Baurecht

Anspruch eines Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine Stützmauer

Aktenzeichen  RN 6 K 14.1816

Datum:
11.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 131124
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 10, Art. 54 Abs. 4, Art. 76 S. 1

 

Leitsatz

Ein Nachbar hat keinen Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine Stützmauer, weil keine Anhaltspunkte für eine konkrete Einsturzgefahr vorliegen und damit das der Behörde zustehende Ermessen nicht auf Null reduziert ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar; für den Beigeladenen jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Ablehnung bauaufsichtlichen Einschreitens durch das Landratsamt D. ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil ihm weder ein Rechtsanspruch auf das begehrte bauaufsichtliche Einschreiten noch ein Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung zusteht (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
I.
Der Kläger kann sein Begehren nicht auf Art. 76 Satz 1 BayBO stützen, der es der Bauaufsichtsbehörde erlaubt, die teilweise oder vollständige Beseitigung einer Anlage anzuordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wird.
Die streitgegenständliche Stützmauer, die eine Gesamthöhe von 3,90 m besitzt, ist zwar formell illegal, weil gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 a) BayBO im Innenbereich nur Stützmauern bis zu einer Höhe von 2 m verfahrensfrei sind. Der Kläger hat aber weder unter dem Gesichtspunkt der Vernässung noch der Einhaltung der Abstandsflächen oder der Standsicherheit einen Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten bzw. auf ermessensfehlerfreie Neuverbescheidung.
1. Hinsichtlich der Frage der Vernässung sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 76 Satz 1 BayBO nicht erfüllt, weil der Kläger gegen eine mögliche Vernässung seines Grundstücks nicht öffentlich-rechtlich geschützt ist, sondern zur Durchsetzung seines Anliegens den Zivilrechtsweg beschreiten muss (Dirnberger, in: Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 446).
2. Zur Begründung eines Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann sich der Kläger auch nicht auf einen Verstoß gegen Abstandsflächenrecht berufen. Die streitgegenständliche Stützmauer, die in einem Abstand von nur 0,80 m zum klägerischen Grundstück errichtet wurde, ist zwar grundsätzlich abstandsflächenpflichtig, weil Stützmauern gemäß Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO nur bis zu einer Höhe von 2 m ohne eigene Abstandsflächen zulässig sind. Allerdings kann der Kläger zur Begründung seines Antrags auf bauaufsichtliches Einschreiten nicht geltend machen, dass die Stützmauer schon den nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO erforderlichen Mindestabstand von drei Metern nicht einhält, weil er hinsichtlich dieses Verstoßes gegen das Abstandsflächenrecht sein materielles Abwehrrecht verwirkt hat.
Voraussetzung für die Verwirkung eines Rechts ist, dass seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Dies ist dann der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete zudem darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde (Vertrauenstatbestand), und sich deshalb so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Rechtsdurchsetzung ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BVerwG, U. v. 7.2.1974 – III C 115.71 – juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehen Nachbarn zueinander in einem besonderen „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis“, das nach Treu und Glauben von ihnen besondere Rücksichten verlangt und sie verpflichtet, durch ein zumutbares aktives Handeln wirtschaftliche Schäden des Nachbarn zu vermeiden. Daher ist es auch Pflicht des Nachbarn, nachbarliche Einwendungen ungesäumt geltend zu machen, sobald er Beeinträchtigungen durch Baumaßnahmen erkannt hat, wenn ihm nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengehalten werden soll. Kommt ein Nachbar dieser Verpflichtung nicht nach und hält er seine Einwendungen länger als notwendig zurück, gehen seine materiell-rechtlichen Abwehrrechte verloren (BVerwG, B. v. 18.3.1988 – 4 B 50/88 – juris).
Der Kläger hat gegen den im Nachbarschaftsverhältnis zum Beigeladenen geltenden Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, weil er sich erstmalig am 5.9.2014 und damit fast fünf Jahre nach Errichtung der Stützmauer mit seinem Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten an das Landratsamt D. gewandt hat, obwohl er bereits viel früher Kenntnis von der Existenz der Stützmauer hatte, die vom klägerischen Grundstück ohne Weiteres voll einsehbar ist. Nach dieser langen Wartezeit musste der Beigeladene, der auf der Grundlage der Stützmauer bereits die genehmigte Halle zur Erweiterung seines Metzgereibetriebs errichtet hatte, nicht mehr mit Einwendungen des Klägers gegen die Stützmauer rechnen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger die streitgegenständliche Stützmauer in ihrer derzeitigen Ausgestaltung in die durch Bescheid vom 18.4.2014 genehmigten Baupläne für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf seinem Grundstück aufgenommen hat.
3. Auch die vom Kläger vorgetragene fehlende Standsicherheit der Stützmauer führt nicht zum Erfolg der Klage.
Insbesondere das im Rahmen des zivilgerichtlichen Verfahrens eingeholte Sachverständigengutachten des Sachverständigen … vom 3.7.2015 lässt zwar den Schluss zu, dass die in Art. 10 BayBO formulierten Anforderungen an die Standsicherheit einer baulichen Anlage nicht erfüllt sind. Darin kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die Gründung der Mauer nicht den anerkannten Regeln der Technik entspreche. Sie sei nicht ausreichend frosttief und auf einem nicht dränierten Schotterpaket gegründet. Aufgrund der fehlenden Frosttiefe und Dränung könne es mittelfristig zu Verformungen des Bodens unter dem Schotterpaket und im Anschluss zu Bewegungen der Mauer führen. Dadurch könne die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit der Mauer eingeschränkt werden.
Allerdings hat ein Nachbar, der eine bauaufsichtliche Beseitigungsanordnung im Sinne des Art. 76 Satz 1 BayBO begehrt, grundsätzlich nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten liegt nur dann vor, wenn eine unzumutbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochwertige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit besteht (Dirnberger, in: Simon/Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 490).
Der Kläger hat unter Beachtung dieser Grundsätze keinen Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, weil keine Anhaltspunkte für eine konkrete Einsturzgefahr vorliegen und damit das der Behörde zustehende Ermessen nicht auf Null reduziert ist. Das Sachverständigengutachten spricht nur von einer mittelfristigen Beeinträchtigung und enthält keine Hinweise auf Anzeichen für eine Einsturzgefahr. Auch vom Kläger selbst werden keine derartigen Anzeichen, beispielsweise Verformungen der Mauer oder Rissbildungen, vorgetragen.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass über seinen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten neu entschieden wird, weil das Landratsamt D. eine ermessensfehlerfreie Ablehnungsentscheidung getroffen hat.
Steht einer Verwaltungsbehörde bei Erlass eines Verwaltungsakts Ermessen zu, so erstreckt sich die gerichtliche Überprüfung des Verwaltungsakts gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur darauf, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Das Landratsamt D. hat seine mit Bescheid vom 9.10.2014 getroffene Entscheidung, von einem bauaufsichtlichen Einschreiten gegen die streitgegenständliche Stützmauer abzusehen, unter dem Gesichtspunkt der Standsicherheit damit begründet, dass eine konkrete Einsturzgefahr nicht erkennbar sei. Darüber hinaus wäre von einer eventuellen Einsturzgefahr die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet. Darum erscheine ein bauaufsichtliches Einschreiten aus Sicherheitsgründen nicht geboten.
Unter Beachtung des Prüfungsmaßstabs des § 114 Satz 1 VwGO hat das Landratsamt damit die gesetzlichen Grenzen der Ermessensausübung gewahrt. Eine Behörde kann einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten nämlich auch ermessensfehlerfrei ablehnen, wenn die Verletzung nachbarschützender Rechte des Antragstellers nur mit einer Verletzung privater Rechte, aber nicht mit einer Beeinträchtigung öffentlicher Interessen verbunden ist und er sich in zumutbarer Weise mit Hilfe ordentlicher Gerichte gegen diese Beeinträchtigung zur Wehr setzen kann. Denn Aufgabe des verwaltungsbehördlichen Handelns ist vorrangig die Wahrung objektiver-öffentlicher Interessen, während bei einer Beeinträchtigung subjektiver Rechts vorrangig die Zivilgerichte in Anspruch zu nehmen sind (Dirnberger, in: Simon/Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 103 f.). Im vorliegenden Fall besitzt der Kläger die Möglichkeit, gegen die von ihm behauptete Eigentumsbeeinträchtigung zivilrechtlich vorzugehen (§§ 1004, 906, 823 Abs. 2 BGB). Diese Möglichkeit hat er bereits durch Klageerhebung beim Landgericht wahrgenommen.
II.
Der Kläger kann sein Begehren auch nicht auf Art. 54 Abs. 4 BayBO stützen, der es den Bauaufsichtsbehörden erlaubt, bei bestandsgeschützten Anlagen Anforderungen zu stellen, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist. Hinsichtlich des streitgegenständlichen Vorhabens fehlt es bereits an einer erheblichen Gefahr für Leben und Gesundheit, weil keine konkrete Einsturzgefahr vorliegt. Im Übrigen räumt Art. 54 Abs. 4 BayBO der Bauaufsichtsbehörde ebenso wie Art. 76 Satz 1 BayBO einen Ermessensspielraum ein (Dirnberger, in: Simon/Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 95 f.).
III.
Die Anträge des Klägers, zusammen mit der Beseitigungsanordnung ein Zwangsgeld anzudrohen und die sofortige Vollziehung dieses Bescheids anzuordnen, haben bereits deshalb keinen Erfolg, weil der Kläger keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten besitzt. Im Übrigen kennt die Verwaltungsgerichtsordnung kein subjektives Recht auf Androhung eines Zwangsgelds oder auf Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entsprach der Billigkeit, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil dieser einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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