Bankrecht

Berufung, Widerruf, Darlehensvertrag, Erfolgsaussicht, Musterbelehrung, Widerrufsfrist, Widerrufsbelehrung, Gegenstandswert, Darlehensnehmer, Herausgabe, Revisionszulassung, Berufungsverfahren, Vorabentscheidungsverfahren, Grundsatzbedeutung, Zug um Zug, keine Erfolgsaussicht, Vermeidung von Wiederholungen

Aktenzeichen  5 U 958/20

Datum:
27.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 46370
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

5 U 958/20 2020-03-26 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 16.01.2020, Aktenzeichen 27 O 12907/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt nach ihrem Widerruf die Rückabwicklung eines Kfz-Finanzierungsvertrags.
Die Klägerin hat den am 23.07. bzw. 03.08.2015 abgeschossenen Darlehensvertrag am 15.01.2019 widerrufen. Sie war und ist der Meinung, dass die Widerrufsfrist wegen diverser Belehrungsfehler noch nicht abgelaufen sei.
Die Klägerin hat vor dem Landgericht beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 27.170,27 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 02.08.2018 zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe des Kfz Opel Astra Sports Tourer 2.0 ecoFLEX, Diesel mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …291 nebst Fahrzeugschlüsseln und Fahrzeugpapieren.
I. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorgenannten Kfz in Annahmeverzug befindet.
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung aus einem Gegenstandswert über 27.000 € in Höhe von 1.358,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat
Klageabweisung beantragt, weil sie der Meinung war, dass der Widerruf wegen ihrer ordnungsgemäßen Belehrung verfristet sei.
Das Landgericht hat ebenfalls die Meinung vertreten, dass der Widerruf verfristet sei und deshalb die Klage mit Endurteil vom 16.01.2020 abgewiesen, zumal die Beklagte den Widerruf auch nicht anerkannt habe. Gegen das ihr am 20.01.2020 zugestellte Ersturteil hat die Klägerin am 20.02.2020 Berufung eingelegt, die sie am 19.03.2020 begründet hat. Der Senat hat die Klägerin durch Beschluss vom 26.03.2020, der ihr am 27.03.2020 zugestellt worden ist, darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 zurückzuweisen.
Dagegen hat sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 14.04.2020 gewandt und ausgeführt, es sei für jedermann offensichtlich, dass der XI. Senat des BGH, dem sich der erkennende Senat angeschlossen habe, das Auslegungsmonopol des EuGH bewusst und systematisch umgehe und jeweils von einem „acte clair“ ausgehe, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorlägen. Daher sei der Rechtsstreit auszusetzen bis der EuGH die Vorlagefragen zum Verzugszins und zur Vorfälligkeitsentschädigung geklärt habe. Wenn sich der Senat der Auffassung des BGH anschließen wolle, scheine er den Vortrag in der Berufungsbegründung nicht einmal ansatzweise zur Kenntnis genommen zu haben. Wegen des Urteils des EuGH vom 26.03.2020 zum Kasakadenverweis (C-66/19) könne nicht angenommen werden, dass die Widerufsfrist abgelaufen sei. Da die Widerrufsbelehrung der Beklagten nicht deutlich hervorgehoben sei, könne sie sich auf die Gesetzlichkeitsfiktion nicht berufen. Europarechtskonform könne Art. 247 § 6 Abs. 3 S.3 EGBGB nur so ausgelegt werden, dass sich die Beklagte nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des europarechtswidrigen Musters berufen könne. Wenn der Senat seiner Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung nicht nachkomme, setze er seinen rechtspolitischen Willen an die Stelle des erkennbar gegenteiligen Willens des Gesetzgebers. Wenn er bei seiner Auffassung bleibe, handele er sehenden Auges verfassungswidrig. Die Vermutung des Senats, die Beklagte habe den Widerruf nach seinem Eingang nicht geprüft, sei durch nichts belegt.
Die Klägerin beantragt,
das Ersturteil abzuändern und nach ihren erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Ersturteil, die im Berufungsverfahren vorgelegten Schriftsätze und den Hinweisbeschluss vom 26.03.2020 verwiesen.
II.
Die Berufung hat nach einstimmiger Meinung des Senats offensichtlich keine Erfolgsaussicht, weil sich die Beklagte hinsichtlich des Kaskadenverweises auf die Gesetzlichkeitsfiktion der Musterbelehrung stützen kann und hinsichtlich Verzugszins und Vorfälligkeitsentschädigung weder ein Aussetzungsgrund besteht, noch in der Sache zugunsten der Klägerin zu entscheiden ist. Ebenso wenig hat die Beklagte den Widerruf der Klägerin anerkannt. Auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 26.03.2020 wird zu Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Zu den von der Klägerin im Schriftsatz vom 14.04.2020 erhobenen Einwendungen gilt das Folgende:
I.
Der Verweis der Klägerin auf das Vorabentscheidungsverfahren C-639/18 des EuGH führt nicht weiter, da es dort nach ihren Darlegungen um Anschlusszinsvereinbarungen geht, die hier nicht Streitgegenstand sind.
I. Die Beklagte kann sich hinsichtlich des Kaskadenverweises auf die Gesetzlichkeitsfiktion aus Art. 247 § 6 Abs. 2 S.3 EGBGB berufen, denn sie hat das Belehrungsmuster als Vertragsklausel in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form in ihr Vertragsformular übernommen, wie nach Einsicht in das von der Klägerin auf Anordnung des Senats vorgelegte Originalvertragsformular ohne Weiteres für jeden Betrachter ersichtlich ist.
Nach der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zur Einfügung dieser Formulierung in § 6 Abs. 2 S.3 EGBGB sollte die „Vertragsklausel in ihrer Form deutlich hervorgehoben und deutlich gestaltet sein.“ Dies beruhe zum einen auf den Vorgaben des Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB – neu – der „klar und verständlich“ zu erteilende Angaben voraussetze. Zum anderen erscheine die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters nur dann gerechtfertigt, wenn dessen Formulierungen hervorgehoben und deutlich gestaltet in den Vertrag einbezogen werden (BT-Drs. 17/1394 v. 19.04.2010 S.21). Die „Widerrufsinformation für den Ratenkredit“ ist ausweislich des Originals von Anlage K 3 S.2 durch die schwarze Umrandung ähnlich wie die Musterbelehrung Anlage 7 zu Artikel 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB hervorgehoben und durch die Einfügung der fettgedruckten Überschriften „Widerrufsrecht“, „Besonderheiten bei weiteren Verträgen“, „Widerrufsfolgen“ und nochmals „Besonderheiten bei weiteren Verträgen“ und die graue Unterlegung des Texts (nur) der Widerrufsinformation deutlich gestaltet. Die Umrandung der Widerrufsbelehrung ist deutlich kräftiger als die anderen Umrandungen in dem Vertragsformular. Der Darlehensnehmer, der das Vertragsformular durchblättert, stößt automatisch auf S.2/3 auf den fett schwarz umrandeten und grau unterlegten Kasten mit der fettgedruckten Überschrift „Widerrufsinformation für den Ratenkredit“, der sich damit deutlich vom übrigen Text abhebt und die Rechtslage unübersehbar zur Kenntnis bringt (vgl. dazu BGH, Urt. v. 25.04.1996, X ZR 139/94 sub 2.b), so dass sich die Beklagte grundsätzlich auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen kann.
Die Beklagte kann sich auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen, wie der BGH für Art. 247 § 6 Abs. 3 S.2 EGBGB in der hier anzuwendenden, zwischen dem 13.06.2014 und dem 20.03.2016 gültigen Fassung, entschieden hat (Beschluss v. 31.03.2020, XI ZR 198/19, Rn.6 ff).
I. Die Beklagte hat den Widerruf nicht anerkannt. In Ihrem Schreiben vom 25.04.2018 (Anlage K 6), mit dem sie den Eingang des Widerrufs bestätigt heißt es:
“Sehr geehrte Frau L., mit Bedauern haben wir den Widerruf ihrer Finanzierung zur Kenntnis genommen und an unseren Kooperationspartner weitergeleitet.
Damit wir Ihr Anliegen abschließend bearbeiten können, bitten wir Sie die Warenretoure oder Barzahlung mit dem Händler abzustimmen. Erst nach Erhalt einer Bestätigung durch den Händler, können wir die Rückabwicklung der Finanzierung veranlassen. Dies beinhaltet auch eine vollständige Rückzahlung von evtl. bereits geleisteten Ratenzahlungen.
Sollte es sich hierbei um einen Irrtum handeln, reichen Sie uns bitte eine eigenhändig unterschriebene Erklärung über den Rücktritt von Ihrem Widerruf ein.“
Aus diesem Schreiben ergibt sich nach dessen objektiven Erklärungswert, dass die Beklagte den Widerruf noch nicht abschließend bearbeitet hatte und vorab bat, die Frage der Rückgabe der Ware bzw. deren anderweitige Bezahlung mit dem Händler zu klären. Erst wenn hierzu die Bestätigung durch den Händler vorliege, könne die Rückabwicklung der Finanzierung veranlasst werden. Die Beklagte zog sich also darauf zurück, dass die Warenrückgabe zunächst mit dem Verkäufer besprochen werden solle und sie selbst die Rückabwicklung der Finanzierung nach Erhalt einer entsprechenden Bestätigung des Händlers veranlassen werde. Daraus ergibt sich gerade nicht, dass die Beklagte den Widerruf zu ihren eigenen Lasten anerkannt hätte, sondern, dass sie erklärte, die Rückabwicklung zu veranlassen, wenn ihr eine entsprechende Bestätigung vorliege. Dass dies der Fall gewesen wäre, behauptet auch die Klägerin nicht.
I.
Die vorstehenden Ausführungen des Senats beruhen auf der zitierten und den Klägervertretern gerichtsbekannt bis ins Detail geläufigen obergerichtlichen Rechtsprechung zum Widerruf von Kfz-Finanzierungsverträgen, so dass die Angelegenheit keine Grundsatzbedeutung hat, die ggf. mündliche Verhandlung und Revisionszulassung veranlassen würde. Soweit die Klägerin meint, ihre anderweitige Meinung mit der Behauptung unterlegen zu müssen, dass dem Senat eine Gesetzesauslegung contra legem versagt sei, trifft diese Sentenz zwar zu, allerdings fehlt jeder Beleg dafür, dass eine Gesetzesauslegung, die nicht der Auffassung der Klägerin bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten entspricht „contra legem“, mithin – wie die Klägerin meint – „sehenden Auges verfassungswidrig“ wäre.
I.
Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr.10, 711 ZPO. Als Streitwert war der Hauptsacheantrag exclusive Zinsen anzusetzen.
München, 27.04.2020
Verfügung
1. Beschluss vom 27.04.2020 hinausgeben an:
Prozessbevollmächtigte der Berufungsklägerin … zustellen Prozessbevollmächtigte der Berufungsbeklagten … zustellen
2. Das Original von K 3 muss nach Rechtskraft an die Klägerin herausgegeben werden, hierauf ist ggf. bei Rückgabe der Akten an das LG ausdrücklich hinzuweisen!
3. Schlussbehandlung …


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