Bankrecht

Verwirkung des Widerrufsrechts bei vorzeitig einvernehmlich beendetem Verbraucherdarlehnsvertrag

Aktenzeichen  11 O 1306/16 Fin

Datum:
8.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 142875
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242

 

Leitsatz

1 Der Verbraucher verwirkt sein Widerrufsrecht, wenn er einen Verbraucherdarlehnsvertrag erst 7,5 Jahre nach Vertragsabschluss widerruft (Zeitmoment) und besondere, auf sein Verhalten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des anderen Vertragsteils (hier: Bank) rechtfertigen, er werde sein Recht nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment; Bestätigung von BGH BeckRS 2016, 19929). (Rn. 22 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein die Verwirkung begründendes Umstandsmoment ist gegeben, wenn der Verbraucherdarlehnsvertrag auf Wunsch des Verbrauchers vorzeitig beendet wird, der Verbraucher die Restdarlehnsvaluta zurückführt sowie eine Vorfälligkeitsentschädigung zahlt, und zwischen Vollbeendigung des Darlehnsvertrags und Widerrufserklärung ein Zeitraum von über 3 Jahren vergeht. (Rn. 30 – 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere hat die Klagepartei ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung, ob der von den Beklagten am 22.10.2013 erklärte Widerruf des Darlehensvertrages diesen tatsächlich in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt hat oder nicht. Die Erhebung der auf Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung gerichteten Widerklage der Beklagten belegt, dass ein rechtliches Interesse der Klagepartei besteht, klären zu lassen, ob sie die bezahlte Vorfälligkeitsentschädigung behalten darf oder nicht.
Auch bei Unterstellung, dass – aus welchen Gründen auch immer – Revisionen beim Bundesgerichtshof durch die Klagepartei zurückgenommen worden sind, ist dieses Verhalten, mag es auch aus Gründen, die über den jeweils anhängigen Einzelfall hinausgehen, erfolgt sein, auf den jeweiligen Einzelfall bezogen. Das hier vorliegende Feststellungsinteresse im streitgegenständlichen Fall wird dadurch nicht berührt.
II.
Die Klage ist auch begründet.
1. Zutreffend weist die beklagte Partei jedoch darauf hin, dass die ihr gegenüber erteilte Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß ist. Es liegt – unstreitig – eine sog. „frühestens“-Belehrung vor, die nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht als ordnungsgemäß angesehen werden kann (vgl beispielhaft BGH, Urteil vom 12.07.2016 – XI ZR 564/16, Rn. 18)
2. Auf Musterschutz kann sich die Klagepartei ebenfalls nicht berufen. Zutreffend weist die Klagepartei zwar darauf hin, dass die Abschnitte in der Widerrufsbelehrung (Anlage K 1) zum Thema Widerrufsrecht und Widerrufsfolgen deckungsgleich mit der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Musterbelehrung sind. Bei Einschub von Name und Anschrift der Beklagten sowie Angabe der Kontonummer handelt es sich um lediglich ergänzende und richtige Informationen, die in den Text des Musters nicht eingreifen und auch keine auf ihn bezogenen Angaben machen.
Jedoch weicht der Wortlaut der verwendeten Widerrufsbelehrung in dem Abschnitt „finanzierte Geschäfte“ vom Text der Musterbelehrung ab. Insoweit ist es ohne Belang, dass es sich bei dem von den Beklagten aufgenommenem Darlehen nicht um ein verbundenes Geschäft handelt, sodass sich die Klagepartei im Ergebnis nicht auf den Musterschutz berufen kann (BGH, Urteil vom 11.10.2016, XI ZR 482/15, Rz. 27).
3. Das Widerrufsrecht der Beklagten war am 22.10.2013 jedoch verwirkt.
Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt ein Zeitmoment und ein Umstandsmoment voraus.
3.1. Hinsichtlich des Zeitmoments ist nach der Rechsprechung des BGH abzustellen auf die Frist zwischen dem Zeitpunkt des Zustandekommens des Verbrauchervertrages und dem Zeitpunkt der Erklärung des Widerrufes (BGH, Urteil vom 11.10.2016, XI ZR 482/15, Rz. 30).
Vorliegend kam der Verbraucherdarlehensvertrag am 04.02.2006 zustande; der Widerruf wurde unter dem 22.10.2013 erklärt. Damit liegt eine Frist von mehr als 7 ½ Jahren vor. Das Zeitmoment ist damit erfüllt.
3.2. Zu dem Zeitablauf müssen insoweit besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten (hier der Bank) rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (BGH, a.a.O.).
Im Ergebnis ist im vorliegenden Einzelfall ist auch das Umstandsmoment gegeben.
Dabei gilt, dass gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen das Vertrauen der Bank auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein kann. Das gilt in besonderem Maße, wenn die Beendigung des Darlehensvertrages auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht (BGH vom 11.10.2016 – XI ZR 482/15, Rz. 30 f).
Insoweit ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH durch den Tatrichter eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (BGH vom 12.07.2016 – XI ZR 501/15; BGH, a.a.O.).
Vorliegend sind die folgende Umstände zu berücksichtigen:
Der Grund für eine vorzeitige Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrages der Parteien entsprang dem Wunsch der Beklagten, die ihr finanziertes Immobilienobjekt vor Ablauf der Zinsbindungsfrist veräußern wollten. Dementsprechend kam es entsprechend der Vereinbarung der Parteien am 30.04.2010 zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages (vgl. Anlage K 2) und die Beklagten führten die Restdarlehensvaluta an die Klagepartei zurück.
Es ist weiter davon auszugehen, dass die für die Klagepartei bestellten Sicherheiten (Buchgrundschuld) von dieser freigegeben wurden.
Entsprechend der Vereinbarung im Aufhebungsvertrag vom 30.04.2010 bezahlten die Beklagten unstreitig die Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 7.223,00 € vorbehaltlos an die Klagepartei (vgl. zum Ganzen auch KG, Urteil vom 13.12.2016, Gz. 24 U 73/06; OLG München, Beschluss vom 16.09.2015, Az. 19 U 969/15).
Hinzu kommt, das nach Vollbeendigung des Darlehensvertrages Mitte des Jahres 2010 ein Zeitraum von über drei Jahren verging, bis unter dem 22.10.2013 seitens der Beklagten der Widerruf des Darlehensvertrages erklärt wurde. Es wäre abwegig anzunehmen, der Vertragspartner der Beklagten hätte sich im Hinblick auf diesen Zeitablauf nicht darauf eingerichtet, dass der Darlehensvertrag, wie im Aufhebungsvertrag vom 3.04.2010 zwischen den Parteien geregelt, vollständig beendet sein sollte.
Unter Berücksichtigung all dieser im vorliegenden Einzelfall gegebenen Umstände ergibt sich, dass auch das Umstandsmoment zu bejahen ist.
III.
Da hiernach der Widerruf der Beklagten vom 22.10.2013 nicht geeignet war, das Verbraucherdarlehensverhältnis der Parteien in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umzuwandeln, fehlt es für die Widerklage an einer Anspruchsgrundlage. Diese war daher abzuweisen.
IV.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen

Europarecht

Schadensersatz, Ermessensentscheidung, Aussetzungsantrag, Kommission, Aussetzung, Fahrzeug, Vorabentscheidungsverfahren, Zeitpunkt, Beschwerde, Verfahren, Schriftsatz, Rechtssache, EuGH, Anspruch, Aussetzung des Rechtsstreits, erneute Entscheidung
Mehr lesen