsnehmers, der den Versicherungsvertrag mehr als drei Jahre nach seiner Beitragsfreistellung gekündigt hat, angenommen. Ob bei Fehlen einer ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung eine Beitragsfreistellung als vertrauensbegründender gravierender Umstand berücksichtigt werden kann, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich, denn das Berufungsgericht hat nicht maßgeblich auf die Beitragsfreistellung abgestellt, sondern vielmehr die spätere Rückumwandlung des Vertrages in eine prämienpflichtige Versicherung als entscheidend für die Begründung des Vertrauens der Beklagten in die Fortführung der Versicherung angesehen.
16
2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass ein Bereicherungsanspruch des Klägers nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts ausgeschlossen ist, auch wenn er nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt wurde.
17
a) Nach der Rechtsprechung des Senats kann auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind (Senatsbeschluss vom 3. Juni 2020 – IV ZB 9/19, NJW-RR 2020, 914 Rn. 14; Senatsurteil vom 26. September 2018 – IV ZR 304/15, r+s 2018, 647 Rn. 23; Senatsbeschluss vom 27. September 2017 – IV ZR 506/15, NJW-RR 2018, 161 Rn. 15; Senatsurteil vom 1. Juni 2016 – IV ZR 482/14, VersR 2017, 275 Rn. 24; jeweils m.w.N.). Allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte Belehrung der Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung des Widerspruchsrechts entgegensteht, können nicht aufgestellt werden. Vielmehr obliegt die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall dem Tatrichter (Senatsbeschluss vom 3. Juni 2020 aaO, Senatsurteil vom 26. September 2018 aaO; Senatsbeschluss vom 27. September 2017 aaO Rn. 10 und 15; Senatsurteil vom 11. Mai 2016 – IV ZR 334/15, r+s 2016, 339 Rn. 16; Senatsbeschluss vom 11. November 2015 – IV ZR 117/15, juris Rn. 16). Auch in Fällen eines fortbestehenden Widerspruchsrechts kann die Bewertung des Tatrichters in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2018 – XI ZR 298/17, NJW 2018, 1390 Rn. 9, 27; Urteile vom 14. März 2017 – XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27; vom 12. Juli 2016 – XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 43; jeweils m.w.N.)
18
b) Das Berufungsgericht hat sich an den vorgenannten Maßstäben orientiert und besonders gravierende Umstände festgestellt, die dem Kläger die Geltendmachung etwaiger Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung verwehren. In erster Linie hat es berücksichtigt, dass der Kläger mit dem Antrag auf prämienpflichtige Fortführung des Versicherungsvertrages nach der Beitragsfreistellung den ausdrücklichen und bei der Beklagten entsprechendes Vertrauen auslösenden Willen zum Ausdruck gebracht habe, am Versicherungsvertrag festzuhalten. Diese Würdigung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wobei dahinstehen kann, ob nach der Rückumwandlung das frühere Versicherungsverhältnis unverändert wiederauflebte oder ein neues Versicherungsverhältnis mit im Wesentlichen gleichem Inhalt begründet wurde (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 1954 – II ZR 20/53, BGHZ 13, 226 [juris Rn. 16]). Offenbleiben kann auch, ob – wie der Kläger erstmals in der Revisionsinstanz geltend macht – die in dem Fortführungsantrag und in dem Bestätigungsschreiben der Beklagten enthaltenen Widerrufsbelehrungen nicht den Anforderungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG in der seinerzeit gültigen Fassung genügten. Das Berufungsgericht hat auch für den von ihm angenommenen Fall eines Neuabschlusses die Treuwidrigkeit daran geknüpft, dass der Kläger durch seinen Fortführungsantrag bei der Beklagten den Eindruck erweckte, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen (vgl. für den Fall einer vom Versicherungsnehmer erbetenen Wiederinkraftsetzung eines zunächst vom Versicherer gekündigten Versicherungsvertrages Senatsbeschlüsse vom 13. Januar 2016 – IV ZR 117/15, juris Rn. 5; vom 11. November 2015 aaO, juris Rn. 19). Darüber hinaus hat es den weiteren Ablauf der Vertragsdurchführung in den Blick genommen und gemeint, dass die Beklagte nach der Kündigung und Auszahlung des Rückkaufswertes auf die endgültige Beendigung des Versicherungsverhältnisses habe vertrauen dürfen. Insoweit hat es nicht verkannt, dass eine vom Versicherungsnehmer ausgesprochene Kündigung als solche einem späteren Widerspruch nicht entgegensteht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 36). Es hat vielmehr in diesem Zusammenhang das Schreiben des Klägers vom 11. Dezember 2015, mit dem er eine Überprüfung der Auszahlungsbeträge forderte, aus der Sicht der Beklagten so gewürdigt, dass der Kläger an der Beendigung des Vertrages durch die Kündigung festhalten wollte und lediglich mit der Höhe des ausgezahlten Rückkaufwertes nicht einverstanden war. Diese tatrichterliche Beurteilung erfasst alle wesentlichen Gesichtspunkte des Streitfalles und lässt Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze nicht erkennen.
Mayen     
        
Harsdorf-Gebhardt     
        
Dr. Brockmöller
        
Dr. Bußmann     
        
Dr. Bommel     
        
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Zurücknahme der Revision erledigt worden.


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