Baurecht

Allgemeines Wohngebiet, Typisierende Betrachtungsweise, Verwaltungsgerichte, Kfz-Werkstatt, Befähigung zum Richteramt, Abstellen von Kraftfahrzeugen, Bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit, Erteilung eines Vorbescheides, Vorbescheidsantrag, Baurechtlicher Vorbescheid, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Streitwertbeschwerde, Streitwertkatalog, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit, Rechtsmittelbelehrung, Störender Gewerbebetrieb, Beiladung, Kfz-Reparaturwerkstatt, Nutzungsänderung, Prozeßkostenhilfeverfahren

Aktenzeichen  W 5 K 20.800

Datum:
5.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39881
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1
BayBO Art. 71
BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 4

 

Leitsatz

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III.    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch gem. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, 71 Satz 4 BayBO auf Erteilung des mit Antrag vom 1. November 2019 beantragten Vorbescheids. Der Ablehnungsbescheid des Landratsamts Haßberge vom 25. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Nach Art. 71 Satz 1 BayBO ist vor Einreichung eines Bauantrags auf Antrag des Bauherrn zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen. Die Fragen müssen ausreichend bestimmt und selbständig prüffähig sein (König in: Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 71 Rn. 8). Wegen des Zusammenhangs mit einem etwaigen späteren Bauantrag können nur solche Fragen gestellt werden, die zum Genehmigungsmaßstab im Baugenehmigungsverfahren gehören; bei – wie hier – im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO zu prüfenden Vorhaben kann deshalb nur über die Vereinbarkeit mit den in Art. 59 Satz 1 BayBO aufgeführten Vorschriften entschieden werden (König, a.a.O., Rn. 7). Diese Voraussetzungen erfüllt der Vorbescheidsantrag der Klägerin. Bei dessen sachgerechter Auslegung geht es erkennbar um die Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines hinreichend bestimmten Vorhabens, welche nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO zum Prüfungsmaßstab im vereinfachten Genehmigungsverfahren zählt.
2. Das Bauvorhaben der Klägerin ist genehmigungspflichtig. Garagen sind nach der Legaldefinition des Art. 2 Abs. 8 Satz 2 BayBO Gebäude oder Gebäudeteile zum Abstellen von Kraftfahrzeugen. Abgesehen von gänzlich untergeordneten Annex-Tätigkeiten wird durch die Genehmigung einer Garage eine über das Abstellen von Kraftfahrzeugen hinausgehende Nutzung nicht zugelassen. Tritt neben diese von der Rechtsordnung allein vorgesehene Funktion der Garage maßgeblich eine andere, nämlich die Nutzung als Werkstatt zur Reparatur von Kraftfahrzeugen, liegt eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung im Sinn von Art. 55 Abs. 1 BayBO vor (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2016 – 1 ZB 15.2619 – juris).
3. Das Bauvorhaben widerspricht öffentlich-rechtlichen Vorschriften, da es mit dem Bebauungsplan „… …“ der Gemeinde Ebelsbach, der im maßgeblichen Bereich ein Allgemeines Wohngebiet i.S.v. § 4 BauNVO festsetzt, nicht zu vereinbaren ist (§ 30 Abs. 1 BauGB).
Ein Allgemeines Wohngebiet i.S.v. § 4 BauNVO dient in erster Linie dem Wohnen und daneben bestimmten baulichen Nutzungen zur verbrauchernahen Versorgung. Es gewährt ein hohes Maß an Wohnruhe, das freilich im Vergleich zum reinen Wohngebiet mit seiner grundsätzlichen, dominanten Alleinstellung des Wohnens etwas gemindert ist. Die mit den im Allgemeinen Wohngebiet – ggf. auch ausnahmsweise – zulässigen Nutzungen üblicherweise verbundenen Beeinträchtigungen oder Störungen der Wohnruhe sind hinzunehmen (Hornmann in BeckOK BauNVO, 23. Ed., Stand: 15.9.2020, § 4 Rn. 22). Allgemein zulässig sind im Allgemeinen Wohngebiet neben dem Wohnen u.a. der Versorgung des Gebiets dienende, nicht störende Handwerksbetriebe nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO; ausnahmsweise zulässig sind u.a. sonstige nicht störende Gewerbebetriebe nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO.
Das Bauvorhaben der Klägerin lässt sich jedoch keiner der beiden vorgenannten Betriebsformen zuordnen. Maßgeblich ist sowohl in den Fällen des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO als auch in den Fällen des § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO insbesondere, ob es sich um eine „störende“ oder um eine „nicht störende“ Betriebsform handelt. Zur Beurteilung der Störwirkung ist grundsätzlich eine typisierende Betrachtungsweise anzustellen (Hornmann in BeckOK BauNVO, 23. Ed., Stand: 15.9.2020, § 4 Rn. 69 und Rn. 121). Der Betrieb kann also nicht zugelassen werden, wenn er nach seiner typischen Nutzungsweise nicht gebietsverträglich ist. Kfz-Reparaturwerkstätten werden bei typisierender Betrachtungsweise mit Blick auf die bei einem funktionsgerechten Betriebsablauf üblicherweise anfallenden Arbeiten zwar nicht grundsätzlich als wesentlich störende Betriebe, jedoch im Allgemeinen als störende Betriebe angesehen (BayVGH, U.v. 21.6.2007 – 26 B 05.3141 – juris m.w.N.; vgl. auch VG Cottbus, B.v. 25.11.2019 – 3 L 291/19; VG Würzburg, U.v. 19.4.2018 – W 5 K 16.806; VG Berlin, U.v. 15.7.2015 – 19 K 273.14; VG Berlin, U.v. 25.10.1985 – 13 A 93.85 – alle juris).
Eine hiervon abweichende Betrachtungsweise ist nur ausnahmsweise möglich, wenn das Vorhaben der Klägerin einer solchen typisierenden Betrachtungsweise nicht zugänglich wäre, insbesondere, weil der Betrieb bei dem der Umfang der zu erwartenden Immissionen unüblich gering ist (vgl. BayVGH, U.v. 21.6.2007 – 26 B 05.3141 – juris). Um dies zu beurteilen, sind alle mit der Zulassung des Betriebs nach seinem Gegenstand, seiner Struktur und Arbeitsweise typischerweise verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung relevant. Es sind insbesondere die Art und Weise der Betriebsvorgänge, der Umfang, die Häufigkeit und die Zeitpunkte dieser Vorgänge, der damit verbundene An- und Abfahrtsverkehr sowie der Einzugsbereich des Betriebs zu berücksichtigen. Maßgeblich dafür sind nicht die tatsächlichen Verhältnisse oder die im gerichtlichen Verfahren schriftsätzlich erklärten Absichten der Klägerseite, sondern allein der Bauantrag, insbesondere die dem Bauantrag beigefügte Betriebsbeschreibung. Danach ist vorliegend von einem Ein-Mann-Betrieb auf einer Fläche von ca. 60 m² auszugehen. Der Betrieb soll „je nach Vereinbarung“ bzw. Mo.-Fr. von 16:30 Uhr bis 20:00 Uhr und Sa. von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr geöffnet sein. Angeboten werden sollen neben einem Reifenservice (Reifenmontage, Wuchten, Räderwechsel bis 19 Zoll) auch Service-/Reparaturtätigkeiten an der Bremsanlage, elektrische Arbeiten (z.B. Lötarbeiten, HiFi-Einbauten, Codierung von Steuerungsgeräten), Nachrüstarbeiten für Anhängerkupplungen sowie Kleinreparaturen. An Gerätschaften sollen zum Einsatz kommen u.a. eine Wuchtmaschine, eine Montiermaschine, eine Hebebühne, ein Schweißgerät und ein Schleifblock. Vom Werkstattangebot nicht erfasst seien Lack- und Karosseriearbeiten, Achsvermessungen, Arbeiten an Klimaanlagen, Durchführung von Haupt- und Abgasuntersuchungen und Arbeiten an größeren Fahrzeugen (Begrenzung durch Torhöhe von 2,50 m).
Ausgehend davon stellt sich das Vorhaben der Klägerin nicht als eine atypische Betriebsform einer Kfz-Werkstatt dar, bei der ausnahmsweise keine relevante Störwirkung auf die in einem Allgemeinen Wohngebiet geschützte Wohnruhe zu erkennen wäre. Das Tätigkeitsspektrum des geplanten Vorhabens ist – wenngleich es hinsichtlich besonders immissionsträchtiger Arbeiten (z.B. Lack- und Karrosseriearbeiten) eingeschränkt ist – insgesamt breit gefächert und enthält verschiedene Kundenangebote, die für einen Kfz-Werkstattbetrieb typischerweise kennzeichnend sind (z.B. Reifenservice, Bremsanlage, elektrische Arbeiten, Nachrüsten von Anhängerkupplungen). Das Vorhaben entspricht damit dem klassischen Bild einer – wenngleich kleineren – Kfz-Werkstatt, die nach der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise in einem Allgemeinen Wohngebiet eine störende Wirkung entfaltet. Ein derartiges, erhebliches Störpotenzial ist hier nicht nur aufgrund der optischen Präsenz des Vorhabens, sondern insbesondere auch aufgrund des Hervorrufens einer unregelmäßigen Geräuschkulisse, aufgrund des Einsatzes von Maschinen, aufgrund der zu erwartenden Fahrzeugbewegungen (auch und gerade im rückwärtigen Grundstücksbereich insbesondere in Angrenzung an die Grundstücke Fl.Nrn. …3/5 und …3/2 der Gemarkung Ebelsbach) sowie aufgrund der Entstehung von Staub, Abgasen und Abfallstoffen zu erkennen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich die potenziellen Störwirkungen durch Nebenbestimmungen (z.B. durch das Geschlossenhalten des Werkstattbereichs während der Arbeitsvorgänge) in hinreichender Weise beseitigen lassen. Das gilt umso mehr, als dass eine bauaufsichtliche Überwachung solcher Nebenbestimmungen nur schwer möglich ist. Hinzu treten im vorliegenden Einzelfall die in den Bauantragsunterlagen vorgesehenen Öffnungszeiten, welche aus Sicht der Kammer das Vorhaben insgesamt ebenfalls als nicht wohngebietsverträglich erscheinen lassen. Insbesondere die in der Baubeschreibung enthaltene Formulierung „je nach Vereinbarung“ gestattet letztlich – wenngleich möglicherweise so nicht beabsichtigt – beliebige Öffnungsmöglichkeiten, ggf. sogar zur Nachtzeit. Aber auch die Öffnungszeiten zu den frühen Abendstunden (montags bis freitags von 16:30 Uhr bis 20:00 Uhr) führen dazu, dass die zu erwartenden, vorbeschriebenen Störwirkungen verstärkt gerade dann auftreten, wenn ein erhöhtes Ruhebedürfnis für die benachbarten Anwohner des Allgemeinen Wohngebiets besteht. Nach Einschätzung der Kammer ist das Vorhaben der Klägerin nach Art und Umfang damit keinesfalls atypisch, sondern entspricht den in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen zur bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit von Kfz-Werkstätten im Allgemeinen Wohngebiet.
4. Soweit der Klägerbevollmächtigte schließlich auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Februar 2009 (15 CS 08.2606 – juris) und auf das Urteil des VGH Mannheim vom 16. Mai 2002 (3 S 1637/01 – juris) verweist, sind jene Fallgestaltungen auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Unabhängig davon, ob die baurechtlichen Gegebenheiten und die konkreten Betriebsabläufe der jeweiligen Anlagen überhaupt vergleichbar sind, ging es in jenen Fallgestaltungen um die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der jeweiligen Werkstatt in einem faktischen Dorfgebiet und nicht in einem Allgemeinen Wohngebiet. Damit stellte sich in beiden Fällen überhaupt nicht die hier relevante Frage, ob von einer in einem Allgemeinen Wohngebiet „störenden“ Betriebsform auszugehen ist. Vielmehr war aufgrund der Annahme eines faktischen Dorfgebiets ein anderer Prüfungsmaßstab bzw. ein geringeres Schutzniveau anzulegen, nämlich die Frage, ob es sich um einen darin „wesentlich störenden“ Gewerbebetrieb i.S.v. § 5 Abs. 1 BauNVO bzw. um einen „sonstigen“ Gewerbebetrieb i.S.v. § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO handelte. Dementsprechend lassen sich die in den zitierten Entscheidungen getroffenen rechtlichen Einschätzungen auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragen.
5. Damit erweist sich das Bauvorhaben der Klägerin wegen eines Verstoßes gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 BauGB als bauplanungsrechtlich unzulässig. Offenbleiben kann, ob das Vorhaben darüber hinaus aus einem weiteren Grund als bauplanungsrechtlich unzulässig einzustufen ist, nämlich weil es nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO) oder weil – etwa mit den zu erwartenden Auswirkungen auf die jeweils mit einem Wohnanwesen bebauten Grundstücke Fl.Nrn. …3/5 und …3/2 der Gemarkung Ebelsbach – ein Verstoß gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme vorliegt. Hierauf muss seitens der Kammer mangels Entscheidungserheblichkeit nicht näher eingegangen werden.
6. Im Ergebnis hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Vorbescheids. Der ablehnende Bescheid des Landratsamts Haßberge vom 25. Mai 2020 erging rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladene nicht durch eigene Antragstellung am Prozesskostenrisiko beteiligt hat, entsprach es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Aufwendungen nicht für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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