Baurecht

Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung bei gesicherter Erschließung

Aktenzeichen  M 11 K 16.3030

Datum:
22.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8129
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1

 

Leitsatz

1 § 34 Abs. 1 BauGB enthält keine rechtsnormativen Konkretisierungen der Anforderungen an die gesicherte Erschließung. Diese ergeben sich daher aus der jeweiligen Innenbereichssituation und den konkreten Anforderungen des jeweiligen Vorhabens und Baugrundstücks. Setzt ein einfacher Bebauungsplan iSd § 30 Abs. 3 BauGB Erschließungsanlagen fest, sind diese zu berücksichtigen, d.h. insofern kommt es auf die plangemäße Erschließung an. Dies gilt namentlich für die festgesetzte wegemäßige Erschließung. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ohne solche Bebauungsplanfestsetzungen ist von den im betreffenden Innenbereich vorhandenen Erschließungsanlagen auszugehen. Im Allgemeinen sind diese Anlagen Teil des Bebauungszusammenhangs. Sie stellen daher die Erschließung des Baugebiets, zB von Baulücken, grundsätzlich sicher. Sie sind somit in der Regel Maßstab der Erschließung; damit muss sich das Vorhaben abfinden (hier: gesicherte Erschließung für Vorhaben betreffend Einbau einer Dachgaube mit Dachsanierung).  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 07.06.2016 verpflichtet, der Klägerin eine Baugenehmigung zum Einbau einer Dachgaube mit Dachsanierung gemäß dem Antrag vom 22.06.2015 zu erteilen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.
1. Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid der Beklagen vom 7. Juni 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind; im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (vgl. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO) prüft die Bauaufsichtsbehörde die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB. Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. BayBO darf die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag auch ablehnen, wenn das Vorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt.
Danach war die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
a) Das beantragte Vorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich im vorliegenden Fall nach § 34 Abs. 1 BauGB. Hiernach ist Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Vorhabens u.a., dass die Erschließung gesichert ist.
§ 34 Abs. 1 BauGB enthält – wie §§ 30, 33 und 35 BauGB – keine rechtsnormativen Konkretisierungen der Anforderungen an die gesicherte Erschließung. Diese ergeben sich daher aus der jeweiligen Innenbereichssituation und den konkreten Anforderungen des jeweiligen Vorhabens und Baugrundstücks (in diesem Sinne auch OVG Greifswald Urt. v. 14.6.2016 – 3 L 177.06, BauR 2016, 2055 = BeckRS 2016, 56048). Setzt ein einfacher Bebauungsplan i.S.d. § 30 Abs. 3 Erschließungsanlagen fest, sind diese zu berücksichtigen, d.h. insofern kommt es auf die plangemäße Erschließung an. Dies gilt namentlich für die festgesetzte wegemäßige Erschließung. Ohne solche Bebauungsplanfestsetzungen ist von den im betreffenden Innenbereich vorhandenen Erschließungsanlagen auszugehen. Im Allgemeinen sind diese Anlagen Teil des Bebauungszusammenhangs. Sie stellen daher die Erschließung des Baugebiets, z.B. von Baulücken, grundsätzlich sicher. Sie sind somit in der Regel Maßstab der Erschließung; damit muss sich das Vorhaben abfinden (BVerwG Beschluss vom 30.11.1979 – 4 B 174.79; Urt. v. 19.9.1986 – 4 C 15.84). In einzelnen Beziehungen kann die vorhandene Erschließung, vor allem die wegemäßige Erschließung, der Zulässigkeit von Vorhaben im Innenbereich Grenzen setzen, die nur in beschränktem Maße überwunden werden können. Dies kann unter bestimmten Voraussetzungen bei einer durch das Vorhaben verursachten Erhöhung der Verkehrsbelastung der Fall sein (vgl. zu all dem Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 127. EL Oktober 2017, § 34, Rn. 65).
Bei einem Vorhaben wie dem vorliegenden, bei dem es rein um einen untergeordneten Umbau eines bereits genehmigten und vorhandenen Bestands geht und bei dem eine Verschlechterung oder Verschärfung einer vorhandenen Erschließungssituation von vorneherein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist, erscheint es insbesondere vor dem Hintergrund der Baufreiheit des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG mehr als fraglich, ob die Erteilung einer Baugenehmigung allein mit dem Hinweis auf eine angeblich fehlende Erschließung verweigert werden dürfte.
Letztlich braucht dies aber nicht entschieden zu werden, da die Erschließung im vorliegenden Fall gesichert ist.
In wegemäßiger Hinsicht umfasst das bauplanungsrechtliche Erfordernis der gesicherten Erschließung regelmäßig den hinreichenden Anschluss des Baugrundstücks an das öffentliche Straßennetz (vgl. Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 13. Auflage 2016, § 34, Rn. 21).
Es handelt sich bei der Äußeren … Straße nicht um einen öffentlich gewidmeten Weg.
Jedoch steht die Äußere … Straße als Anlieger Weg im Eigentum der Anlieger. Dies bedeutet, dass jedem Anlieger ein Teil der Wegfläche zu Alleineigentum gehört. Dieser Teil der Wegfläche bildet zwar einen unselbstständigen Teil des Bruchgrundstücks des jeweiligen Anliegers, wird allerdings zum Wegegrundstück gezogen. Im Liegenschaftskataster wird dies durch entsprechender Vermerk beim an den Weg angrenzenden Grundstück, z. B. „hierzu die zum Weg Flst. … gezogene Teilfläche” kenntlich gemacht. Dies führt dazu, dass das Grundstück des jeweiligen Anliegers nach herrschender Auffassung regelmäßig mit einer Grunddienstbarkeit zugunsten der Grundstücke derjenigen belastet ist, die den Weg nach seiner Zweckbestimmung zu Geh- und Fahrtzwecken nutzen dürfen, üblicherweise der anderen Anlieger, und zwar bezogen auf die Teilfläche des Grundstücks, die zum Weg gehört. Besteht ein Geh- und Fahrtrecht an dem Anlieger Weg, so bedeutet dies nach den angeführten Grundsätzen, dass jedes Grundstück, zu dem in dem oben beschriebenen Sinn eine Teilfläche des Anliegerweges gehört, zugunsten des Eigentümers eines herrschenden Grundstücks mit einer Grunddienstbarkeit belastet ist, des Inhalts, dass der Berechtigte die zum Weg gehörende Teilfläche für Geh- und Fahrtzwecke nutzen darf (vgl. § 1018 BGB). Derartige Geh- und Fahrtrechte blieben bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches ohne Eintragung als Grunddienstbarkeit bestehen (Art. 184 Satz 1, Art. 187 Abs. 1 Satz 1 EGBGB), für die nunmehr die Vorschriften der §§ 1020 bis 1028 BGB (Art. 184 Satz 2 EGBGB) gelten (vgl. zu all dem BayObLG, U. v. 15.12.1997 – 1Z RR 610/96).
Mithin ist hinsichtlich des Vorhabengrundstücks die Erschließung gesichert, da aufgrund der Eigenschaft der Äußeren … Straße als Anlieger Weg davon auszugehen ist, dass an den zum Grundstück der …straße gezogenen Teilflächen der Grundstücke der übrigen Anlieger ein Geh- und Fahrtrecht in Form einer Grunddienstbarkeit zugunsten des Grundstücks der Klägerin besteht, auch wenn dieses im Grundbuch nicht eingetragen ist. Dies ist für die dauerhafte rechtliche Sicherung der Erschließung ausreichend (Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 13. Auflage 2016, § 34, Rn. 26).
b) Auch konnte die Erteilung der Baugenehmigung vorliegend nicht mit dem Hinweis auf eine fehlende bauordnungsrechtliche Erschließung gemäß Art. 4 BayBO verweigert werden.
Unabhängig von der Frage, ob die Ablehnung der Erteilung der Baugenehmigung gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. BayBO in einem Fall wie dem vorliegenden möglicherweise ermessensfehlerhaft wäre, weil eine Verschlechterung der Erschließungssituation denknotwendig mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist, ist die Erschließung vorliegend jedenfalls auch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht gesichert.
Zwar muss das Baugrundstück für das Vorliegen einer bauordnungsrechtlich gesicherten Erschließung gemäß Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayBO an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegen. „Öffentliche Verkehrsflächen“ i.d.S. sind aber jedenfalls auch beschränkt öffentliche Wege i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Nr. 4, Art. 53 Nr. 2 BayStrWG (Wolf, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 128. EL Dezember 2017, Art. 4, Rn. 113). Nur für den Anliegerverkehr freigegebene Straßen sind derartige beschränkt öffentliche Wege, die für eine sichere Zufahrt i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayBO ausreichen (Wolf, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 128. EL Dezember 2017, Art. 4, Rn. 117).
Nach all dem war der Klage stattzugeben.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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