Baurecht

Abgrenzung Innen- und Außenbereich

Aktenzeichen  M 11 K 17.3144

Datum:
13.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 61765
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 59, Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 71
BauGB § 34, § 35
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1, § 124, § 124 a Abs. 4, § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3, § 167
RDGEG § 3, § 5
ZPO § 708 ff.
BayBO Art. 71
BauGB § 34
BauGB § 35

 

Leitsatz

Das „gewisse Gewicht“ für die Bewertung eines Bebauungszusammenhangs als Ortsteil ist nicht für alle Gemeinden und Siedlungsräume einheitlich, sondern nach den siedlungsstrukturellen Gegebenheiten im Gebiet der jeweiligen Gemeinde zu bestimmen (vgl. BVerwG, U.v. 17.2.1984 – 4 C 56.79, BeckRS 1984, 03875) (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids. Der Bescheid des Landratsamts vom 26. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem streitgegenständlichen Bauvorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die im Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 71 Satz 4 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1, Art. 59 BayBO).
1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nicht nach § 34 Abs. 1 BauGB, sondern nach § 35 BauGB. Das Grundstück liegt nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne des § 34 BauGB.
Ein „im Zusammenhang bebauter Ortsteil“ im Sinne von § 34 BauGB ist jede Bebauung im Gebiet einer Gemeinde, die trotz vorhandener Baulücken geschlossen und zusammengehörend wirkt, nach der Zahl der vorhandenen Gebäude ein gewisses Gewicht hat und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – 4 C 2.66 – juris). Der Begriff umfasst zwei Komponenten, den „Bebauungszusammenhang“ und den „Ortsteil“. Die Voraussetzung des Bebauungszusammenhanges erfordert, dass eine aufeinanderfolgende, zusammengehörend und geschlossen erscheinende Bebauung tatsächlich vorhanden ist. Unter den Begriff der Bebauung im Sinne dieser Vorschrift fällt dabei nicht jede beliebige bauliche Anlage. Gemeint sind vielmehr Bauwerke, die für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen Bebauung maßstabsbildend sind. Dies trifft ausschließlich für Anlagen zu, die optisch wahrnehmbar und nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten städtebaulichen Charakter zu prägen (vgl. BVerwG, U.v. 14.9.1992 – 4 C 15.90; U.v. 17.6.1993 – 4 C 17.91 – jew. juris). Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (vgl. BVerwG, U.v. 17.2.1984 – 4 C 55.81 – juris). Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt zu werden pflegen, sind unabhängig davon, ob sie landwirtschaftlichen Zwecken (z.B. Scheunen oder Ställe), Freizeitzwecken (z.B. kleine Wochenendhäuser, Gartenhäuser) oder sonstigen Zwecken dienen, in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen als ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element zu Buche schlagen (vgl. BVerwG, B. v. 6.3.1992 – 4 B 35.92 – juris).
Der Begriff der organischen Siedlungsstruktur ist seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 1986 (Az: IV C 47.68 – juris) dadurch gekennzeichnet, dass er im Gegensatz zur unerwünschten Splittersiedlung das einschließt, was dem inneren Grund für die Rechtsfolge des § 34 BauGB entspricht, nämlich die nach der Siedlungsstruktur angemessene Fortentwicklung der Bebauung innerhalb des gegebenen Bereichs zu gewährleisten. Eine organische Siedlungsstruktur kann auch dann vorliegen, wenn es sich nicht um eine nach Art und Zweckbestimmung einheitliche Bebauung handelt, die Bebauung nicht einem bestimmten städtebaulichen Ordnungsbild entspricht oder nicht als städtebauliche Einheit in Erscheinung tritt oder sich nicht als Schwerpunkt der baulichen Entwicklung eines Gemeinwesens darstellt. Ein Ortsteil liegt danach vor, wenn eine gewisse Anzahl prägender Bauten vorhanden ist, die keine unerwünschte Splittersiedlung darstellen, weil sich die vorhandene Siedlungsstruktur fortentwickeln kann.
Das „gewisse Gewicht“ für die Bewertung eines Bebauungszusammenhangs als Ortsteil ist nicht für alle Gemeinden und Siedlungsräume einheitlich, sondern nach den siedlungsstrukturellen Gegebenheiten im Gebiet der jeweiligen Gemeinde zu bestimmen (BVerwG, U.v. 17.2.1984 – 4 C 56.79 – juris). Die Zahl der Bauten unterhalb einer Grenze kann dabei geeignet sein, das Vorliegen eines Ortsteils auszuschließen; dies kann sich wiederum aus einem qualitativen Missverhältnis zwischen dem jeweiligen Baukomplex und den vorhandenen Ortsteilen ergeben (BVerwG, B.v. 12.6.1973 – 4 B 79.92 – juris). Diese Grenze kann jedoch nicht schematisch und allgemein verbindlich mit einer bestimmten Anzahl von Gebäuden festgelegt werden; maßgeblich sind vielmehr die siedlungsstrukturellen Gegebenheiten im Gebiet der jeweiligen Gemeinde (BVerwG, U.v. 17.2.1984 – 4 C 56.79 – juris). Nach dem BVerwG (U.v. 30.4.1969 – 4 C 38.67 – juris) kann selbst bei sechs Gebäuden ein Ortsteil nicht von vornherein ausgeschlossen werden, wobei allerdings hier die untere Grenze vermutet wird. Nach BVerwG (B.v. 19.4.1994 – 4 B 77.94 – juris), besitzt eine Ansammlung von vier Wohngebäuden regelmäßig nicht die Ortsteileigenschaft. Keineswegs muss sich der Ortsteil als Schwerpunkt der baulichen Entwicklung eines Gemeinwesens darstellen, auch wenn dies regelmäßig ausreicht (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – 4 C 47.68).
Nach diesen Maßstäben befindet sich das Vorhabengrundstück nicht in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil.
In der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks befinden sich fünf Wohngebäude (Fl.Nr. 832, 832/1, 1441/8, 1441/9 und 1441/2) und drei zu Aufenthaltszwecken genutzte Gebäude (Fl.Nr. 832, 833 und 1441/4). Das langgezogene Garagengebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. 1441/6 und die nach den Feststellungen des Augenscheins offensichtlich nur zum vorübergehenden Aufenthalt dienenden kleineren Gebäude auf den Fl.Nr. 831 und 831/2 bleiben außer Betracht. Ebenso bleiben außer Betracht das nördlich gelegene Schullandheim (Fl.Nr. 835/ 2) und das Gebäude auf der Fl.Nr. 830, die aufgrund der dazwischenliegenden Grün-/Waldflächen offensichtlich nicht mehr in einem baulichen Zusammenhang mit der übrigen Bebauung stehen. Auch unter Berücksichtigung des Vereinsheims des Yachtclubs (Fl.Nr. 1441/4) und des Gebäudes auf den östlich gelegenen Fl.Nrn. 828/1, 828/2, zu dem von der Straße „S.“ auf Höhe des Grundstücks Fl.Nr. 833 noch eine Blickbeziehung besteht, handelt es sich um maximal neun dem Aufenthalt von Menschen dienende Gebäude.
Dahinstehen kann, ob der Ansiedlung vorliegend ein hinreichendes Gewicht zukommt. Denn selbst wenn ein hinreichendes Gewicht der kleinen Siedlung unterstellt würde, ist diese nicht Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur und erweckt nicht den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit. Zwar handelt es sich bei den Gebäuden teils um stattliche Anwesen (insbes. Fl.Nr. 1441/2), diese sind jedoch von der Straße und den Gebäuden auf den Nachbargrundstücken deutlich abgesetzt und abgeschirmt. Die Siedlung entstand offenbar in einem Waldstück, und obwohl die Bewaldung aufgrund der die Anwesen umgebenden Wiesenflächen teils aufgelockert ist, findet sich nach wie vor ein vergleichsweise dichter Bewuchs mit Bäumen und Hecken. Nach dem Eindruck des Augenscheins wird damit in besonderem Maße Sichtschutz und Abschirmung zur Straße und den jeweiligen Nachbarn hin gewährleistet, wozu auch die vorhandenen sonstigen Einfriedungen beitragen. Die Gebäude stehen jeweils für sich allein, ohne erkennbare Zusammengehörigkeit und Geschlossenheit. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die topographischen Verhältnisse, da die Gebäude aufgrund ihrer (überwiegend) zurückgesetzten Lage im Hang – das Gelände steigt vom westlich der S. gelegenen Seeufer nach Osten hin deutlich an – auf unterschiedlichen Anhöhen gelegen sind. Die Siedlungsstruktur geht auch nicht auf die Funktion und den Nutzungszweck der Bebauung zurück, wodurch eine bandartige Struktur entlang eines Seeufers ausnahmsweise als organische Bebauung erscheinen kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2011 – 1 ZB 10.2244 – juris). Insgesamt handelt es sich bei der vorhandenen Bebauung damit um eine unerwünschte Splittersiedlung, die keinerlei Anknüpfungspunkt für eine mögliche städtebauliche Weiterentwicklung bietet.
2. Als sonstiges Bauvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB ist das klägerische Vorhaben im Außenbereich nicht zulässig, weil öffentliche Belange beeinträchtigt werden.
Das Bauvorhaben lässt insbesondere die Verfestigung der vorhandenen Splittersiedlung befürchten (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Die Verfestigung einer Splittersiedlung ist anzunehmen, wenn der bisher von ihr in Anspruch genommene räumliche Bereich aufgefüllt wird. Zu befürchten ist eine Verfestigung dann, wenn in der Ausführung des beantragten Vorhabens ein Vorgang der Zersiedelung gesehen werden muss. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn sich das Vorhaben dem vorhandenen Bestand nicht deutlich unterordnet (BVerwG, U.v. 18.5.2001 – 4 C 13/00 – juris) oder es sich nicht ohne zusätzliche Anforderungen oder Spannungen organisch einfügt (BayVGH, B.v. 20.1.2011 – 15 ZB 08.2728 – juris). Bei der Frage der Unterordnung der hinzukommenden Bebauung sind weitere gleichgelagerte Vorhaben zu berücksichtigen (BayVGH. U.v. 10.12.2007 – 1 BV 04.843 – BayVBl. 2008, 376).
Das streitgegenständliche Grundstück wird zwar bisher als Garten genutzt und daher bereits – zumindest in diesem Umfang – durch die Splittersiedlung in Anspruch genommen. Allerdings würde das Vorhaben einen Bezugsfall für eine weitergehende Wohnbebauung darstellen. Gerade im Bereich des Vorhabengrundstücks würde sich die Bebauung deutlich verdichten. Aufgrund der Größe und des Zuschnitts der umliegenden Grundstücke erscheint eine weitere Verdichtung der umliegenden Bebauung ohne weiteres möglich. Eine deutlich untergeordnete Bedeutung der hinzukommenden Wohnbebauung kann bei den vorhandenen fünf bzw. – unter Einbeziehung des Anwesens auf den Fl.Nrn. 828/1, 828/2 – sechs Wohnanwesen nicht angenommen werden.
Da das klägerische Vorhaben bereits wegen der zu befürchtenden Verfestigung der vorhandenen Splittersiedlung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) bauplanungsrecht-lich unzulässig ist, kommt es hier nicht darauf an, ob weitere öffentliche Belange – etwa die Darstellungen des Flächennutzungsplans oder die natürliche Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 5 BauGB) – beeinträchtigt würden.
Nach alldem hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids. Die Klage war daher im vollen Umfang abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen der Klägerin aufzuerlegen, da die Beigeladene sich durch Stellung eines Antrags dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben