Aktenzeichen M 10 K 15.5255
BayAbfG BayAbfG Art. 3 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1
StVO StVO § 1 Abs. 1, Abs. 2, § 9 Abs. 5
StVG StVG § 1 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz
Die auf der Grundlage der Satzung betriebene Abfallentsorung der Gemeinde ist eine öffentliche Einrichtung mit Anschluss- und Benutzungszwang. Sie umfasst die Abfalllbeseitigung und -verwertung. (redaktioneller Leitsatz)
Die Gemeinde kann von dem Anschlusspflichtigen verlangen, die Abfallbehältnisse selbst zur nächsten, vom Abfallfahrzeug ordnungsgemäß anfahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche zu bringen. Ein Transport des Abfallbehälters über eine Entfernung von bis zu 100 m ist zumutbar. (redaktioneller Leitsatz)
Mit einer Einzelfallanordnung kann die Eigenbereitstellung außerhalb des Grundstücks verlangt werden, wenn das Grundstück des Anschlusspflichtigen wegen besonderer örtlicher Verhältnisse mit dem Müllfahrzeug nur unter erheblichen Schwierigkeiten angefahren werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
Ein rückwärtiges Einfahren des Müllfahrzeugs von der Hauptstraße in eine enge Stichstraße kann gegen das straßenverkehrsrechtliche Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme und das Verbot Gefährdung Anderer verstoßen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
1. Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine Anfechtungsklage und um eine allgemeine Leistungsklage. Soweit der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehrt, die für das Grundstück des Klägers vorhandenen Abfallbehältnisse auch dann zu entsorgen, wenn diese zur Entsorgung auf der dem Anwesen …-weg 8 gegenüberliegenden Straßenseite bereitgestellt werden, ist die Klage als allgemeine Leistungsklage zulässig. Der Kläger erstrebt mit diesem Begehren die Vornahme schlichten Verwaltungshandelns. Soweit der Kläger die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 20. Oktober 2015 begehrt, ist die Klage als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft.
2. Die Klage ist insgesamt unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die vorhandenen Abfallbehältnisse durch den Beklagten auch dann entsorgt werden, wenn diese zur Entsorgung auf der dem Anwesen …-weg 8 gegenüberliegende Straßenseite bereitgestellt werden. Die im Bescheid vom 20. Oktober 2015 betroffene Bestimmung der Stelle, an der der Kläger die Abfälle bereitzustellen und dem Beklagten zu überlassen hat, ist rechtmäßig. Die Verfügung verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid des Beklagten vom 20. Oktober 2015 ist seine Satzung über die Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen im Landkreis … vom 24. Januar 2008, zuletzt geändert durch Änderungssatzung vom 5. Dezember 2014 – Abfallwirtschaftsatzung (AbfWS). Mit dem Erlass dieser Satzung hat der Beklagte von der Ermächtigung in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 bis 4 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Bayerisches Abfallwirtschaftsgesetzt (BayAbfG) und Art. 23, 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Satz 2 Gemeindeordnung (GO) Gebrauch gemacht. Formelle- oder materiellrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Wirksamkeit dieser Satzung wurden weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
Die auf Grundlage dieser Satzung betriebene Abfallentsorgung des Beklagten ist eine öffentliche Einrichtung mit Anschluss und Benutzungszwang, die die Abfallverwertung und die Abfallbeseitigung sowie die hierzu erforderlichen Maßnahmen des Einsammelns, Beförderns, Behandelns, Lagerns und Ablagerns der Abfälle umfasst (§ 1 Abs. 5 AbfWS). Nach § 21 Abs. 1 AbfWS kann der Beklagte zur Erfüllung der nach dieser Satzung bestehenden Verpflichtungen Anordnungen für den Einzelfall erlassen. Nach Maßgabe der Regelung in § 15 Abs. 9 Satz 3 AbfWS kann der Beklagte von den Anschlusspflichtigen verlangen, die Abfallbehältnisse selbst zur nächsten vom Abfallfahrzeug ordnungsgemäß anfahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche zu bringen, wenn Grundstücke vom Abfallfahrzeug nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten angefahren werden können. Dies bedeutet, dass eine Einzelfallanordnung zur Eigenbereitstellung außerhalb des Grundstücks zulässig ist, wenn Grundstücke vom Abfallfahrzeug nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten angefahren werden können und wenn die Anordnung verhältnismäßig ist.
a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Bereitstellungspflicht des Klägers liegen vor. Sowohl tatsächliche als auch rechtliche Hindernisse können einem unmittelbaren Anfahren der Grundstücke entgegenstehen. Tatsächliche Hindernisse können sich etwa daraus ergeben, dass die lichte Breite der Straße der Durchfahrbarkeit eines Müllfahrzeugs entgegensteht. Rechtliche Hindernisse können dem Befahren einer Straße in Form straßenverkehrsrechtlicher oder auch arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen entgegenstehen.
Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 9 AbfWS sind nach Auffassung des Gericht hier erfüllt. Das Hausgrundstück des Klägers kann von dem vom Beklagten eingesetzten Müllfahrzeug allenfalls unter erheblichen Schwierigkeiten angefahren werden. Die anhand der von den Beteiligten vorgelegten Lichtbilder und Lagepläne zu erkennenden tatsächlichen örtlichen Verhältnisse im Bereich des …-wegs zeigen auf, dass das Befahren dieser Straße mit einem Müllfahrzeug des Beklagten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Mangels Wendemöglichkeit muss das Müllfahrzeug die gesamte Straße rückwärts befahren. Aufgrund der geringen Fahrbahnbreite und der Steigung erscheint das Rückwärtsfahren des Entsorgungsfahrzeugs über die gesamte Strecke sehr schwierig, auch unter Berücksichtigung eines Einweisers.
Darüber hinaus stehen hier einem Anfahren des klägerischen Grundstücks auch rechtliche Hindernisse entgegen. Rechtliche Hindernisse folgen hier insbesondere aus straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen. Hier ist beim Vorwärtsfahren und erst Recht beim Rückwärtsfahren nicht auszuschließen, dass andere gefährdet werden.
Bereits die Straßenverkehrsordnung – StVO – steht hier einer Einfahrt des üblichen Müllfahrzeugs in die Stichtraße …-weg entgegen. Gemäß § 1 Abs. 1 StVO erfordert die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht, gemäß § 1 Abs. 2 StVO hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt oder gefährdet wird. Gemäß § 9 Abs. 5 StVO muss sich der Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen. Im vorliegenden Fall wäre beim Rückwärtsfahren eine Gefährdung anderer i. S. d. § 1 und § 9 Abs. 5 StVO nicht ausgeschlossen, auch wenn ein Einweiser eingesetzt würde. Wie der Vertreter des Beklagten nachvollziehbar in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, kann der Müllfahrer beim Abbiegen rückwärts von der Hauptstraße in den …-weg den Einweiser nicht sehen. Aufgrund der örtlichen Verhältnisse würde ein rückwärtiges Einfahren in die Straße mit einem Müllfahrzeug der gegebenen Größe gegen das Gebot der ständigen Vorsicht und Rücksichtname sowie gegen das Verbot der Gefährdung anderer verstoßen. Wenn der Müllfahrer den Einweiser beim Abbiegen rückwärts nicht sehen kann, wäre er auf die Eigenübersicht angewiesen. Der Müllfahrer kann aber immer nur einen Spiegel bzw. Bildschirm im Auge haben. Angesichts der örtlichen Situation sind hier bei Anfahren des klägerischen Grundstücks Gefährdungen von Personen nicht auszuschließen.
Daher kann dahingestellt bleiben, ob auch nach den berufsgenossenschaftlichen Vorschriften – Müllbeseitigung (BGV C 27) ein rechtliches Hindernis hinsichtlich des Anfahren des Grundstücks des Klägers durch das Müllfahrzeug vorliegt (§ 16 Nr. 1 BGV C 27). Denn bereits die Straßenverkehrsordnung ist als rechtliches Hindernis für das unmittelbare Anfahren des Grundstücks des Klägers zu beachten.
b) Die Verbringung der Abfälle an den vom Beklagten bestimmten Bereitstellungsort ist dem Kläger auch zumutbar. Der Vollzug des § 15 Abs. 9 AfWS ist – wie jedes behördliche Handeln – durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt, wobei in diesem Rahmen auch die Frage der Zumutbarkeit Beachtung zu finden hat. Dies ist Ausfluss der Verteilung zwischen Überlassungs- und Entsorgungspflichten (BVerwG, U. v. 25.8.1999 – 7 C 27/98 – juris). Die erhöhte Mitwirkungspflicht des Klägers als Grundlage der Verpflichtung zum Transport der Abfälle zu einem Sammelpunkt entsteht damit nur, wenn die Verbringung der Abfälle zum Sammelpunkt auch zumutbar ist. Die Verhältnismäßigkeit richtet sich dabei nach der konkreten örtlichen Situation (BayVGH, U. v. 11.3.2005 – 20 B 04.2741 – juris Rn. 20). Aus der örtlichen Situation des klägerischen Grundstücks ergibt sich nicht, dass die Verbringung der Abfallbehältnisse zum vom Beklagten angeordneten Sammelpunkt unverhältnismäßig wäre. Der Sammelpunkt befinde sich an der Einmündung zum …-weg. Zwar kann das Verbringen von Abfällen nicht über beliebig weite Entfernungen angeordnet werden. Feste Grenzwerte gibt es hierzu nicht. Ein Transport des Abfalls bis zu 100 m Entfernung ist im Regelfall zumutbar, aber auch darüber hinaus möglich. Entscheidend sind die Verhältnisse im konkreten Einzelfall (BayVGH, B. v. 22.11.1999 – 20 ZS 99.2493 u. a. – juris Rn. 10 f. m. w. N.). Hier geht es nach Aktenlage um eine Entfernung von knapp 100 m über eine asphaltierte Straße mit nur geringer Steigung bzw. Gefälle. Diese Entfernung erscheint dem Gericht noch zumutbar (vgl. hierzu auch VG München, U. v. 3.3.2005 – M 10 K 03.3960 – juris Rn. 23; in diesem Fall ging es um eine Strecke von 130 m, die als zumutbar angesehen wurde).
Dies gilt auch unter der Berücksichtigung des Umstands, dass der Beklagte jahrelang die Abfälle am klägerischen Grundstück abgeholt hat. Ein derartiger Vertrauensschutz, dass sich eine bestehende Entsorgungssituation nicht in Zukunft ändert, besteht nicht. Der Entsorgungsträger kann im Sinne der Gleichbehandlung hinsichtlich der Erschließungssituation nicht zwischen Alt- und Neuanliegern unterscheiden. Ausschlaggebend ist allein, ob der Transport dem Einzelnen aufgrund der Wegstrecke zumutbar ist (VG München, U. v. 3.3.2005 – M 10 K 03.3960 – juris Rn. 23).
c) Soweit der Kläger vorträgt, andere Straßen würden vom Müllfahrzeug rückwärts befahren, führt dies unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung bzw. des Gleichbehandlungsgrundsatzes gem. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht zu einer anderen Beurteilung. Zum einen ist fraglich, ob es sich hier tatsächlich um vergleichbare Bezugsfälle handelt. Zum anderen kennt die Rechtsordnung ein Recht auf Ungleichbehandlung im Unrecht nicht. Aus diesem Grund würde sich etwas anderes auch nicht daraus ergeben, dass in Fällen mit gleicher Entsorgungssituation (Grundstück am Ende einer schmalen Stichstraße ohne Wendemöglichkeit; Rückwärtsbefahren der Straße durch das Müllfahrzeug tatsächlich schwierig und eine Gefährdung von Personen beim Anfahren des Grundstücks nicht auszuschließen) die jeweiligen Abfallbehälter unmittelbar vor den Grundstücken der entsprechenden Abfallerzeuger bzw. -besitzer entleert würden (s. hierzu auch VG Aachen, U. v. 27.1.2006 – 7 K 1624/05 – juris Rn. 29).
3. Nach alledem war die Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebene Kostenfolge abzuweisen.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000 festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.