Baurecht

Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Wassergebühren, Offenkundige Nichtigkeit der BGS-WAS, Fehlende Deckungsgleichheit zwischen Widmungsbereich der öffentlichen Einrichtung und Erhebungsbereich öffentlicher Abgaben

Aktenzeichen  M 10 S 21.5527

Datum:
18.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 763
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 13. August 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juli 2021 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.906,40 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Heranziehung zu Wassergebühren durch die Antragsgegnerin.
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks Alte … Straße … im Stadtgebiet der Antragsgegnerin ( …).
Die Antragsgegnerin betreibt nach § 1 Abs. 1 ihrer Satzung für die öffentliche Wasserversorgungseinrichtung (Wasserabgabesatzung – WAS) vom 16. Oktober 1997 in der Fassung der Änderung vom 20. Dezember 2017 eine öffentliche Einrichtung zur Wasserversorgung „für das Gebiet der Ortsteile
– … mit Ausnahme der Grundstücke Fl.Nrn. … der Gemarkung …
– …
– …
– und den Grundstücken Fl.Nrn. … und … der Gemarkung …“.
Sie erhebt auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (Beitrags- und Gebührensatzung – BGS-WAS) vom 16. Dezember 2014 in der Fassung der Änderung vom 24. Januar 2017 zur Deckung ihres Aufwands für die Herstellung der Wasserversorgungseinrichtung für das Gebiet der Ortsteile …, … und … einen Beitrag (vgl. § 1 BGS-WAS „Beitragserhebung“). Gemäß § 9 BGS-WAS („Gebührenerhebung“) erhebt sie für die Benutzung der Wasserversorgungseinrichtung Grund- und Verbrauchsgebühren.
Nachdem die Antragsgegnerin am 14. September 2018 im Anwesen der Antragsteller einen Wasserrohrbruch festgestellt hatte, schätzte sie für den zurückliegenden Zeitraum von 5 Monaten den Wasserverbrauch auf 24.000 m³. Sie übersandte den Antragstellern mit Anschreiben vom 5. Oktober 2018 (Bl. 21 Behördenakte) einen diesbezüglichen Gebührenbescheid, der sich nicht in der Akte befindet. Auch ein Nachweis über den Zugang dieses Bescheids ist nicht in der Akte.
Nach mehreren Gesprächen zwischen den Parteien wurden die Antragsteller mit (weiterem) Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juli 2021, dem Antragsteller am gleichen Tag persönlich übergeben, für das Grundstück Alte … Straße 18 zu Wasser(verbrauchs) gebühren für das Jahr 2018 in Höhe von 23.625,60 EUR herangezogen.
Mit Schreiben vom 13. August 2021, eingegangen bei der Antragsgegnerin am gleichen Tag, erhoben die Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid und beantragten die Aussetzung von dessen Vollziehung. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, im Zuge der Planungen des Abbruchs des Gebäudes auf dem betroffenen Grundstück Alte … Straße 18 sei der Wassermeister der Antragsgegnerin im September 2017 von den Antragstellern beauftragt worden, den Wasseranschluss stillzulegen. Im Vertrauen auf die Einstellung der Wasserlieferung hätten sich die Antragsteller nicht mehr um die tatsächliche Versorgung im Gebäude gekümmert. Aufgrund niedriger Temperaturen im Winter 2017/2018 sei wohl die Zählereinrichtung im Gebäude aufgefroren und daraufhin Wasser ausgetreten. Der Schaden hätte vermieden werden können, wenn der Wassermeister den Auftrag ordnungsgemäß ausgeführt hätte. Zudem werde die Schätzung bestritten.
Mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2021 lehnte die Antragsgegnerin gegenüber den Antragstellern den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Nach Nichtabhilfe wurde der Widerspruch mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2021 dem Landratsamt … zur Entscheidung vorgelegt.
Die Antragsteller haben mit Schreiben vom 15. Oktober 2021, eingegangen am 20. Oktober 2021 bei dem Verwaltungsgericht München, gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 6. Oktober 2021 „Feststellungsklage“ erhoben, ohne einen konkreten Antrag zu stellen. Zur Begründung wird im Wesentlichen die Widerspruchsbegründung wiederholt. Es bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheids. Deswegen solle die „Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung per Gerichtsentscheid festgestellt werden“.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 5. November 2021:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der angefochtene Gebührenbescheid begegne bei summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken. Der der Gebührenerhebung zugrundeliegende Wasserverbrauch beruhe auf einer Schätzung der Antragsgegnerin gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BGS-WAS, die zulässig sei, da der Wasserzähler aufgefroren und damit funktionslos geworden sei. Die Schätzung sei sachgemäß erfolgt, was im Detail begründet wird. Das Vorbringen der Antragsteller, die Antragsgegnerin habe es versäumt, den Wasseranschluss stillzulegen, sei für die Festsetzung der Wassergebühren irrelevant. Im Übrigen sei es nicht zutreffend, dass die Antragsteller den Wasserwart insoweit beauftragt hätten. Es habe zwar ein Gespräch über die Stilllegung des Wasseranschlusses für das Anwesen Alte … Straße 16, nicht aber für das hier maßgebliche Anwesen Alte … Straße 18 stattgefunden. Insoweit wird ein Aktenvermerk des Wasserwarts vom 24. November 2021 vorgelegt.
Auf telefonische Nachfrage der Berichterstatterin am 7. Januar 2022 teilte der Stadtkämmerer der Antragsgegnerin mit, dass der zweite Gebührenbescheid vom 15. Juli 2021 erlassen worden sei, weil die Antragsteller den Zugang des Gebührenbescheids von 2018 bestritten hätten und die Antragsgegnerin nicht über einen Nachweis des Zugangs verfügt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
1. Die erhobene Feststellungsklage ist unter Berücksichtigung des Rechtsschutzbegehrens der Antragsteller nach §§ 122 Abs. 1, 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu verstehen als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juli 2021 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO. Denn die Antragsteller haben gegen den Bescheid vom 15. Juli 2021 Widerspruch eingelegt und die Aussetzung von dessen Vollziehung beantragt. Nachdem der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung von der Antragsgegnerin abgelehnt worden ist, begehren die Antragsteller ausweislich ihrer Antragsbegründung nunmehr wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheids eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung. Zur Erreichung dieses Rechtsschutzziels ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO statthaft.
2. Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung anordnen. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben soll die Anordnung nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Abgabenbescheids bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen vorliegend ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids vom 15. Juli 2021. Der Bescheid ist voraussichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragsteller daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).
Es fehlt dem streitgegenständlichen Bescheid bei summarischer Prüfung bereits offenkundig an einer wirksamen Rechtsgrundlage, weil die Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung vom 16. Dezember 2014 in der Fassung der Änderung vom 24. Januar 2017 mangels Deckungsgleichheit ihres räumlichen Geltungsbereichs mit demjenigen der Wasserabgabesatzung vom 16. Oktober 1997 in der Fassung der Änderung vom 20. Dezember 2017 nichtig ist.
Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in einem Eilverfahren, in dem nur eine überschlägige Überprüfung der Sach- und Rechtslage stattfinden kann, grundsätzlich von der Gültigkeit einer Norm auszugehen, wenn nicht ausnahmsweise Gründe, die die Annahme der Nichtigkeit rechtfertigen, offen zu Tage treten (BayVGH, B.v. 30.3.2015 – 20 CS 15.88 – juris m.w.N.).
Aber im vorliegenden Fall treten die Gründe, die die Annahme der Nichtigkeit der einschlägigen Beitrags- und Gebührensatzung rechtfertigen, offen zu Tage:
a) Es besteht keine räumliche Deckungsgleichheit zwischen dem Gebiet der gewidmeten öffentlichen Einrichtung gemäß § 1 Abs. 1 WAS und dem Gebiet nach § 1 BGS-WAS, für welches Abgaben für die öffentliche Einrichtung erhoben werden, da die Wasserabgabesatzung Grundstücke erfasst (Fl.Nrn. … und … Gemarkung …*), für die die Beitrags- und Gebührensatzung nicht gilt, und sie umgekehrt auch Grundstücke nicht umfasst (Fl.Nrn. … … … … … … … … … … … … … … … … … Gemarkung …*), für welche die Beitrags- und Gebührensatzung jedoch Anwendung findet.
Diese fehlende Deckungsgleichheit zwischen den Bereichen „Widmung der Einrichtung“ und „Erhebung öffentlicher Abgaben“ führt zur Nichtigkeit der Beitrags- und Gebührensatzung, da zum einen bestimmte Grundstücke (hier Fl.Nrn. … und … Gemarkung …*), denen durch die Nutzungsmöglichkeit der Wasserversorgungseinrichtung ein Vorteil erwächst, nicht (rechtmäßig) zu Abgaben herangezogen werden können. Zum anderen können eine Reihe von Grundstücken (Fl.Nrn. … … … … … … … … … … … … … … … … … Gemarkung …*) (rechtswidrig) zur Abgabenerhebung herangezogen werden, obwohl sie mangels einer auf sie bezogenen Widmung der Wasserversorgungseinrichtung keinen Vorteil aus der Nutzungsmöglichkeit der Wasserversorgung haben. Darin liegt eine Ungleichbehandlung (vgl.: BayVGH, B.v. 11.5.2005 – 23 ZB 04.3348 – BeckRS 2005, 39605 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2020 – 20 ZB 19.2324 – juris; vorgehend hierzu: VG München, U.v. 26.9.2019 – M 10 K 18.2924 – juris; s. auch: VG München, U. jew. v. 11.11.2010 – M 10 K 10.25 – BeckRS 2010, 36402, M 10 K 09.2822 – BeckRS 2010, 36404, M 10 K 09.2823 – BeckRS 2010, 36401; VG München, U.v. 6.4.2017 – M 10 K 16.2378 – BeckRS 2017, 121415 Rn. 29).
b) Dieser Bewertung der Gesamtnichtigkeit der Beitrags- und Gebührensatzung steht nicht entgegen, dass § 1 BGS-WAS, der den räumlichen Geltungsbereich der Beitrags- und Gebührensatzung regelt, mit „Beitragserhebung“ überschrieben ist. Hieraus kann nicht abgeleitet werden, dass der in § 1 BGS-WAS definierte räumliche Geltungsbereich nur für die Erhebung von Beiträgen, nicht aber von Gebühren Anwendung findet, mit der Folge der bloßen Teilnichtigkeit des Beitragsteils der Beitrags- und Gebührensatzung, die für den konkreten Fall der Gebührenerhebung irrelevant wäre. Denn die Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs in § 1 BGS-WAS gilt nicht nur für die Beitragserhebung, sondern auch für die Gebührenerhebung (§§ 9 ff. BGS-WAS) und die Erstattung der Kosten für Grundstücksanschlüsse (§ 8 BGS-WAS). Dies ergibt sich zum einen daraus, dass in §§ 8, 9 BGS-WAS eigene Bestimmungen des räumlichen Geltungsbereichs gerade fehlen, was einen Rückgriff auf § 1 BGS-WAS zulässt. Zum anderen ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die räumliche Deckungsgleichheit der beitrags-, gebühren- und anschlusskostenerstattungspflichtigen Grundstücke beabsichtigt hat (s. zu einem vergleichbaren Fall: VG München, U.v. 11.11.2010 – M 10 K 10.25, a.a.O.).
c) Die fehlende räumliche Deckungsgleichheit ist auch ein Nichtigkeitsgrund, der im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs offen zu Tage tritt und daher die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs rechtfertigt (vgl. hierzu ohne weitere Begründung: BayVGH, B.v. 14.2.1989 – 23 CS 88.2406 – BeckRS 1989, 08522). Es sticht vorliegend bereits bei erster Durchsicht der Satzungen ins Auge, dass § 1 Abs. 1 WAS eine kleinteilige Regelung zur räumlichen Anwendbarkeit der Satzung enthält, da die Vorschrift Ortsteile mit Aufzählungszeichen auflistet, wobei zudem einige Grundstücke nach Flurnummern benannt sind. Die Regelung in § 1 BGS-WAS ist dagegen im Hinblick auf den räumlichen Anwendungsbereich offensichtlich ganz anders formuliert. Sie ist kurz gehalten und bezeichnet (im Fließtext) nur die drei Ortsteile …, … und …
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 1.5 und 3.1 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 2013 (1/4 von 23.625,60 EUR).


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