Baurecht

Anspruch eines Nachbarn auf Vollstreckung einer Rückbauanordnung nur bei Verletzung nachbarschützender Vorschriften

Aktenzeichen  M 11 K 16.3548

Datum:
14.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZVG VwZVG Art. 37 Abs. 1
BayBO BayBO Art. 76 Satz 1
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 8 Nr. 2

 

Leitsatz

Ein Anspruch eines Nachbarn auf Vollstreckung einer bauaufsichtlichen Maßnahme kann bestehen, wenn die Bauaufsichtsbehörde ihr Ermessen bereits dahingehend ausgeübt hat, eine Beseitigungsanordnung aufgrund des Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften zu erlassen (hier verneint für die Rückbauanordnung bezüglich einer Hauseingangsüberdachung). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Soweit der Kläger die Vollstreckung der Rückbauanordnung vom 13. November 2013 begehrt, ist die zulässige Klage unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vollstreckung der Rückbauanordnung gegenüber der Beigeladenen vom 13. November 2013, da das gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 VwZVG eingeräumte Ermessen zur Zwangsmittelanwendung nicht zugunsten des Klägers auf Null reduziert ist.
Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass die streitgegenständliche Hauseingangsüberdachung in der Tat die Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO verletzt. Insbesondere ist sie nicht gemäß Art. 6 Abs. 8 BayBO bei der Bemessung der Abstandsflächen außer Betracht zu lassen. Türvorbauten sind dabei nach Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO zu beurteilen (vgl. Dhom/Franz/Rauscher, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 125. EL Mai 2017, Art. 6, Rn. 428), wobei die streitgegenständliche Anlage bereits deshalb nicht außer Betracht bleiben kann, da sie mehr als 5 m der Breite der Außenwand des Reihenmittelhauses der Beigeladenen in Anspruch nimmt. Zutreffend ist auch, dass die planungsrechtliche Befreiung von den Abstandsflächen aufgrund des Reihenhauscharakters (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO) für die streitgegenständliche Anlage nicht gilt, da sie sich erkennbar außerhalb der festgesetzten Baugrenzen befindet.
All dies führt jedoch im vorliegenden Fall nicht dazu, dass dem Kläger ein Anspruch auf Vollstreckung der Rückbauanordnung zusteht.
Ein derartiger Anspruch kann im Einzelfall bestehen, wenn die Bauaufsichtsbehörde ihr Ermessen bereits dahingehend ausgeübt hat, eine Beseitigungsanordnung aufgrund des Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften zu erlassen (vgl. VG Schwerin, U. v. 09.10.2014 – 2 A 1666/1 – juris Rn. 31 ff.; VG München, U. v. 09.07.2015 – M 11 K 14.4924 – juris Rn. 34 ff.).
Allerdings hat das Landratsamt im vorliegenden Fall den Erlass der Beseitigungsanordnung allein mit dem Verstoß gegen die Festsetzung A) Nr. 1 des Bebauungsplans „…berg“ begründet. Dass die Interessen des Klägers in die Ermessensentscheidung einbezogen worden sind, ändert nichts daran, dass die Voraussetzungen des Art. 76 Satz 1 BayBO auf Tatbestandsebene nicht mit einem Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht begründet wurde. Die Festsetzung zur maximal zulässigen Größe von Hauseingangsüberdachungen im Bebauungsplan ist auch entgegen der klägerischen Ansicht nicht drittschützend. Andere Festsetzungen im Bebauungsplan als solche zur Art der baulichen Nutzung werden grundsätzlich nur aus städtebaulichen Gründen getroffen und vermitteln daher grundsätzlich keinen Drittschutz. Etwas anderes gilt nur, wenn dem Bebauungsplan unzweifelhaft zu entnehmen ist, dass die Gemeinde hinsichtlich anderer Festsetzungen als der Art der baulichen Nutzung dem Einzelnen eine drittschützende Rechtsposition verleihen wollte. Derartiges ist dem Bebauungsplan hier nicht zu entnehmen. Eine ausdrückliche Festsetzung, dass die Festsetzung A) Nr. 1 nachbarschützend wirken soll ist nicht vorhanden. Auch ist weder dem Bebauungsplan noch den sonstigen Umständen zu entnehmen, dass diese Festsetzung gerade im Nachbarinteresse getroffen worden ist und daher eine einklagbare Rechtsposition vermittelt werden sollte.
Zudem steht dem Kläger bereits kein Anspruch auf Vollstreckung der Beseitigungsanordnung zu, da ihm auch auf der Primärebene kein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten zustehen würde. Zwar kann die oben zitierte Rechtsprechung wohl nicht so verstanden werden, dass ein Anspruch eines Nachbarn auf Vollstreckung einer bauaufsichtlichen Maßnahme nur in dem Fall besteht, dass eine Beseitigungsanordnung ausdrücklich auf eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften gestützt wird. Vielmehr muss ein derartiger Anspruch wohl unabhängig davon bestehen, womit die Behörde den Erlass einer bauaufsichtlichen Maßnahme im Einzelfall förmlich begründet hat, wenn dem Nachbarn jedenfalls bereits auf der Primärebene ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten zustehen würde, da sein Grundstück einer qualifizierten Störung ausgesetzt, er also in seiner Rechtsposition unzumutbar beeinträchtigt ist. Andernfalls wäre es der Bauaufsichtsbehörde möglich, sich in Fällen gravierender Nachbarrechtsverletzung einer Pflicht zur Vollstreckung zu entziehen, wenn sie den Erlass der jeweiligen Maßnahme förmlich nur allein mit einem Verstoß gegen objektives Recht begründet hat.
Abschließend braucht dies im vorliegenden Fall jedoch nicht entschieden zu werden, da der Kläger durch das streitgegenständliche Vordach jedenfalls nicht unzumutbar in seiner Rechtsposition beeinträchtigt ist, sodass ihm im Falle, dass eine Beseitigungsanordnung bisher nicht ergangen wäre, dementsprechend auch kein Anspruch auf Erlass einer Rückbauanordnung zum Schutze seiner Rechte zustünde. Trotz Verletzung der Abstandsflächenvorschriften wird das klägerische Grundstück durch die streitgegenständliche Anlage nur minimal tangiert. Wie der Beklagte zu Recht ausgeführt hat, ist die Anlage an der Seite durchsichtig, eine blickdichte Seitenwand liegt nicht vor. Auch ist die Anlage nördlich des klägerischen Grundstücks gelegen, sodass keine nennenswerte Verschattung hierdurch eintritt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der klägerische Vorgarten aufgrund seiner Lage unabhängig von der streitgegenständlichen Anlage zumindest bis in die frühen Nachmittagsstunden besonnt ist. Auch wird der – baurechtlich ohnehin nicht geschützte – Ausblick aus dem klägerischen Anwesen, insbesondere aus seinem Küchenfenster, hierdurch weder blockiert, versperrt noch in sonst unzumutbarer Art und Weise beeinträchtigt. Von letzterem hat sich die Kammer auch im Rahmen des Augenscheins überzeugen können. Daher stand dem Kläger zu keinem Zeitpunkt ein Anspruch gegen den Beklagten zu, im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null zu seinem Schutz einzuschreiten. Aus all dem folgt notwendigerweise, dass dem Kläger kein Anspruch auf Vollstreckung der Beseitigungsanordnung zustehen kann, da der Beklagte diese zu Recht ohne Vorliegen einer entsprechenden Ermessensreduzierung auf Null zugunsten des Klägers allein zur Durchsetzung des objektiven Rechts erlassen hat. Ohne Anspruch auf Erlass einer Grundverfügung kann aber denknotwendigerweise erst recht kein Anspruch auf Vollstreckung einer etwaigen Grundverfügung bestehen.
2. Soweit eine Verpflichtung des Beklagten zur Verbescheidung über den Antrag des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten in Betracht kommt, ist die Klage insoweit bereits unzulässig, da dem Kläger durch die seitens des Beklagten in der mündlichen Verhandlung abgegebene Zusicherung das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Zwar steht dem Kläger hier grundsätzlich aufgrund der Abstandsflächenrechtsverletzung grundsätzlich ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über seinen, in den Schreiben vom 27. November 2015 bzw. 19. Januar 2016 zumindest konkludent gestellten Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten zu. Dieser ist auch – wie aus den Behördenakten ersichtlich ist – noch nicht durch entsprechende Verbescheidung erfüllt worden. Durch die in der mündlichen Verhandlung abgegebene Zusicherung des Beklagten, über den klägerischen Antrag bis 14. November 2017 zu entscheiden, ist jedoch insoweit das Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Die gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG notwendige Schriftform ist durch das Protokoll der mündlichen Verhandlung gewahrt (vgl. Schenke, in: Kopp/Schenk, Verwaltungsgerichtsordnung, 21. Auflage 2015, § 81, Rn. 11). Gründe, warum der Kläger mit einer Verbescheidung seines Antrags innerhalb der genannten Frist nicht rechnen kann, sind nicht ersichtlich. Auch besteht kein Anspruch dahingehend, früher als bis spätestens zum genannten Termin verbeschieden zu werden.
Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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