Baurecht

Antragsfrist bei Normenkontrolle gegen funktionslos gewordene Bebauungspläne

Aktenzeichen  4 BN 9/21

Datum:
9.9.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:090921B4BN9.21.0
Normen:
Art 14 Abs 1 GG
Art 19 Abs 4 GG
§ 47 Abs 2 S 1 VwGO
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 10. Dezember 2020, Az: OVG 2 A 1.18, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 und vom 14. Oktober 2019 – 4 B 27.19 – ZfBR 2020, 173 Rn. 4).
2
Die Beschwerde möchte grundsätzlich geklärt wissen, ob die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch bei Bebauungsplänen gilt, die nach ihrer Bekanntmachung wegen Funktionslosigkeit unwirksam geworden sind. Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits beantwortet ist.
3
Der Senat hat mit Urteil vom 6. April 2016 – 4 CN 3.15 – (Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 20) entschieden, dass die Regelung in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach der Normenkontrollantrag nur innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift gestellt werden kann, auch dann anzuwenden ist, wenn der Antragsteller geltend macht, ein Bebauungsplan sei nach seiner Bekanntmachung wegen Funktionslosigkeit unwirksam geworden. Dies folgt aus dem Wortlaut der Norm, der die Frist nicht davon abhängig macht, welche Gründe für die Unwirksamkeit der Rechtsnorm geltend gemacht werden. Auch den Gesetzesmaterialien können keine Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung des Fristerfordernisses entnommen werden. Im Gegenteil ist die Einführung der Antragsfrist als Beleg für die Vorstellung des Gesetzgebers anzusehen, dass die prinzipale Normenkontrolle nur in engem Zusammenhang mit dem Erlass der Rechtsvorschrift zulässig sein soll. Sinn und Zweck des Normenkontrollverfahrens rechtfertigen es ebenfalls nicht, das Fristerfordernis auf solche Anträge unangewendet zu lassen, mit denen die nachträglich eingetretene Funktionslosigkeit einer Festsetzung geltend gemacht wird. Schließlich müsste bei Nichtanwendung der gesetzlich vorgesehenen Frist der Prüfungsmaßstab modifiziert werden, weil nur die gerügte Funktionslosigkeit Gegenstand des Normenkontrollverfahrens sein könnte. Ein solcher Eingriff in das System der Normenkontrolle setzt jedoch einen eindeutigen gesetzgeberischen Willen voraus, der nicht zu erkennen ist (BVerwG, Urteil vom 6. April 2016 a.a.O. Rn. 6, vgl. zur Modifikation des Prüfungsmaßstabes auch BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020 – 4 CN 9.19 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 222 Rn. 14; ebenso Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 68 ff.; Kerkmann/Huber, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018 § 47 Rn. 109; a.A. W.-R. Schenke/R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 47 Rn. 85; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 290; Panzer, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2021, § 47 Rn. 111).
4
Gründe, die eine erneute Befassung des Bundesverwaltungsgerichts mit der aufgeworfenen Frage erforderlich machen könnten (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 27. August 1997 – 1 B 145.97 – Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 67 S. 5), legt die Beschwerde nicht dar. Die in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorgesehene Frist ist insbesondere mit der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie vereinbar. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet nicht einen bestimmten Rechtsweg (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 1971 – 2 BvR 443.70 – BVerfGE 31, 364 ). Im Rahmen bestehender Klagemöglichkeiten müssen Gerichte die Wirksamkeit der Festsetzungen eines Bebauungsplans, auf die es entscheidungserheblich ankommt, ohnehin prüfen. Das gilt auch, wenn die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO abgelaufen ist (BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – 4 BN 29.06 – ZfBR 2007, 149 m.w.N.). Sollten vermeintlich funktionslos gewordene Festsetzungen des Bebauungsplans einer baulichen Nutzung des Grundstücks entgegenstehen oder Grundlage einer Enteignung sein, kann der Eigentümer deren Wirksamkeit daher in dem jeweiligen Verfahren inzident zur Überprüfung stellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. April 2016 – 4 CN 3.15 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 209 Rn. 6 und Beschlüsse vom 22. Juli 2013 – 7 BN 1.13 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 187 Rn. 13 sowie vom 29. Juni 2015 – 4 BN 31.14 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 201 Rn. 7; BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. September 2011 – 1 BvR 2232/10 – BVerfGK 19, 50).
5
Die Beschwerde ist der Auffassung, die Normenkontrolle müsse jedenfalls zur Überprüfung funktionsloser Festsetzungen eröffnet sein, die zu erheblichen Wertminderungen führen. Nur so sei das verfassungsrechtlich garantierte Eigentum effektiv geschützt. Dieser Vortrag führt nicht zur Zulassung der Revision. Minderungen des Verkehrswertes eines Grundstücks sind mittelbare Wirkungen des Bebauungsplans, die für sich genommen noch keine Rechtsbeeinträchtigungen darstellen (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 1971 – 2 BvR 443.70 – BVerfGE 31, 364 ). Art. 14 Abs. 1 GG verbürgt keinen bestimmten Wert eigentumsrechtlich geschützter Rechtspositionen. Hoheitlich bewirkte Minderungen des Marktwertes eines Vermögensgutes berühren daher in der Regel nicht den Schutzbereich des Eigentumsrechts (BVerwG, Urteil vom 16. März 2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 404; BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Januar 2007 – 1 BvR 382/05 – BVerfGK 10, 208 m.w.N.). Sofern die Beschwerde geltend macht, Art. 14 Abs. 1 GG werde jedenfalls dann verletzt, wenn die Befugnis zur nutzbringenden Verwertung des Eigentumsobjekts praktisch nur noch als leere Rechtshülle verbleibe (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2. März 1999 – 1 BvL 7/91 – BVerfGE 100, 226 und vom 16. Februar 2000 – 1 BvR 242/91 u.a. – BVerfGE 102, 1 ), rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision. Denn die Annahme des Beschwerdeführers, das Grundstück sei aufgrund der Festsetzung eines Uferwegs durch den Bebauungsplan faktisch unveräußerlich geworden, ist nicht substantiiert dargelegt, sie liegt vielmehr ganz fern. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, abstrakte Rechtsfragen unabhängig von den tatsächlichen Umständen des zu entscheidenden Rechtsstreits aufzuarbeiten (BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 2018 – 4 BN 28.17 – juris Rn. 13; siehe auch BSG, Urteil vom 10. November 2011 – B 8 SO 21/10 R – BSGE 109, 281 Rn. 13). Der Fall bietet daher auch keinen Anlass, zu entscheiden, ob bei funktionslos gewordenen Bebauungsplänen in bestimmten Konstellationen eine Feststellungsklage zulässig sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 – 11 C 13.99 – BVerwGE 111, 276 ). Nach Ablauf der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erweist sich jedenfalls der Normenkontrollantrag als unzulässig.
6
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.


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