Baurecht

Abgrabungsgenehmigung, Anforderungen an eine Vorprüfung, Unzureichende Ermittlungen im Hinblick auf Erschütterungen, Staub- und Lärmimmissionen, Interessenabwägung

Aktenzeichen  1 CS 21.2408

Datum:
14.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4433
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7
BNatSchG § 34 Abs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 1 S7 21.3066 2021-08-10 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 10. August 2021 wird die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragsgegners (M 1 K 20.3474) gegen die der Antragstellerin erteilte Abgrabungsgenehmigung vom 18. Juni 2020 in der Gestalt der Bescheide vom 24. Juli 2020 und vom 26. Mai 2021 wiederhergestellt. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung erfasst nicht den Abtransport bereits aus dem Boden gelösten Materials bei Tageslicht ohne Verwendung künstlicher Beleuchtung.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsgegner, eine anerkannte Umweltvereinigung, wendet sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem es unter Abänderung seines Beschlusses vom 29. September 2020 den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsgegner gegen eine Abgrabungsgenehmigung erhobene Klage abgelehnt hat.
Das Landratsamt erteilte mit Bescheid vom 18. Juni 2020 der Antragstellerin eine Abgrabungs- und Rekultivierungsgenehmigung für die Grundstücke FlNr. … (Bauabschnitt 1) und …2 (Bauabschnitt 2), Gemarkung S. Der Bauabschnitt 1 betrifft eine Fläche von ca. 5.300 m², die sich nördlich der Gemeindeverbindungsstraße von G.weg nach P. und westlich des B.sees befindet. Der westliche Teil des Vorhabengrundstücks liegt im Fauna-Flora-Habitat-Gebiet und SPA-Vogelschutzgebiet „M. von E. bis S.“, die sich westlich über den B.see und weitere Flächen erstrecken. Der Vorhabenstandort befindet sich in einer Entfernung von ca. 40 bis 50 m Entfernung zu den Schutzgebieten. Die Genehmigung für den Bauabschnitt 2 nahm das Landratsamt mit Bescheid vom 24. Juli 2020 unter Anordnung des Sofortvollzugs zurück.
Gegen die Genehmigung in Gestalt des Teilrücknahmebescheids erhob der Antragsgegner Klage (M 1 K 20.3474), über die noch nicht entschieden wurde. Mit Beschluss vom 29. September 2020 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (M 1 SN 20.3658). Die Genehmigung verstoße gegen § 34 Abs. 2 BNatSchG, da die fachlichen Verträglichkeitsuntersuchungen den Wirkfaktor der Lichtemissionen in Zusammenschau mit den vorgesehenen Betriebszeiten nicht hinreichend berücksichtigt hätten. Weiter sei eine fortwährende Überwachung des Grundwassers nicht hinreichend bestimmt angeordnet und der Sachverhalt im Hinblick auf den Schutz von Gehölzen, die durch das Vorhaben möglicherweise beeinträchtigt werden könnten, nicht ausreichend aufgeklärt worden. Darüber hinaus begegne die angegriffene Genehmigung keinen rechtlichen Bedenken. Der Beschluss wurde am 29. Oktober 2020 insoweit geändert, als die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht den Abtransport von bereits gefördertem Material umfasst.
Die Antragstellerin erklärte in der Folge einen Teilverzicht im Hinblick auf die Betriebszeiten, auf den Einsatz künstlichen Lichts sowie auf den Abbau einer Fläche von ca. 60 m² im westlichen Bereich. Die Beigeladene erließ am 26. Mai 2021 einen Ergänzungsbescheid. Hierin wurde insbesondere die Nebenbestimmung Nr. 10 der ursprünglichen Genehmigung so gefasst, dass der höchste Grundwasserstand im Zuge der Grundwasserüberwachung zu ermitteln ist, zu dem der Kiesabbau einen Abstand von insgesamt 2 m einzuhalten hat. Die Nebenbestimmung Nr. 14 enthält nähere Vorgaben zur Überwachung des Grundwasserstands. Den Ergänzungsbescheid hat der Antragsgegner in seine gegen die Genehmigung gerichtete Klage einbezogen.
Auf Antrag der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht nach Beiladung des Freistaats Bayern mit Beschluss vom 10. August 2021 unter Abänderung des Beschlusses vom 29. September 2020 (M 1 SN 20.3658) den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Genehmigung gerichteten Klage abgelehnt. Die vom Verwaltungsgericht im Beschluss vom 29. September 2020 geäußerten rechtlichen Bedenken seien durch eine Teilverzichtserklärung der Antragstellerin und durch die im Ergänzungsbescheid ergangenen Nebenbestimmungen ausgeräumt.
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde. Die Abgrabungsgenehmigung in der Gestalt des Teilrücknahmebescheids und des Ergänzungsbescheids sei rechtswidrig. Die Klage werde in der Hauptsache erfolgreich sein. Das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass der Nachweis dafür erbracht sei, dass das genehmigte Vorhaben nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen des benachbarten FFHsowie des SPA-Gebiets führe. Es sei nicht auszuschließen, dass durch die genehmigte Abgrabungstiefe die nachhaltige Abdichtung des benachbarten B.sees und dessen Überschwemmungsflächen nicht mehr gewährleistet sei. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen betriebsbedingter Erschütterungen, die das Verwaltungsgericht zu Unrecht als nicht relevant beurteilt habe. Weitere betriebsbedingte Auswirkungen auf die Erhaltungsziele des FFH-Gebiets durch Staub- und Stickstoffimmissionen seien nicht auszuschließen. Staubimmissionen ständen insbesondere durch den Betrieb der Bagger, Radlader, der Raupe, der Wasch-/Sieb-anlage sowie der Kehrmaschine zu befürchten. Die hierzu vorgelegten Untersuchungen seien unzureichend. Dies gelte auch für mögliche erhebliche Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele durch betriebsbedingten Lärm. Hinsichtlich der Erhaltungsziele des SPA-Gebiets könne ebenfalls eine Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden. Die Vorprüfung hierzu sei fehlerhaft. Weiter verstoße die Genehmigung gegen das Verschlechterungsverbot der Wasserrahmenrichtlinie, da eine Beeinträchtigung des ökologischen Zustands der Gewässerkörper des B.sees und seiner Überschwemmungsflächen nicht auszuschließen sei und zudem der Grundwasserstand nicht ausreichend ermittelt worden sei. Für den Kiesabbau im Grundwasser wäre eine wasserrechtliche Zulassung erforderlich. Die Genehmigung verstoße zudem gegen den Biotopschutz und gegen naturschutzrechtliche Eingriffsregelungen. Weiter sei die verkehrliche Erschließung nicht gesichert.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Dem Antragsgegner fehle es möglicherweise bereits an der Antragsbefugnis. Dieser habe im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO auch keinen Anspruch auf Überprüfung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 29. September 2020. Die Ausführungen des Antragsgegners beträfen die Rechtmäßigkeit der Genehmigung insgesamt. Das Beschwerdeverfahren im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO sei jedoch auf die geltend gemachten veränderten tatsächlichen und rechtlichen Umstände beschränkt. Der Beschwerdebegründung fehle es zudem in weiten Teilen an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht angenommen, dass das Vorhaben keine Auswirkungen auf die Dichtigkeit des B.sees und der Überschwemmungsfläche habe. Im Hinblick auf Erschütterungen habe das Verwaltungsgericht zutreffend auf die geringe Dimension des Vorhabens sowie auf die Entfernung zum Bansee bzw. zur Überschwemmungsfläche hingewiesen. Betriebsbedingte Beeinträchtigungen durch StaubStickstoff- und Lärmimmissionen zeige der Antragsgegner nicht auf. Ausbreitungsberechnungen seien hierzu nicht erforderlich. Die Antragstellerin habe den beauflagten Datenlogger zur Überwachung des Grundwasserstands am 20. Dezember 2021 eingebaut. Im Rahmen der anzustellenden Interessensabwägung sei zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, dass sie schutzwürdig in ihrem Vertrauen sei, dass über die vom Verwaltungsgericht im Beschluss vom 29. September 2020 beanstandeten Mängel hinaus keine rechtlichen Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Genehmigung beständen. Dieser Beschluss besitze eine begrenzte Rechtskraft. Weiter werde der Kies zumindest bis Ende 2021 für den Bau eines R. M. Hauses als „Zuhause auf Zeit“ für die Familien schwerkranker Kinder benötigt. Außerdem sei zu ihren Gunsten die Dauer des Genehmigungsverfahrens zu berücksichtigen. Die Rohstoffgewinnung liege zudem im öffentlichen Interesse. Das Aussetzungsinteresse des Antragsgegners müsse demgegenüber zurücktreten. Es seien durch den Abtrag des Oberbodens bereits weitgehend vollendete Tatsachen geschaffen worden. Jedenfalls aber sei bei einer etwaigen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragsgegners der Abtransport bereits aus dem Boden gelösten Materials unter näher bezeichneten Maßgaben zu gestatten.
Der Beigeladene stellte keinen Antrag und beschränkte sich unter Vorlage einer Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts im Wesentlichen auf Ausführungen zum Grundwasserstand.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg.
Die vom Antragsgegner geltend gemachten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zu der im Beschlusstenor ausgesprochenen Änderung der angefochtenen Entscheidung.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Der Senat teilt die von der Antragstellerin aufgeworfenen Zweifel an der Antragsbefugnis des Antragsgegners aus den vom Verwaltungsgericht im Beschluss vom 29. September 2020 (Az. M 1 SN 20.3658) ausführlich dargestellten Gründen, denen die Beschwerdeerwiderung keine substantiierten Ausführungen entgegensetzt, nicht. Weiter ist die Antragstellerin dem Begründungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nachgekommen. Die innerhalb der Begründungsfrist dargelegten – zwar mitunter ausschweifenden – Ausführungen lassen im Kern eine Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichts erkennen; dies gilt insbesondere im Hinblick auf die geltend gemachte Möglichkeit der Beeinträchtigung der Erhaltungsziele der Schutzgebiete durch Wirkfaktoren des genehmigten Vorhabens sowie des hierzu anzulegenden Beurteilungsmaßstabs.
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Da bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO dieselben materiellen Gesichtspunkte maßgebend sind, wie sie im Fall eines erstmaligen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gegenwärtig zu gelten hätten (BVerwG, B.v. 20.3.2011 – 8 VR 2.11 – juris Rn. 8; B.v. 7.9.2005 – 4 B 49.05 – BVerwGE 124, 201; B.v. 21.7.1994 – 4 VR 1.94 – BVerwGE 96, 239), hat das Verwaltungsgericht zutreffend seine Entscheidung nicht allein darauf gestützt, ob die vorgetragenen geänderten Umstände eine Abänderung der Entscheidung tragen, sondern es hat auch darauf abgestellt, dass die Klage nunmehr voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Das Beschwerdeverfahren ist nicht auf die Prüfung der im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dargelegten veränderten Umstände und der sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen beschränkt, sodass der Antragsgegner mit weiteren Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Genehmigung durchdringen kann.
Das genehmigte Vorhaben befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem FFH-Gebiet sowie zu einem SAP-Schutzgebiet. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele dieser Schutzgebiete kann nach Aktenlage derzeit im Hinblick auf Erschütterungen, Staub- und Lärmimmissionen nicht ausgeschlossen werden.
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Mit dem Tatbestandsmerkmal der „erheblichen Beeinträchtigung“ knüpft das deutsche Recht an den Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der FFH-Richtlinie an. Danach sind Pläne oder Projekte einer Prüfung auf ihre Verträglichkeit mit den für das FFH-Gebiet festgelegten Erhaltungszielen zu unterziehen, wenn sie das FFH-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten. Ob die Voraussetzungen für die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung vorliegen, ist im Rahmen einer Vorprüfung festzustellen; ihr Gegenstand ist die Frage, ob bereits anhand objektiver Umstände eine erhebliche Beeinträchtigung ausgeschlossen werden kann. Das kann nicht mehr bejaht werden, wenn ein Projekt droht, die für das FFH-Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu gefährden (EuGH, U.v. 7.9.2004 – C-127/02 – juris Rn. 49; BVerwG, U.v. 27.11.2018 – 9 A 8.17 – BVerwGE 163, 380). Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie verlangt nicht, dass eine Vorprüfung formalisiert durchgeführt wird, sondern regelt die Voraussetzungen, unter denen eine Verträglichkeitsprüfung geboten ist. Fehlen diese Voraussetzungen, weil eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele ohne vertiefte Prüfung ausgeschlossen werden kann, so stellt der Verzicht auf eine Verträglichkeitsprüfung unabhängig davon, auf welche Weise die Genehmigungsbehörde sich diese Gewissheit verschafft hat, keinen Rechtsfehler dar (BVerwG, U.v. 18.12.2014 – 4 C 35.13 – NVwZ 2015, 656; U.v. 17.1.2007 – 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1). Die FFH-Vorprüfung beschränkt sich demnach auf die Frage, ob nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis nachteiliger Auswirkungen besteht. Unter Berücksichtigung des Vorsorgegrundsatzes liegt eine Gefahr der Erhaltungsziele eines FFH-Gebiets schon dann vor, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Vorhaben das fragliche Gebiet erheblich beeinträchtigen kann; bei Zweifeln in Bezug auf das Fehlen erheblicher Auswirkungen ist eine Verträglichkeitsprüfung vorzunehmen (EuGH, U.v. 12.4.2018 – C-323/17 – juris Rn. 34). Die FFH-Vorprüfung hat sich auf eine überschlägige Prüfung („Screening“) zu beschränken und darf in ihrer Prüftiefe nicht die eigentliche Verträglichkeitsprüfung vorwegnehmen. Gleichwohl muss die FFH-Vorprüfung für das Gericht nachvollziehbar und schlüssig hinsichtlich ihrer Ausführungen zum Prüfbereich und zu dem Untersuchungsgebiet sein (vgl. HessVGH, B.v. 14.01.2021 – 9 B 2223/20 – juris Rn . 18). Sie ist nicht der geeignete Rahmen zur Klärung naturschutzfachlich schwieriger, streitiger oder offener Fragen (vgl. OVG LSA, U.v. 8.6.2018 – 2 L 11/16 – juris Rn. 136). Andernfalls bestünde die Gefahr einer Umgehung der Verträglichkeitsprüfung (zweite Prüfungsphase), die eine wesentliche Garantie der FFH-Richtlinie darstellt (vgl. EuGH, U.v. 12.4.2018 – C-323/17 – juris Rn. 37; insgesamt zum Prüfungsmaßstab: BayVGH, U.v. 15.3.2021 – 8 A 18.40041 – juris Rn. 70).
Die hier in Form einer FFH-Verträglichkeitsabschätzung vorgenommene FFH-Vorprüfung genügt diesen Maßstäben nicht. Es ist für den Senat nicht nachvollziehbar, dass sämtliche projektbezogenen Wirkungen hinreichend ermittelt und der Vorprüfung zu Grunde gelegt worden sind. Dies gilt primär im Hinblick auf Beeinträchtigungen durch Erschütterungen, Staub- und Lärmimmissionen.
2.1 Im Hinblick auf die Auswirkungen von Erschütterung lässt sich eine mögliche Beeinträchtigung des FFH-Schutzgebiets nicht ausschließen, jedenfalls aber lässt sich den dem Senat vorliegenden Unterlagen diesbezüglich keine ausreichende Prüfung entnehmen. Zwar gibt das Beschwerdevorbringen keinen Anlass, die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der B.see grundsätzlich dicht sei, in Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat hierzu in Auswertung der Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamts ausgeführt, dass von einem dichten Seeboden auszugehen sei, weil die Seespiegellagen nördlich und südlich der Straße unterschiedliche Höhenlagen zeigten und der ermittelte höchste Grundwasserstand im Abbaubereich deutlich unterhalb des Seespiegels liege. Es müsse daher von einer dichten Sohle ausgegangen werden, da andernfalls das Oberflächenwasser versickern und ein regelmäßiges Trockenfallen der Oberflächengewässer zu erwarten sei. Dies sei aber in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen sei. Ob durch vom Vorhaben ausgehende Erschütterungen negative Auswirkungen auf die Dichtigkeit des Sees zu erwarten stehen, erscheint allerdings nicht abschließend geklärt. Der Antragsgegner zeigt in ausreichender Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichts Zweifel daran auf, dass die Erschütterungsbelastungen durch den Kiesabbau und der Wiederverfüllung mit denen des Straßenverkehrs vergleichbar sind. Die Vergleichbarkeit der Erschütterungswirkungen des allgemeinen Straßenverkehrs und betriebsbedingten Erschütterungen eines Kiesabbaus erscheint dem Senat zweifelhaft. Anders als bei Erschütterungen durch vorbeifahrenden Straßenverkehr steht hier ein unmittelbarer Eingriff in den Grund und Boden unter Einsatz von schweren Baugeräten inmitten. Die DIN 4150 Teil 1 – Erschütterungen im Bauwesen – differenziert ebenfalls zwischen den Erschütterungen durch Baumaßnahmen (Nr. 5.2) und durch Straßenverkehr (Nr. 5.3.3). In Nr. 5.2.2 der DIN 4150 Teil 1 wird hinsichtlich der Anregungen aus einem Baubetrieb ausgeführt, dass es durch den Betrieb großer Maschinen und die Bewegungen großer Massen zu stoßartigen Erschütterungen kommt (Bagger, Baustellenverkehr auf unebenem Untergrund, Bohrpfahl-Verrohrungsmaschine), während Erschütterungen im Straßenverkehr in Nr. 5.3.3 näher erläutert werden. Im Rahmen des Kiesabbaus und der anschließenden Wiederverfüllung werden schwere Baugeräte sowie eine Wasch- und Siebanlage eingesetzt. Angesichts der geringen Entfernung zum B.see mit seinen Überschwemmungsflächen erscheinen die Ausführungen des Antragsgegners, dass in diesen Bereich Erschütterungsbelastungen im Erdreich nicht auszuschließen sind, die im Hinblick auf die genehmigte Abbautiefe bis 3 m unterhalb der Gewässersohle des B.sees problematisch sein könnten, nachvollziehbar. Gerade in locker bis mitteldicht gelagerten nicht bindigen Böden (Sande, Kiese) können starke Erschütterungen zu Sackungen des Bodens führen, insbesondere bei häufigen Erschütterungen (vgl. Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz, Hinweise zur Messung, Beurteilung und Verminderung von Erschütterungsimmissionen, S. 6, Stand 6.3.2018 – https://www.lai-immissionsschutz.de/documents_erschuetterungsleitfaden_veroeffentlicht_sta…53.pdf – abgerufen am 2.2.2022, vgl. DIN 4150 – Teil 3 – Anhang C). Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es sich nur um ein vergleichsweise kleines Abbauvorhaben handelt, da der geringen Größe die geringe Entfernung zum FFH-Gebiet gegenübersteht. Beeinträchtigungen können derzeit mangels fachkundiger Stellungnahmen zu dieser Thematik nicht ausgeschlossen werden. Die Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamts sowie der IGEWA verhalten sich zu Auswirkungen durch Erschütterungen nicht, sodass es fraglich erscheint, ob diese Frage einer ausreichenden Prüfung unterzogen worden ist; jedenfalls aber ist eine solche Prüfung nicht in nachvollziehbarer Weise dokumentiert.
2.2 Der Antragsgegner macht weiter zu Recht geltend, dass die Vorprüfung im Hinblick auf Staubimmissionen nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung (S. 47 bis 54) hierzu lassen eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichts erkennen und genügen den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO.
Der Eintrag von Stäuben (insbesondere bau- oder betriebsbedingt) gehört zu den Wirkfaktoren eines Vorhabens, die auch bei nur kurzzeitiger Einwirkung erhebliche Beeinträchtigungen zur Folge haben können (vgl. Bundesamt für Naturschutz, Wirkfaktoren, Stoffliche Einwirkungen (www.ffh-vp-info.de/FFHVP-/Wirkfaktor.jsp-?m=1,2,5,5). Die hier erfolgte Vorprüfung beinhaltet bereits keine Aussagen zu staubbedingten Beeinträchtigungen. Zwar wird in der „FFH-Verträglichkeitsstudie“ vom 17. März 2020 für das SPA-Gebiet Staubentwicklung als betriebsbedingte Wirkung erwähnt. Diese Verträglichkeitsstudie beschränkt sich aber auf die Auswirkungen auf die Vogelart Teichrohrsänger. Ausführungen zu staubbedingten Auswirkungen auf die Erhaltungsziele des FFH-Gebiets finden sich nicht. Dass Staubimmissionen zu erwarten stehen, ergibt sich aus der Nebenbestimmung II Nr. 33, die aber ausschließlich auf einen Schutz des östlich gelegenen Pferdehofs und dessen landwirtschaftlichen Flächen abzielt. Der Ausschluss einer möglichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des FFH-Gebiets auf der Grundlage objektiver Umstände liegt hier nicht auf der Hand. Zwar ist im Vorhabengebiet Westwind vorherrschend. Wie sich anhand allgemein zugänglicher meteorologischer Daten ergibt (vgl. exemplarisch www.m.*), ist zu einem nicht unerheblichen Anteil auch ein Ost- bzw. Südwind zu erwarten. Auch die Annahme, dass nur erdfeuchtes Material ausgehoben wird, vermag eine Beeinträchtigung durch Staub nicht zwingend auszuschließen. Eine Staubentwicklung im Rahmen der Verarbeitung und des Abtransports sowie der Wiederverfüllung erscheinen gleichwohl denkbar. Zwar mag der Staubeintrag mit fortschreitendem Abbau durch die entstehende Anböschung reduziert werden. Dies lässt aber Staubimmissionen zu Beginn des Abbaus bzw. zum Ende der Wiederverfüllung unberührt. Ob diese durch die im Plan vorgesehenen Sichtschutzwälle bzw. beauflagten Erdwälle ausreichend vermindert werden können, bedarf einer näheren Prüfung. Da eine mögliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des FFH-Gebiets durch Staubeintrag nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, wäre eine fachkundige Äußerung im Rahmen der Vorprüfung jedenfalls im Hinblick auf die Empfindlichkeit der Lebensraumtypen für Staubimmissionen zu erwarten gewesen. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob für die Beurteilung der Staubimmissionen zwingend eine Ausbreitungsberechnung erforderlich ist. Erforderlich ist jedenfalls eine qualifizierte fachliche Aussage zu etwaigen Auswirkungen durch Staubeinwirkungen. Ob weitere Untersuchungen zu Stickstoffeinträgen erforderlich sind, kann daher offenbleiben.
2.3 Die Vorprüfung erweist sich auch im Hinblick auf lärmbezogene Auswirkungen als defizitär.
Die FFH-Verträglichkeitsabschätzung vom 22. Januar 2020 erwähnt zwar betriebsbedingten Lärm. Sie lässt aber den in der erst später erstellten Betriebsbeschreibung genannten siebenstündigen Einsatz einer Wasch- und Siebanlage pro Tag außer Betracht. Die Wasch- und Siebanlage bleibt auch in der FFH-Verträglichkeitsstudie vom 17. März 2020 für die Vogelart Teichrohrsänger unberücksichtigt. Dort wird ausgeführt, dass die Lärmentwicklung niedrig sei und die Pausen zwischen den einzelnen Ereignissen so groß seien, dass die artspezifische Kommunikation wie Warnrufe, Balzgesänge selbst an Tagen mit vergleichsweise starkem Abbaubetrieb im Tagesverlauf allenfalls unerheblich gestört werde. Ob dies auch bei dem in dieser Verträglichkeitsstudie nicht berücksichtigten Einsatz der Wasch- und Siebanlage der Fall sein wird, bedarf einer Prüfung, in deren Rahmen auch eine mögliche Reduzierung des Lärms durch die mit fortschreitender Abbautiefe entstehende Anböschung einfließen kann. Eine mögliche Beeinträchtigung kann auch nicht durch den Hinweis auf die geringe Größe des Abbauvorhabens ausgeschlossen werden. Der vergleichsweisen geringen Größe des Abbauvorhabens steht die räumliche Nähe des Vorhabens in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Schutzgebieten gegenüber. Bei einer Überarbeitung der Verträglichkeitsabschätzung wird hinsichtlich der Lärmempfindlichkeit der Arten zu differenzieren sein.
Die Genehmigung erweist sich daher bereits aus den dargestellten Gründen derzeit als rechtswidrig, sodass es auf die weiteren in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen für das Beschwerdeverfahren nicht ankommt. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die dargestellten Mängel im Rahmen des Hauptsacheverfahrens beseitigt werden, stellen sich die Erfolgsaussichten als offen dar. Die anzustellende Interessensabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus. Die Antragstellerin hat die für sofortvollziehbar erklärten Maßnahmen zur Grundwasserüberwachung durch Einbau eines Datenloggers erst verspätet umgesetzt, obwohl diese bereits nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 29. September 2020 unabdingbar für den Fortgang des Abbaubetriebs war. Sie lässt damit eine zweifelhafte Einstellung im Hinblick auf die Einhaltung der beauflagten Maßnahmen erkennen. Die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin treten hinter dem öffentlichen Interesse am Erhalt der FFH- und SPA-Schutzgebiete zurück. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragstellerin auf den Fortbestand der Vollziehbarkeit der Genehmigung ergibt sich weder aus der Dauer des Genehmigungsverfahrens noch daraus, dass das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 29. September 2020 keine weiteren Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Genehmigung geäußert hat. Der Anregung der Antragstellerin entsprechend wird der Abtransport des bereits aus dem Boden gelösten Materials zugelassen, um von etwaig vorhandenen Anhäufungen ausgehende Staubbeeinträchtigungen zu vermeiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m Nr. 1.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben