Baurecht

Baueinstellung, Keine Instandhaltungsarbeiten

Aktenzeichen  1 ZB 21.3216

Datum:
4.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8494
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 75 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 11 K 17.5367 2021-09-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Kläger wenden sich gegen eine Baueinstellungsverfügung betreffend Umbauarbeiten an einem kleinen Nebengebäude auf ihrem Grundstück.
Bei einer Baukontrolle im Oktober 2017 wurde festgestellt, dass an dem Nebengebäude umfangreiche Umbauarbeiten vorgenommen wurden. Der Dachstuhl wurde vollständig entfernt, insbesondere wurden Wände in der neuen Dachschräge aufgemauert, zur nördlichen Außenwand abgeschrägt und ein Ringanker eingebaut. Das Gebäude mit dem neuen Pultdach wurde auf der Südseite um 3 m erhöht, auf der Nordseite um 0,40 m. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2017 ordnete das Landratsamt die Einstellung der Bauarbeiten an. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 16. September 2021 abgewiesen. Bei den durchgeführten umfangreichen Umbauarbeiten handle es sich nicht mehr um reine Instandhaltungsmaßnahmen, sondern vielmehr um Umbauarbeiten, die wirtschaftlich im Ergebnis einer Neuerrichtung gleichkämen. Es könne dahinstehen, ob das Nebengebäude in der Vergangenheit Bestandsschutz genossen habe, da dieser aufgrund der umfangreichen Umbauarbeiten jedenfalls entfallen sei.
In zwei Parallelverfahren (M 11 K 19.4908 und M 11 K 19.4631) haben die Kläger beim Verwaltungsgericht Klage gegen die Beseitigungsanordnung und die Ablehnung der beantragten nachträglichen Genehmigung für die Aufstockung des Nebengebäudes erhoben, die das Verwaltungsgericht ebenfalls mit Urteil vom 16. September 2021 abgewiesen hat. Die dagegen gerichteten Anträge auf Zulassung der Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschlüssen vom heutigen Tag abgelehnt (1 ZB 21.3217 und 1 ZB 21.3218).
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), die im Stil einer Berufungsbegründung verfasst sind, liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die angeordnete Baueinstellung zu Recht abgewiesen, da es sich bei den durchgeführten Umbaumaßnahmen nicht um verfahrensfreie Instandhaltungsmaßnahmen handelt und ein Bestandsschutz jedenfalls entfallen ist.
Bauarbeiten sind dann unzulässig, wenn sie entgegen öffentlich-rechtlicher Vorschriften durchgeführt werden (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Voraussetzung einer Baueinstellung sind objektiv konkrete Anhaltspunkte, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht materiell oder auch formell widersprechender Zustand geschaffen wird, nicht aber die tatsächliche Bestätigung dieser Vermutung (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2020 – 1 ZB 18.146 – juris Rn. 4; B.v. 15.6.2020 – 1 CS 20.396 – juris 3). Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den umfangreichen Umbauarbeiten nicht um verfahrensfreie Instandhaltungsarbeiten gemäß Art. 57 Abs. 6 BayBO handelt. Diese sind nach Art und Umfang der baulichen Erneuerungen von der die Genehmigungsfrage neu aufwerfenden Änderung einer baulichen Anlage abzugrenzen. Unter Instandhaltungsarbeiten sind bauliche Maßnahmen zu verstehen, die der Erhaltung der Gebrauchsfähigkeit und der baulichen Substanz einer Anlage dienen, ohne deren Identität zu verändern. Mit ihnen können einzelne Bauteile ausgebessert oder ausgetauscht werden, um die durch Abnutzung, Alterung oder Witterungseinflüsse entstandenen baulichen Mängel zu beseitigen, wenn hinsichtlich Konstruktion, Standsicherheit, Bausubstanz und äußerem Erscheinungsbild keine wesentliche Änderung erfolgt (vgl. BayVGH, B.v. 28.6.2021 – 1 ZB 19.2067 – juris Rn. 5; B.v. 15.4.2019 – 1 CS 19.150 – juris Rn. 8; OVG Berlin-Bbg, B.v. 22.12.2016 – OVG 10 S 42.15 – juris Rn. 4; VGH BW, B.v. 11.5.2011 – 8 S 93/11 – juris Rn. 20). Eine Änderung einer baulichen Anlage im Sinn von § 29 Abs. 1 BauGB oder Art. 55 Abs. 1 BayBO liegt hingegen vor, wenn das Bauwerk seiner ursprünglichen Identität beraubt wird. Ein solcher Identitätsverlust tritt ein, wenn der Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks berührt und eine statische Nachberechnung erforderlich macht, oder wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen, oder wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird oder die Baumaßnahmen sonst praktisch einer Neuerrichtung gleichkommen (stRspr. BVerwG, vgl. B.v. 10.10.2005 – 4 B 60.05 – BauR 2006, 481; U.v. 21.3.2001 – 4 B 18.01 – NVwZ 2002, 92; U.v. 14.4.2000 – 4 C 5.99 – NVwZ 2000, 1048). Mit dem Verlust der ursprünglichen Identität eines Gebäudes geht ein Verlust des Bestandsschutzes einher (vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2019 – 1 ZB 19.1449 – BayVBl 2020, 135).
Die vollständige Erneuerung des Dachs (neuer Dachstuhl und neue Dacheindeckung) und Drehung der Firstrichtung ist hiernach keine Instandhaltungsmaßnahme im Sinn von Art. 57 Abs. 6 BayBO (vgl. BayVGH, B.v. 28.6.2021 – 1 ZB 19.2067 – juris Rn. 6; B.v. 15.4.2019 – 1 CS 19.150 – juris Rn. 9; B.v. 16.5.2018 – 9 ZB 14.653 – juris Rn. 5), zumal hier die Wände für die Errichtung eines neuen Pultdachs auf der Südseite um 3 m und auf der Nordseite um 0,40 m erhöht und auf den anderen Seiten entsprechend angeglichen wurden. Das durch die Baumaßnahme veränderte Nebengebäude stellt damit bereits von seinem äußeren Erscheinungsbild her eine wesentliche Änderung gegenüber dem früheren Nebengebäude dar. Die Ausführungen im Zulassungsantrag rechtfertigen keine andere Bewertung. Soweit geltend gemacht wird, dass es sich um eine bloße Sanierungsmaßnahme des vorhandenen undichten Satteldachs gehandelt habe, die die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks nicht berührt habe, da das neue Pultdach nicht schwerer sei und die Umbaumaßnahmen keiner Neuerrichtung gleichkämen, insbesondere die restliche Bausubstanz unverändert erhalten geblieben sei, hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass der Dachstuhl gerade bei kleineren und in einfacher Bauweise ausgeführten baulichen Anlagen – wie hier das kleinere Nebengebäude – einen ganz wesentlichen und für die Statik bedeutsamen Gebäudeteil ausmacht. Mit dem vollständigen Austausch des Dachstuhls und der Bausubstanz (neues Pultdach) steht die Erforderlichkeit einer statischen Neuberechnung im Übrigen außer Frage (vgl. BayVGH, U.v. 7.3.2018 – 1 B 16.2375 – BayVBl 2018, 709). Im Bereich der Mauerkrone erfolgte auch der Einbau eines Ringankers.
2. Soweit die Kläger geltend machen, dass das Verwaltungsgericht keine (eigenen) Ermittlungen zu den statischen bzw. wirtschaftlichen Auswirkungen der vorgenommenen Umbaumaßnahmen getätigt habe, zeigen sie, unabhängig von der Frage, ob hier weitere Ermittlungen überhaupt erforderlich gewesen sind, keinen Verfahrensfehler auf. Die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO erfordert u.a. die Darlegung, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2015 – 5 B 36.14 – juris Rn. 7; B.v. 25.1.2005 – 9 B 38.04 – NVwZ 2005, 447; BayVGH, B.v. 7.3.2017 – 8 ZB 15.1005 – juris Rn. 10). Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat (§ 86 Abs. 2 VwGO). Die Kläger haben ausweislich der Sitzungsniederschrift des Verwaltungsgerichts zu dem gerügten Aufklärungsdefizit keinen Beweisantrag gestellt. Die Aufklärungsrüge dient aber nicht dazu, Versäumnisse Beteiligter, insbesondere das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2015 a.a.O.; B.v. 18.12.2006 – 4 BN 30.06 – NVwZ-RR 2007, 285). Dass sich dem Gericht auch ohne Beweisantrag weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen, ist bereits nicht dargelegt.
Die Ausführungen im Zulassungsvorbringen zum Bestandsschutz des Nebengebäudes aufgrund früherer Bestimmungen der BayBO sind nicht entscheidungserheblich, da ein etwaiger Bestandsschutz nach den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts jedenfalls aufgrund der Umbaumaßnahmen erloschen ist.
3. Soweit die Kläger den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) geltend machen, fehlen bereits jegliche Ausführungen. Der bloße Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2005 (4 B 60.05) reicht nicht aus.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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