Bankrecht

Unwirksamer Darlehenswiderruf wegen des Einwandes der Verwirkung

Aktenzeichen  29 O 16223/17

Datum:
17.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 19673
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242, § 355, § 357 Abs. 1 S. 1, § 494 Abs. 6 S. 1, § 495 Abs. 1, § 503 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unterliegt das Widerrufsrecht nach § 495 Abs. 1 BGB der Verwirkung (ebenso BGH BeckRS 2018, 3224). (Rn. 21) (red. LS Andy Schmidt)
2. Nach einem Zeitablauf von über drei Jahren seit Vertragsbeginn, der vorzeitigen Beendigung des Darlehens auf Wunsch der Darlehensnehmer gegen Entgeltzahlung und der in diesem Zuge veranlassten Freigabe der Sicherungsgrundschuld kann ein Darlehensgeber berechtigterweise darauf vertrauen, dass ein Darlehensnehmer von einem etwaig fortbestehenden Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr macht. (Rn. 26) (red. LS Andy Schmidt)
3. Die Entstehung eines Sonderkündigungsrechts nach § 494 Abs. 6 S. 1 BGB aufgrund fehlender Angaben zum Kündigungsrecht kommt bei einem Immobiliardarlehensvertrag nicht in Betracht (Rn. 28). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 19.439,84 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
A.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht München I nach den §§ 23, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 21 Abs. 1 ZPO. Bezahlte Aufhebungsentgelte werden in der Regel in Erfüllung des Darlehensvertrags geleistet und sind daher im Falle des Widerrufs als empfangene Leistung im Sinne der §§ 357 Abs. 1 S. 1, 346 Abs. 1 BGB a. F. zurückzugewähren (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.2016, Gz. XI ZR 482/15, Rn. 32, zit. nach beckonline). Der Kläger macht daher Rückabwicklungsansprüche aus dem erklärten Widerruf geltend, somit Ansprüche, die auf dem abgeschlossenen Darlehensvertrag beruhen. Ausweislich der Anlagen K1 und B2 wurde sowohl der Darleihensantrag an die … in München gerichtet als auch die Annahme des Antrags durch die dortige Niederlassung erklärt. Hieraus ergibt sich nach Auffassung des Gerichts ein hinreichender Bezug der Klage zum Geschäftsbetrieb der Niederlassung im Sinne des § 21 Abs. 1 ZPO
B.
Die Klage ist jedoch im vollen Umfang unbegründet, da der Wirksamkeit des Widerrufs jedenfalls der Einwand der Verwirkung entgegensteht. Ein Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der gemäß Ablösungsvereinbarung vom 05.04./18.05.2016 bezahlten Vorfälligkeitsentschädigung besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
I.
Ein Anspruch auf Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung nach Widerruf gemäß den §§ 357 Abs. 1 S. 1, 346 BGB in der hier maßgeblichen, bis zum 12.06.2014 geltenden Fassung (im Folgenden: a. F.), besteht nicht.
Der vorliegende Verbraucherdarlehensvertrag war für den Kläger anfänglich gemäß den §§ 495 Abs. 1, 355 BGB (a. F.) widerruflich.
2. Zwar kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch ein bereits einvernehmlich beendeter Darlehensvertrag durch den Verbraucher widerrufen werden, sofern sich die Parteien im Rahmen der Vertragsaufhebung nicht auch über das Widerrufsrecht verglichen haben (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.2016, Gz. XI ZR 482/15, beckonline Rn. 28), und führt der wirksame Widerruf in diesem Fall grundsätzlich dazu, dass das bezahlte Aufhebungsentgelt vom Darlehensgeber als „empfangene Leistung“ im Sinne der §§ 357 Abs. 1 S. 1, 346 BGB a. F. zurückzuerstatten ist (BGH a. a. O., Rn. 32).
3. Einer Wirksamkeit des Widerrufs steht hier aber jedenfalls der Einwand der Verwirkung entgegen.
a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung unterliegt das Widerrufsrecht nach § 495 Abs. 1 BGB der Verwirkung (vgl. BGH, Beschluss vom 23.01.2018, Gz. XI ZR 298/17, beckonline Rn. 11).
Dabei setzt die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zeit- und Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls, ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann (BGH a. a. O., Rn. 9).
Die maßgebliche Frist für das Zeitmoment läuft mit dem Zustandekommen des Verbraucherdarlehensvertags an. Da das Widerrufsrecht als Gestaltungsrecht anders als die aus dem Rückgewährschuldverhältnis resultierenden Ansprüche nicht verjährt und im Übrigen auch § 218 BGB auf das Widerrufsrecht keine Anwendung findet, kann weder aus den gesetzlichen Verjährungsfristen noch gar aus den gesetzlichen Verjährungshöchstfristen auf ein „Mindestzeitmoment“ zurückgeschlossen werden (BGH a. a. O., Rn. 13).
Als Umstandsmoment kommt vor allem die Beendigung des Darlehensvertrags in Betracht. So kann nach der Rechtsprechung des BGH gerade bei beendeten Darlehensverträgen das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren. Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht (BGH a. a. O., Rn. 16).
Auch die Freigabe von Sicherheiten durch den Darlehensgeber ist ein Aspekt, den der Tatrichter bei der Prüfung des Umstandsmoments berücksichtigen kann. Dem steht nicht entgegen, dass der Darlehensgeber nach Beendigung des Darlehensvertrags und vollständiger Erfüllung der aus dem unwiderrufenen Darlehensvertrag resultierenden Pflichten des Darlehensnehmers die Sicherheiten ohnehin freizugeben hätte. Vom Darlehensgeber bestellte Sicherheiten sichern regelmäßig auch Ansprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis nach § 357 Abs. 1 S. 1 BGB a. F. Dem Rückgewähranspruch des Darlehensnehmers aus der Sicherungsabrede haftet daher die für den Fall des Widerrufs auflösende Bedingung einer Revalutierung an. Beendet der Darlehensgeber trotz der Möglichkeit der Revalutierung durch Rückgewähr der Sicherheit den Sicherungsvertrag, kann darin die Ausübung beachtlichen Vertrauens im Sinne des § 242 BGB liegen (BGH a. a. O., Rn. 20).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen der Verwirkung im vorliegenden Fall zu bejahen. Nach einem Zeitablauf von über drei Jahren seit Vertragsbeginn, der vorzeitigen Beendigung des Darlehens auf Wunsch der Darlehensnehmer gegen Entgeltzahlung und der in diesem Zuge veranlassten Freigabe der Sicherungsgrundschuld konnte die Beklagte berechtigterweise darauf vertrauen, dass die Kläger von einem etwaig fortbestehenden Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr machen. Dabei kann auch nicht außer Betracht bleiben, dass die Darlehensnehmer zum Zwecke der vorzeitigen Vertragsbeendigung eine Aufhebungsvereinbarung unterschrieben haben, die angesichts der darin enthaltenen Abgeltungsklausel ausdrücklich und ersichtlich darauf gerichtet war, eine abschließende Regelung zu schaffen.
Das Gericht verkennt nicht, dass die Zeitspanne zwischen Vertragsschluss und Widerruf hier nur etwa zwei Monate über der Regelverjährungsfrist liegt. Dies steht dem Verwirkungseinwand im Ergebnis aber nicht entgegen. Nach der ausdrücklichen Klarstellung des BGH können aus den geltenden Verjährungsfristen gerade keine starren Mindestanforderungen an das Zeitmoment abgeleitet werden. Vielmehr stehen die Anforderungen an das Zeitund Umstandsmoment in einer „Wechselwirkung“ in dem Sinne, dass ein eher „schwaches“ Zeitmoment durch „starke“ Umstandsmomente ausgeglichen werden kann (vgl. BGH a. a. O., Rn. 9; BGH, Urt. v. 19.10.2005, Gz. XII ZR 224/03, beckonline Rn. 23). So liegt der Fall hier.
c) Soweit der Kläger einwendet, ein schützenswertes Vertrauen der Beklagten auf die Vertragserfüllung der Darlehensnehmer sei deshalb nicht anzuerkennen, weil die Darlehensnehmer das vorliegende Darlehen jederzeit gemäß § 494 Abs. 6 S. 1 BGB ohne Vorfälligkeitsentschädigung hätten kündigen können, vermag er damit nicht durchzudringen. Der dem zugrunde liegenden, in einer Entscheidung des OLG Koblenz (Beschluss vom 15.10.2015, Gz. 8 U 241/15, beckonline Rn. 19 ff.) vertretenen Rechtsauffassung, wonach das Kündigungsrecht nach § 494 Abs. 6 S. 1 BGB auch bei Immobiliardarlehen Anwendung finden soll, ist nicht zu folgen. § 494 BGB enthält eine Rechtsfolgenregelung für das Fehlen der Schriftform oder von Pflichtangaben nach Art. 247 §§ 6 und 10 bis 13 EGBGB im Verbraucherdarlehensvertrag. Soweit das Fehlen einer Pflichtangabe nicht schon nach Abs. 1 zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags führt, erschöpft sich der Regelungsgehalt dabei, anders als das OLG Koblenz (a. a. O., Rn. 20) in seiner Entscheidung unterstellt, nicht etwa darin, an die Stelle der fehlenden Parteivereinbarung eine gesetzliche Regelung zu setzen; vielmehr setzt § 494 BGB in den Abs. 2 bis 6 Rechtsfolgen, die zum Nachteil des Darlehensgebers von der Parteivereinbarung oder von allgemeinen gesetzlichen Regelungen abweichen. Die Vorschrift hat damit Sanktionscharakter (vgl. MüKo/Schürnbrand, 7. Aufl. 2016, § 494 Rn. 1; BGH, Urt. v. 06.12.2005, Gz. XI ZR 139/05, beckonline Rn. 27 zur Vorgängerregelung in § 6 VerbrKrG). Dieser Sanktionscharakter lässt nur ein Normverständnis zu, wonach nicht nur die Nichtigkeitsfolge nach Abs. 1, sondern auch die nachfolgenden Regelungen für den geheilten Darlehensvertrag tatbestandlich an eine Informationspflichtverletzung des Darlehensgebers nach Art. 247 §§ 6 und 10 bis 13 anknüpfen. Soweit § 494 Abs. 6 S. 1 BGB ein jederzeitiges Kündigungsrecht als Rechtsfolge für das Fehlen von „Angaben (…) zum Kündigungsrecht“ vorsieht, nimmt die Vorschrift daher Bezug auf die Informationspflicht nach Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EGBGB, wonach der Darlehensvertrag Angaben zum einzuhaltenden Verfahren bei der Kündigung des Vertrags enthalten muss. Damit ist im Rahmen des § 494 Abs. 6 S. 1 BGB aber auch beachtlich, dass für Immobiliardarlehen gemäß Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 2 (bzw. § 9 Abs. 1 S. 1 a. F.) EGBGB ein reduzierter Pflichtenkatalog gilt und u. a. die Pflichtangabe zum Kündigungsrecht dort nur als „freiwillige“ Angabe ausgestaltet ist (vgl. BT-Drcks. 16/11643, S. 130); denn der Anwendungsbereich der Sanktion ist notwendig mit dem Anwendungsbereich der Informationspflicht deckungsgleich. Der Regelung des § 494 Abs. 6 S. 1 BGB eine Ausweitung der Informationspflicht zu entnehmen, widerspräche der gesetzlichen Systematik, wonach es sich bei § 494 BGB, wie schon die amtliche Überschrift zeigt, um eine Rechtsfolgenregelung handelt. Auch aus § 503 BGB a. F. ergibt sich entgegen dem OLG Koblenz (a. a. O., Rn. 20) nichts anderes. Zwar lässt der Umstand, dass § 494 BGB in § 503 Abs. 1 BGB a. F. nicht genannt wird, den Umkehrschluss zu, dass § 494 BGB auf Immobiliardarlehen Anwendung findet; dies jedoch nur im Umfang der für Immobiliardarlehen geltenden Formvorschriften und Pflichtangaben. Im Ergebnis kommt damit die Entstehung eines Sonderkündigungsrechts nach § 494 Abs. 6 S. 1 BGB bei einem Immobiliardarlehensvertrag im Sinne des § 503 Abs. 1 BGB a. F. – wie hier vorliegend – nicht in Betracht (zutr. Feldhusen, NJW 2017, 1905 ff., 1908; LG Heilbronn, Urt. v. 02.05.2018, Gz. Ve 6 O 67/18, beckonline Rn. 18 f.; wohl auch Palandt/Weidenkaff, 77. Aufl. 2018, § 494 Rn. 10). Der klägerischen Argumentation kann deshalb bereits im Ansatz nicht gefolgt werden.
4. Nachdem ein wirksamer Widerruf jedenfalls am Verwirkungseinwand scheitert, sind die von der Klagepartei gerügten Mängel der Widerrufsbelehrung und der Pflichtangaben nicht entscheidungserheblich. Ebenso wenig bedarf es einer Entscheidung, ob der Widerruf bereits durch die in der Aufhebungsvereinbarung enthaltene Abgeltungsklausel ausgeschlossen war und inwieweit der Kläger hinsichtlich des geltend gemachten Rückzahlungsanspruchs aktivlegitimiert ist.
II.
Auch anderweitige Anspruchsgrundlagen für eine Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung sind nicht ersichtlich. Soweit der Kläger mehrfach darauf verweist, dass der Beklagten kein Anspruch gemäß § 502 Abs. 1 BGB auf Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung zugestanden habe, kommt es hierauf nicht an. Den Rechtsgrund für die Bezahlung der Vorfälligkeitsentschädigung bildet der Darlehensvertrag in Verbindung mit der Aufhebungsvereinbarung. Auch bereicherungsrechtliche Ansprüche kommen insoweit nicht in Betracht.
III.
Die mit den Anträgen Ziff. 2 und 3 geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal des Hauptantrags Ziff. 1. Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 48 Abs. 1 S. 1 GKG, 3, 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO.


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