Aktenzeichen M 11 K 17.190
BauGB § 35, § 36
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1,§ 114 S. 1, § 124, § 124 a Abs. 4, § 154 Abs. 3,§ 162 Abs. 3, § 167
WSG § 4
Leitsatz
Der einer baulichen Anlage zukommende Bestandsschutz endet nicht nur dann, wenn die Anlage beseitigt wird, sondern er kann durch umfangreichen Umbaumaßnahmen erlöschen (vgl. BVerwG, U.v. 16.2.1973 – IV C 61.70 – BVerwGE 42, 8; BayVGH, U.v. 2.4.2001 – 1 B 97.1549). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist zulässig, aber in Haupt- und Hilfsantrag unbegründet.
Der angefochtene Bescheid vom 6. Dezember 2016 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung und auch die verfügte Baubeseitigung verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung, da dem Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren – hier im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO – zu prüfen sind, vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO.
1.1 Das geplante Vorhaben ist genehmigungspflichtig. Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich nicht um verfahrensfreie Instandhaltungsarbeiten im Sinne des Art. 57 Abs. 6 BayBO. Die durchgeführten Bauarbeiten kommen in der Gesamtschau einer genehmigungspflichtigen Neuerrichtung des Gebäudes gleich.
Unter den Begriff „Instandhaltung“ fallen generell nur die Maßnahmen, die dazu dienen, Gebrauchsfähigkeit und Wert von Anlagen unter Belassung von Konstruktion und äußerer Gestalt zu erhalten (vgl. Gesetzesbegründung zur BayBO 1994, LT-Drucksache Nr. 12/13482, S. 39). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es maßgeblich auf die Art und den Umfang einer Baumaßnahme an. Demnach kann eine Anlage ihre Identität nicht nur dann verlieren, wenn ein Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks berührt und eine statische Nachberechnung erforderlich machen würde, sondern erst recht wenn die Bausubstanz ausgetauscht wird oder die Baumaßnahmen praktisch einer Neuerrichtung gleichkommen bzw. der für die Instandsetzung notwendige Arbeitsaufwand seiner Quantität nach den Arbeitsaufwand für einen Neubau erreicht oder gar übersteigt (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, B.v. 10.10.2005 – 4 B 60/05 – juris Rn. 4; BVerwG, U.v. 24.10.1980 – IV C 81.77 – juris Rn. 15).
Vorliegend hat der Kläger im Jahr 2010 bereits umfangreiche Umbauarbeiten durchgeführt. Insbesondere wurde der Dachstuhl vollständig abgetragen und in stärker dimensionierter Form neu errichtet. Gerade bei einfachen Holzhütten wie dem streitgegenständlichen Gebäude macht der Dachstuhl einen ganz wesentlichen und für die Statik bedeutsamen Gebäudeteil aus, was bei der wirtschaftlichen Betrachtung des Vorhabens besonders ins Gewicht fällt. Ausweislich der Stellungnahme des Bauunternehmers vom 20. Mai 2011 ergaben sich durch die Umbauten zudem offensichtlich Auswirkungen auf die Statik, da die Wände in der Folge im unteren Drittel statisch verstärkt werden mussten; unerheblich ist, ob diese Verstärkungsmaßnahmen – wie seitens des Planers behauptet – wieder rückgängig gemacht werden könnten. Darüber hinaus erfolgten massive Eingriffe in die Bodenkonstruktion der Hütte, insbesondere wurden neue Bodenbalken verlegt. Nach den Feststellungen des Augenscheins ist das Gericht daher davon überzeugt, dass die Umbauten im Ergebnis einer Neuerrichtung gleichkommen – ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankäme, ob die seit Jahren auf dem Vorhabengrundstück zwischengelagerten Fußboden- und Außenfassadenbretter wieder angebracht werden könnten. Insgesamt handelt es sich um umfangreiche Erneuerungsarbeiten und nicht mehr um bloße Instandhaltungsmaßnahmen.
1.2 Die Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 35 BauGB, weil das betreffende Grundstück unstrittig im Außenbereich liegt. Als sonstiges Bauvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB ist die beantragte Wohnnutzung nicht zulässig, weil öffentliche Belange beeinträchtigt werden.
Das Landratsamt hat im streitgegenständlichen Bescheid insoweit zutreffend ausgeführt, dass das Vorhaben die natürliche Eigenart der Landschaft im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB beeinträchtigt, zumal das Grundstück im Landschaftsschutzgebiet … liegt. Darüber hinaus widerspricht das Vorhaben den Festsetzungen des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Auch ginge von der Zulassung des Vorhabens als sonstiges Vorhaben eine Bezugsfallwirkung aus, die das Entstehen einer im Außenbereich unerwünschten Splittersiedlung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB befürchten ließe.
1.3 Der Kläger kann sich demgegenüber nicht auf die erleichterte Zulassung der Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes gemäß § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB berufen.
Dahinstehen kann, ob und auf welcher Grundlage das Bestandsgebäude zulässigerweise errichtet wurde. Denn vorliegend fehlt es bereits an der Voraussetzung, dass das vorhandene Gebäude seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst zu Wohnzwecken genutzt wurde, § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) BauGB. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit klargestellt, dass es insbesondere nicht genügt, dass das vorhandene Gebäude seit längerer Zeit im Eigentum des Bauherrn steht. Vielmehr müsse der Eigentümer das Wohngebäude über längere Zeit ununterbrochen bis zur Neuerrichtung eines gleichartigen Ersatzbaus selbst genutzt haben. Die Erleichterung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB solle nur denjenigen zugutekommen, die sich „längere Zeit“ mit den beengten Wohnverhältnissen abgefunden und damit unter Beweis gestellt hätten, dass dieses Wohnhaus für sie im Familienleben eine bedeutende Rolle spiele. Demgegenüber solle beispielsweise die Errichtung eines Ersatzbaus für eine Ferien- oder Wochenendhausnutzung nicht erleichtert werden (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2005 – 4 B 60/05 – juris Rn. 5).
Vorliegend ist weder erkennbar noch substantiiert dargetan, dass der Kläger selbst das Bestandsgebäude seit längerem als Wohnung genutzt hätte. Der Kläger selbst hat sich noch in seinem ersten Bauantrag auf die Sanierung eines bestehenden „Wochenendhauses“ bezogen, in seinem Schreiben vom 28. April 2012 spricht er von einem „Gartenhäuschen“. Auch im Rahmen des zweiten Bauantrags und selbst noch im Rahmen der Klagebegründung vom 31. März 2017 wurde keine eigene Wohnnutzung des Klägers vorgetragen, sondern vielmehr auf eine fremde Wohnnutzung hingewiesen, die zudem zeitlich weit zurück liegt. Vor diesem Hintergrund erscheint die erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgte Behauptung einer eigenen Wohnnutzung des Klägers nicht glaubhaft. Der Umstand, dass der Kläger von dem Beigeladenen zur Zweitwohnungssteuer herangezogen wurde/wird oder vom Landratsamt – Bereich kommunale Abfallwirtschaft – zum Anschluss an die öffent-liche Abfallentsorgung aufgefordert wurde, führt insoweit zu keiner anderen Einschätzung. Maßgeblich ist allein, ob der Kläger selbst das Bestandsgebäude tatsächlich als Wohnung genutzt hat.
1.4 Auch der Tatbestand des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB ist entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht einschlägig, weil die hierfür erforderliche Zerstörung des ursprünglichen Gebäudes durch das damalige Sturmereignis nicht ersichtlich ist. Eine Zerstörung des Gebäudes liegt vor, wenn das Gebäude vollständig oder in seinen wesentlichen Teilen in seiner baulichen Substanz so beschädigt ist, dass es nicht mehr zweckentsprechend genutzt werden kann (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch Werkstand: 132. EL Februar 2019, § 35 Rn. 152). Ausweislich der vorgelegten Fotos (Bl. 9 d. BA) und den hierzu erfolgten Ausführungen des Planers im Schriftsatz vom 10. Juli 2013 wurde bei dem Unwetter zwar ein WC-Anbau, nicht jedoch das Gebäude selbst beschädigt. Die Fotos zeigen keinerlei Beschädigung des Hauptgebäudes und insbesondere des Daches, eine solche wird im Schreiben vom 10. Juli 2013 auch nicht behauptet. Dort heißt es vielmehr, die Dachziegel seien erkennbar mit Moos überzogen und das Haus sei nach Darstellung der Baufirma so marode, dass eine Sanierung dringend erforderlich gewesen sei.
2. Soweit hilfsweise die Verpflichtung des Beklagten zur Neuverbescheidung beantragt war, hat auch dieser Antrag keinen Erfolg. Die getroffene Entscheidung des Landratsamts ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
3. Auch die auf Grundlage des Art. 76 BayBO erlassene Beseitigungsanordnung ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichteten oder geänderten Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Diese Voraussetzungen liegen vor.
3.1 Es kann vorliegend dahinstehen, ob und auf welcher Grundlage das ursprüngliche Bestandsgebäude formell rechtmäßig errichtet wurde und ob ein etwaiger Bestandsschutz bereits durch Beendigung des kriegsbedingten Wohnungsnotstands bzw. mit Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung im Jahr 1965 geendet hat. Denn jedenfalls ist ein etwaiger Bestandsschutz zwischenzeitlich durch die oben dargestellten umfangreichen Umbaumaßnahmen erloschen. Der einer baulichen Anlage zukommende Bestandsschutz endet nicht nur dann, wenn die Anlage beseitigt wird (vgl. BVerwG, U.v. 16.2.1973 – IV C 61.70 – BVerwGE 42, 8; BayVGH, U.v. 2.4.2001 – 1 B 97.1549 – juris Rn. 21). Vielmehr sind vom Bestandsschutz auch solche Maßnahmen nicht mehr gedeckt, die einer Neuerrichtung oder einem Ersatzbau gleichkommen (vgl. BVerwG, B.v. 4.12.1992 – 4 B 229/92 – juris Rn. 3). Letzteres ist bei der streitgegenständlichen Hütte der Fall (s.o.).
Mit Blick auf die Stellungnahme des Planers vom 6. Juni 2012 ist zudem klarzustellen, dass der durch (zu) umfangreiche Umbaumaßnahmen einmal erloschene Bestandsschutz durch Rückbau der Maßnahmen auf den Umfang einer bloßen Instandhaltung nicht gleichsam „wieder auflebt“, sondern verloren bleibt.
Da dem Kläger nach den obigen Ausführungen die für das Vorhaben erforderliche Baugenehmigung fehlt und eine nachträgliche Genehmigung zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände ausscheidet, war das gegenständliche Vorhaben formell und materiell baurechtswidrig.
3.2 Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Das vom Landratsamt in dem streitgegenständlichen Bescheid ausgeübte Ermessen ist im Rahmen des nach § 114 Satz 1 VwGO im gerichtlichen Verfahren eingeschränkten Prüfungsumfanges nicht zu beanstanden. Die Beseitigungsanordnung ist geeignet, um rechtmäßige Zustände wiederherzustellen und auch verhältnismäßig.
Das bauaufsichtliche Beseitigungsermessen wird insbesondere nicht dadurch beschränkt, dass der Beigeladene – dieser ist bereits nicht Träger der Baugenehmigungsbehörde – den Kläger zur Zweitwohnungssteuer herangezogen hat. Hieraus entsteht kein Vertrauensschutz gegenüber bauaufsichtlichen Maßnahmen. Entsprechendes gilt für die Aufforderung des Bereichs kommunale Abfallwirtschaft des Landratsamts. Weder die Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer noch der Anschluss an die öffentliche Abfallentsorgung haben Auswirkungen auf die Frage, ob ein Grundstück in bauplanungsrechtlicher Hinsicht zulässigerweise bebaut ist oder ob in bauordnungsrechtlicher Hinsicht ein ohne Baugenehmigung errichtetes, nicht genehmigungsfähiges Vorhaben geduldet wird.
Die Beseitigungsanordnung erweist sich auch nicht als unverhältnismäßig. Zwar stellt sie einen intensiven Eingriff dar, weshalb gesteigerte Anforderungen an sie zu stellen sind, wie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 76 Satz 1 BayBO ergibt („wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände geschaffen werden können“). Da das Vorhaben aber unter keinem Gesichtspunkt materiell genehmigungsfähig ist (s.o.), kommen mildere Mittel nicht in Betracht. Insbesondere scheidet eine teilweise Rückbauanordnung auf den vor dem Umbau bestehenden Zustand aus, da der Bestandsschutz mit der Durchführung der Maßnahmen erloschen ist (s.o.).
4. Schließlich ist auch die auf Grundlage der Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1 und 2, Art. 36 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) erlassene Zwangsgeldandrohung nicht zu beanstanden. Einwendungen wurden von Klägerseite insoweit nicht erhoben.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst, da er mangels Antragstellung kein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.