Baurecht

Auslegung von Vergabeunterlagen: Keine Ermessen hinsichtlich Angebotsausschlusses; Berücksichtigung eines Verstoßes gegen das Anzapfverbot im Vergabeverfahren

Aktenzeichen  Verg 19/19

Datum:
20.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
VergabeR – 2020, 824
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 19 Abs. 2 Nr. 5, § 20
EU VOB/A 2016 § 13 Abs. 1 Nr. 5, § 16 Nr. 2
BGB § 133, § 157

 

Leitsatz

1. Eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen liegt vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht. Ob eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 131, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen.  Maßgeblich ist dabei, wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung und Vergabeunterlagen versteht. (Rn. 101) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weist der Auftraggeber in seinen Vergabeunterlagen darauf hin, dass er Angebote, die eine unzulässige Erhöhung des Preises beinhalten, ausschließen “kann”, so ist dies nicht dahingehend zu verstehen, dass der Auftraggeber sich damit eine Ermessensentscheidung vorbehält. Vielmehr wird damit lediglich auf die Kompetenz der Vergabestelle zum Angebotsausschluss hingewiesen.  (Rn. 122) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Prüfung kartellrechtlicher Vorschriften in einem Vergabeverfahren setzt voraus, dass ein Kartellrechtsverstoß innerhalb einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm geltend gemacht wird und insoweit die Kartellrechtsverletzung den Verstoß gegen eine vergaberechtliche Bestimmung begründet. Eine originäre Prüfung kartellrechtlicher Vorschriften ist den Nachprüfungsinstanzen grundsätzlich von vornherein versagt. Kartellrechtliche Missbrauchsvorwürfe nach § 19 bzw. § 20 GWB können allerdings im Rahmen einer vergaberechtlichen Inzidentprüfung dann berücksichtigt werden, wenn ein Kartellrechtsverstoß feststeht oder ohne weitere zeitaufwendige Prüfung zweifelsfrei festgestellt werden kann. (Rn. 112 und 118) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RMF-SG21-3194-4-24 2019-06-03 Bes VKNORDBAYERN Vergabekammer Ansbach

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Nordbayern vom 03.06.2019, Az.: RMF-SG21-3194-4-24, wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen.

Gründe

A.
Mit EU-Bekanntmachung vom 14.10.2016 veröffentlichte die Vergabestelle das Vergabeverfahren „Verfügbarkeitsmodell A3 AK Biebelried – AK Fürth – Erlangen“. Es handelt sich um ein ÖPP-Projekt im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb für den Bau, die Erhaltung und den Betrieb der BAB A3. Die Autobahn soll auf rund 71 km Länge 6-streifig ausgebaut werden. Zudem soll der zukünftige Auftragnehmer für Erhaltung und Betrieb dieser Projektstrecke für 30 Jahre verantwortlich sein. Der Auftragswert liegt über 2 Milliarden Euro. Zudem wurde im Jahr 2018 noch ein ca. 5 km langer Abschnitt bei Geiselwind, der nur teilweise ausgebaut war, in das Vergabeverfahren mit aufgenommen.
Drei Bewerber wurden von der Vergabestelle zum Verhandlungsverfahren eingeladen. Nach dem Erstangebot wurde mit der Antragstellerin und den Beigeladenen (im Folgenden „Beigeladene“) als den beiden bestplatzierten Bietern als „bevorzugte Bieter“ in zwei Verhandlungsrunden über ihr Erstangebot verhandelt. Der verbleibende Bieter steht als Reservebieter für den Fall zur Verfügung, falls die Verhandlungen mit einem oder beiden bevorzugten Bieter scheitern oder ein Vertragsschluss mit keinem der bevorzugten Bieter zustande kommt.
Die Frist zur elektronischen Angebotsabgabe für das endgültige Angebot wurde auf den 11.01.2019, 11:00 Uhr, festgesetzt.
In Kapitel 5 Ziffer 2.17 (e) VG Bewerbungsbedingungen, die für die Abgabe des Erstangebotes galten, bestimmte der Antragsgegner:
Bindung an das Erstangebot Grundsätzlich wird eine Erhöhung der anzubietenden Vergütung im endgültigen Angebot gegenüber dem Erstangebot nicht zulässig sein mit Ausnahme der nachfolgend dargestellten Anpassungen aufgrund der Entwicklung der Referenzzinssätze. Weitere Ausnahmefälle für die Zulässigkeit einer Erhöhung der anzubietenden Vergütung im Rahmen der Aufforderung zur Abgabe eines endgültigen Angebots können von der Vergabestelle zugelassen werden, sofern dies aufgrund von nachträglich eingetretenen Umständen erforderlich ist. Zum Nachweis, dass keine unzulässige Erhöhung der im endgültigen Angebot anzubietenden Vergütung vorliegt, wird der Bieter im endgültigen Angebot eine rechenfähige Vergleichsversion seines Finanzmodells aus dem Erstangebot einzureichen haben. In der Vergleichsversion sind die Anpassungen an die Entwicklung der Referenzzinssätze sowie etwaige von der Vergabestelle mit der Aufforderung zum endgültigen Angebot zugelassene Erhöhungstatbestände zu berücksichtigen. Die nominale Gesamtsumme der Vergütung über die gesamte Laufzeit gemäß Zelle C 39 der in Ziff. 2.3 dieser Bewerbungsbedingungen geforderten Datei „Berechnungsmodell Barwert’ darf im endgültigen Angebot nicht höher sein als in der Vergleichsversion.
In § 3.2 heißt es:
Der Auftragnehmer übernimmt alle sich aus dem Bau, der Erhaltung und dem Betrieb des Vertragsgegenstands (einschließlich der erforderlichen Planungsleistungen) ergebenden Risiken, soweit in den nachfolgenden Vorschriften nicht ausdrücklich eine andere Risikoverteilung vorgesehen ist.
In Kapitel 10.1. Ziffer 5.3.3 (CEF-Maßnahmen) VGU bestimmte die Vergabestelle:
Die aus Artenschutzgründen vorgezogenen naturschutzfachlichen Maßnahmen gem. der Planfeststellungsbeschlüsse sowie den Plangenehmigungen außerhalb der Baumaßnahme werden von der Vergabestelle im Rahmen der Vorwegmaßnahmen in 2018/2019 durchgeführt (vgl. auch Kap. 10.2)… Die Leistungsbereiche Betrieb und Erhaltung in Bezug auf die durch den AG vorgezogen erstellten CEF-Maßnahmen obliegen ebenfalls nicht dem Auftragnehmer,
…Sofern im Umfeld der Baumaßnahme streng geschützte Arten nachgewiesen sind (siehe Landschaftspflegerische Bestands- und Konfliktpläne der Planfeststellungen Erg. U. Kap. 13.1), ist eine Wiederbesiedlung oder zwischenzeitige Einwanderung von streng geschützten Arten auf im Baufeld liegenden geeigneten Habitatflächen oder -strukturen nicht auszuschließen. Dies ist im Rahmen der Umweltbaubegleitung rechtzeitig zu eruieren. Werden hierbei neue Vorkommen festgestellt, sind die ggf. erforderlichen zusätzlichen Maßnahmen in Abstimmung mit den zuständigen Naturschutzbehörden und dem AG umgehend festzulegen.
Zu dieser Passage wurde eine Bieterfrage von dem Antragsgegner im Rahmen der ersten Fragerunde zum ersten Angebot unter dem 23.10.2017 dahingehend beantwortet, dass Artenschutzmaßnahmen im Hinblick auf Baukosten und Bauzeit bei der Angebotserstellung zu berücksichtigen sind.
In der Verhandlungsrunde vom 13.08.2018 über das erste Angebot erläuterte die Antragstellerin zu Kapitel 10.1 Ziffer 5.3.3 VGU ihre Bedenken hinsichtlich der Zuwanderung geschützter Arten. Auch in der Verhandlungsrunde am 06.09.2018 betonte die Antragstellerin, dass Kapitel 10.1 Ziffer 5.3.3 VGU eine vernünftige Kalkulation bezüglich der Risiken der Einwanderung streng geschützter Arten nicht zulasse. Die Vergabestelle betonte, dass die artenschutzrechtliche Beurteilung im Rahmen der Planfeststellung erfolgt sei.
Mit Publikation 12 VGU (Stand 02.10.2018) wurde die Bindung an das Erstangebot in Kapitel 5 Ziffer 2.16 (d) (=vorher Kapitel 5 Ziffer 2.17(e)) neu gefasst:
Die im endgültigen Angebot angebotene Vergütung (maßgeblich ist die nominale Gesamtsumme der Vergütung über die gesamte Laufzeit) darf sich im Vergleich zum Erstangebot nicht unzulässig erhöhen.
Zum Nachweis, dass keine unzulässige Erhöhung der im endgültigen Angebot angebotenen Vergütung vorliegt, hat der Bieter eine rechenfähige Vergleichsversion des Finanzmodells aus dem Erstangebot vorzulegen.
In dem Finanzmodell Vergleichsversion ist eine Aktualisierung der im Erstangebot verwendeten Referenzzinssätze nach den Maßgaben der Ziffer 2.16(0) dieser Bewerbungsbedingungen vorzunehmen.
Die daraus resultierende Anpassung der Vergütung im Finanzmodell Vergleichsversion ist nach den gleichen Maßgaben vorzunehmen, die für die Anpassung der Vergütung an die Entwicklung der Referenzzinssätze anhand des Finanzmodells endgültiges Angebot bei Financial Close gelten (Ziffer 2.16(g) dieser Bewerbungsbedingungen).
Darüber hinaus wird im endgültigen Angebot aufgrund nachträglich eingetretener Umstände, die zu einer Anpassung des Leistungsumfangs führen, eine Erhöhung der nominalen Vergütung um maximal 35 Millionen Euro zugelassen:

Die separate Berechnung des Erhöhungsbetrages ist vom Bieter gesondert in einer Anlage zu erläutern und zu begründen. Dabei ist nach Kostenveränderungen in den Bereichen Bau, Betrieb und Erhaltung zu unterscheiden. Zudem ist unter Bezugnahme auf die im Rahmen des Verhandlungsbedarfs im Erstangebot angegebenen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Vergütung betraglich darzulegen und zu erläutern, in welchem Umfang in den Verhandlungen erzielte und in den VGU umgesetzte Optimierungen zu Kosteneinsparungen und zur Verringerung der Gesamtvergütungssumme im endgültigen Angebot gegenüber der Vergleichsversion geführt haben.
Sofern sich im endgültigen Angebot eine unzulässige Erhöhung der Vergütung ergibt oder der Erhöhungsbetrag nicht nachvollziehbar oder nicht stichhaltig begründet wurde, kann dies zum Ausschluss des endgültigen Angebots führen.
Zusätzlich wurde mit Publikation 12 in Kapitel 8 VGU (=Projektvertrag) folgender § 30a neu eingefügt:
§ 30a Auftreten streng geschützter Arten oder europäischer Vogelarten a.1 Wird im Zuge der Bauvorbereitung oder Bauausführung in einem Bauabschnitt eine streng geschützte Art oder europäische Vogelart (Im Sinne des nationalen und europäischen Artenschutzrechts) angetroffen, mit deren Auftreten der Auftragnehmer nach den Angaben in den VGU zu den bekannten oder möglicherweise vorkommenden Arten in diesem betroffenen Bereich innerhalb des Bauabschnittes nicht rechnen musste, so hat der Auftragnehmer unter den nachfolgenden Voraussetzungen einen Anspruch auf Anpassung des Terminplans Bau und auf Erstattung unvorhersehbarer Mehrkosten.
30a.2 Steht fest, dass bezogen auf diesen betroffenen Bereich innerhalb des Bauabschnittes der Auftragnehmer alle in den VGU aufgeführten Vermeidungs- und 30a.2.1 Schutzmaßnahmen eingehalten bzw. umgesetzt hat, und die Umweltbaubegleitung alle ihr nach den VGU bestehenden Verpflichtungen 30a.2.2 ordnungsgemäß erfüllt hat, und führen die in einem solchen Fall zu ergreifenden notwendigen artenschutzrechtlichen Maßnahmen trotz unverzüglicher Durchführung zu einer unvermeidbaren Terminverschiebung, hat der Auftragnehmer einen Anspruch auf eine Anpassung des Terminplans Bau.

30a.3 Hat der Auftragnehmer nach § 30a.2 einen Anspruch auf eine Anpassung des Terminplans Bau, so hat er im Hinblick auf die notwendigen und angemessenen Mehrkosten, die ihm durch die zu ergreifenden artenschutzrechtlichen Maßnahmen entstehen, einen Anspruch auf Erstattung als unvorhersehbare Mehrkosten, soweit diese einen Selbstbehalt von EUR 1.000.000,00 (in Worten: eine Million Euro) übersteigen. Ein Anspruch auf Erstattung von Bauverzögerungskosten einschließlich Finanzierungsmehrkosten besteht nur, wenn und soweit ein Fall nach § 30a.1 in den ersten 24 Monaten nach Beginn des Vertragszeitraums eintritt, der 30a.3.1 Auftragnehmer nach § 30a.2 einen Anspruch auf eine Anpassung des Terminplans Bau hat, die Anpassung des Terminplans Bau zu einer Anpassung des darin enthaltenen Fertigstellungstermins für den Bau nach § 29.2.1 um mindestens 42 Kalendertage führt und die Bauverzögerungskosten einschließlich Finanzierungsmehrkosten einen Selbstbehalt von EUR 6.300.000,00 (in Worten: sechs Millionen dreihunderttausend Euro) übersteigen, oder in dem Zeitraum vom Beginn des 25. Monats nach Beginn des Vertragszeitraums 30a.3.2 bis zum Zeitpunkt der endgültigen Übergabe eintritt, wird der Auftragnehmer nach § 30a.2 einen Anspruch auf eine Anpassung des Terminplans Bau hat die Anpassung des Terminplans Bau zu einer Anpassung des darin enthaltenen Fertigstellungstermins für den Bau nach § 29.2.1 um mindestens 56 Kalendertage führt und die Bauverzögerungskosten einschließlich Finanzierungsmehrkosten einen Selbstbehalt von EUR 8.400.000,00 (in Worten: acht Millionen vierhunderttausend Euro) übersteigen. Die Erstattung von Beschleunigungskosten ist ausgeschlossen, es sei denn, der Auftraggeber ordnet eine Beschleunigung an. Die Abwicklung der unvorhersehbaren Mehrkosten erfolgt nach Maßgabe des § 50.

Am 18. Oktober 2018 rügte die Antragstellerin die Regelung des neu eingefügten § 30a von Kapitel 8 der VGU. Von den erst durch diese Regelung in „voller Härte“ aufgedeckten Risiken habe die Antragstellerin bei Abgabe des Erstangebotes nicht ausgehen müssen. Das nun übertragene Risiko sei weiterhin nicht kalkulierbar.
Am 18.10.2018 rügte die Antragstellerin zudem die unter 2.16 (d) aufgenommene Obergrenze von 35 Mio. Euro. Sie greife in unzulässiger Weise in ihre Kalkulationsfreiheit ein, verstoße gegen die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung und weiche von bekannten Regelungsansätzen ab.
Mit Schreiben vom 29.10.2018 half die Vergabestelle der Rüge teilweise ab und änderte § 30a 1 und § 30a 4 des Projektvertrages und wies im Übrigen die Rüge zurück.
Auch bezüglich der Rüge zu Kapitel 5 Ziffer 2.16 (d) half die Vergabestelle dieser Rüge nur teilweise ab und erhöhte die Obergrenze der nominalen Vergütung pauschal um 10 Millionen Euro auf 45 Millionen Euro und ließ zudem höhere Abschlagszahlungen zu.
Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben fristgerecht ein endgültiges Angebot ab.
Die Antragstellerin überschritt in ihrem Angebot die Obergrenze für zusätzliche Leistungen, die gem. Kap 5 Ziffer 2.16 (d) VGU auf 45 Mio. Euro begrenzt waren, um ein Mehrfaches.
Der Antragsgegner schloss zunächst mit Entscheidung vom 14.02.2019 das endgültige Angebot der Beigeladenen im Vergabeverfahren wegen Abänderung der Vergabeunterlagen aus.
Die Beigeladene erhob daraufhin mit Schriftsatz vom 07.03.2019 einen Nachprüfungsantrag. Die Antragstellerin wurde zu diesem Verfahren beigeladen und erhielt dort unter anderem Akteneinsicht in Anlage 4 und 11 zum Vergabevermerk (endgültige Angebote – Teil B). Nach erfolgter Akteneinsicht erweiterte sie mit Schriftsatz vom 09.05.2019 ihre Rüge im Hinblick auf die fehlerhafte Festsetzung der Obergrenze für die Erhöhung der nominalen Vergütung um den Vorwurf, dass der Antragsgegner die Obergrenze von 45 Mio € fehlerhaft kalkuliert habe.
Nach erfolgter Anhörung schloss die Antragsgegner mit Schreiben vom 02.05.2019 die Antragstellerin wegen der Überschreitung der Preisobergrenze gem. Kap.5 Ziffer 2.16 (d) der Vergabeunterlagen aus.
„ Mit Schreiben vom 03.05.2019 rügte die Antragstellerin den Ausschluss.
„ Mit Schreiben vom 08.05.2019 wies die Vergabestelle die Rüge der Antragstellerin vom 03.05.2019 vollumfänglich zurück.
Die Antragstellerin stellte am 14.05.2019 einen Nachprüfungsantrag.
Mit Schreiben vom 17.05.2019 teilte die Vergabestelle den beiden bevorzugten Bietern mit, dass das streitgegenständliche Vergabeverfahren in den Stand vor Aufforderung zur Abgabe des endgültigen Angebotes zurückversetzt wird.
Die Antragstellerin rügte diese Zurückweisung mit Schreiben vom 22.05.2019. Diese Rüge wies die Vergabestelle mit Schreiben vom 27.05.2019 zurück.
Die Antragstellerin beantragte zuletzt vor der Vergabekammer:
1. den Antragsgegner zu verpflichten, den Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin im Vergabeverfahren um das Verfügbarkeitsmodell A3 AK Bibelried bis AK Fürth-Erlangen – Referenz-Nummer der Bekanntmachung: D-A3-16-83-A – zurückzunehmen und
2. hilfsweise, für den Fall, dass Ziff: 2.15 (d) der Bewerbungsbedingungen nach Auffassung der Vergabekammer nicht nach seinem Wortlaut als Ermessensregelung auszulegen ist, sondern einen zwingenden Angebotsausschluss regeln sollte, festzustellen, dass die zugelassene Erhöhung der nominalen Vergütung um max. 45 Mio. € vergaberechtswidrig ist und dem Antragsgegner aufzugeben, auf diese Obergrenze zu verzichten.
3. …
4. die von dem Antragsgegner unter dem 17.05.2019 verfügte Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Aufforderung zur Abgabe des endgültigen Angebotes für unwirksam zu erklären.
Zur Begründung ihrer Anträge trug die Antragstellerin vor:
Die Vergabestelle gehe zu Unrecht davon aus, dass das Angebot der Antragstellerin zwingend gemäß § 16 EU Nr. 2 in Verbindung mit § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A auszu-schließen sei. Die Antragstellerin habe zwar die zugelassene Obergrenze für eine Erhöhung der nominalen Vergütung überschritten, doch verkenne die Vergabestelle die Ermessensregelung in Kapitel 5 Ziffer 2.16 d, die ebenfalls Bestandteil der Vergabeunterlagen sei. Eine unzulässige Erhöhung sei gerade kein zwingender Ausschlussgrund, sondern die Vergabestelle müsse entsprechend den Vergabeunterlagen in eine Ermessensentscheidung eintreten. Die Antragstellerin habe im Vertrauen auf den Wortlaut der Vergabeunterlagen – dass eine Ermessensentscheidung stattfinde – auf die Erhebung eines Nachprüfungsantrags gegen die Nichtabhilfeentscheidung der Vergabestelle verzichtet.
Die Vergabestelle habe keine gesetzliche Ermächtigung zu einer Ermessensentscheidung zulasten der Antragstellerin. Sollte man die Vergabestelle dennoch für berechtigt halten, sich selbst zu einer Ermessensentscheidung zu ermächtigen, dann wäre die Vergabestelle aber gehalten, dieses Ermessen auch auszuüben.
Die streitgegenständliche Bewerbungsbedingung würden gemäß Kapitel 5 Ziffer 2.16 (d) gegen § 19 Abs. 2 Nr.5 GWB verstoßen und deshalb wäre diese Preisbegrenzungsklausel gemäß § 134 BGB nichtig. Die Vergabestelle habe zahlreiche zusätzliche Leistungen, die nicht in das Erstangebot einzukalkulieren gewesen wären, verlangt. Diese zusätzlichen Leistungen verlange die Vergabesteile, ohne dafür einen sachlich gerechtfertigten Grund zu haben. Das Missverhältnis zwischen der Forderung der Vergabestelle (nachträgliche Leistungen) und der von ihr angebotenen Gegenleistung (maximal 45 Millionen Euro) sei eindeutig, weil die Kalkulation der Vergabestelle offensichtlich fehlerhaft sei. Ein solches Verlangen der Vergabestelle sei nur möglich, weil diese eine entsprechende Marktmacht besitze und die Zwangslage der Bieter ausnutze.
Der von der Vergabestelle festgesetzte maximale Erhöhungsbetrag von 45 Mio. € umfasse nicht alle nachträglichen Leistungen. Die unzureichend berechnete Obergrenze könne somit auch keine Ausschlussentscheidung der Vergabestelle rechtfertigen.
Die Vergabestelle verkenne auch die Risikozuordnung bezüglich der streng geschützten Arten und europäischen Vogelarten im Projektvertrag. Die Vergabestelle habe den zukünftigen Auftragnehmer mit § 30 a Projektvertrag mit Selbstbehalten belegt, ohne die streitgegenständliche Obergrenze mit anzupassen.
Die Zurückversetzung des Verfahrens in das Stadium vor Abgabe der endgültigen Angebote sei unwirksam. Die Antragstellerin habe ein vollständiges und wertbares Angebot abgegeben. Somit bestünde keine Berechtigung der Vergabestelle zu einer Zurückversetzung des Verfahrens. Zudem verstoße die Zurückversetzung gegen das Verbot, über das letztverbindliche Angebot zu verhandeln und führe zur Diskriminierung der Antragstellerin.
Die Antragsgegner wandte sich gegen den Nachprüfungsantrag und trug vor:
Der Ausschluss der Antragstellerin sei zu Recht erfolgt. Dieser basiere auf einer Abweichung des endgültigen Angebots der Antragstellerin von den zu beachtenden Vorgaben und Grundlagen der Vergabeunterlagen.
Unabhängig davon sei der hilfsweise gestellte Antrag Nr. 2 (= Hilfsantrag) unzulässig, da die Antragstellerin mit ihren Angriffen gegen die Vergabeunterlagen für die Einreichung der endgültigen Angebote präkludiert sei. Auf die entsprechenden Rügen der Antragstellerin habe die Vergabestelle am 29.10.2018 eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass die Rügen, soweit ihnen nicht abgeholfen wird, zurückgewiesen werden. Auf § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB habe die Vergabestelle im Hinblick auf die Nichtabhilfe hingewiesen. Die Antragstellerin habe damals keinen Nachprüfungsantrag gegen die von der Teilabhilfe nicht umfassten Gesichtspunkte angestrengt.
Der Hauptantrag (Nr. 1) des Vergabenachprüfungsantrages, mit dem die Zurücknahme des Ausschlusses des endgültigen Angebotes der Antragstellerin begehrt wird, sei unbegründet. Die Antragstellerin sei mit ihrem endgültigen Angebot vom Inhalt der verbindlichen Vergabeunterlagen abgewichen, da sie ihr Angebot nicht auf der Grundlage der Vergabeunterlagen erstellt habe. Das Angebot der Antragstellerin habe deshalb zwingend von der Wertung ausgeschlossen werden müssen. Aber auch wenn die Vergabestelle ein Ermessen hätte ausüben müssen, hätte die Entscheidung nicht anders ausfallen können, weil die anzustellenden Ermessenserwägungen einen Ausschluss geboten hätten.
Die Bezeichnung „kann“ sei nach entsprechender Auslegung und Interpretation als bindende Regelung zur Einräumung einer entsprechenden Kompetenz anzusehen. Es müsse berücksichtigt werden, dass es sich bei dieser Regelung um ein intendiertes Ermessen handle.
Zudem müsse auch die unzureichende, nicht stichhaltige und nicht nachvollziehbare Begründung der Antragstellerin zu der Erhöhung zum Ausschluss führen.
Der behauptete kartellrechtliche Verstoß sei verspätet vorgetragen worden. Zudem sei die Behauptung unrichtig, die Festlegung der Höhe einer maximal zulässigen Erhöhung der nominalen Vergütung beruhe nicht auf sachlich gerechtfertigten Gründen. Zudem seien die Kartellbehörden für die Prüfung von möglichen Verstößen gegen §§ 19, 20 GWB zuständig.
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 09.07.2019 zurück und führte zur Begründung aus:
Die Antragstellerin sei hinsichtlich der Anträge zu 1. und zu 4. ihrer Rügeobliegenheit nachgekommen (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB). Der hilfsweise gestellte Antrag Nr. 2 der Antragstellerin sei unzulässig. Die Antragstellerin sei bereits gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB präkludiert, die Ziffer 2.16 (d) der Bewerbungsbedingungen (erneut) als vergaberechtswidrig anzugreifen. Zudem sei die Antragstellerin mit ihrem hilfsweise gestellten Antrag Nr. 2 auch gem. § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert. Die Antragstellerin habe mit der Abgabe ihres endgültigen Angebotes die Vergabeunterlagen in der Fassung akzeptiert, die bei Abgabe des endgültigen Angebotes maßgeblich waren. Eine bezifferte Obergrenze als Vorgabe in den VGU könne im Nachhinein nicht (erneut) mit der Begründung angegriffen werden, die Vergabestelle habe diese eindeutige Obergrenze fehlerhaft kalkuliert. Vielmehr hätte die Antragstellerin im Oktober/November 2018 einen Nachprüfungsantrag stellen müssen, wenn sie die festgelegte Preisobergrenze weiterhin für nicht erfüllbar erachtet habe. Aus diesem Grund sei auch der von der Antragstellerin am 03.07.2019 vorgetragene Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 GWB präkludiert.
Die Anträge Nr. 1 und Nr. 4 der Antragstellerin seien unbegründet. Die Antragstellerin sei mit ihrem endgültigen Angebot von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abgewichen und habe dadurch die Vergabeunterlagen unzulässig geändert. Der Ausschluss der Antragstellerin vom Vergabeverfahren gemäß § 16 EU Nr. 2 in Verbindung mit § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A sei deshalb zu Recht erfolgt.
Wie die Vergabestelle zutreffend ausführt habe, sei die Bezeichnung „kann“ in Kap. 5 Ziffer 2.16 (d) VGU im Rahmen der Auslegung und Interpretation dieser Klausel als bindende Regelung zur Einräumung einer entsprechenden „Kompetenz“ anzusehen. Weder könnte sich ein Auftraggeber in Fällen des § 16 EU Nr. 2 VOB/A selbst ein Ermessen hinsichtlich eines Ausschlusses einräumen, noch könne eine möglicherweise unscharfe Formulierung der Verdingungsunterlagen in solchen Fällen ein schützenswertes Vertrauen der Bieterseite entstehen lassen, im Falle von Verstößen z.B. gegen § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A werde im Rahmen einer Ermessensausübung möglicherweise – ungeachtet bestehender EUrechtlicher oder nationaler Vorgaben – von einem Ausschluss abgesehen. Aus diesem Grund habe allen Beteiligten des Vergabeverfahrens bewusst sein müssen, dass diese Kalkulationsvorgabe gem. Kapitel 5 Ziffer 2.16 (d), die eine Fortschreibung und Aktualisierung von Kapitel 5 Ziffer 2.17(e) darstelle, zwingend bei der Abgabe der endgültigen Angebote beachtet werden müsse und der Verstoß zwangsläufig zum Ausschluss führe.
Solche Obergrenzen würden gemeinhin als zulässige Voraussetzungen an Bieterangebote angesehen, welche der Bieter zu respektieren und einzuhalten habe, auch wenn hierdurch in gewisser Weise in seine Kalkulationsfreiheit eingegriffen werde.
Die Antragstellerin habe dieser verbindlichen Kalkulationsvorgabe in Kapitel 5 Ziffer 2.16 (d) in zweierlei Hinsicht nicht entsprochen. Zum einen habe sie die zulässige Erhöhung der nominalen Vergütung um maximal 45 Millionen Euro erheblich überschritten und zum anderen habe die Antragstellerin ihre Erhöhung im Wesentlichen nicht nur auf nachträgliche Umstände gestützt, sondern ca. 90 Mio. Euro für artenschutzrechtliche Risiken als Risikoposition in die Erhöhung eingestellt.
Weil die von der Vergabestelle verfügte Zurückversetzung des Vergabeverfahrens durch § 17 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A gedeckt sei, sei auch der Antrag der Antragstellerin, die Unwirksamkeit der Zurückversetzung festzustellen, unbegründet. Vielmehr stelle sich die Zurückversetzung als vorteilhaft für die Antragstellerin dar, denn sie habe nun eine zweite Chance und könne erneut ein endgültiges Angebot abgeben.
Die Antragstellerin legte gegen den Beschluss der Vergabekammer mit Schriftsatz vom 30.7.2019 form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein.
Die Antragstellerin beantragt, den angefochtenen Beschluss abzuändern und nach ihren Schlussanträgen zu erkennen. Hilfsweise beantragt sie die Feststellung, dass der Ausschluss ihres Angebots rechtswidrig gewesen sei.
Zur Begründung führt die Antragstellerin aus:
Die Vergabekammer habe den Nachprüfungsantrag zu Unrecht zurückgewiesen.
Die Überschreitung der Obergrenze für die Erhöhung der nominalen Vergütung rechtfertige keinen Ausschluss des Angebots. Die Festlegung einer „Obergrenze“ für die endgültigen Angebote sei aus drei Gründen unwirksam: Zum einen sei fehlerhaft kalkuliert worden, weil für wesentliche Leistungen, die von den Bietern zusätzlich gefordert werden, dort keine Gegenleistung vorgesehen sei. Zum zweiten verstoße der Antragsgegner hierdurch als marktbeherrschendes Unternehmen gegen das „Anzapfverbot“ des § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB und zum dritten könne sich der Antragsgegner nicht selbst zu einer Ermessensausübung ermächtigen. Im Übrigen würde eine fehlerfreie Ermessensausübung durch den Antragsgegner dazu führen, dass das Angebot der Antragstellerin zu bezuschlagen sei.
Hinsichtlich dieser Einwände sei die Antragstellerin nicht präkludiert. Streitgegenstand der Rüge im Oktober 2018 sei die Einführung einer Obergrenze für die Erhöhung der nominalen Vergütung (Lebenssachverhalt) als solche und das Begehren, um der Kalkulationsfreiheit willen auf diese zu verzichten, gewesen. Streitgegenstand der Rüge vom 09.05.2019 sei demgegenüber die konkrete Kalkulation dieser Obergrenze der Höhe nach und das Begehren, die Unrichtigkeit dieser Kalkulation anzuerkennen und diese Unrichtigkeit bei der Entscheidung über den Ausschluss des eigenen Angebotes zu berücksichtigen.
Die Antragstellerin könne nicht mit Einwänden gegen die Obergrenze präkludiert sein, die sie erst nach Abgabe der endgültigen Angebote im Nachprüfungsverfahren der Beigeladenen erstmals erfahren habe. Durch die dort gewährte Akteneinsicht in die Anlagen 4 und 11 des Vergabevermerks habe die Antragstellerin erstmals erfahren, dass der Antragsgegner für wesentliche (Bau-)Ieistungen bei der Festlegung der Obergrenze überhaupt keine Gegenleistung kalkuliert habe. Dort seien zahlreiche Bauleistungen, die nach Abgabe der Erstangebote von den Bietern verlangt worden seien, nicht in die Kalkulation eingestellt worden. Gleiches gelte für die zusätzlichen Erhaltungsleistungen auf Grund der im Projektabschnitt 05 vorhandenen Mängel. Schließlich seien auch keinerlei Positionen für Artenschutzrisiken im Zusammenhang mit der zusätzlich, nach Abgabe der Erstangebote hinzugekommenen Bau-Fertigstellung des Projektabschnitts 05 (Geiselwind) enthalten.
Das Verhalten des Antragsgegners, eine Obergrenze für die Erhöhung der nominalen Vergütung festzulegen, die wesentliche Leistungen, die er nach Abgabe der Erstangebote verlangt, überhaupt nicht berücksichtigt, verstoße gegen das kartellrechtliche Anzapfverbot. Der Antragsgegner mache sich nämlich eine Zwangslage der bevorzugten Bieter, ihre Bindung an die abgegebenen Erstangebote, zu Nutze und bürde ihnen danach zusätzliche Leistungen auf, die er nur teilweise vergüten möchte. Bei dem Antragsgegner handele es sich dabei um ein marktbeherrschendes Unternehmen i. S. d. von § 19 GWB. Die Bundesrepublik Deutschland, in deren Auftragsverwaltung der Antragsgegner handele, vergebe PPP-Verfügbarkeitsmodelle an Bundesautobahnen im Monopol. Dass das Anzapfverbot auch auf das wettbewerbliche Verhalten der öffentlichen Hand anzuwenden ist, ergebe sich nicht zuletzt aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Eine Präklusion scheide aus, da es sich bei § 19 Nr. 5 GWB um ein „gesetzliches Verbot“ i. S. d. § 134 BGB handele und, sofern der Einwand durchgreife, das entsprechende Verlangen des Antragsgegners kraft Gesetzes nichtig wäre. Deshalb könne ein dahingehender Vortrag der Antragstellerin auch in keiner Weise „präkludiert“ sein.
Die ergänzenden Ausführungen der Vergabekammer, dass sich ihr ein,,gravierendes und evidentes Missverhältnis“ nicht zwingend aufdränge, würden nicht näher begründet. Nach diesseitiger Auffassung könne die Antragstellerin unter Hinweis auf die Anlagen 4 und 11 des Antragsgegners in seinem Vergabevermerk liquide beweisen, dass die Obergrenze offensichtlich fehlerhaft kalkuliert worden sei, weil sie für wesentliche Gegenleistungen, die von den Bietern verlangt werden, keinerlei Gegenleistung vorsehe. Dies betreffe eine Größenordnung von über 50 Mio. € und könne deshalb nicht als Bagatelle abgetan werden.
Sofern die Festlegung der Obergrenze als wirksam angesehen werden sollte, so würde deren Überschreitung nach dem Wortlaut der Bewerbungsbedingungen des Antragsgegners zu dessen Ermessensausübung führen. Eine zutreffende Ermessensausübung würde zu dem Ergebnis kommen, dass das Angebot der Antragstellerin bewertbar sei, weil sie das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hatte, Rechte anderer Bieter nicht beeinträchtigt werden würden und auch Interessen des Antragsgegners durch die Überschreitung der Obergrenze keine Verletzung erfahren würden. Gehe man davon aus, dass sich der Antragsgegner ein Ausschlussermessen hier nicht habe wirksam einräumen können, dann könne er die Überschreitung der Obergrenze überhaupt nicht sanktionieren.
Die streitgegenständliche Passage könne nicht in eine „zwingende Regelung“ zu Lasten der Bieter umgedeutet werden. Sie könne nicht in eine zwingende Mindestvorgabe, deren Nichteinhaltung ohne weiteres zum Ausschluss des Angebotes führen müsse, ohne dass es einer Ermessensausübung von Seiten des Antragsgegners bedürfe, uminterpretiert werden.
Sehe man jedoch in der Regelung des 2.16 der Bewerbungsbedingungen die wirksame Einräumung eines Ausschlussermessens, so hätte der Antragsgegner dieses Ermessen bisher nicht wirksam ausgeübt.
Die Antragstellerin habe die Erhöhung der nominalen Vergütung um insoweit 98 Mio. € hinreichend begründet.
Es sei unzutreffend, dass alle artenschutzrechtlichen Risiken gemäß § 3.2 des Projektvertrages anfänglich und umfassend dem zukünftigen Auftragnehmer zugewiesen worden seien und deshalb bereits von den bevorzugten Bietern in deren Erstangeboten hätten berücksichtigt werden müssen. Der Antragsgegner habe durch Neufassung des Paragrafen 30a. des Projektvertrages nach Abgabe des Erstangebotes eine zusätzliche Risikoposition für den künftigen Auftraggeber geschaffen, die dieser kalkulatorischen mit der Abgabe seines endgültigen Angebotes habe verarbeiten müssen. Es sei zunächst zu verarbeiten gewesen, dass die Antragstellerin für jeden Fall des Auftretens einer streng geschützten Art, mit welcher sie nicht habe rechnen müssen, erst ab einem Betrag von 6,3 bzw. 8,4 Million € je Einzelfall eine Erstattung von Mehrkosten durch den Antragsgegner erhalte und weiter, dass sie nunmehr auch alle Mehrkosten kalkulieren müsse, die dadurch entstünden, dass eine nicht streng geschützte europäische Vogelarten im Baufeld angetroffen werde.
Der Hilfsantrag zu 2. sei für den Fall gestellt worden, dass die Nachprüfungsinstanzen – wider Erwarten – zu dem Ergebnis kommen sollten, Ziff. 2.16 (d) enthalte hinsichtlich der Überschreitung der Obergrenze für die Erhöhung der nominalen Vergütung eine „zwingende Mindestvorgabe“, deren Nichteinhalt ohne die Möglichkeit der Ermessensausübung zum Angebotsausschluss führen müsse.
Die Begründetheit des diesseitigen Antrags zu 4. folge daraus, dass, da das Angebot der Antragstellerin nicht ausgeschlossen werden dürfe, es für eine Zurückversetzung des Verfahrens keinerlei Rechtfertigung gebe.
Der Antragsgegner und die Beigeladene traten der sofortigen Beschwerde entgegen und beantragen übereinstimmend, die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin führt zur Begründung aus:
Der in Erweiterung des Nachprüfungsantrags vom 14.05.2019 im Schriftsatz vom 04.06.2019 ergänzend gestellte Antrag Nummer 4 sei unzulässig. Es liege insoweit ein neuer Streitgegenstand vor und hätte Gegenstand eines weiteren Nachprüfungsverfahrens werden müssen.
Unabhängig davon, ob der von der Antragstellerin angegriffene Ausschluss ihres endgültigen Angebots vom 10.01.2019 zurecht erfolgt sei oder nicht, sei das Nachprüfungsverfahren jedenfalls durch die wirksame Zurückversetzung in den Stand vor Aufforderung zur Abgabe der endgültigen Angebote vom 17.05.2019 erledigt.
Die sofortige Beschwerde sei im Übrigen auch unbegründet, da die Antragstellerin zu Recht von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen worden sei. Sie habe mit ihrem endgültigen Angebot die maximale zulässige Erhöhung der nominalen Vergütung im Vergleich zum 1. Angebot erheblich überschritten und ebenso habe sie die Überschreitung bis zum maximal zulässigen Erhöhungsbetrag und erst recht nicht den darüber hinausgehenden unzulässigen weiteren Erhöhungsbetrag stichhaltig oder nachvollziehbar begründet.
Aufgrund der Abweichung des endgültigen Angebots der Antragstellerin von den Grundlagen der Vergabebedingungen sei ihr Angebot zwingend auszuschließen. Die Bezeichnung „kann“ in Ziffer 2.16 der Vergabeunterlagen sei auch nach Maßgabe der Auslegung und Interpretation als bindende Regelung zur Einräumung einer entsprechenden Kompetenz anzusehen. Dies sei auch bei verwaltungsrechtlichen Rechtsfolgeregelung dann der Fall, wenn sich aus dem Zweck der Regelung oder im Zusammenhang mit anderen Vorschriften eine strikte Bindung für die Rechtsfolge ergebe. Die vorliegende Bestimmung aus den Wettbewerbsbedingungen sei vor diesem Hintergrund als bindende Anordnung einer Rechtsfolge anzusehen. Selbst wenn entgegen dieser Rechtslage der Verstoß der Antragstellerin auf Rechtsfolgenseite Ermessensausübung zulassen oder gebieten würde, könne ein anderes Ergebnis als der Ausschluss nach Einschätzung der Vergabestelle nicht erzielt werden.
Die Antragstellerin sei auch mit der Rüge, dass der Antragsgegner den maximal zulässigen Erhöhungsbetrag fehlerhaft kalkuliert habe, nach § 160 Abs. 3 S.1 Nr.4 GWB präkludiert. Gegenstand der Rüge vom 18.10.2018 sei gerade auch die Diskrepanz von ergänzenden Leistungen und zugelassenem Erhöhungsbetrag gewesen. Auch sei ausdrücklich die angebliche fehlende kalkulatorische Substanz und die Festlegung des Erhöhungsbetrages beanstandet worden. Mit der am 09.05.2019 erhobenen weiteren Rüge sei der Sache nach gerade kein neuer oder erstmals erkannter oder erkennbarer Aspekt einer angeblichen Vergaberechtswidrigkeit im Zusammenhang mit der Festlegung der Grenze für die maximal zulässige Erhöhung des endgültigen Angebotes vorgebracht worden.
Auch die jetzt erhobenen Beanstandungen richteten sich der Sache nach allein gegen die festgelegte Höhe der Begrenzung der maximal zulässigen Anhebung der nominalen Vergütung in den endgültigen Angeboten. Mit den Angriffen gegen die Kalkulation des Antragstellers sollte gerade die Grundlagen für die ermittelte Höhe infrage gestellt werden. Die Kalkulation des Antragsgegners sei für die Antragstellerin oder andere Bieter nur deshalb von Interesse gewesen, weil aus Sicht der Bieter diese nicht auskömmlich sei. Es komme daher nur auf die Höhe des Betrages an und es sei ohne Belang, auf welchem Weg dieser Betrag ermittelt worden sei und ob dabei alle nur denkbaren Leistungen, Gegenleistungen, zeitlichen oder sonstigen Umständen in einer für alle Beteiligten nachvollziehbaren Weise einbezogen worden seien.
Eine Präklusion wäre im Übrigen jedenfalls nach § 160 Abs. 3 Nr.3 GWB eingetreten, weil die Antragstellerin vor Abgabe ihres endgültigen Angebotes erkannt habe, dass der Erhöhungsbetrag für sie nicht auskömmlich sei.
Vorsorglich werde auch der Behauptung entgegengetreten, dass der Erhöhungsbetrag von 45 Million € fehlerhaft gewesen sei oder aus anderen Gründen beanstandet werden könne.
Zu Unrecht berufe sich die Antragstellerin auf eine ihr günstige Rechtsfolge wegen eines angeblichen Verstoßes der Vergabeunterlagen gegen das in § 19 Abs. 2 Nr.5 GWB verankerte kartellrechtliche Anzapfverbot. Die angeblichen kartellrechtlichen Verstöße aus den Vergabeunterlagen unterlägen schon nicht der Entscheidungsbefugnis der Vergabenachprüfungsinstanzen. Das Vergabeverfahren sei zur Klärung gegebenenfalls schwieriger kartellrechtlicher Vorfragen ungeeignet und nicht zuletzt gebiete das Beschleunigungsgebot aus § 167 GWB, dass die zur Klärung möglicher Kartellrechtsverstöße notwendigen intensiven Sachermittlungen unterbleiben müssten. Derartige Verstöße könnten sonst sodann allenfalls im Rahmen einer summarischen Prüfung inzident in die Prüfung einbezogen werden. Die Prüfung auf Verstöße, die ohne komplexe betriebswirtschaftliche Auswertung und kartellrechtliche Abwägung auf der Hand liegen, habe die Vergabekammer vorgenommen. Im Übrigen seien die erstmals am 03.07.2019 erhobenen kartellrechtlichen Gesichtspunkte im vorliegenden Vergabeverfahren nicht mehr geltend gemacht und von der Rügepräklusion des Paragrafen 160 Abs. 3 Nr. 3 und 4 GWB erfasst.
Der von der Antragstellerin behauptete Kartellrechtsverstoß sei auch in materieller Hinsicht nicht gegeben. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 19 Abs. 2 Nr.5 GWB seien nicht erfüllt. Weder handle es sich bei dem Antragsgegner um den richtigen Normadressaten (marktbeherrschendes Unternehmen), noch habe diese mit den hier infrage stehenden Vergabeunterlagen eine nicht leistungsgerechte Begünstigung gefordert.
Die Antragstellerin könne die Erhöhung ihrer nominalen Vergütung nicht mit der Aufnahme von Risiken für streng geschützte Arten rechtfertigen. Die von der Antragstellerin insoweit angeführten zwei neuen Risiken basierten nicht auf einer nachträglich vorgenommenen Erweiterung des Leistungsinhalts für die bevorzugten Bieter. Die Vergabekammer habe richtig erkannt, dass die Argumentation der Antragstellerin, § 30a Projektvertrag habe einen nachträglich eingetretenen Umstand begründet, welcher die erstmalige Bildung einer Risikoposition Artenschutz hätte rechtfertigen können, bereits im Ansatz fehlerhaft gewesen sei, weil die Bieter bei Abgabe des Erstangebots sämtliche artenschutzrechtliche Risiken hätten tragen müssen.
Die Zurückversetzung vom 17.05.2019 sei wirksam gewesen.
Die Beigeladene trägt vor:
Das Rechtsmittel müsse ohne Erfolg bleiben, da die Antragstellerin mit ihren Beanstandungen umfassend präkludiert sei und die Beanstandungen auch in der Sache unberechtigt seien.
Der Antrag zu 2 sei nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB unzulässig, wie die Vergabekammer zutreffend festgestellt habe. Es spiele für die Frage der Rügeverpflichtung keine Rolle, ob die Kalkulation der Vergabestelle fehlerhaft sei oder nicht. Es gehe allein darum, dass die Antragstellerin nach dem Ergebnis ihrer eigenen Kalkulation und damit aus ihrer Sicht auf der Hand liegenden Fehlbemessung der Obergrenze durch den Antragsgegner sich nicht mit einer erneuten Rüge an den Antragsgegner gewandt habe.
Das Angebot der Antragstellerin sei wegen einer unzulässigen Änderung der Vergabeunterlagen zurecht zwingend ausgeschlossen worden. Der Antragsgegner habe den Wettbewerb prägende Vorgaben für die Preisgestaltung gemacht, von denen ein Bieter nicht habe einseitig abweichen dürfen.
Das Angebot der Antragstellerin sei zwingend auszuschließen, da es eine eindeutige Vorgabe der Vergabeunterlagen für die endgültigen Angebote nicht eingehalten habe. Dem könne sie nicht eine angebliche Unwirksamkeit der Obergrenze entgegenhalten. Der Bieter habe keinen Anspruch darauf, dass eine Obergrenze unter Berücksichtigung seiner Einschätzungen festgelegt werde.
Auch die Ausführungen der Antragstellerin zum sogenannten Anzapfverbot gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB gingen unabhängig davon, dass die Antragstellerin ohnehin mit diesem Vortrag präkludiert sei, auch in der Sache fehl. Die Frage, ob ein Verstoß gegen das kartellrechtliche Anzapfverbot vorliege, sei schon kein zulässiger Verfahrensgegenstand in einem Vergabenachprüfungsverfahren und auch nicht im Beschwerdeverfahren. Die Voraussetzungen nach § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB seien nicht erfüllt, da die Bundesrepublik Deutschland schon kein marktbeherrschendes Unternehmen im Sinne der Vorschrift sei und hinzukomme, dass das, was der Antragsgegner an Leistungen fordere und was er hierfür bezahle, keineswegs von dem abweichen würde, was sich bei einem wirksamen Wettbewerb ergebe.
Die Formulierung in 2.16 der Vergabeunterlagen beziehe sich bei verständiger Auslegung nicht auf die Rechtsfolge (Schluss), sondern auf die Beurteilung des zugrunde liegenden Sachverhalts. Letztendlich stelle sich die Formulierung als reiner Warnhinweis an die Bieter hinsichtlich der Kompetenzen des Antragsgegners dar. Dies sei auch der Grund, warum die Vergabeunterlagen keine weiteren Anhaltspunkte für Kriterien einer nicht vorgesehenen Ermessensausübung enthielten.
Die Ausführungen der Antragstellerin zur Berücksichtigung des Artenschutzes seien unerheblich. Die Antragstellerin habe spätestens seit Dezember 2018 gewusst, dass sie eine weitaus stärkere Preiserhöhung benötige als die zugelassene und sei daher mit ihrer Rüge bzw. ihrem Vortrag hinsichtlich des Artenschutzes nach § 160 Abs. 3 Nr.1, Nr. 3 und 4 GWB präkludiert.
B.
Die zulässige Beschwerde erwies sich als erfolglos.
Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag zu Recht nicht stattgegeben.
Die sofortige Beschwerde erwies sich sowohl in den Haupt- als auch den Hilfsanträgen als unbegründet, da das Angebot der Antragstellerin gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 VOB/A zu Recht von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde und die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Abgabe der endgültigen Angebote die Antragstellerin daher nicht in ihren Rechten verletzen konnte.
I.
Das Angebot der Antragstellerin wurde zu Recht ausgeschlossen, da sie die zwingende Vorgabe der Vergabeunterlagen, die Erhöhung des endgültigen Angebots gegenüber dem Erstangebot auf 45 Mio € zu begrenzen, unstrittig nicht eingehalten hat.
Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. März 2017 – Verg 54/16). Ob eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 131, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen. Maßgeblich ist hinsichtlich der Vergabeunterlagen der Empfängerhorizont der potentiellen Bieter (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2013 – X ZR 155/10). Für die Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist. Maßgeblich ist nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung und Vergabeunterlagen versteht (vgl. OLG Karlsruhe, NZBau 2016, 449). Hinsichtlich des Angebots des Bieters ist Maßstab der Auslegung, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage der Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte, wobei es keinen Erfahrungssatz gibt, dass der Bieter stets das vom Ausschreibenden Nachgefragte anbieten will, auch wenn ihm redliche und interessensgerechte Absichten zu unterstellen sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. März 2017 – Verg 54/16, NZBau 2017, 684).
1. Die Begrenzung der Erhöhung des nominalen Angebots auf 45 Mio € wurde Bestandteil der Vergabeunterlagen und es handelte sich nach Inhalt und Formulierung um eine zwingende Vorgabe, die nicht zur Disposition des Bieters stehen sollte. Es wurde seitens der Vergabestelle sogar noch im weiteren ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Verstoß zu einem Ausschluss führen kann, wobei, wie noch auszuführen ist, die Verwendung des Verbums „kann“ von einem verständigen Bieter nicht dahin verstanden werden konnte, dass bei Verstoß gegen die Vorgabe hinsichtlich einer Ausschlussentscheidung damit ein Ermessen eröffnet wird, das im Übrigen vergaberechtlich auch gar nicht zulässig wäre, sondern dass insoweit auf eine Kompetenz zum Ausschluss hingewiesen wurde und, wie vom Beigeladenen zutreffend vorgetragen ist, eine Warnfunktion erfüllt werden sollte, um die Bieter zur Einhaltung der Vorgabe anzuhalten.
2. Die Antragstellerin ist mit ihren Einwendungen, dass die Erhöhungsklausel vergaberechtswidrig festgesetzt wurde, gemäß §§ 160 Abs. 3 Nr.4 GWB präkludiert.
Nach dieser Vorschrift ist ein Antrag unzulässig bzw. eine Einwendung unbeachtlich, wenn mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind.
Der Rüge der Antragstellerin vom 18.10.2018 wurde mit Schreiben vom 29.10.2018 nur teilweise abgeholfen. Dagegen ist die Antragstellerin nicht innerhalb von 15 Tagen nach Eingang der Mitteilung des Antragsgegners vorgegangen. Die Vergabekammer hat zutreffend ausgeführt, dass die Frist anlief, da der Antragsgegner in der Bekanntmachung hinreichend auf eine Stelle, die Auskünfte über die Einlegung von Rechtsmitteln erteilt, hingewiesen hatte.
Der Senat vermag der Auffassung der Antragstellerin, dass die Rüge nur darauf gestützt gewesen sei, dass durch die Begrenzung der Erhöhung ihre Kalkulationsfreiheit in vergaberechtswidriger Weise eingeschränkt werde und nicht darauf, dass die Vergabestelle den Erhöhungsbetrag falsch kalkuliert habe und die Antragstellerin mit dem Einwand der Fehlkalkulation der Erhöhungsgebühr nicht präkludiert sei, nicht zu folgen.
In welchem Umfang eine Rüge zur Präklusion führt, ist nach dem Inhalt der Rüge und des Rügebegehrens zu bemessen, wobei, sofern die Rüge verbeschieden wurde, auch die Nichtabhilfeentscheidung der Vergabestelle herangezogen werden kann.
Die Antragstellerin hat mit der am 18. Oktober erhobenen Rüge die in 2.16 (d) Kapitel 5 der Vergabeunterlagen aufgenommene Obergrenze für die Erhöhung der nominalen Gesamtsumme der Vergütung gegenüber dem ersten Angebot als vergaberechtswidrig beanstandet und auch zur Begründung der Rüge ausgeführt, dass die Aufnahme der Obergrenze für eine Vielzahl von neu hinzugetretenen Leistungen dazu führe, dass die echten Kosten der zusätzlichen Leistungen bei weitem nicht erfasst werden. Somit war auch der Einwand, dass der Erhöhungsbetrag für die Antragstellerin unauskömmlich sei, Gegenstand der Begründung der Rüge.
Die nunmehr nach einer Akteneinsicht behauptete fehlerhafte Kalkulation des Erhöhungsbetrages durch die Antragsgegnerin kann keine eigenständige Rechtsverletzung darstellen, da es für die Frage, ob die Erhöhungsklausel und der Erhöhungsbetrag vergaberechtlich zulässig festgesetzt wurden, nicht darauf ankommt, wie die Vergabestelle den Erhöhungsbetrag kalkuliert hat, sondern allenfalls darauf, ob diese Klausel grundsätzlich zulässig ist oder ob der Erhöhungsbetrag so gering ist, dass er für eine Antragstellerin und Bieter von vornherein nicht auskömmlich sein kann. Um dies zu begründen, kommt es nicht auf die Kalkulation des Antragsgegners, sondern auf die Kalkulation der Antragstellerin an, die bei Erstellung ihres Angebotes das Missverhältnis zwischen ihrer Kalkulation und dem zugelassenen Erhöhungsbetrag erkennen musste und konnte. Der Hinweis, dass die Vergabestelle ihrerseits falsch kalkuliert habe, könnte allenfalls als ein weiteres Begründungselement für die Vergaberechtswidrigkeit der Erhöhungsklausel verwandt werden, stellt aber für sich genommen keine eigenständige Vergaberechtsverletzung dar und kann daher auch nicht eine neue Rüge gegen die Zulässigkeit der Begrenzungsklausel begründen. Insoweit die Antragstellerin auf den zivilrechtlichen zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff verweist, ist festzustellen, dass auch im Zivilrecht durch eine erweiterte Begründung kein neuer Lebenssachverhalt im Sinne des Streitgegenstandsbegriff geschaffen wird.
3. Die Vergabekammer hat auch zutreffend ausgeführt, dass die Antragstellerin mit ihrer Rüge gegen die Zulässigkeit der Preisbegrenzungsklausel auch gemäß § 160 Abs. 3 Nr.3 GWB präkludiert ist, da sie, ohne die Preisobergrenze zu rügen, ihr Angebot eingereicht hat.
4. Der Einwand der Antragstellerin, dass die Klausel 2.16 gegen § 19 Abs. 2 Nr.5 GWB (Anzapfverbot) verstoße und daher nach § 134 BGB nichtig sei, greift nicht durch.
a. Die Prüfung kartellrechtlicher Vorschriften in einem Vergabeverfahren setzt zunächst voraus, dass ein Kartellrechtsverstoß innerhalb einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm geltend gemacht wird und insoweit die Kartellrechtsverletzung den Verstoß gegen eine vergaberechtliche Bestimmung begründet. Eine originäre Prüfung kartellrechtlicher Vorschriften ist den Nachprüfungsinstanzen von vornherein versagt. Die Antragstellerin zielt mit ihrem Vortrag, dass die Norm nach § 134 BGB nichtig ist, auf eine originäre Prüfung ab und benennt insoweit keine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm. Insoweit die Antragstellerin als vergaberechtliche Anknüpfungsnorm § 97 Abs. 1 GWB anführt, greift dies nicht durch, da mit dieser Bestimmung das Wettbewerbsprinzip statuiert wird, d.h. dass der öffentliche Auftraggeber den Auftrag im Wettbewerb zwischen Bietern zu vergeben hat. Die Antragstellerin kann sich als mögliche Anknüpfung auch nicht auf den Grundsatz der Kalkulationsfreiheit, den Transparenzgrundsatz und den Grundsatz der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) berufen, da die Antragstellerin mit diesen Einwänden gegen die Erhöhungsklausel präkludiert ist.
b. Des weiteren würde selbst bei Bejahung einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm eine Prüfungskompetenz der Nachprüfungsinstanzen nicht gegeben sein.
(1) Für die Frage der Prüfungskompetenz der Nachprüfungsinstanzen ist zu unterscheiden, ob ein kartellrechtlicher Verstoß der Bieter oder ein kartellrechtlicher Verstoß der Vergabestelle nach § 19 GWB oder § 20 GWB in Rede steht. Die unterschiedliche Betrachtungsweise ist geboten, da sich hinsichtlich der in Rede stehenden Rechtsverstöße regelmäßig unterschiedliche Problempunkte ergeben. Die Feststellung eines Verstoßes der Vergabestelle nach §§ 19, 20 GWB erfordert in der Regel eine umfassende kartellrechtliche Prüfung, die im besonderen Maße gegen das Beschleunigungsverbot verstößt.
Der von der Antragstellerin zitierte Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29.07.2015 betrifft die Prüfung von Kartellrechtsverstößen von Bietern und war unter der vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm nach § 97 Abs. 1 GWB zu prüfen. Der zitierte Beschluss des Landgerichts Frankfurt (NZBau 2015, 728) betraf eine Verweisung an die Vergabekammer, ohne dass sich das Gericht inhaltlich mit der Prüfungskompetenz der Vergabekammern befassen musste.
(2) Das OLG Düsseldorf hat sich in seinem Beschluss vom 27. 6. 2012 (VII-Verg 7/12, BeckRS 2012, 15939) mit der Frage befasst, ob anders als Kartellverstöße von Bietern auch Kartellrechtsverstöße der Vergabestelle Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens sein können und kam zu der Schlussfolgerung, dass im Ergebnis freilich einiges dafür sprechen könnte, kartellrechtliche Verstöße des Auftraggebers, sofern diese ohne zeitaufwändige Untersuchung einwandfrei festzustellen sind, in einem Vergabenachprüfungsverfahren zu berücksichtigen.
Der Bundesgerichtshof hat in einem Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 18.01.2000 – KVR 23/98 S. 21 BA) geäußert, dass das unter einem besonderen Beschleunigungsbedürfnis stehende Vergabeverfahren zur Klärung komplexer und bei einer Prüfung von Kartellrecht regelmäßig aufgeworfener Fragen der Marktabgrenzung und der Bewertung der Stellung des Auftraggebers im fraglichen Markt nicht geeignet sei (so auch Dittmann, in Ziekow/Völlink, a. a. O., § 156 GWB Rdn.20, der anregt die Regelung in § 156 Abs. 3 GWB mithin so zu verstehen, dass – wenn die Befugnisse einer Kartellbehörde erforderlich sind, um belastbar einen Verstoß etwa gegen § 1 oder §§ 19, 20 GWB festzustellen – ausschließlich eben diese Behörden dafür zuständig sind, diese Verstöße zu verfolgen, auch wenn sie sich in einem Vergabeverfahren ereignen).
(3) Der Senat hält es allenfalls, insbesondere um das dem Vergabeverfahren zugrunde liegende Beschleunigungsgebot zu beachten, für vertretbar, kartellrechtliche Missbrauchsvorwürfe nach § 19 bzw. § 20 GWB im Rahmen einer vergaberechtlichen Inzidentprüfung dann zu berücksichtigen, wenn ein Kartellrechtsverstoß feststeht oder ohne weitere zeitaufwendige Prüfung zweifelsfrei festgestellt werden kann, dass der Auftraggeber bzw. die Vergabestelle gegen das sogenannte Anzapfverbot nach § 19 GWB verstoßen hat und sich daraus relevante Rechtsverletzungen des Bieters ergeben haben.
(4) Das Vorbringen der Antragstellerin reicht nicht aus, um einen Verstoß des Antragsgegners gegen § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB ohne weitergehende Prüfungen festzustellen. Das sogenannte Anzapfverbot soll verhindern, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblicher Leistungen andere Unternehmen dazu auffordert, ihm ohne sachlich gerechtfertigten Grund Vorteile zu gewähren; hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Aufforderung für das andere Unternehmen nachvollziehbar begründet ist und ob der geforderte Vorteil in einem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung steht.
Der Vortrag der Antragstellerin reicht nicht aus, um zweifelsfrei einen derartigen Verstoß festzustellen. Alleine der Hinweis auf die eigenen Kalkulationsunterlagen der Antragstellerin bezüglich der Festsetzung der maximalen Erhöhungsgrenze genügt nicht. Es müsste vielmehr erst festgestellt werden, von welchem relevanten Markt auszugehen ist und ob der Auftraggeber als marktbeherrschendes Unternehmen eingestuft werden kann, es bedürfte einer genauen Analyse der Kalkulationsunterlagen des Antragsgegners und zwar der Gesamtkalkulation einschließlich der Abschlagszahlung, um festzustellen, ob der Antragsgegner durch die Festsetzung der Erhöhungsgebühr einen Vorteil gefordert hat, und schließlich weiter, ob nach kartellrechtlicher Bewertung ein sachlicher Grund für einen gegebenenfalls geforderten Vorteil vorhanden war. Dies kann ohne zeitaufwendige weitere Feststellungen, gegebenenfalls unter Heranziehung von Sachverständigen, nicht geklärt werden. Daher besteht keine Veranlassung, den kartellrechtlichen Missbrauchsvorwurf der Antragstellerin im Rahmen des Vergaberechts des Nachprüfungsverfahrens zu behandeln, selbst wenn eine vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm vorhanden wäre.
II.
Die Formulierung in 2.16 (d), dass bei Verstoß das Angebot ausgeschlossen werden kann, steht einer Ausschlussentscheidung § 16 EU Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 VOB/A nicht entgegen.
Die Verwendung des Verbums „kann“ ist von einem verständigen Bieter, auf den bei der Auslegung und Verständnis von Vergabeunterlagen abzustellen ist, nicht dahingehend zu verstehen, dass der Auftraggeber damit die detaillierten und zweifelsfrei zwingend formulierten Vorgaben zur zulässigen bzw. nicht mehr zulässigen Erhöhung des Preises gegenüber dem Erstangebot relativiert, indem er sich bei einem Verstoß gegen die Vorgaben eine Ermessensentscheidung vorbehält. Dies wäre im Übrigen vergaberechtlich auch gar nicht zulässig. Vielmehr wird damit lediglich auf die Kompetenz der Vergabestelle zum Angebotsausschluss hingewiesen. Es steht außer Zweifel, dass die Vergabestelle die Einhaltung der Grundsätze zur Erhöhung des Preises nicht zur Disposition stellen wollte, Grundsätze der Ermessensausübung sind auch nicht angegeben worden. Für eine Warnfunktion dieses Hinweises auf die Kompetenz spricht auch, dass die Vergabestelle überhaupt nicht verpflichtet gewesen wäre, einen entsprechenden Hinweis aufzunehmen. Nach Bewertung des Senates konnte daher ein verständiger mit dem Vergaberecht einigermaßen vertrauter Bieter die Verwendung des Wortes „kann“ nicht anders auffassen als dass, wie bei Abänderungen von dieser zwingenden Vorgabe der Vergabeunterlagen, sein Angebot, wie in den §§ 16 VOB EU normiert, zwingend auszuschließen ist.
III.
Die Unbegründetheit bzw. Unzulässigkeit der weiteren Anträge einschließlich des in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags ergibt sich unmittelbar aus dem Vorgenannten.
Im Übrigen hat der Antragsgegner bei der Neuformulierung der Vergabeunterlagen den Einwänden der Antragstellerin Rechnung getragen. Nur durch die Rückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Abgabe der endgültigen Angebote kann die Antragstellerin weiterhin am Vergabeverfahren teilnehmen. Eine Verletzung ihrer Rechte ist bei dieser Sachlage nicht ersichtlich.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 175 Abs. 2, 78 GWB. Es entsprach der Billigkeit, der Antragstellerin die gesamten Kosten aufzuerlegen, da sie mit ihrer Beschwerde unterlegen ist. Dies gilt auch für die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung angefallenen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die sich aktiv am Verfahren beteiligt hat.


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