Bankrecht

Auflösung einer Publikumsgesellschaft: Formelle Legitimation einer auf eine Mehrheitsklausel gestützten Entscheidung der Gesellschafterversammlung; treupflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht; Berücksichtigung einer Ausfallquote bei Festlegung der Höhe der Nachschussforderungen gegen die Gesellschafter

Aktenzeichen  II ZR 99/10

Datum:
20.11.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 709 BGB
§ 735 S 1 BGB
§ 735 S 2 BGB
Spruchkörper:
2. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend KG Berlin, 3. Mai 2010, Az: 23 U 71/09, Urteilvorgehend LG Berlin, 25. März 2009, Az: 20 O 263/08

Tenor

Auf die Revisionen der Klägerin und der Beklagten wird unter Zurückweisung ihrer weitergehenden Rechtsmittel das Urteil des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 3. Mai 2010 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage in Höhe von 131.491,20 € nebst Zinsen ab dem 28. September 2008 abgewiesen wurde und der Klägerin hinsichtlich des ausgeurteilten Betrags von 588.558,15 € Zinsen für den Zeitraum vor dem 28. September 2008 zuerkannt wurden.
Im Umfang der Aufhebung wird das Urteil der Zivilkammer 20 des Landgerichts Berlin vom 25. März 2009 auf die Berufung der Beklagten unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 720.049,35 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. September 2008 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin, ein geschlossener Immobilienfonds in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, wurde im Jahr 1992 zu dem Zweck gegründet, in B.            mehrere Wohnhäuser zu errichten und zu bewirtschaften. Die Beklagten traten der Gesellschaft im Dezember 1992 mit einem Betrag von 3.480.800 DM zuzüglich Agio bei. Zuletzt betrug ihre Beteiligungsquote 5,4788 %.
2
Der Gesellschaftsvertrag (im Folgenden: GV) der Klägerin enthält unter anderem folgende Bestimmungen:
§ 8
Haftung/Nachschüsse
1. Die Gesellschafter haften gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft mit dem Gesellschaftsvermögen als Gesamtschuldner.
2. Mit ihrem sonstigen Vermögen haften sie den Gläubigern der Gesellschaft nur quotal entsprechend ihrer kapitalmäßigen Beteiligung an der Gesellschaft, in der Höhe jedoch unbegrenzt.

4. Die Gesellschafter sind verpflichtet, Unterdeckungen im Rahmen der Finanzierung des Bauvorhabens (§ 3 Ziff. 2 und 4) sowie der Bewirtschaftung des gesellschaftseigenen Bauvorhabens einschließlich der Kosten der Gesellschaft anteilig zu tragen und auf Anforderung der Geschäftsführung Nachschüsse zu leisten …
5. Die Gesellschaft ist berechtigt, Nachschussleistungen mit Ansprüchen des Gesellschafters auf Auszahlung von Überschüssen … zu verrechnen.
§ 16
Gesellschafterversammlung
– Beschlussgegenstände –
Die Gesellschafterversammlung beschließt über

e) die Änderung des Gesellschaftsvertrages,

g) die Auflösung der Gesellschaft …
h) alle sonstigen Angelegenheiten, die ihr nach diesem Gesellschaftsvertrag zugewiesen sind …
§ 17
Gesellschafterversammlung
– Beschlussfassung, Stimmrechte –

3. Sämtliche Beschlüsse werden mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit nicht das Gesetz oder dieser Vertrag ausdrücklich eine andere Mehrheit vorschreibt. Bei Abstimmung über Gegenstände im Sinne von [§] 16 e) und g) ist eine Mehrheit von 3/4 der abgegebenen, mindestens aber von 51 % aller Gesellschafterstimmen erforderlich und ausreichend.

5. Beschlüsse der Gesellschafter können außer in der Gesellschafterversammlung auch durch schriftliche Abstimmung gefasst werden. Zur Wirksamkeit solcher schriftlichen Beschlüsse genügt die in der Satzung oder im Gesetz vorgeschriebene Mehrheit.
3
Die Klägerin geriet in eine wirtschaftliche Schieflage, weil ihre Einnahmen nicht ausreichten, um die Wohnanlage zu bewirtschaften und den Kapitaldienst gegenüber der finanzierenden Bank zu tragen. Die Gesellschafterversammlung der Klägerin fasste aufgrund einer Beschlussvorlage vom 30. März 2007, über die die Gesellschafter bis zum 25. April 2007 abstimmen konnten, im schriftlichen Verfahren den Beschluss, die Fondsimmobilie zu einem Kaufpreis von mindestens 9.000.000 € zu veräußern. Mit Datum des dem notariellen Kaufvertrag nachfolgenden Tages sollte die Klägerin als aufgelöst gelten. Zum Liquidator wurde die B.                       GmbH bestellt. Der Beschluss wurde mit 98,4726 % der abgegebenen und 67,3886 % aller möglichen Stimmen angenommen. 1,5274 % der abgegebenen Stimmen richteten sich gegen die Beschlussvorlage oder enthielten sich.
4
Am 26. Oktober 2007 wurde die Immobilie zu einem Kaufpreis von 9.320.000 € verkauft. Zum 27. Oktober 2007 wurden eine Liquidationsbilanz sowie eine „Vermögensübersicht zur Liquidationseröffnung“ erstellt. Diese wiesen ein „negatives Kapital“ von 13.415.303,24 € aus. Zur Ermittlung des ersten vorläufigen Liquidationsverlusts wurde voraussichtlichen Ausfällen von Gesellschaftern Rechnung getragen und das „negative Kapital“ dementsprechend um 2.400.000 € auf einen Betrag von 15.815.303,24 € erhöht. In der Liquidationsbilanz ist hierzu erläutert, dass bei bestimmten – namentlich genannten – Gesellschaftern „die Bonität aufgrund vorliegender Erklärungen der Gesellschafter bzw. von deren Anwälten als schlecht zu bewerten“ sei. Auf dieser Grundlage und der Berücksichtigung einer Beteiligungsquote von 5,4788 % wurde eine Ausgleichszahlung der Beklagten in Höhe von 720.049,35 € ermittelt.
5
Mit Schreiben vom 23. November 2007 forderte die Klägerin die Beklagten unter Fristsetzung bis zum 10. Dezember 2007 vergeblich zur Leistung ihres auszugleichenden Fehlbetrags auf.
6
Die Gesellschafterversammlung der Klägerin stimmte – nach Erhebung der Klage im vorliegenden Verfahren – im Umlaufverfahren in der mit Schreiben vom 12. September 2008 gesetzten Frist zur Stimmabgabe bis zum 27. September 2008 mit 51,14 % aller möglichen und 86,2253 % aller abgegebenen Stimmen dafür, die mit Schreiben vom 23. November 2007 versandte Vermögensübersicht zur Liquidationseröffnung zum 27. Oktober 2007 als Schlussbilanz zu genehmigen. Gleichzeitig wurde der Liquidator angewiesen, auf der Basis des ausgewiesenen Fehlbetrags der Gesellschaft in Höhe von 15.815.303,24 € die erforderlichen Nachschüsse einzufordern und die Auseinandersetzung zwischen den Gesellschaftern zu betreiben.
7
Der zunächst geschlossene Kaufvertrag vom 26. Oktober 2007 über die Immobilie konnte nicht durchgeführt werden. Nachdem daraufhin im Umlaufverfahren beschlossen worden war, das Grundstück zu einem Kaufpreis von mindestens 7.000.000 € zu veräußern, schloss die Klägerin Anfang 2010 einen neuen Kaufvertrag zu einem Kaufpreis von ca. 7.800.000 €.
8
Das Landgericht hat der auf Zahlung von 720.049,35 € nebst Zinsen seit dem 11. Dezember 2007 gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten führte zur Abweisung der Klage in Höhe von 131.491,20 € nebst Zinsen. Im Übrigen hat das Berufungsgericht das Urteil bestätigt. Mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen wenden sich die Parteien gegen das Berufungsurteil, soweit zu ihrem Nachteil entschieden wurde.


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