Baurecht

9 A 9/19

Aktenzeichen  9 A 9/19

Datum:
3.11.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2020:031120U9A9.19.0
Spruchkörper:
9. Senat

Leitsatz

1. Pläne und Programme unterfallen der Pflicht zur Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung (SUP), wenn sie als Instrument einer vorgelagerten Entscheidungsebene über die abstrakt-generellen Rahmenvorgaben des Umwelt- und Planungsrechts hinausgehen und Vorentscheidungen für die Vorhabenzulassung treffen, ohne bereits Teil der Zulassung eines einzelnen Vorhabens zu sein. Weder der Staatsvertrag zwischen Deutschland und Dänemark vom 3. September 2008 über eine Feste Fehmarnbeltquerung noch das hierzu ergangene Zustimmungsgesetz waren danach SUP-pflichtig.
2. Findet gemäß § 78 VwVfG für mehrere selbständige planfeststellungspflichtige Vorhaben nur ein Planfeststellungsverfahren statt, ist insgesamt nur eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.
3. Der Bedarf für ein Verkehrsvorhaben kann in einem Staatsvertrag mit der gleichen Bindungswirkung für die Planfeststellung wie in den straßen- und eisenbahnrechtlichen Bedarfsplänen (§ 1 BSWAG, § 1 FStrAbG) festgelegt werden.
4. Zum Schutz von Schweinswalen vor bauzeitlichen Auswirkungen durch Unterwasserlärm.
5. Ist die naturschutzrechtliche Prüfung auf außerrechtliche Bewertungen angewiesen, für die weder normkonkretisierende Maßstäbe noch allgemein anerkannte Maßstäbe und Methoden bestehen, so ist die gerichtliche Kontrolle darauf beschränkt, ob die Einschätzungen der Planfeststellungsbehörde naturschutzfachlich vertretbar sind, sie insbesondere nicht auf einem unzulänglichen oder gar ungeeigneten Bewertungsverfahren beruhen, und ob die Behörde zu einer plausiblen Einschätzung gelangt. Der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle obliegt darüber hinaus die Prüfung, ob der Behörde Verfahrensfehler unterlaufen sind, sie von einem unrichtigen oder unzureichend aufgeklärten Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt hat oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2018 – 1 BvR 2523/13 u.a. – BVerfGE 149, 407 Rn. 17 ff.).
6. Der fachlichen Bewertung durch eine von der Planfeststellungsbehörde und dem Vorhabenträger unabhängige Fachbehörde kommt für die Bewertung der Plausibilität und Tragfähigkeit planerischer Konzepte besonderes Gewicht zu.
7. Nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses durchgeführte Erhebungen in einem Naturraum sind in der Regel nicht geeignet, eine der Planung zugrunde liegende frühere, nach Methodik und Umfang ordnungsgemäße biotopschutzrechtliche Bestandsaufnahme in Frage zu stellen (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 12. August 2009 – 9 A 64.07 – BVerwGE 134, 308 Rn. 50).
8. Wenngleich naturschutzfachliche Modellierungen so naturnah wie möglich durchzuführen sind, ist eine vollkommene Übereinstimmung mit natürlichen Prozessen und Gegebenheiten nicht zu erzielen. Sie sind vielmehr unvermeidbar mit gewissen Unschärfen und Unsicherheiten verbunden. Maßstab für ihre gerichtliche Überprüfung ist daher, ob sie methodisch einwandfrei erarbeitet wurden und ob sie auch sonst dem aktuellen fachwissenschaftlichen Kenntnisstand entsprechen. In diesem Fall führt eine Realisierung der vorgenannten Unwägbarkeiten infolge nachträglicher Erkenntnisse nicht zur Fehlerhaftigkeit der Modellierung (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 9. Februar 2017 – 7 A 2.15 – BVerwGE 158, 1 Rn. 59, 73, 75).

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1
Der Kläger, ein nach § 3 UmwRG anerkannter Naturschutzverein, wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten für den Neubau einer Festen Fehmarnbeltquerung von Puttgarden nach Rødby, deutscher Vorhabenabschnitt, vom 31. Januar 2019.
2
1. Gegenstand des Verfahrens ist der deutsche Teil der Festen Fehmarnbeltquerung (im Folgenden: FFBQ), ein von der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark gemeinsam geplanter kombinierter Straßen- und Eisenbahntunnel durch den Fehmarnbelt, der die Inseln Fehmarn und Lolland verbinden soll. Das planfestgestellte Vorhaben beinhaltet den Bau eines Absenktunnels in offener Grabenbauweise zwischen Puttgarden auf Fehmarn und der Grenze der deutschen und dänischen ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ). Es beginnt südlich von Puttgarden mit der Ausfädelung der Bahnstrecke Lübeck – Puttgarden und der Verschwenkung der B 207/E 47 (Heiligenhafen – Puttgarden). Sodann verläuft die Trasse östlich des Fährhafens Puttgarden und wird durch den Tunnel geradlinig in nordöstlicher Richtung durch die Ostsee – u.a. durch das FFH-Gebiet “Fehmarnbelt” – geführt.
3
Von dem insgesamt über 18 km langen Tunnelbauwerk liegen 9,5 km im Bereich des deutschen Küstenmeeres und der deutschen AWZ. Der Absenktunnel ist im Querschnitt bis zu 47 m breit und bis zu 13 m hoch. Er wird aus Fertigelementen zusammengesetzt, die in eine auf dem Meeresboden gegrabene Rinne abgesenkt werden; seitlich werden die Gräben mit Kies und Sand verfüllt, ehe der Tunnel mit einer Steinlage überschüttet wird. Er umfasst eine zweigleisige elektrifizierte Bahnlinie, für den Straßenverkehr in getrennten Tunnelröhren zwei Richtungsfahrbahnen mit je zwei Fahr- und einem Standstreifen sowie einen Korridor für Wartungsarbeiten und Evakuierungen. Darüber hinaus genehmigt der Planfeststellungsbeschluss u.a. die Anlage eines temporären Arbeitshafens sowie den Neubau einer Landgewinnungsfläche östlich des Fährhafens.
4
2. Bereits im Staatsvertrag mit Schweden zum Bau der festen Öresundquerung verpflichtete sich Dänemark, die Planung und den Bau einer FFBQ zu fördern. Das Königreich Dänemark und die Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten nach Durchführung zahlreicher Voruntersuchungen auf der Grundlage vorangegangener gemeinsamer Erklärungen sowie eines grenzüberschreitenden Umweltkonsultationsverfahrens am 3. September 2008 einen Staatsvertrag über eine Feste Fehmarnbeltquerung (im Folgenden: StV), dem der Bundestag mit Gesetz vom 17. Juli 2009 zustimmte (BGBl. II S. 799; im Folgenden: Zustimmungsgesetz). Darin vereinbaren die Parteien eine nutzerfinanzierte feste Querung über den Fehmarnbelt, die von Dänemark auf eigene Kosten geplant, errichtet, betrieben und unterhalten wird; soweit die Querung auf deutschem Hoheitsgebiet liegt, überträgt Deutschland Dänemark diese Aufgaben. Der Vertrag überlässt die technische Ausgestaltung der Querung – ebenso wie die genaue Linienführung – den nationalen Genehmigungsverfahren. Er sieht weiter vor, dass Dänemark eine Gesellschaft – die Beigeladene – gründet, welche die Planung, Einholung der Genehmigungen, Errichtung und den Betrieb der FFBQ übernimmt. Die Durchführung der erforderlichen Genehmigungsverfahren erfolgt für den auf deutschem Hoheitsgebiet befindlichen Teil der FFBQ nach deutschem, für den auf dänischem Gebiet befindlichen Teil nach dänischem Recht; im Bereich der AWZ findet das jeweilige nationale Recht im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) Anwendung, soweit der Staatsvertrag nichts Abweichendes regelt. Gebaut wird die FFBQ nach den geltenden dänischen technischen Normen und Vorschriften. Darüber hinaus verpflichten sich die Parteien zum Ausbau der jeweiligen Hinterlandanbindungen, der auf deutscher Seite u.a. den Ausbau der Straßenverbindung E 47 (B 207) zwischen Heiligenhafen (Ost) und Puttgarden zu einer vierstreifigen Bundesstraße, die Elektrifizierung der Schienenstrecke zwischen Lübeck und Puttgarden sowie den zweigleisigen Ausbau der Schienenstrecke zwischen Bad Schwartau und Puttgarden umfasst.
5
3. Vorhabenträger auf deutscher Seite sind für den Straßenteil der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein (im Folgenden: LBV) und für die Schienenstrecke die Beigeladene. Unter dem 9. November 2009 schlossen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Land Schleswig-Holstein, und die Beigeladene einen Verwaltungshelfervertrag. Danach übernimmt die Beigeladene die Planung und den Entwurf, die Vorbereitung der Planfeststellung und den Grunderwerb auch für den Straßenabschnitt.
6
Am 18. Oktober 2013 beantragten die Vorhabenträger die Feststellung des Plans für den deutschen Teil der FFBQ. Dabei wurden zwar die Straßen- und die Schienenverbindung als selbständige Vorhabenteile behandelt, das Verfahren wurde jedoch unter Verweis auf § 78 VwVfG einheitlich nach den Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes geführt. Am 17. April 2014 verzichtete das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) auf ein förmliches Linienbestimmungsverfahren. Die Auslegung und die Erörterungstermine erfolgten zwischen Mai 2014 und November 2015. Nach Durchführung eines Planänderungsverfahrens mit erneuter umfassender Öffentlichkeitsbeteiligung in den Jahren 2016/2017 (1. Planänderung) reichten die Vorhabenträger weitere Deckblätter und Unterlagen bei der Planfeststellungsbehörde ein (2. Planänderung), welche diese im Januar 2018 Trägern öffentlicher Belange, der Klägerin zu 1 des Verfahrens BVerwG 9 A 12.19 sowie anerkannten Naturschutzvereinigungen zuleitete. Eine auf Bitte der Planfeststellungsbehörde erstellte gutachterliche Stellungnahme der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) zu den Themengebieten Hydrologie, Morphologie, Sedimentverdriftung und Sedimentation, hierzu eingegangene Erläuterungen und Ergänzungen der Vorhabenträger sowie weitere zahlreiche Deckblätter, die zwischen Februar und Oktober 2018 eingereicht wurden, leitete die Planfeststellungsbehörde Trägern öffentlicher Belange sowie anerkannten Naturschutzvereinigungen zur Stellungnahme zu. Für weitere, nach November 2018 eingereichte Deckblätter wurde keine erneute Beteiligung durchgeführt.
7
Am 31. Januar 2019 erging der angefochtene Planfeststellungsbeschluss (PFB). Die Auslegung erfolgte vom 26. März bis 8. April 2019.
8
4. Der Kläger rügt die formelle und materielle Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses. Der angefochtenen Entscheidung hätte eine Strategische Umweltprüfung (SUP) vorangehen müssen; auch sei die Umweltverträglichkeitsprüfung fehlerhaft durchgeführt worden. Der Staatsvertrag sei keine taugliche Planungsgrundlage; insbesondere folge weder aus ihm noch aus weiteren Gesichtspunkten eine hinreichende Rechtfertigung des Plans. Das Vorhaben verstoße zudem gegen gebiets-, arten- und biotopschutzrechtliche Bestimmungen. Die Alternativenprüfung sei unzureichend, insbesondere auch hinsichtlich der Wahl eines Absenk- statt eines Bohrtunnels.
9
Der Kläger beantragt,
1. den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 31. Januar 2019 für den Neubau einer Festen Fehmarnbeltquerung von Puttgarden nach Rødby, deutscher Vorhabenabschnitt, in der Fassung der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 22. September bis 1. Oktober 2020 erklärten Änderungen und Ergänzungen aufzuheben,
2. hilfsweise, festzustellen, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig und nicht vollziehbar ist,
3. hilfsweise zu 2., den Beklagten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, den Vorhabenträgern Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, welche die nachteiligen Wirkungen auf die Umwelt ausschließen bzw. verringern.
10
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klage abzuweisen.
11
Sie verteidigen den Planfeststellungsbeschluss und treten dem Vorbringen des Klägers im Einzelnen entgegen.


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