Baurecht

Abgeschlossenheitserklärung einer Sanierung; hier: Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  1 ZO 362/20

Datum:
6.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberverwaltungsgericht 1. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGTH:2022:0106.1ZO362.20.00
Normen:
§ 166 VwGO
§ 114 S 1 ZPO
§ 118 S 4 ZPO
§ 127 Abs 4 ZPO
§ 136 Abs 4 S 3 BBauG
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Mit der Möglichkeit, einzelne Grundstücke durch Verwaltungsakt vorzeitig aus der Sanierung herauszunehmen, trägt das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass in der Regel ein längerer Zeitraum verstreichen wird, bis eine Sanierung durchgeführt worden ist und die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets aufgehoben werden kann oder muss, so dass auch bereits sanierte Grundstücke den besonderen sanierungsrechtlichen Vorschriften unterworfen bleiben, obwohl dazu keine Notwendigkeit (mehr) besteht.2. Für eine vorzeitige Herausnahme eines Grundstücks aus der Sanierung ist maßgeblich darauf abzustellen, ob das Grundstück entsprechend den Zielen und Zwecken der Sanierung bebaut ist.3. Die Ziele und Zwecke der Sanierung ergeben sich aus dem Sanierungskonzept der Gemeinde.4. Da das BauGB keine ausdrückliche Regelung über förmliche und inhaltliche Anforderungen an das Sanierungskonzept enthält, besteht für die Gemeinde ein weiter Handlungsspielraum, innerhalb dessen sie aber die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abwägen muss (§ 136 Abs. 4 Satz 3 BauGB).

Verfahrensgang

vorgehend VG Meiningen, 5. März 2020, 5 K 508/19 Me, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den die Prozesskostenhilfe für das Verfahren – 5 K 508/19 Me – ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 5. März 2020 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Kläger hat vor dem Verwaltungsgericht Meiningen Prozesskostenhilfe für das von ihm dort geführte Klageverfahren – 5 K 508/19 Me – beantragt. Mit seiner Klage erstrebt er – wohlverstanden – die Verpflichtung der Beklagten, die Sanierung für seine Grundstücke in der P… in G… (Gemarkung Geisa, Flur 1, Flurstücke …a und …b) als abgeschlossen zu erklären. Die Beklagte hat über den entsprechenden Antrag vom 11. Dezember 2018 ersichtlich bisher nicht entschieden.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 5. März 2020 abgelehnt, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Gegen den am 17. März 2020 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 30. März 2020 Beschwerde erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, sein Grundstück befinde sich aktuell in einem Zustand, der es erlaube, die Sanierung als abgeschlossen zu bezeichnen. Seit Ende der 1990er Jahre seien Sanierungsmaßnahmen durchgeführt worden. Mangels Konkretisierung der Sanierungsziele durch die Beklagte könne ihm, dem Kläger, nicht entgegengehalten werden, das seine Maßnahmen die Zielvorgaben der Sanierungssatzung nicht erfüllten.
Eine sanierungsrechtliche Genehmigung sei ihm versagt worden. Dagegen habe er Widerspruch erhoben.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO), ist nicht zu beanstanden.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit seinem Begehren die Sanierung seiner im Sanierungsgebiet „Innenstadt G…“ liegenden Grundstücke (Gemarkung Geisa, Flur 1, Flurstücke …a und …b) als abgeschlossen zu erklären bzw. sie vorzeitig aus der Sanierung zu entlassen, nicht durchdringen wird.
Mit der Möglichkeit, einzelne Grundstücke durch Verwaltungsakt vorzeitig aus der Sanierung herauszunehmen, trägt das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass in der Regel ein längerer Zeitraum verstreichen wird, bis eine Sanierung entsprechend dem Sanierungskonzept durchgeführt worden ist und die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets aufgehoben werden kann oder muss, so dass auch bereits sanierte Grundstücke den besonderen sanierungsrechtlichen Vorschriften unterworfen bleiben, obwohl dazu keine Notwendigkeit (mehr) besteht. Insoweit kommt es maßgeblich darauf an, ob die Grundstücke des Klägers entsprechend den Zielen und Zwecken der Sanierung bebaut sind. Dies ist indes nicht der Fall.
Der Kläger, der vorträgt, die Sanierung seines Wohnhauses abgeschlossen zu haben, übersieht, dass es im förmlich festgesetzten Sanierungsgebiet um den Zustand des Grundstücks insgesamt und um die städtebauliche Situation geht, von der das Grundstück geprägt ist. Eine Sanierung kann nur dann für abgeschlossen erklärt werden, wenn für ein Grundstück die Feststellung getroffen werden kann, dass es tatsächlich saniert ist (§ 163 Abs. 1 BauGB) oder voraussichtlich bzw. gesichert entsprechend den konkreten Sanierungszielen bebaut werden wird (§ 163 Abs. 2 BauGB), also die Neuordnung in Bezug auf dieses Grundstück bereits durchgeführt wurde.
1. Die Sanierung für die Grundstücke des Klägers ist nicht abgeschlossen. Nach § 163 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 1 BauGB hat die Gemeinde auf Antrag des Eigentümers die Sanierung für ein Grundstück als abgeschlossen zu erklären, wenn es entsprechend den Zielen und Zwecken der Sanierung bebaut ist oder in sonstiger Weise genutzt wird (§ 163 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) oder das Gebäude modernisiert oder instandgesetzt ist (§ 163 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Diese Voraussetzungen liegen bezogen auf die Grundstücke des Klägers noch nicht vor.
Die Abschlusserklärung nach § 163 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB stellt auf einen Zustand ab, der es erlaubt, die Sanierung als abgeschlossen zu bezeichnen. Insoweit ist maßgeblich, ob die Sanierung nach der Sanierungsplanung abgeschlossen ist. Anders als der Kläger möglicherweise meint, genügt es dafür nicht, dass das Grundstück überhaupt bebaut oder in sonstiger Weise genutzt wird (HessVGH, Urt. v. 28. Oktober 1993 – 4 UE 884/90 -, NVwZ-RR 1994, 632) oder das darauf stehende Haus renoviert worden ist. Die Zwecke und Ziele der Sanierung ergeben sich aus dem Sanierungskonzept der Gemeinde gemäß § 140 Nr. 3 BauGB (BVerwG, Urt. v. 13. Juli 2006 – 4 C 5.05 -, BVerwGE 126, 238 [242], Rn. 17 und Urt. v. 24. Mai 2006 – 4 C 9.04 -, BVerwGE 126, 104 [108], Rn. 21). Bereits vor der förmlichen Festlegung eines Sanierungsgebiets muss die Gemeinde die Ziele und Zwecke der Sanierung ausgehend von ihren städtebaulichen Ziel- und Entwicklungsvorstellungen bestimmen und sie während der gesamten Dauer der Sanierung konkretisieren. Das BauGB enthält zwar keine ausdrückliche Regelung über förmliche und inhaltliche Anforderungen an das Sanierungskonzept, so dass für die Gemeinde ein weiter Handlungsspielraum besteht, innerhalb dessen sie aber die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abwägen muss (§ 136 Abs. 4 Satz 3 BauGB).
Der Kläger kann – wie er in der Beschwerdebegründung selbst einräumt – bisher weder eine bestandskräftige sanierungsrechtliche Genehmigung für die von ihm durchgeführten Baumaßnahmen an seinem Wohngebäude vorweisen noch ist ersichtlich oder vorgetragen, dass er im Hofbereich seines Grundstücks die vom Sanierungsträger für notwendig erachteten strukturellen Verbesserungen vorgenommen hätte.
Es ist wohl mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass die Beklagte für die Grundstücke des Klägers hinsichtlich der Frage, ob und wie diese Flächen bebaut werden sollen, bislang keine konkreten Sanierungsziele und -zwecke bestimmt hat. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des angegriffenen Beschlusses (amtlicher Abdruck, Seite 3 und 4) verwiesen. Einen sanierungsrechtlichen Rahmenplan hat die Beklagte – soweit ersichtlich – nicht beschlossen.
Fehlt es an einer Konkretisierung der Ziele und Zwecke der Sanierung, bedeutet dies aber nicht, dass jede Bebauung und Freiflächengestaltung eines Grundstücks den Zielen und Zwecken der Sanierung entspricht und für das Baugrundstück die Sanierung für abgeschlossen erklärt werden kann. Die Regelungen in § 163 BauGB sind im Zusammenhang zu sehen mit der Vorschrift des § 162 Abs. 1 Satz 1 BauGB, die die Aufhebung der Sanierungssatzung für das gesamte Sanierungsgebiet oder Teile davon vorsieht, wenn die Sanierung durchgeführt ist, die Sanierung sich als undurchführbar erweist, die Sanierungsabsicht aus anderen Gründen aufgegeben wird oder die nach § 142 Abs. 3 Satz 3 oder 4 BauGB für die Durchführung der Sanierung festgelegte Frist abgelaufen ist. Eine Aufhebung der Sanierung allein wegen Zeitablaufs oder schleppender Durchführung der Sanierung ist dagegen nicht vorgesehen (Mitschang in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Kommentar, 14. Auflage 2014, § 162, Rn. 11).
Wann eine Sanierung im Sinne des § 162 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB durchgeführt ist, beurteilt sich danach, ob alle Maßnahmen der Sanierung abgeschlossen, die Ordnungs- und Baumaßnahmen entsprechend den Sanierungsgrundsätzen durchgeführt und die städtebaulichen Missstände behoben sind (Mitschang, a. a. O. Rn. 2 und 4). Diese Voraussetzungen liegen bezogen auf das Sanierungsgebiet insgesamt nicht vor.
Auch eine „Aufgabe der Sanierung“ im Sinne von § 162 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB kann der Kläger aller Voraussicht nach nicht erfolgreich einwenden, auch wenn viel dafür spricht, dass die Beklagte die Sanierung bisher nur zögerlich durchführt hat und sie die Ziele und Zwecke der Sanierung auch nach längerer Zeit noch nicht (weiter) konkretisiert hat. Auch bei einer langen Zeitdauer einer städtebaulichen Sanierungsmaßnahme besteht, wenn die gesetzlichen Gründe für die Einleitung der Sanierungsmaßnahme fortbestehen und die Gemeinde die Sanierung nicht aufgibt, sondern in langsamem Tempo fortführt, neben den Gründen des § 163 BauGB kein Anspruch des Eigentümers darauf, die Sanierungssatzung aufzuheben (vgl. Mitschang, a. a. O., Rn. 8, 12).
Hat die Gemeinde mit dem Erlass der Sanierungssatzung die Ziele und Zwecke der Sanierung nur sehr allgemein gefasst und später in Bezug auf bestimmte Grundstücke nicht weiter konkretisiert, kann daher von einer Bebauung dieser Grundstücke „entsprechend den Zielen und Zwecken der Sanierung“ im Sinne von § 163 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB erst dann gesprochen werden, wenn die darauf nach Erlass der Sanierungssatzung vorgenommene Bebauung sanierungsrechtlich genehmigt und erkennbar abgeschlossen ist (OVG LSA, Urt. v. 16. Juni 2010 – 2 L 296/08 -, juris, dort Rn. 45). Dies ist hier auch nach dem Vortrag des Klägers in seiner Beschwerdebegründung offensichtlich nicht der Fall.
2. Der Kläger kann die erstrebte Abgeschlossenheitserklärung auch nicht auf der Grundlage des § 163 Abs. 2 Satz 1 BauGB erlangen. Nach dieser Vorschrift kann die Gemeinde bereits vor dem in § 163 Abs. 1 BauGB bezeichneten Zeitpunkt die Durchführung der Sanierung für einzelne Grundstücke durch Bescheid an die Eigentümer für abgeschlossen erklären, wenn die den Zielen und Zwecken der Sanierung entsprechende Bebauung oder sonstige Nutzung oder die Modernisierung oder Instandsetzung auch ohne Gefährdung der Ziele und Zwecke der Sanierung zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist. Da die (künftigen) Durchführungsmaßnahmen den Zielen und Zwecken der Sanierung entsprechen müssen, muss insoweit bereits eine städtebauliche Planung im Sinne von § 140 Nr. 4 BauGB vorliegen. Eine solche Planung muss für das jeweilige Grundstück ein Sanierungskonzept erstellt und die Sanierungsziele konkretisiert haben (OVG LSA, Urt. v. 16. Juni 2010 – a. a. O., Rn. 46 m. w. N.). Eine solche auf das Grundstück des Klägers bezogene räumliche Planung liegt jedoch nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil im vorliegenden Fall nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) für das Beschwerdeverfahren eine Festgebühr in Höhe von 60 EUR zu erheben ist. Den Beteiligten entstandene außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i. V. m. §§ 118 Abs. 1 Satz 4, 127 Abs. 4 ZPO).
Hinweis:Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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