Baurecht

Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten hinsichtlich der Nichteinhaltung von Auflagen in Genehmigungsbescheiden

Aktenzeichen  W 5 K 16.1345

Datum:
16.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 68, § 75 S. 1 u. 2, § 113 Abs. 5 S. 1 u. 2, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3
BayBO BayBO Art. 47 Abs. 1,Art. 54 Abs. 2 S. 2, Art. 76 S. 2
BayVwVfG BayVwVfG Art. 36 Abs. 2 Nr. 4
GaV GaV § 4
BayBO 1969 Art. 62 Abs. 2
BauNVO BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
BImSchG BImSchG § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1
18. BImSchV § 2 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 u. 5, § 5 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig. Sie ist jedoch (im Haupt- und Hilfsantrag) unbegründet.
1. Die Klage ist mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hauptwie auch dem Hilfsantrag als Verpflichtungsklage in der Form der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) zulässig.
Nach § 75 Satz 1 VwGO ist die Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zu-reichenden Grund und in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Nach § 75 Satz 2 VwGO kann die Klage nicht vor Ablauf von drei Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist.
Im vorliegenden Fall begehrte die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmäch-tigten vom 14. Juni 2011 beim Landratsamt … bauaufsichtliches Einschreiten. Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2011 wandten sich die Bevollmächtigten der Klägerin wiederum an das Landratsamt … und machten auf weitere Verstöße der Beigeladenen gegen Auflagen aus den Genehmigungsbescheiden aufmerksam und baten um Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheids. In der Folgezeit erging weder ein entsprechender Bescheid seitens des Landratsamts … noch wurden konkrete Maßnahmen durchgeführt. Daraufhin ließ die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten am 23. November 2011 (Untätigkeits-)Klage, gerichtet darauf, den Beklagten zu bauaufsichtlichem Einschreiten zu verpflichten, erheben.
Im vorliegenden Fall liegen zwischen dem Eingang des Antrags auf bauaufsichtliches Einschreiten beim Landratsamt und der Klageerhebung mehr als drei Monate.
Einen zureichenden Grund, warum über den Antrag der Klägerin nicht innerhalb von drei Monaten entschieden werden konnte, hat die Beklagtenseite der Klägerin gegenüber vor Klageerhebung nicht vorgetragen. Derartige Umstände wurden auch von Beklagtenseite im Klageverfahren nicht vorgebracht. Das Gericht kann solche auch nicht erkennen.
2. Die Klage ist im Hauptantrag wie auch im Hilfsantrag unbegründet.
Die Klägerin hat zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Rechtsanspruch auf das begehrte bauaufsichtliche Einschreiten des Beklagten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf erneute Entscheidung des Beklagten über den von ihr bei der Behörde gestellten Antrag (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Der auf bauaufsichtliches Einschreiten gerichteten Verpflichtungsklage darf nur stattgegeben werden, wenn der Kläger im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (noch) einen Anspruch auf den mit der Klage begehrten Verwaltungsakt hat (vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2008 – 9 ZB 04.3322 – juris). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Sach- und Rechtslage bei der Verpflichtungsklage ist damit grundsätzlich der der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 113 Rn. 217).
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Anordnung zur Durchsetzung der Nebenbestimmungen bzw. zum Erlass einer Nutzungsuntersagung ist Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO bzw. Art. 76 Satz 2 BayBO. Nach der erstgenannten Vorschrift kann, wenn abweichend von der Baugenehmigung gebaut wurde, oder um einen der Baugenehmigung einschließlich von Auflagen entsprechenden Zustand herzustellen, die Änderung von baulichen Anlagen angeordnet werden (vgl. Simon/Busse, BayBO, Stand Aug. 2016, § 54 Rn. 53 m.w.N.). Nach der zweitgenannten Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde die Nutzung untersagen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden.
2.1. Grundsätzlich hat ein Nachbar keinen Rechtsanspruch auf ein bau-aufsichtliches Einschreiten, sondern nur einen Anspruch auf ermes-sensfehlerfreie Entscheidung über ein solches Einschreiten und über die Art und Weise des Einschreitens. Folglich entspricht es ständiger Rechtsprechung auch des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B.v. 18.6.2008 – 9 ZB 07.497 – juris), dass der Nachbar im Rahmen des Art. 76 BayBO wie auch des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung hat. Ein strikter Rechtsanspruch auf ein bestimmtes Handeln besteht nicht. Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn jede andere Entscheidung als der der geforderten Maßnahmen mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen des Nachbarn ermessensfehlerhaft wäre, d.h. wenn das Ermessen der Behörde aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles auf Null reduziert wäre.
Maßgebend für die Frage der Ermessenreduzierung auf Null ist die Schwere der Nachbarrechtsverletzung. Die obergerichtliche Rechtsprechung sowie die Literatur ist hierzu nicht ganz einheitlich. Nach einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG Münster, U.v. 15.11.2007 – 10 A 3015/05, und OVG Saarlouis, B.v. 10.8.1994 – 2 W 24/94 – beide juris) soll es für eine Ermessensreduzierung auf Null schon ausreichen, wenn die Anlage gegen öffentlich-rechtliche, den Nachbarn schützende, Vorschriften verstößt und dieser Verstoß nicht in rechtmäßiger Weise durch eine Baugenehmigung, Befreiung, Ausnahme oder Abweichung legalisiert werden kann. Es soll danach ein spürbarer, also mehr als geringfügiger Verstoß ausreichen. Dann soll die Behörde verpflichtet sein, einzuschreiten, es sei denn es liegt ein besonders zu begründender Ausnahmefall vor (so Simon/Busse, BayBO, Art. 76, Rn. 500; OVG Münster, a.a.O; OVG Saarlouis, a.a.O.; in diese Richtung wohl auch BayVGH, B.v. 16.9.2004 – 20 ZB 04.2179 – juris).
Eine solche Ermessensreduzierung auf Null kann mit der (überwiegenden) Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aber nur dann angenommen werden, wenn eine besondere Intensität der Störung oder der Gefährdung der nachbargeschützten Interessen gegeben ist. Voraussetzung ist mithin, dass eine besonders qualifizierte Beeinträchtigung der nachbarlichen Rechtsstellung in Betracht kommt, namentlich, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind. Allein der Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften führt nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null (BayVGH, B.v. 18.6.2008 – 9 ZB 07.497 – juris; BVerwG, U.v. 4.6.1996 – NVwZ-RR 1997, 271; VGH Baden-Württemberg, U.v. 25.5.1992 – 5 S 2775/91 – VBlBW 1993, 19; Simon/Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 486 ff.; Molodovsky/Famers, BayBO, Stand 122. Erg. Lief. Nov. 2016, Art. 54 Rn. 48 ff. und Art. 76 Rn. 146 ff.). Auch hat der Nachbar grundsätzlich einen öffentlich-rechtlichen Anspruch gegen die Bauaufsichtsbehörde auf Durchsetzung der seine Rechte schützenden Auflagen in der Baugenehmigung (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 25.1.1993 – 6 L 195/90 – juris; Simon/Busse, BayBO, Art. 68 Rn. 395).
2.2. Bei der Auflage unter Buchst. b) im Bescheid vom 15. April 1982, wonach der Parkplatz im Westen der Halle nur bei Großveranstaltungen benutzt werden darf und die Zufahrten im Norden bzw. im Süden durch geeignete Vorkehrungen (Schranken, Ketten) abzusperren sind, handelt es sich zwar um rechtsverbindliche Auflagen i.S.d. Art. 36 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG. Gleiches gilt für die Auflage in der Baugenehmigung vom 2. März 1982, wonach 240 Kfz-Einstellplätze (offene unbebaute Flächen oder Garagen) nebst Zubehöranlagen zu schaffen und beizubehalten sind und zwar so, wie sie in den Bauplänen festgelegt sind, die Bestandteile dieser Baugenehmigung bilden. Dies gilt auch für die Auflage in der Baugenehmigung vom 13. Februar 1990, wonach 13 zusätzliche Kfz-Stellplätze unter Beachtung von § 4 GaV zu schaffen und zu unterhalten sind.
Allerdings ist hinsichtlich der letztgenannten beiden Auflagen in den Baugenehmigungen vom 2. März 1982 und vom 13. Februar 1990, mit denen eine Anzahl von 240 bzw. 13 Kfz-Stellplätzen gefordert wird, schon sehr fraglich, ob es sich dabei um nachbarschützende Auflagen handelt. Denn die Vorschriften über die Stellplatz- und Garagenbaupflicht sind nicht nachbarschützend. Die Verpflichtung zur Anlage von Stellplätzen in Art. 47 Abs. 1 BayBO (und deren Vorgängerregelungen, so in Art. 62 Abs. 2 BayBO 1969, auf die die Stellplatzregelung im Bescheid vom 2. März 1982 ausdrücklich gestützt wurde) entspricht dem öffentlichen Interesse, dass die parkenden Fahrzeuge möglichst nicht am Straßenrand, sondern auf dem jeweiligen Grundstück abgestellt werden (vgl. Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 284 und Molodovsky/Famers, BayBO, Art. 47 Rn. 7, jeweils m.w.N. zur Rspr.). Wenn eine zu geringe Zahl von notwendigen Stellplätzen nachgewiesen ist, werden die Nachbarn selbst dann nicht in ihren Rechten verletzt, wenn die Besucher der baulichen Anlage ihre Fahrzeuge in den benachbarten Wohnstraßen abstellen (OVG Münster, B.v. 21.7.1997 – 11 B 1511/94 – juris; Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 285-287).
2.3. Soweit die Klägerin mit ihrem Klageantrag ein bauaufsichtliches Einschreiten fordert hinsichtlich der in den Bescheiden vom 2. März 1982 und 13. Februar 1990 festgesetzten „Anzahl und Lage der Stellplätze“, ist dies – in dieser geforderten Eindeutigkeit – schon aus tatsächlichen Gründen nicht mehr umsetzbar. Denn die nach den Eingabeplänen zum Baugenehmigungsbescheid vom 2. März 1982 unmittelbar an der Westfassade der Sch-halle situierten 24 Pkw-Stellplätze können dort nicht mehr hergestellt werden, seit an dieser Stelle aufgrund der Baugenehmigung vom 13. Februar 1990 das Haus des Gastes errichtet wurde. Circa 25 Stellplätze, die östlich der Sch-halle vorgesehen waren, können dort ebenfalls nicht mehr hergestellt werden, seit an dieser Stelle ein Hotel errichtet wurde. Damit wäre der Klageantrag, zumindest soweit es um die Lage eines nicht unbedeutenden Teils der Stellplätze geht, auf ein unmögliches Ziel gerichtet. Festzuhalten bleibt auch, dass die überwiegende Zahl der Stellplätze, nämlich 175, errichtet wurden, wie die Beigeladenenseite in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, ohne dass dies bestritten worden wäre.
2.4. Darüber hinaus ist eine bauaufsichtliche Maßnahme der von der Klägerin begehrten Art vorliegend auch nicht (mehr) erforderlich, um die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften und der erlassenen Auflagen zu sichern oder gar eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren. Denn das Landratsamt … ist – wenn auch erst nach Klageerhebung – bauaufsichtlich tätig geworden und hat nicht nur mit Ziffer 1 des Bescheids vom 20. Dezember 2013 die Nutzung der Sch-halle für Veranstaltungen, die (einschließlich der Auf- und Abräumarbeiten) in die Nachtstunden, also in die Zeit von 22:00 Uhr bis 7:00 Uhr hinein andauern, untersagt. Es hat des Weiteren auch durch weitere Regelungen in Ziffer 2.1 und 2.2 dieses Bescheids Festlegungen getroffen, um bei allen Veranstaltungen (also insb. zur Tagzeit) den vom Parkplatzsuchverkehr ausgehenden Lärm zu verringern.
Mit dem Erlass dieses Bescheids hat das Landratsamt … sichergestellt, dass die Zumutbarkeitsgrenze der vom Gesamtvorhaben Sch-halle einschließlich des Parkplatzes ausgehenden und auf die klägerischen Anwesen einwirkenden Lärmimmissionen nicht überschritten wird. Unter Zugrundelegung der im Bescheid vom 20. Dezember 2013 getroffenen Maßnahmen erweist sich die Nutzung des Parkplatzes der Sch-halle nicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO wegen auf die Grundstücke der Klägerin einwirkenden unzumutbaren Störungen und Belästigungen als unzulässig. Denn die von der Anlage der Beigeladenen ausgehenden Betriebsgeräusche überschreiten – unter Berücksichtigung der im vg. Bescheid getroffenen Maßnahmen – nicht das für die Klägerin zumutbare Maß. Im Einzelnen:
2.4.1. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind Anlagen auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. Ob ein Vorhaben das sog. Rücksichtnahmegebot verletzt, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und ist im Wege einer Gesamtschau zu ermitteln. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Umgekehrt braucht derjenige, der ein Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt es demnach wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rück-sichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – BVerwGE 52, 122). Bei der vorzunehmenden Abwägung sind sowohl die Schutzwürdigkeit des Nachbarn als auch die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen zu berücksichtigen. Beides muss in ei-ner dem Gebietscharakter, der Vorprägung der Grundstücke durch die vor-handene bauliche Nutzung und der konkreten Schutzwürdigkeit entspre-chenden Weise in Einklang gebracht werden (BayVGH, B.v. 26.1.2009 – 15 ZB 08.2934 – juris). In Bereichen, in denen Nutzungen unterschiedlicher Art mit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen, ist die Grund-stücksnutzung mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksicht-nahme belastet (BVerwG, B.v. 5.3.1984 – 4 B 171/83 – NVwZ 1984, 646; U.v. 22.6.1990 – 4 C 6/87 – NVwZ 1991, 64). Dies führt nicht nur zu einer Ver-pflichtung desjenigen, der Beeinträchtigungen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Beeinträchtigungen aussetzt (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.1995 – 4 C 20/94 – BVerwGE 98, 235).
Bei der Überprüfung des konkreten Falles anhand des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, nämlich der Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Um-welteinwirkungen, genauer von Lärmimmissionen, ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts (Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 3 Abs. 1 BImSchG) und auf die materiell-recht-lichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) zurückzugreifen. Das Bundesimmissionsschutzgesetz legt diese Grenze und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereiches grundsätzlich allgemein fest (BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6/98 – juris).
2.4.2. Was die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen angeht, hat hier das Landratsamt … im Bescheid vom 13. Februar 1990 konkrete Immissionsrichtwerte festgesetzt. Danach darf der Gesamtbeurteilungspegel, der von den Nutzungen des Gebäudekomplexes „Sch-halle“ ausgehenden Geräusche einschließlich der zugehörigen Verkehrsgeräusche an den nächsten Wohnhäusern die in der VDI 2058 Blatt 1 festgesetzten Immissionsrichtwerte für Einwirkungsorte, in denen weder vorwiegend gewerbliche Anlagen noch vorwiegend Wohnungen untergebracht sind, von tags 60 dB (A) und nachts 45 dB (A) nicht überschreiten. Die Nachtzeit dauert 9 Stunden; sie beginnt um 22.00 Uhr und endet um 7.00 Uhr. Als Ruhezeiten i. S. der VDI 2058 Blatt 1 gelten der Zeitraum von 19.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Sieht man den Anwendungsbereich der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) als eröffnet an, gelten hier gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 der 18. BImSchV folgende Immissionsrichtwerte: Tags außerhalb der Ruhezeiten 60 dB(A), tags innerhalb der Ruhezeiten 55 dB(A) und nachts 45 dB(A), wobei einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen die vg. Immissionsrichtwerte tags um nicht mehr als 30 dB(A) und nachts um nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten sollen (§ 2 Abs. 4 der 18. BImSchV).
2.4.3. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diese Richtwerte (sowohl die von der Behörde im Jahr 1990 festgesetzten als auch die nach der 18. BImSchV) an den Wohnhäusern der Klägerin – unter Zugrundelegung der im Bescheid vom 20. Dezember 2013 getroffenen Maßnahmen – zur Tages- oder zur Nachtzeit überschritten werden würden. Im Einzelnen:
Anders als in den Jahren seit Inbetriebnahme der Sch-halle bis zum Jahr 2013 ist mit der Untersagung von Veranstaltungen, die einschließlich der Auf- und Abräumarbeiten in die Nachtstunden, also in der Zeit von 22:00 Uhr bis 7:00 Uhr, hinein andauern, kein Anhaltspunkt mehr ersichtlich, dass Überschreitungen des Gesamtbeurteilungspegels zur Nachtzeit von 45 dB(A) noch zu befürchten wären.
Unter Einhaltung der in Ziffer 2 des Bescheids vom 20. Dezember 2013 getroffenen Regelungen ist darüber hinaus nichts (mehr) dafür ersichtlich, dass der Gesamtbeurteilungspegel zur Tagzeit von 60 dB(A) bzw. von 55 dB(A) überschritten werden würde. In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass von Klägerseite keinerlei Anhaltspunkte – in Form eines schalltechnischen Gutachtens oder in Form von Lärmpegelmessungen – dafür vorgebracht werden konnten, die dafür sprechen würden, dass die vg. Beurteilungspegel an der schützenswerten Bebauung überschritten werden würden.
Das schalltechnische Gutachten des Ingenieurbüros Auktor i.d.F. der 1. Überarbeitung vom 30. Januar 2015 (Auktor-Gutachten) spricht vielmehr deutlich dafür, dass zur Tageszeit die zulässigen Lärmwerte eingehalten werden. So geht der Gutachter davon aus, dass maßgeblicher Zeitraum aufgrund der strengeren Immissionsrichtwerte die Nutzung der Halle im Nachtzeitraum ist (vgl. S. 3, Absatz 1 des Auktor-Gutachtens). Weiter wird dort dargelegt, dass die Großveranstaltungen mit bis zu 1.200 Besuchern so bemessen sind, dass sie den Kriterien für seltene Ereignisse gemäß § 5 Abs. 5 der 18. BImSchV entsprechen und die normalen Veranstaltungen so ausgelegt sind, dass sie die Immissionsrichtwerte gemäß § 2 Abs. 2 der 18. BImSchV einhalten. Die Einhaltung der für die Lastfälle getroffenen Annahmen ist durch den Betreiber, z.B. durch Sicherheitspersonal, Platzanweiser oder Shuttleservice zu anderen Parkplätzen zu gewährleisten (vgl. S. 3 Absätze 3 und 4 des Auktor-Gutachtens). Unter Zugrundelegung dieser Ansätze kommt der Gutachter bei Großveranstaltungen zu einem Beurteilungspegel von 48 dB(A) im Erdgeschoss und 50 dB(A) im Obergeschoss des Anwesens Fl.Nr. …5 und zu einem Beurteilungspegel von 47 dB(A) im Erdgeschoss, 51 dB(A) im Obergeschoss und 53 dB(A) im Dachgeschoss des Anwesens Fl.Nr. …5. Bei durchschnittlichen Veranstaltungen kommt der Gutachter zu einem Beurteilungspegel von 40 dB(A) im Erdgeschoss und 42 dB(A) im Obergeschoss des Anwesens Fl.Nr. …5 und zu einem Beurteilungspegel von 40 dB(A) im Erdgeschoss, 44 dB(A) im Obergeschoss und 45 dB(A) im Dachgeschoss des Anwesens Fl.Nr. …5. Bei den Spitzenpegeln ergibt sich bei Großveranstaltungen ein Wert von 54 dB(A) im Erdgeschoss und 57 dB(A) im Obergeschoss des Anwesens Fl.Nr. …5 sowie ein Wert von 51 dB(A) im Erdgeschoss, 58 dB(A) im Obergeschoss und 61 dB(A) im Dachgeschoss des Anwesens Fl.Nr. …5. Nach diesen Berechnungsergebnissen spricht vieles dafür, dass der Beurteilungspegel von 60 dB(A) zur Tagzeit außerhalb bzw. von 55 dB(A) innerhalb der Ruhezeiten an den Anwesen der Klägerin ebenso klar eingehalten wird wie der Spitzenpegel von 85 dB(A) bzw. 90 dB(A) nach § 2 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 und 5 der 18. BImSchV.
2.4.3. Festzuhalten bleibt aber, dass – worauf auch der Gutachter explizit hingewiesen hat – die Einhaltung der für die Lastfälle getroffenen Annahmen durch den Betreiber, also durch die Beigeladene zu erfolgen hat. Von wesentlicher Bedeutung ist hierbei, dass das Landratsamt … mit Ziffer 2.1 der Anordnung vom 20. Dezember 2013, unmissverständlich verfügt hat, dass bei „allen“ Veranstaltungen „immer“ eine Verkehrsleitung erfolgen muss, die die Nutzung des Parkplatzes in der den vorliegenden, aber noch nicht genehmigten Plänen des Ing. Büros K* … i.d.F. vom 6. März 2013 entsprechenden Weise gewährleistet. Aufgrund dieses eindeutigen Wortlauts des bestandskräftigen Bescheids bezieht sich die Verpflichtung der Beigeladenen auf sämtliche Veranstaltungen, die in der Sch-halle stattfinden, also nicht nur auf Großveranstaltungen. Es kann deshalb nicht angehen, dass die Beigeladene bei einer bestimmten Art bzw. Größe von Veranstaltungen keine verkehrsleitenden Maßnahmen durchführt. Falls dies dennoch der Fall sein sollte, wäre der Beklagte gehalten, die entsprechende Regelung des Bescheids gegebenenfalls mit rechtsaufsichtlichen Mitteln durchzusetzen.
Nach allem hat die Klägerin zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Rechtsanspruch auf das begehrte bauaufsichtliche Einschreiten des Beklagten und auch keinen Anspruch auf erneute Entscheidung des Beklagten über den von ihr bei der Behörde gestellten Antrag.
Die Klage konnte deshalb insgesamt keinen Erfolg haben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene hat ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen. Im vorliegenden Fall hätte es trotz Antragstellung seitens des Bevollmächtigten der Beigeladenen am Ende der mündlichen Verhandlung nicht der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO entsprochen, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die durch ihre jahrzehntelange Weigerung, ordnungsgemäße Zustände herbeizuführen, die Untätigkeitsklage geradezu herausgefordert hat, der Klägerin aufzuerlegen.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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