Bankrecht

Fluggastrecht, Rechtsanwaltskosten, Streitwert, Vollstreckung, Verkauf, Provision, Annullierung, Genehmigung, Klage, Leistung, Reisevermittler, Nachweis, Sicherheitsleistung, Beweisaufnahme, Zinsen, Kosten des Rechtsstreits, nicht ausreichend

Aktenzeichen  14 O 2303/21

Datum:
3.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 55342
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zu 1) bis zu 4) jeweils 159,97 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.04.2020 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.832,36 EUR, ab 05.10.2021 auf 715,88 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
I.
Das Landgericht Landshut ist örtlich nach § 29 ZPO und sachlich nach §§ 23, 71 GVG und § 261 ZPO zuständig.
Die minderjährigen Kläger zu 3) und zu 4) sind auf Grund der Vertretung durch ihre Eltern als gesetzliche Vertreter prozessfähig.
II.
Die Kläger haben gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 8 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 (im Folgenden Fluggastrechte-VO) einen Anspruch auf vollständige Rückerstattung der Flugscheinkosten, worunter auch die Vermittlungsgebühren der … GmbH in Höhe von insgesamt 639,88 EUR fallen, nicht jedoch die Kosten für ein „Servicepaket“ in Höhe von 76,00 EUR.
1. Die Kläger verfügten über eine bestätigte Buchung für eine Flugreise, die am Flughafen München beginnen sollte. Die Beklagte hat die Flüge annulliert. Da die Kläger keinen Flug angetreten haben, erhalten sie nach ihrer Wahl die vollständigen Flugscheinkosten erstattet. Die Kläger haben ihr Wahlrecht gemäß Art. 8 lit. a Fluggastrechte-VO, vertreten durch die … GmbH, mit E-Mail vom 02.04.2020 gegenüber der Beklagten ausgeübt und die Rückerstattung beantragt.
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Art. 8 Abs. 1 lit. a Fluggastrechte-VO dahin auszulegen, dass der Preis des Flugscheins, der zur Ermittlung des einem Fluggast vom Luftfahrtunternehmen im Fall der Annullierung eines Fluges geschuldeten Erstattungsbetrags heranzuziehen ist, die Differenz zwischen dem vom Fluggast gezahlten und dem vom Luftfahrtunternehmen erhaltenen Betrag in Höhe der Provision eines als Vermittler zwischen ihnen tätig gewordenen Unternehmens einschließt, es sei denn, die Provision wurde ohne Wissen des Luftfahrtunternehmens festgelegt (EuGH, Urteil vom 12.09.2018, Rs. C-601/17).
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht für das Gericht fest, dass die Beklagte den ihr obliegenden Nachweis, dass die Provision ohne ihr Wissen festgelegt wurde, nicht geführt hat. Der Zeuge N.N. ist als Country Manager bei der Beklagten beschäftigt. Er hat als Aufsichtsführender über die Abteilung Verkauf / Reservierung / Verwaltung Einblick in den Prozess des Verkaufs von Flugtickets der Beklagten über sog. Reisevermittler bzw. Reisebüros.
Der Zeuge N.N. schilderte für das Gericht sachlich und nachvollziehbar, dass die Beklagte ihre Flugtickets in globalen Reservierungssystemen zu einem bestimmten Preis anbietet. Hierauf haben nur Reisebüros oder Reisevermittler u.Ä. Zugriff, nicht die Fluggäste bzw. die Kläger selbst. Diese sehen nur den Preis, den der Reisevermittler anbietet. Hierin ist oftmals bereits eine Provision enthalten. Der Zeuge schilderte, dass der Beklagten bekannt sei, dass manche der Reisevermittler eine Provision verlangen, andere hingegen nicht und dass die Tickets von den Reisevermittlern zu einem vom Reisevermittler selbst festgelegten Preis an die Endkunden und Fluggäste veräußert werden. Eine Überprüfung oder Genehmigung des vom Reisevermittler vermittelten Ticketverkaufs findet nicht statt. Die Beklagte gibt die Möglichkeit der Überprüfung der Buchung freiwillig aus der Hand in dem Wissen, dass die Reisevermittler gegebenenfalls eine Provision in unbekannter Höhe verlangen.
Es ist anhand der Angaben des Zeugen zwar davon auszugehen, dass die Beklagte keinen Einfluss darauf hat, ob und in welcher Höhe der von den Klägern gewählte Reisevermittler eine Provision erhebt. Die Beklagte gibt ihre Tickets aber wissentlich und willentlich – ohne dass eine weitere Genehmigung erforderlich wäre – zum Verkauf durch Reisevermittler aus einem globalen Reservierungssystem frei in dem Wissen, dass die Reisevermittler die Tickets zu von ihnen selbst festgelegten Preisen an die Endkunden verkaufen. Das Wissen um die konkrete Höhe der von den Reisevermittlern erhobenen Vermittlungsgebühr ist nach Ansicht des Gerichts nicht erforderlich.
Die Beklagte nutzt die Möglichkeit der Veräußerung ihrer Tickets über Reisevermittler für die Generierung von Ticketverkäufen, somit im eigenen Gewinninteresse. Auf Grund der Tatsache, dass sie selbst keine Provision an die Reisevermittler bezahlt, muss die Airline damit rechnen, dass die Reisevermittler die Provision vom Endkunden verlangen. Eine anderweitige Finanzierung ihrer eigenen Geschäfte ist nicht ersichtlich. Die Annahme, dass Reisevermittler kostenfrei arbeiten ist lebensfremd.
Es mag zutreffen, dass die Airline kein Wissen um und keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Höhe der Provision hat. Es stünde den Fluggesellschaften aber frei, Provisionsverträge mit den Reisevermittlern abzuschließen, um die Höhe der Provision in der Hand zu haben und sich im Falle der Annullierung selbst mit den Reisevermittlern hinsichtlich der Rückzahlung auseinanderzusetzen.
Darüber hinaus ist die streitgegenständliche Provision der … GmbH nicht unverhältnismäßig hoch; der Betrag von 159,97 EUR je Kläger macht ca. 11% des Gesamtflugpreises in Höhe von 1.439,09 EUR (1.279,12 EUR + 159,97 EUR ohne Servicegebühr).
Ein schützenswertes Interesse auf Seiten der Beklagten, die Vermittlungsgebühr nicht an die Kläger auskehren zu müssen, ist nicht ersichtlich.
2. Hierbei konnte die streitige Frage, ob die Beklagte die Vermittlungsgebühr erhalten hat, offen bleiben, da sie diese Kosten nach Art. 8 Fluggastrechte-VO auch zu erstatten hat, sofern sie um diese Gebühren nicht selbst bereichert war. Die Beklagte hat die Flugscheinkosten zu erstatten „zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde“, nicht in der Höhe, in der sie selbst bereichert ist. Dies entspricht der Rechtsprechung des EuGH (aaO).
III.
Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
1. Die von den Klägern geltend gemachten Gebühren für ein „Servicepaket“ in Höhe von 76,00 EUR sind nicht von der Beklagten zu erstatten.
Die Klagepatei hat sich zu diesen Kosten nicht erklärt. Der Kläger zu 1) wurde persönlich angehört und konnte zur Herkunft der Gebühr keine Angaben machen. Unstreitig wurden von der … GmbH nur Vermittlungsgebühren in Höhe von 639,88 EUR erhoben. Es bleibt daher fraglich, wobei es sich bei der „Servicegebühr“ handelt, es käme hierbei auch eine Reiseversicherung in Betracht, die nicht erstattungsfähig wäre. Die Kläger haben jedenfalls nicht ausreichend dargelegt, dass es sich hierbei um Flugscheinkosten im Sinne von Art. 8 Fluggastrechte-VO handelt.
2. Die Kläger können Zinsen gemäß §§ 286 Abs. 2 Nr. 2, 288 Abs. 1 BGB erst ab 10.04.2020 verlangen. Eine Mahnung war nach § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB entbehrlich.
Der Rückerstattungsanspruch war ab Ausübung des Wahlrechts fällig, der Leistung der Beklagten hat die Ausübung des Wahlrechts vorauszugehen. Die angemessene Zeit für die Leistung beträgt nach Art. 8 Fluggsrechte-VO 7 Tage, wobei der Tag der Geltendmachung nicht mitgezählt wird. Die angemessene Zeit für die Leistung lässt sich demnach von der Ausübung des Wahlrechts an nach dem Kalender berechnen und endete mit Ablauf des 09.04.2020.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91a, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erging gemäß §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert wurde gemäß § 48 GKG, § 3ff. ZPO festgesetzt.


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