Aktenzeichen 8 U 24/16
BGB § 241 Abs. 2, § 488 Abs. 3, § 489 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 91, § 511, § 543 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2
Leitsatz
1. Bei einem Bausparvertrag stellt der Eintritt der Zuteilungsreife keinen vollständigen Empfang des Darlehens im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB dar und vermag deshalb eine darauf gestützte Kündigung nicht zu rechtfertigen (Anschluss an OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016 – 9 U 171/15 = WM 2016, 742 = ZIP 2016, 910 = BKR 2016, 247; entgegen OLG Köln, Urteil vom 15.02.2016 – 13 U 151/15 -, OLG Hamm, Beschluss vom 30.12.2015 – 31 U 191/15 u. a.). (amtlicher Leitsatz)
2 Eine analoge Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf den erstmaligen Eintritt der Zuteilungsreife bei Bausparverträgen scheidet aus, weil es die für Bausparverträge charakteristische Interessen- und Pflichtanlage der Vertragsparteien nicht rechtfertigt, den vollständigen Empfang der Darlehensvaluta im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem erstmaligen Eintritt der Zuteilungsreife gleichzustellen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
63 O 1317/15 2016-02-04 Endurteil LGWUERZBURG LG Würzburg
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 04.02.2016, Az.: 63 O 1317/15, abgeändert.
1. Es wird festgestellt, dass die Kündigungen der Bausparverträge der Kläger mit der Beklagten Nrn. 001, 002 und 003 vom 16.02.2015 unwirksam sind.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung i. H. v. 958,19 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit 04.08.2015.
II.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
III.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
II. Die gemäß § 511 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig.
In der Sache hat sie Erfolg. Die Kündigungen der Bausparverträge vom 16.02.2015 sind nicht wirksam (Tenor Ziffer I 1), weil der Beklagten ein Kündigungsrecht fehlt.
Dem Berufungsantrag Ziffer 3 kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Die Beklagte hat sich weder in der vorgerichtlichen Korrespondenz (Anlage K 10 und K 11) noch im Rechtsstreit je eines anderen Vertragsbeendigungsgrundes berühmt als den der Kündigungen vom 16.02.2015. Die Kläger behaupten in der Klage vom 17.07.2015, wie die dortigen Ausführungen zur Zulässigkeit der Feststellungsklage belegen, solches auch nicht. Der Berufungsantrag Ziffer 3 spricht folgerichtig nur von „ungekündigten“ Verträgen. Die Auslegung des klägerischen Begehrens ergibt somit, dass die Kläger eine eigenständige Fortbestandsklage, über die gesondert zu entscheiden wäre, nicht erhoben haben.
1. Die dem Vertrag zugrundeliegenden ABB vermögen die erklärten Kündigungen nicht zu rechtfertigen. Die Voraussetzungen der Bestimmung des § 5 (3) ABB liegen nicht vor. Denn die Beklagte hat die Kläger vor den mit Schreiben vom 16.02.2015 jeweils erklärten Kündigungen nicht erfolglos aufgefordert, die bei den streitgegenständlichen Bausparverträgen noch rückständigen Regelsparbeiträge an sie zu entrichten.
2. Die Voraussetzungen für ordentliche Kündigungen der Bausparverträge durch die Bausparkasse gemäß § 488 Abs. 3 BGB liegen ebenfalls nicht vor.
Zwar entspricht es der herrschenden Rechtsprechung, dass ein Bausparvertrag durch die Bausparkasse gemäß § 488 Abs. 3 BGB gekündigt werden kann, wenn er vollständig, d. h. bis zur Bausparsumme, angespart ist.
Dies beruht darauf, dass ein Bausparvertrag dem in § 1 ABB i. V. m. § 1 BauSparkG besonders definierten Zweck der Erlangung eines Bauspardarlehens durch den Kunden in Höhe der Differenz zwischen Bausparsumme und Bauspareinlagen dient. Mit vollständiger Ansparung des Vertrages bis zur Bausparsumme kann dieser Zweck nicht mehr erreicht werden. Für das fortbestehende Darlehen, das der Bausparer der Bausparkasse gewährt, eröffnet § 488 Abs. 3 BGB eine Kündigungsmöglichkeit (OLG Stuttgart, Beschlüsse vom 14.10.2011, Az.: 9 U 151/11 und vom 30.03.2012, Az.: 9 U 171/15, Rn. 33 m. w. N., zitiert nach juris; Staudinger/Mülbert [2015] BGB § 488 Rn. 548).
Allerdings wurde bei keinem der drei streitgegenständlichen Bausparverträge die volle Bausparsumme eingezahlt. Ebenso wenig haben die Zinsgutschriften die Guthabensalden der Kläger auf diesen Betrag angehoben.
3. Auch die Voraussetzungen für ordentliche Kündigungen der Bausparverträge durch die Bausparkasse gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegen nicht vor.
Zwar ist die Beklagte im Rahmen der streitgegenständlichen Bausparverträge als Darlehensnehmerin anzusehen. Denn in der Ansparphase liegt die Darlehensgeberrolle beim Bausparer und die des Darlehensnehmers bei der Bausparkasse. Erst nach Zuteilung und Inanspruchnahme des Bauspardarlehens kehrt sich dies um und der Bausparer erhält die Differenz zwischen der vereinbarten Bausparsumme und dem angesparten Betrag als Darlehen ausgereicht, auf das er bereits bei Abschluss des Bausparvertrages eine Anwartschaft erworben hat (BGH, Urt. v. 07.12.2010, XI ZR 3/10).
Zudem kann dahinstehen, ob § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB nach seinem Sinn und Zweck auf Sparverträge Anwendung findet, bei denen Einlagen an sogenannte „professionelle Darlehensnehmer“ geleistet werden (vgl. zum Meinungsstand: OLG Stuttgart, Urteil vom 23. September 2015, Az.: 9 U 31/15, juris, Rn. 101).
Denn jedenfalls ist der erstmalige Eintritt der Zuteilungsreife des Bauspardarlehens an den Bausparer nicht als vollständiger Empfang des von dem Bausparer der Bausparkasse gewährten Darlehens anzusehen. Auch eine analoge Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB kommt nicht in Betracht.
3.1 Gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann der Darlehensnehmer einen Darlehensvertrag mit gebundenem Sollzinssatz nach Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen Empfang des Darlehens unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten ganz oder teilweise kündigen. Ein Darlehen ist vollständig empfangen, wenn der Darlehensgeber es dem Darlehensnehmer entsprechend der darlehensvertraglichen Vereinbarung in Höhe des Darlehensnettobetrages zur Verfügung gestellt hat. Werden mehrere Teilzahlungen vereinbart, liegt ein vollständiger Empfang erst mit dem Eingang der letzten Teilzahlung vor (Münchner Kommentar zum BGB /Berger, 7. Aufl., § 489 Rn. 12; Staudinger/Mülbert, BGB [2015], § 489 Rn. 43 m.w.N; Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., § 489 Rn. 5).
Somit kommt es entscheidend darauf an, welche Zahlungen die Parteien vereinbart haben. Erst wenn nach dieser Vereinbarung keine weitere Teilzahlung mehr erfolgen soll, ist das gesamte Darlehen „empfangen“.
3.11 Der Zeitpunkt des vollständigen Empfangs wird nicht durch das Erreichen des Mindestbausparguthabens in Höhe von 40% der Bausparsumme (§ 11 (1) a) ABB) und auch nicht durch die erstmalige Zuteilungsreife des Bauspardarlehens bestimmt. Denn die Verpflichtung und der Anspruch des Bausparers zur Entrichtung weiterer Regelsparbeträge kommen durch keines der beiden Ereignisse in Wegfall.
Ausweislich § 11 (1) ABB ist die tatsächliche Zuteilung und damit die Bereitstellung von Bausparguthaben und Bauspardarlehen gemäß § 13 (1) ABB von weiteren Voraussetzungen abhängig. Das der Bausparkasse gewährte Darlehen bleibt vorerst schon deshalb nur teilvalutiert, weil der Bausparer weitere Sparleistungen erbringen darf und gemäß der Vereinbarung auch zu erbringen verpflichtet ist. Zudem sind die jährlich fälligen Zinsen auf das Bausparguthaben gemäß § 6 (3) und (4) ABB nicht auszuzahlen, sondern dem Bausparguthaben gutzuschreiben. Beides führt auf der Seite der Bausparkasse zu einem fortwährenden Empfang weiterer darlehensweise geleisteter Beträge. Es ist zwar zutreffend, dass die Kläger nach dem Erreichen der Zuteilungsreife bzw. nach erfolgter Zuteilung den Bausparvertrag tatsächlich nicht mehr aktiv bespart haben. Den Vertragsvereinbarungen der Parteien ist jedoch nicht zu entnehmen, dass damit seitens der Beklagten das gesamte Darlehen empfangen wäre. Die Zahlungseinstellung kann zudem zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgen und vom Bausparer einseitig wieder beendet werden, indem er weitere Sparleistungen erbringt. § 6 (3) ABB führt ohnehin, worauf schon hingewiesen wurde, zu einem – wenn auch geringfügigen – Weiterbesparen.
Das vom Bausparer der Bausparkasse gewährte Darlehen erhöht sich damit fortlaufend. In dieser Situation kann für keinen Betrag unterhalb der vollen Bausparsumme und für keinen konkreten Zeitpunkt festgestellt werden, dass das Nettodarlehen vollständig und endgültig erbracht sei.
Entscheidend für die Bestimmung des vollständigen Empfangs des Darlehensbetrages ist die vertragliche Vereinbarung der Parteien, die als bestimmten Betrag lediglich die Bausparsumme ausweist. Solange diese nicht erreicht ist, hat der Eintritt der Zuteilungsreife keinen Einfluss auf die Verpflichtung und das Recht des Bausparers zur Entrichtung weiterer Regelsparbeträge. Zutreffend weist der 9. Senat des Oberlandesgerichts Stuttgart darauf hin, dass die Bausparkasse jedenfalls nicht dazu berechtigt ist, die Annahme ihr gemäß § 5 (1) Satz 2 ABB weiter angedienter Regelsparbeiträge mit Hinweis auf das Erreichen der Mindestsparsumme zu verweigern (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2015, a. a. O., Rn. 47, zitiert nach juris).
Weil der Bausparer somit nach § 5 (1) Satz 2 ABB über die Zuteilung hinaus Regelsparbeiträge bis zur ersten Auszahlung aus der zugeteilten Bausparsumme zu entrichten hat und leisten darf sowie der Darlehensvaluta jährlich eine Zinsgutschrift zugeschlagen wird, ist die Phase bis zum Auszahlungszeitpunkt des gesparten Geldes an den Bausparer eine Phase der fortbestehenden Teilvalutierung. Im Anschluss an die Zuteilung steht es dem Bausparer als Darlehensgeber zwar frei, durch die Annahme der Zuteilung und das damit verbundene Auszahlungsverlangen die Rolle des Darlehensgebers mit der des Darlehensnehmers zu tauschen und damit die Zeit, in der er der Bausparkasse ein Darlehen gewährt, zu beenden. Nicht aber steht der Bausparkasse dieses Recht zu. Denn die Annahme der Zuteilung von Seiten des Bausparers ist Voraussetzung dafür, dass ihm das Bausparguthaben zusammen mit dem Bauspardarlehen zur Verfügung gestellt wird, § 13 (1) ABB. 3.12
Für die vorliegenden drei Bausparverträge steht fest, dass die Kläger die jeweiligen Zuteilungen nicht angenommen haben und die vereinbarten Bausparsummen trotz weiterer Gutschriften nicht erreicht wurden. Sämtliche Verträge befinden sich nach wie vor in der Ansparphase. Die Voraussetzungen des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB lagen deshalb bei keiner der Kündigungen vor.
3.2 Eine analoge Anwendung der Bestimmung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf den erstmaligen Eintritt der Zuteilungsreife bei Bausparverträgen scheidet zur Überzeugung des Senats ebenfalls aus. Eine normzweckorientierte Anwendung der Vorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB unter Berücksichtigung der für Bausparverträge charakteristischen Interessen- und Pflichtenlage der Vertragsparteien rechtfertigt nicht, eine Gleichstellung des vollständigen Empfangs der Darlehensvaluta im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem erstmaligen Eintritt der Zuteilungsreife vorzunehmen. Die Beklagte beruft sich insoweit auf den Sinn und Zweck des Bausparens, auf den Kollektivgedanken bei Bausparverträgen und auf den Umstand, dass es vor dem Hintergrund fehlender vertraglicher Regelungen bei einer Verneinung der Kündigungsmöglichkeit in analoger Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB faktisch zu einem „ewigen“ Sparrecht des Bausparers (bei unveränderlichem und nicht (mehr) marktgerechtem Zins) käme. Diese von zahlreichen Obergerichten (bspw. OLG Celle, Beschluss vom 17.02.2016, 3 U 208/15; OLG Köln, Urteil vom 15.02.2016, 13 U 151/15; OLG Hamm, Beschluss vom 30.12.2015, 31 U 191/15; OLG Koblenz, Beschluss vom 18.01.2016, 8 U 1064/15) und von Teilen der Literatur (vgl. u. a. Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800 ff.) für eine analoge Anwendung herangezogenen Argumente überzeugen den Senat nicht. Er schließt sich der vom 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart (a. a. O., Rn. 68 ff., zitiert nach juris) vertretenen Auffassung an, die keinen durchgreifenden Grund für eine analoge Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf Fälle wie die vorliegenden anerkennt.
Eine Analogie setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Ob eine derartige Lücke vorhanden ist, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen. Das Vorliegen der vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassenen Lücke und ihre Planwidrigkeit müssen dabei aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden können. Für eine Analogie ist weiter erforderlich, dass der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem gesetzlich geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH, Beschluss vom 20. November 2014, Az.: IX ZB 16/14, WM 2015, 131).
3.21 Eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit liegt nicht vor.
Wie das Oberlandesgericht Stuttgart überzeugend festgestellt hat, lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen, dass mit der Bestimmung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB bei von herkömmlichen Darlehensverträgen abweichenden Bausparverträgen auch der erstmalige Eintritt der Zuteilungsreife erfasst werden sollte (OLG Stuttgart, a. a. O., Rn. 55). Zudem spricht das bewusste Unterlassen der Schaffung einer Regelung zur vorzeitigen Kündigung seitens der Bausparkassen bei der letzten Änderung des Bausparkassengesetzes vom 21.12.2015 gegen eine planwidrige Gesetzeslücke. Dem Gesetzgeber waren die Probleme der Bausparkassen bekannt, die daraus resultieren, dass in der bestehenden Niedrigzinsphase die Besparung von Bausparverträgen von Bausparern als lukrativ und die Inanspruchnahme von bereitgestellten Baudarlehen als unattraktiv angesehen werden. Ebenso war ihm die bestehende Rechtsunsicherheit im Bezug auf das Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB bekannt. Gleichwohl hat er es unterlassen, eine klarstellende oder verdeutlichende Änderung des Gesetzeswortlautes herbeizuführen. Dies spricht gegen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke (OLG Stuttgart, a. a. O., Rn. 57).
3.22 Auch eine Interessenabwägung führt nicht zu dem von der Beklagten gewünschten Ergebnis.
Zweck eines Bausparvertrages ist aus Sicht des Bausparers der Erhalt eines zinsgünstigen, nachrangig zu besichernden Darlehens unterhalb des Marktzinsniveaus. Die Voraussetzungen hierfür hat er durch die Leistung der vertraglichen Regelsparbeiträge an die Zweckgemeinschaft der Bausparer zu schaffen, für die er – nach der herkömmlichen Ausgestaltung – eine unterhalb des Marktniveaus liegende Habenverzinsung in Kauf zu nehmen hat. Dieses sich gegenseitig bedingende Wechselverhältnis zwischen Bauspareinlagen und Bauspardarlehen innerhalb der beschränkten Personengruppe der Bausparer ist maßgebend für das Bauspargeschäft und wird in § 1 Abs. 1 und 2 BauSparkG definiert.
Auch die Bausparkasse macht dem Kunden im Hinblick auf den Zeitpunkt einer Auszahlung keine feste Zusage, sondern setzt bei Vertragsabschluss – für den jeweiligen Kunden erkennbar – voraus, dass ihr für eine Darlehenszuteilung die Mitglieder des Bausparkollektivs ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt haben.
Der Bausparer seinerseits schließt den Bausparvertrag nicht selten (noch) ohne eine konkrete Bauabsicht und in diesem Fall im Hinblick darauf, dass er in einigen Jahren trotz einer Hochzinsphase die Möglichkeit hat bzw. behält, eine überwiegend fremdfinanzierte Immobilie zu erwerben. In Zeiten von Niedrigzinsen kann der Zweck des Bausparvertrages, ein Darlehen mit Zinsen unter dem Marktzinsniveau zu erhalten, für den Bausparer unter diesem Gesichtspunkt oft nicht erreicht werden. Ein Zinsniveau kann sich jedoch in den dann folgenden Jahren wieder ändern. Es kann sich dahin verändern, dass die Annahme des Darlehens für den Bausparer wieder attraktiv wird. Das Zuwarten ist für einen solchen Fall ein systemgerechtes Verhalten und auch durch die anfänglich unterhalb des Marktniveaus liegende Habenverzinsung vom Bausparer erkauft.
Der Eintritt der Zuteilungsreife verschafft dem Bausparer also nicht jene von der Beklagten behauptete besondere Rechtsposition, mit der er die Bausparkasse unangemessen lange an einen bereits bei Vertragsschluss fest vereinbarten Guthabenzinssatz binden kann. Die ABB sehen kein Recht des Bausparers vor, die Regelbesparung bei Zuteilungsreife oder Zuteilung einzustellen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 17.02.2016, Az.: 9 U 137/15, und Urteil vom 30.03.2016, Az.: 9 U 171/15, dort Rn. 68 f., zitiert nach juris). § 5 (1) 1 ABB enthält die Verpflichtung des Bausparers, über den Eintritt der Zuteilungsreife hinaus und sogar noch nach der Annahme der Zuteilung die Regelsparbeiträge bis zum ersten Auszahlungszeitpunkt zu bezahlen. Kommt er dem nicht nach, so verhält er sich vertragswidrig und gibt der Bausparkasse gemäß § 5 (3) ABB die Möglichkeit, sich nach erfolgloser Aufforderung zur Zahlung durch Kündigung vom Vertrag zu lösen. Der Bausparkasse steht somit ein wirksames Instrument zur Verfügung, mit dem sie den Kunden zur Einhaltung der Leistungspflichten anhalten kann. Die Beklagte hätte somit in den drei streitgegenständlichen Verträgen entweder bereits die Voraussetzungen für eine Kündigung gemäß § 5 (3) ABB herbeiführen können, falls die Kläger trotz Aufforderung ihren Leistungspflichten nicht nachgekommen wären, oder andernfalls eine Kündigung gemäß § 488 Abs. 3 BGB wegen erfolgter Vollbesparung aussprechen können (vgl. Teil II. 1.). Es lag und es liegt noch in der Hand der Bausparkasse, das faktische Ruhen des Vertrages durch die Aufforderung zur Wiederaufnahme der Zahlungen und durch Ausgleichung von Rückständen zu beenden. Dies hätte nach einer Zeit von ca. 10 Jahren nach Zuteilung zur Beendigung der Verpflichtung zur Zinszahlung und Rückführung des Kapitals an den Bausparer geführt.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann nicht davon gesprochen werden, dass die vertraglichen Regelungen in den Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge (ABB) die Interessen einer Partei, hier der Beklagten, nicht hinreichend berücksichtigen. Die Beklagte hatte und hat auch jetzt noch die Möglichkeit, der von ihr als unabwendbar bezeichneten Folge „ewiger“ Festverzinsung des überlassenen Kapitals oberhalb des Marktzinses in Anwendung der konkret vereinbarten vertraglichen Bedingungen ein absehbares Ende zu bereiten.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Argumentation nimmt der Senat auf die auch insoweit überzeugenden und detaillierten Ausführungen des Oberlandesgerichts Stuttgart im Urteil vom 30.03.2016 (a. a. O., Rn. 53 bis 75; zitiert nach juris) Bezug.
4. Die Verpflichtung zur Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren folgt aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB. Durch die unberechtigte Kündigung hat die Beklagte ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt. Die notwendigen Rechtsverfolgungskosten betragen unter Berücksichtigung einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr, einer Auslagenpauschale von 20,00 € und der Umsatzsteuer in Höhe von 19% insgesamt 958,19 €. Für die Gebührenrechnung ist ein Gegenstandswert von 10.635,42 € anzusetzen. Insoweit wird auf den Beschluss des Senats vom 29.06.2016 verwiesen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist zuzulassen.
Die Frage, ob Bausparverträge nach Eintritt der Zuteilungsreife die seit mehr als 10 Jahren nicht mehr (mit Ausnahme der Zinsgutschriften) bespart wurden, in (analoger) Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB von der Bausparkasse gekündigt werden können, beantworten Obergerichte unterschiedlich (wie hier: OLG Stuttgart, a. a. O.; abweichend zu hiesiger Entscheidung: OLG Köln, Urteil vom 15.02.2016, Az.: 13 U 151/15; OLG Celle, Beschlüsse vom 15.02.2016, Az.: 3 U 163/15, und vom 17.02.2016, Az.: 3 U 208/15; OLG Hamm, Beschluss vom 30.12.2015, Az.: 31 U 191/15). Die Revision war daher zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Die aufgeworfene Rechtsfrage ist wegen der Vielzahl gleichartig gelagerter Fälle auch von grundsätzlicher Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).