Bankrecht

Leistungsklage nach Verfahrensaufnahme durch den Insolvenzverwalter aufgrund Anfechtung nach den Vorschriften des AnfG

Aktenzeichen  VII R 8/19

Datum:
10.11.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2020:U.101120.VIIR8.19.0
Normen:
§ 33 FGO
§ 68 FGO
§ 76 FGO
§ 96 FGO
§ 17 Abs 1 GVG
§ 17a Abs 1 GVG
§ 191 AO
§ 1 AnfG
§ 2 AnfG
§ 4 AnfG
§ 11 AnfG
§ 17 Abs 2 AnfG
§ 134 InsO
§ 143 InsO
§ 146 InsO
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 195 BGB
§ 204 Abs 1 Nr 14 BGB
§ 286 BGB
§ 155 S 1 FGO
§ 17a Abs 3 S 2 GVG
§ 17a Abs 5 GVG
§ 17a Abs 4 S 4 GVG
Spruchkörper:
7. Senat

Leitsatz

1. NV: Über die zunächst als Anfechtungsklage gegen den Duldungsbescheid erhobene, dem Finanzrechtsweg zugewiesene Klage hat auch nach Aufnahme des Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter das FG zu entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 18.09.2012 – VII R 14/11, BFHE 238, 505, BStBl II 2013, 128).
2. NV: Das FG ist für die Entscheidung über den Rechtsstreit auch zuständig, soweit die Leistungsklage aufgrund einer Klageerweiterung nach § 17 Abs. 2 AnfG betragsmäßig über den Inhalt der bisherigen Duldungsbescheide hinausgeht.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 4. Oktober 2018, Az: 9 K 9159/17, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 04.10.2018 – 9 K 9159/17 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) als Insolvenzverwalterin über das Vermögen des A (Insolvenzschuldner) Anfechtungsansprüche nach dem Gesetz über die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens (Anfechtungsgesetz –AnfG–) gegen den Sohn des Insolvenzschuldners als Beklagten und Revisionskläger (Beklagter) in Höhe von insgesamt 257.612,19 € zuzüglich Zinsen geltend machen kann und ob das Finanzgericht (FG) für die Entscheidung über diesen Rechtsstreit vollumfänglich zuständig ist.
2
Der Beklagte ist verheiratet und selbständiger Versicherungskaufmann. Sein Vater, der Insolvenzschuldner, war Kfz-Meister und seit mindestens 1973 Inhaber eines Einzelunternehmens “Kfz-Werkstatt, Verkauf von Kfz und Verpachtung von Räumlichkeiten” mit Sitz in (D …), (F…-Str.). Im Jahr 2003 gab der Insolvenzschuldner das Einzelunternehmen auf. Daneben existierte eine GmbH, deren Alleingesellschafter der Insolvenzschuldner war. Zum 01.04.2003 zeigte dieser auch die Aufgabe der Gewerbetätigkeit der GmbH bei der zuständigen Behörde an. Ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH wurde noch im Jahr 2003 mangels Masse abgewiesen. Die GmbH wurde am …2003 im Handelsregister gelöscht. Zwischen dem Einzelunternehmen und der GmbH hatte eine Betriebsaufspaltung bestanden.
3
Der Insolvenzschuldner war mit seiner im Jahr 2010 verstorbenen Ehefrau zur Einkommensteuer zusammenveranlagt worden. Er hatte mindestens seit dem Jahr 2001 erhebliche Steuerschulden, weshalb das Finanzamt (FA) die Zwangsvollstreckung gegen ihn betrieb. Mangels Einreichung der Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2002 und 2003 schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide, welche unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) standen und in der Folge mehrfach geändert wurden.
4
Der Insolvenzschuldner bezog im Jahr 2004 Renteneinkünfte in Höhe von insgesamt 6.094 € (Rentenbeginn: 14.02.2001) und daneben für 11 Monate (01.01. bis 30.11.2004) Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung des bebauten Grundstücks “F…-Str., D…” in Höhe von 56.706 €. Diese Immobilie umfasste vier Vermietungseinheiten, eine Autowerkstatt, einen Autohandel, ein Restaurant und ein Büro, und war mit drei Sicherungshypotheken über insgesamt rund 112.000 € zugunsten des Landes wegen Steuerschulden des Insolvenzschuldners belastet. Seine Ehefrau bezog im Jahr 2004 Renteneinkünfte in Höhe von insgesamt 10.343 €.
5
Am 23.10.2004 schlossen der Insolvenzschuldner und der Beklagte folgenden privatschriftlichen “Versorgungsvertrag”:
“Präambel
Der Übergeber wird durch notarielle Beurkundung bis 30. Oktober 2004 das in seinem Eigentum befindliche Grundvermögen [‘F…-Str.’ in D…], Grundbuch Amtsgericht [D…] Blatt …” an den Übernehmer übergeben.
Der Übernehmer übernimmt die auf dem Grundstück lastenden Hypotheken bzw. hat sie schon aus Eigenmitteln übernommen.
Beide Parteien vereinbaren hiermit, dass der Übernehmer nach Vollzug der Übernahme des vorstehenden Grundstücks an den Übergeber monatliche Entgeltzahlungen als Versorgungsleistungen bis zum Lebensende des Übergebers zu leisten hat.
Grundlage für die Ermittlung der Versorgungsleistungen sind die den Parteien bekannten, derzeitigen Erträge aus dem Objekt [“F…-Str.”]. Diese belaufen sich aufgrund der den Parteien bekannten Mietverhältnisse auf monatlich ca. 9.000,00 EUR (netto/kalt).
Höhe der Versorgungsleistungen
Die Parteien vereinbaren ab Übergang des wirtschaftlichen Eigentums des vorstehenden Objektes auf den Übernehmer eine jährliche Versorgungsleistung von mindestens 54.000,00 EUR (in Worten: vierundfünfzigtausend), welche in monatlichen Raten während des Jahres an den Übergeber zu entrichten sind.
Die sich rechnerisch aus der Jahresleistung ermittelte monatliche Rate von 4.500,00 EUR ist spätestens bis Monatsende für den laufenden Monat zu entrichten und kann während eines Monats in Teilbeträgen erbracht werden (z. B. wöchentliche Teilzahlung der vereinbarten Rate). Vorauszahlungen auf die vereinbarte Jahresleistung durch höhere monatliche Raten sind zulässig und können mit den Leistungen der folgenden Monate verrechnet werden.
Laufzeit der Versorgungsleistungen
Die vereinbarte Versorgungsleistung endet mit dem Tod des Übergebers.
Abänderbarkeit der Versorgungsleistungen
Die Höhe der vorstehenden Versorgungsleistung von jährlich 54.000,00 EUR wurde nach dem Jahresertrag des übertragenen Grundstückes zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bemessen. Sollte eine Veränderung des Jahresertrages nach oben oder nach unten eintreten, so ist auch eine Abänderung der vereinbarten Versorgungsleistung notwendig. Die Vertragsparteien werden eine Anpassung der Versorgungsleistung vornehmen, sobald der Jahresertrag um mehr als 30 % vom heutigen Ertrag abweicht.
Ablösung Versorgungsleistung im Falle der Veräußerung des Grundstückes
Sollte eine Veräußerung des Grundstückes zu Lebzeiten des Übergebers durch den Übernehmer erfolgen, so hat der Übergeber (Versorgungsberechtigte) einen Anspruch auf eine Ablösesumme in Höhe des Barwerts der Versorgungsleistungen. Die vorgenannte Ablösesumme ermäßigt sich um die bis zur Geltendmachung der Ablösesumme an den Übergeber gezahlten Versorgungsbeträge.
Vertragliche Zusatzvereinbarungen
Die Parteien verzichten zunächst auf die grundbuchliche Eintragung der Zahlungsverpflichtung des Übernehmers (Eintragung einer dauernden Last). Der Übernehmer verpflichtet sich jedoch auf erstes Anfordern des Übergebers eine grundbuchliche Absicherung zu veranlassen. Änderungen des Vertrages bedürfen der Schriftform.”
6
Mit notariellem Vertrag vom 27.10.2004, in dem der Versorgungsvertrag nicht erwähnt wurde, veräußerte der Insolvenzschuldner das o.g. Grundstück an seinen Sohn, den Beklagten. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 530.000 € und sollte vom Beklagten durch Übernahme der im Grundbuch unter den lfd. Nrn. 15 bis 18 eingetragenen Belastungen entrichtet werden (vier Grundschulden, sämtlich zugunsten der (H-AG), insgesamt 1.000.000 DM).
7
Noch im selben Jahr tilgte der Beklagte die hypothekarisch gesicherten Abgabenverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners beim FA in Höhe von über 110.000 € (lfd. Nrn. 21 bis 23). Das Grundstück war im Übrigen noch mit zwei Grundschulden zugunsten der (N-Bank) über nominal 900.000 DM und 600.000 DM (lfd. Nrn. 19 und 20) belastet. Die zugrunde liegenden Hypothekendarlehen valutierten damals noch in Höhe von 351.656,59 € und wurden vom Beklagten ebenfalls im Laufe des Jahres 2004 vollständig abgelöst. Hierfür musste er einschließlich einer Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 24.194,41 € insgesamt 376.263,40 € entrichten. Hinzu kamen noch 3.198,99 € als rückständige monatliche Leistungsrate des Insolvenzschuldners. Ferner zahlte der Beklagte in zeitlichem Zusammenhang zum Grundstückserwerb und zur Erfüllung einer von ihm gegenüber dem FA abgegebenen Bürgschaftserklärung 10.000 € auf die Steuerschulden des Insolvenzschuldners, sodass das FA die Bürgschaftserklärung für hinfällig erklärte.
8
Zur Finanzierung dieser Kaufpreiszahlungen wurden vom Beklagten zwei Hypothekenkredite aufgenommen bzw. übernommen. Zum 25.10.2007 löste er den Kredit bei der (J-AG) vollständig ab. Der Beklagte verfügte im Jahr 2005 über Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Angestellter in Höhe von brutto 63.236,21 € sowie über Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Versicherungsvertreter in Höhe von 31.424,15 €.
9
Das FA ermittelte für die Versorgungsleistungen, die der Beklagte dem Insolvenzschuldner zugesagt hatte, einen Kapitalwert nach § 14 i.V.m. Anlage 9 des Bewertungsgesetzes i.d.F. vom 19.12.2000 in Höhe von 438.380 € und einen Verkehrswert des Grundstücks F…-Str. zum 01.01.2004 in Höhe von 760.000 €. Ein Sachverständiger der Industrie- und Handelskammer ermittelte durch Gutachten vom 15.09.2004 einen Verkehrswert der Immobilie in Höhe von 828.000 €.
10
Der Insolvenzschuldner bzw. ab Dezember 2004 der Beklagte erklärten folgende Kaltmieteinnahmen und Überschüsse der Einnahmen über die Werbungskosten aus der Vermietung der streitgegenständlichen Immobilie:
Jahr              
Mieteinnahmen ohne Umlagen in €      
Überschuss Vermietung und Verpachtung in €
2004   
105.906,00
57.826,24
2005   
113.672,00
56.380,00
2006   
  91.254,00
32.111,00
2007   
104.362,00
40.126,00
2008   
110.980,00
27.451,00
2009   
  98.320,00
45.071,00
2010   
  92.843,00
40.336,00
2011   
  92.843,00
41.713,00
11
Das FA kam im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 2006 bis 2008 auf Überschüsse in Höhe von 31.061 € (2006), 35.272 € (2007) und 37.654 € (2008).
12
Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärungen ab dem Jahr 2005 machte der Beklagte die an den Insolvenzschuldner geleisteten Versorgungsleistungen als “dauernde Last” steuermindernd geltend. Das FA erkannte die Zahlungen als Sonderausgaben i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes in der damaligen jeweils gültigen Fassung an.
13
Am 02.01.2006 vereinbarten der Beklagte und der Insolvenzschuldner einen “1. Nachtrag zum Versorgungsvertrag vom 23. Oktober 2004”. Darin heißt es:
“Abänderbarkeit der Versorgungsleistungen – Anpassungsvereinbarung für Rentenzahlungen ab 2006
Aufgrund der Reduzierung des Jahresertrages aus der Immobilie [F…-Str.] wird hiermit eine Anpassung der vereinbarten Jahresversorgungsleistung zwischen den Parteien ab 2006 aus dem Versorgungsvertrag vom 23.10.2004 vereinbart.
Die bisherige Versorgungsleistung von jährlich 54.000,00 EUR reduziert sich auf eine Gesamt-Versorgungsleistung ab 2006 von jährlich 43.195,00 EUR.
Die sich rechnerisch ergebende monatliche Rate beträgt 3.599,58 EUR, gerundet 3.600,00 EUR, gemäß den getroffenen Vereinbarungen zur Zahlung der monatlichen Versorgungsleistungen aus dem Versorgungsvertrag. Die Vorauszahlung aus 2005 in Höhe von 1.815,00 EUR ist in dem Betrag von 43.195,00 EUR enthalten.
Mietminderung durch den Mieter [M …] (Werkstatt) sowie eine Erhöhung der Kosten für die Immobilie sind die Gründe für die vorgenommene Anpassung.
Alle übrigen Vertragsbestimmungen bleiben hiervon unberührt.”
14
Am 04.03.2007 unterzeichneten der Beklagte und der Insolvenzschuldner einen “2. Nachtrag zum Versorgungsvertrag vom 23. Oktober 2004”:
“Abänderbarkeit der Versorgungsleistungen – Anpassungsvereinbarung für Ratenzahlungen ab 2007
Die Parteien sind heute zusammengekommen und haben nach ausführlicher Offenlegung der wirtschaftlichen Ertragslage und Besichtigung der Immobilie [F…-Str.] im gegenseitigen Einvernehmen eine Anpassung der Versorgungsleistungen auf eine angemessene wirtschaftlich vertretbare Höhe vereinbart. Die Parteien erklären als vereinbart, dass die bisherige Versorgungsleistung in Höhe von 43.195,00 EUR p. a. wie folgt angepasst wird:
Für das erste Quartal 2007 (Monat 1-4) monatlich 2.355,00 EUR, ab Monat 05-2007 1.400,00 EUR monatlich. Das entspricht einer Jahresversorgungsleistung für 2007 in Höhe von 20.620,00 EUR und ab 2008 eine Jahresversorgungsleistung in Höhe von 16.800,00 EUR.
Begründung: Die wesentlichen Gründe für diese Anpassung liegen in der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung des Risikomieters Werkstatt. Durch unberechtigte Mietminderung und im Anschluss Total-Ausfall des Mieters Werkstatt ist in 2006 ein Verlust von 29.770,00 EUR eingetreten. Die Forderung ist uneinbringbar, da der Mieter die EV abgegeben hat (s. Anlage 1).
Bei dem Nachfolgemieter ist bis 02-2007 das Mieterkonto mit 9.600,00 EUR Kaution zuzüglich 5.960,00 EUR Mieten = 15.560,00 EUR im Soll. Das entspricht einem Gesamtverlust aus der Mieteinheit Werkstatt bis heute von 45.330,00 EUR.
Des Weiteren besteht bei der Immobilie ein erheblicher Instandhaltungsrückstau sowie erhebliche Kosten für die Zukunft. Der Vormieter verursachte u. a. erhebliche Gebäudeschäden. Die Kosten für notwendige Reparaturmaßnahmen sind so erheblich und im Einzelnen so kostenintensiv, dass eine aufwendige Sanierung bevorsteht.
Gebäudemängel sind u. a. Elektroinstallation im Werkstattbereich, feuchte Wände, Dachundichtigkeiten etc. Zusätzlich steht eine Dachreparatur oder Total-Erneuerung am Haupthaus an, sowie eine kostenintensive Instandsetzung des Ölabscheiders auf dem Grundstück, um nur die wesentlichen, noch bevorstehenden Maßnahmen zu benennen. Aus diesen wichtigen und vorher nicht absehbaren Gründen ist diese Anpassung existentiell und wirtschaftlich unabdingbar.
Alle übrigen Vertragsbestimmungen bleiben hiervon unberührt.”
15
Ab dem darauffolgenden Tag, dem 05.03.2007, führte das FA beim Insolvenzschuldner eine Außenprüfung betreffend die Jahre 2002 bis 2005 durch. Zu Beginn der Außenprüfung gaben der Insolvenzschuldner und seine Ehefrau die noch ausstehende Einkommensteuererklärung für 2003 ab. Darin erklärten sie bezüglich des Einzelunternehmens negative laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 29.504,93 € sowie einen Betriebsaufgabegewinn in Höhe von 136.311,77 €. Das FA ermittelte hingegen einen Betriebsaufgabegewinn in Höhe von 361.882,46 €.
16
Daraufhin erließ das FA am 14.09.2007 geänderte Einkommensteuerbescheide für 2002 und 2003, die Steuernachforderungen in Höhe von insgesamt 189.466 € auswiesen. Auf Antrag des Insolvenzschuldners und seiner Ehefrau ergingen im Anschluss Aufteilungsbescheide i.S. von § 268 AO. Der Insolvenzschuldner konnte diese Steuernachforderungen nicht bedienen.
17
Am 27.11.2009 erließ das FA gegenüber dem Beklagten einen auf § 4 AnfG i.V.m. § 191 AO gestützten Duldungsbescheid, mit dem es im Hinblick auf rückständige und vollstreckbare Abgabenverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners in Höhe von 215.270,98 € (ohne steuerliche Nebenleistungen) die Anfechtung der Änderungsvereinbarungen vom 02.01.2006 und vom 04.03.2007 erklärte und einen Rückgewähranspruch nach § 11 AnfG in Höhe von 76.412,19 € geltend machte; dieser Betrag entsprach den Kürzungen der Versorgungsleistungen im Zeitraum vom 01.01.2006 bis zum 27.11.2009 abzüglich der Übernahme der Kreditraten für 47 Monate in Höhe von insgesamt 39.067,81 €. Zur Begründung verwies das FA darauf, dass das dem Beklagten durch die Vertragsanpassungen zugeflossene Vermögen das einzige sei, in das vollstreckt werden könne; die Vollstreckung in das Vermögen des Insolvenzschuldners sei erfolglos verlaufen.
18
Der Beklagte erhob gegen diesen Duldungsbescheid fristgerecht Einspruch. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, hinsichtlich der Regelungen im Versorgungsvertrag vom 23.10.2004 sei die vierjährige Anfechtungsfrist im Zeitpunkt des Erlasses des Duldungsbescheids bereits abgelaufen gewesen. Die Nachträge vom 02.01.2006 und vom 04.03.2007 stellten nur eine Konkretisierung dar, wodurch keine zusätzlichen Rechte geschaffen worden seien.
19
Mit Einspruchsentscheidung vom 09.11.2011 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Die Herabsetzungen der Versorgungsleistungen seien als unentgeltliche Leistungen (Teilverzichte) i.S. von § 4 AnfG zu qualifizieren. Das Motiv für die Zuwendungen sei im Rahmen des § 4 AnfG unerheblich. Entscheidend für die Unentgeltlichkeit sei allein die objektive Wertrelation zwischen der Leistung des Schuldners und der Gegenleistung des Empfängers. Im vorliegenden Fall seien die ursprünglich vereinbarten monatlichen Versorgungsleistungen ohne hinreichenden Grund herabgesetzt worden. Eine im Vertrag vom 23.10.2004 vereinbarte Abweichung der Grundstückserträge in Höhe von 30 v.H. von den damaligen Jahreskaltmieteinnahmen in Höhe von 108.000 € habe nicht vorgelegen.
20
Hiergegen erhob der Beklagte Klage. Während des laufenden Klageverfahrens erließ das FA am 05.12.2013 gegenüber dem Beklagten einen weiteren auf § 4 AnfG i.V.m. § 191 AO gestützten Duldungsbescheid in Bezug auf rückständige und vollstreckbare Abgabenverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners in Höhe von 240.690,48 € (einschließlich steuerlicher Nebenleistungen). Darin erklärte das FA die Anfechtung der Nichtzahlungen bzw. des laufenden Verzichts “auf Versorgungsleistungen aufgrund der am 04.03.2007 abgeschlossenen, mit Duldungsbescheid vom 27.11.2009 angefochtenen Vertragsanpassung zum Versorgungsvertrag vom 23.10.2004 in Ergänzung des vorgenannten Duldungsbescheids vom 27.11.2009 im Hinblick auf die Zeiten von Dezember 2009 bis einschließlich November 2013” und machte einen Rückgewähranspruch nach § 11 AnfG in Höhe von 148.000 € geltend. Diesen Duldungsbescheid übersandte das FA mit Schreiben vom 06.12.2013 dem FG. Der Beklagte legte auch hiergegen Einspruch ein.
21
Am 19.12.2013 beantragte der Insolvenzschuldner beim zuständigen Amtsgericht (AG) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Mit Beschluss vom 07.01.2014 beauftragte das AG die Klägerin mit der Erstellung eines Insolvenzgutachtens. Am 24.01.2014 fand eine Besprechung zwischen der Klägerin, dem Insolvenzschuldner und dem Beklagten statt. Der Inhalt dieses Gesprächs ist –soweit es die Inanspruchnahme des Beklagten wegen Steuerschulden des Insolvenzschuldners betrifft– zwischen den Beteiligten streitig. Mit Datum vom 17.02.2014 erstattete die Klägerin ihr Insolvenzgutachten. Zum Grundstückskaufvertrag über das Grundstück F…-Str., D… führte sie darin aus:
“Anhaltspunkte für eine Anfechtbarkeit des am 27. Oktober 2004 abgeschlossenen Kaufvertrages und der daraufhin erfolgten Übereignung an den Sohn des Schuldners vermag ich nicht zu erkennen. Zwar wurde der Kaufvertrag zeitlich gesehen noch innerhalb der zehnjährigen Frist des § 133 InsO abgeschlossen, jedoch ist eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung nicht erkennbar. Auch hinsichtlich der weiteren Vertragsanpassung vom 1. Januar 2006 und vom 4. März 2007 ist eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung nicht erkennbar.”
22
Daraufhin eröffnete das AG mit Beschluss vom 28.02.2014 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners.
23
Mit Schriftsatz vom 18.09.2014 zeigten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin dem FG ihre Vertretungsbefugnis an und teilten mit, dass geprüft werde, ob aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens tatsächlich eine Unterbrechung des Klageverfahrens eingetreten sei. Mit weiterem Schriftsatz vom 04.12.2014 stellte die Klägerin einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ihre beabsichtigte Leistungsklage gegen den Beklagten; das FG lehnte diesen mit Beschluss vom 30.08.2017 ab. Sodann erklärte die Klägerin mit Schriftsatz vom 27.10.2017 die Aufnahme des Klageverfahrens und beantragte, den Beklagten zu verurteilen, an sie (1.) einen Betrag in Höhe von 224.412,19 € (nebst Zinsen in Höhe von 5 v.H. über dem jeweiligen Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von 76.412,19 € seit Zustellung des Duldungsbescheids vom 27.11.2009 und auf einen Betrag in Höhe von 148.000 € seit Zustellung des Duldungsbescheids vom 05.12.2013) zu zahlen, sowie (2.) für den Zeitraum Januar bis März 2014 einen weiteren Betrag in Höhe von 13.500 € (nebst Zinsen in Höhe von 5 v.H. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit) und (3.) für den Zeitraum April bis einschließlich Oktober 2014 einen Betrag in Höhe von 19.700 € (nebst Zinsen in Höhe von 5 v.H. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit) zu zahlen.
24
Der Beklagte rügte, dass der Finanzrechtsweg nicht gegeben sei, weil es sich um zivilrechtliche Angelegenheiten handele, und erhob Verjährungseinrede. Zur Begründung trug er vor, die Klägerin könne das finanzgerichtliche Verfahren nicht aufnehmen; der Insolvenzverwalter erlange anderenfalls Informationen, die dem Steuergeheimnis unterlägen. Durch das Ausscheiden des FA sei kein öffentlicher Rechtsträger mehr am Verfahren beteiligt. Im Übrigen unterschieden sich die Verfahrensgrundsätze im finanz- und zivilgerichtlichen Verfahren grundlegend, was auch die Vollstreckung betreffe.
25
Das FG gab der Leistungsklage statt, nachdem es das Rubrum dahingehend berichtigt hatte, dass die Insolvenzverwalterin über das Vermögen des Insolvenzschuldners nunmehr Klägerin und der ursprüngliche Kläger Beklagter sei.
26
Das FG bejahte die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs, ohne vorab einen Beschluss nach § 17a Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) gefasst zu haben, und führte aus, bezüglich des ersten Duldungsbescheids ergebe sich die Zuweisung zum Finanzrechtsweg aus § 33 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die sich infolge der Aufnahme durch die Klägerin nicht geändert habe (§ 17 Abs. 1 GVG). Der zweite Duldungsbescheid sei gemäß § 68 FGO –vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Insolvenzschuldners– automatisch Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Deshalb sei auch hier der Finanzrechtsweg eröffnet (§§ 33 FGO, 17 Abs. 1 GVG). Bezüglich der Klageanträge zu 2. und zu 3. handele es sich zwar um die erstmalige Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche durch die Klägerin. Die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs sei jedoch nach § 33 FGO kraft Sachzusammenhangs gegeben, weil die Ansprüche auf derselben Anspruchsgrundlage und demselben Lebenssachverhalt beruhten wie die Ansprüche gemäß dem Klageantrag zu 1.
27
Das FG nahm bezüglich aller Klageanträge einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten nach §§ 4 Abs. 1, 11 Abs. 1 Satz 1 und 2, 16 Abs. 1 Satz 1 AnfG an. Als maßgebliche Rechtshandlungen sah das FG die beiden Nachträge vom 02.01.2006 und 04.03.2007 an. Indem der Insolvenzschuldner auf die ihm vertraglich zustehenden Zahlungen des Beklagten teilweise verzichtet habe, ohne hierzu verpflichtet gewesen zu sein und ohne hierfür eine Gegenleistung erlangt zu haben, habe er eine unentgeltliche Leistung an den Beklagten erbracht. Zwar sehe der Versorgungsvertrag eine Änderbarkeit der monatlichen Zahlungen vor, sobald der Jahresertrag um mehr als 30 v.H. vom damaligen Ertrag abweiche. Diese Voraussetzung sei aber angesichts der vom Insolvenzschuldner bzw. dem Beklagten in den Ertragsteuererklärungen angegebenen Werte nicht erfüllt gewesen.
28
Im Wege der Auslegung gelangte das FG zu dem Schluss, dass der in dem Versorgungsvertrag verwendete Begriff “Jahresertrag” die Jahresnettokaltmiete meine. Die Anfechtung der beiden Nachträge sei jeweils innerhalb der Frist von vier Jahren gemäß § 4 Abs. 1 AnfG erfolgt. Hierbei komme es auf den Zeitabstand zwischen dem Wirksamwerden der Rechtshandlung und der Bekanntgabe des Duldungsbescheids an. Bei der Bekanntgabe des ersten Duldungsbescheids vom 27.11.2009 seien noch keine vier Jahre seit dem ersten Nachtrag am 02.01.2006 vergangen gewesen.
29
Einen Verzicht auf den Anfechtungsanspruch, seine Verwirkung oder einen Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verneinte das FG. Der Beklagte könne sich auch nicht auf einen Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen.
30
Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten.
31
Zur Begründung trägt er vor, das FG sei sachlich nicht zuständig, weil es sich um bürgerliche Rechtsstreitigkeiten nach § 13 GVG handele. Es liege keine nachträglich eingetretene Veränderung der die Zulässigkeit des Rechtswegs begründenden Umstände nach § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG vor, weil es sich um einen Parteiwechsel, den Wechsel der Beklagten- und Klägerposition und um die Geltendmachung völlig neuer Ansprüche aus einem anderen Rechtsgebiet handele. Eine Zulässigkeit des Finanzrechtswegs könne sich allenfalls für die Ansprüche ergeben, die bereits Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewesen seien, was nur den Anspruch aus dem ersten Duldungsbescheid vom 27.11.2009 betreffe. Der zweite Duldungsbescheid vom 05.12.2013 sei nicht automatisch Gegenstand des Klageverfahrens nach § 68 FGO geworden. Schließlich sei das FG für die nach dem Parteiwechsel erstmals gerichtlich geltend gemachten zivilrechtlichen Ansprüche nicht “kraft Sachzusammenhangs” zuständig.
32
Ein Anfechtungsanspruch sei nicht gegeben, weil keine unentgeltliche Leistung i.S. von § 4 AnfG vorliege. Der Beklagte habe auf der Grundlage des ursprünglichen Versorgungsvertrags einen Anspruch auf Anpassung der Versorgungsleistungen gehabt. Es sei lediglich die Anpassungsklausel umgesetzt worden. Das FG habe den Begriff Jahresertrag in der Anpassungsklausel falsch ausgelegt und den Parteiwillen nicht ergründet. Hierzu sei der Insolvenzschuldner zwar als Zeuge geladen, jedoch nicht vernommen worden, ohne dass das FG dies im Urteil begründet hätte. Auch die eidesstattliche Erklärung des Insolvenzschuldners habe das FG nicht verwertet. Danach sei mit Jahresertrag der Betrag gemeint gewesen, der dem Beklagten aufgrund der Mieteinnahmen nach Abzug sämtlicher Kosten verblieben sei. Schließlich habe das FG ihm Bösgläubigkeit und Gläubigerbenachteiligungsabsicht unterstellt. Im Übrigen sei es der Klägerin wegen ihrer Ausführungen im Insolvenzgutachten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt, die Ansprüche geltend zu machen.
33
Der Beklagte beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
34
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
35
Während des Revisionsverfahrens hat das AG dem Insolvenzschuldner mit Beschluss vom …2020 die Restschuldbefreiung erteilt.


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