Baurecht

Ausweitung eines Ortsteils in den Außenbereich

Aktenzeichen  1 ZB 19.1901

Datum:
4.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10968
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 7

 

Leitsatz

Die Anschlussbebauung von der bebauten Ortslage aus in den Außenbereich ist in der Regel ein Vorgang der – siedlungsstrukturell unerwünschten – Zersiedelung, wenn das Vorhaben konkret geeignet ist, Nachfolgebebauung nach sich zu ziehen. In einem solchen Fall erfordern es die öffentlichen Belange, den ersten Ansätzen entgegenzutreten (vgl. BVerwG, BeckRS 1999, 30422075). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 29 K 17.1437 2019-05-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 25.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Kläger begehren die Erteilung eines Vorbescheids für den Neubau eines Doppelhauses mit zwei Doppelgaragen auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung O … Der Beklagte lehnte den Vorbescheidsantrag ab. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Vorhabengrundstück liege im Außenbereich und beeinträchtige jedenfalls die natürliche Eigenart der Landschaft.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor bzw. wurden nicht dargelegt.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, das nach § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB zu beurteilende Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, ist jedenfalls im Ergebnis nicht ernstlich zweifelhaft.
Die Ausweitung des Ortsteils über den Bebauungszusammenhang hinaus in den Außenbereich beeinträchtigt hier als Vorgang einer siedlungsstrukturell zu missbilligenden Entwicklung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) öffentliche Belange. Es ist Aufgabe der Bauleitplanung oder einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB, die städtebauliche Entwicklung zu ordnen und zu lenken (vgl. BVerwG, B.v. 11.10.1999 – 4 B 77.99 – BauR 2000, 1175; U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – NVwZ 1985, 747; BayVGH, B.v. 31.3.2020 -1 ZB 19.1961 – juris Rn. 8). Die Anschlussbebauung von der bebauten Ortslage aus in den Außenbereich ist in der Regel ein Vorgang der – siedlungsstrukturell unerwünschten – Zersiedelung, wenn das Vorhaben konkret geeignet ist, Nachfolgebebauung nach sich zu ziehen. In einem solchen Fall erfordern es die öffentlichen Belange, den ersten Ansätzen entgegenzutreten (BVerwG, B.v. 11.10.1999 a.a.O). Ein Ausnahmefall einer siedlungsstrukturell nicht zu missbilligenden Außenbereichsbebauung (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.1985 a.a.O.) liegt hier nicht vor. Auch wenn sich das Vorhaben nach Westen und Norden an eine bereits vorhandene Bebauung anschließt und nach den Ausführungen der Kläger in eine organische Beziehung zum bestehenden Ortsteil treten würde, käme ihm Bezugsfallwirkung für weitere Vorhaben zur Ausweitung der Bebauung in den Außenbereich zu. Das Vorhaben könnte dazu führen, dass sowohl auf dem östlichen Teil des Vorhabengrundstücks als auch auf den östlich hiervon gelegenen Grundstücken in zweiter bzw. dritter Reihe weitere Wohnhäuser entstehen. Der Tatbestand des § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB setzt nicht voraus, dass als Folge der Zulassung des insoweit öffentliche Belange beeinträchtigenden Vorhabens ein uneingeschränkter Rechtsanspruch auf Zulassung weiterer Vorhaben entsteht (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.2019 – 1 B 17.2077 – juris Rn. 22). Es genügt, dass die Gründe, die weiteren Vorhaben entgegengehalten werden könnten, an Überzeugungskraft einbüßen würden, wenn das jetzt beantragte Vorhaben nicht aus eben den Gründen versagt würde, mit der Genehmigung also ein sog. Berufungsfall geschaffen würde (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626; BayVGH, B.v. 8.10.2020 – 1 ZB 17.2319 – juris Rn 14). Unbehelflich ist daher Einwand der Kläger, dass sich im westlichen Teil des Grundstücks eine Wohnbebauung viel eher aufdränge als im östlichen Grundstücksteil. Es liegt die Gefahr von Nachfolgebebauungen nahe, die das Gebot unterlaufen würden, die städtebauliche Entwicklung, zumindest was die Bebauung bislang unbebauter Außenbereichsflächen betrifft, durch Bebauungspläne zu ordnen und zu lenken. Insofern ist die Gefahr einer weiteren Zersiedlung hier hinreichend konkret zu befürchten (BayVGH, B.v. 12.5.2017 – 15 ZB 16.1567 – juris Rn. 39).
Da bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange ausreicht (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171), kommt es nicht darauf an, ob das Vorhaben auch im Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) steht bzw. die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB).
2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erfordern würde.
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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