Baurecht

Baurechtliche Nachbarklage gegen einen Vorbescheid

Aktenzeichen  9 ZB 20.2374

Datum:
23.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4362
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a
BayBO Art. 71
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kann wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden, ist die Baugenehmigung aufzuheben. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Fragen der Erschließung sind nicht nachbarschützend. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 K 18.1242 2020-09-10 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Erteilung eines Vorbescheids durch das Landratsamt Bad Kissingen an den Beigeladenen zur Errichtung einer Lagerhalle und einer Werkstatt. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat seine Klage mit Urteil vom 10. September 2020 abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Vorbescheid nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise unbestimmt sei, der Kläger sich wegen bestehender Gemengelage nicht auf einen Gebietserhaltungsanspruch berufen könne und das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt sei. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg. Die vom Kläger allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
1. Die vom Kläger geltend gemachte Unbestimmtheit des Vorbescheids liegt nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise vor.
Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss die Genehmigung hinreichend bestimmt sein, d.h. die im Bescheid getroffene Regelung muss für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 9 CS 19.1595 – juris Rn. 15 m.w.N.). Gleiches gilt für den hier vom Kläger als Nachbar angefochtenen Vorbescheid nach Art. 71 BayBO vom 30. August 2018. Danach ist dieser nicht wegen fehlender Angaben zur Nutzungsdauer oder unbestimmter immissionsschutzrechtlicher Regelungen zu Lasten des Klägers unbestimmt.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, die Nutzungsdauer des geplanten Gebäudes sei unbestimmt, weil nicht angegeben sei, wie lange das Gebäude als Werkstatt und ab wann es als Lagerhalle genutzt werde, führt dies nicht zum Erfolg des Zulassungsantrags. Abgesehen davon, dass das geplante Gebäude im Vorbescheidsverfahren unter beiden Nutzungsaspekten beurteilt und genehmigt wurde, ist für den Kläger allein die Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen für die (beiden) genehmigten Nutzungen maßgebend. Zu welchem exakten Zeitpunkt die Werkstatt, die wegen Umbaumaßnahmen in anderen Gebäuden des Beigeladenen nach der Nutzungsbeschreibung vom 19. Februar 2018 nur vorübergehend für einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren in der neu geplanten Halle untergebracht werden soll, aus dem Gebäude (wieder) verlegt werden soll, ist deshalb unerheblich.
Im Übrigen legt das Zulassungsvorbringen nicht dar, in wie weit die Nebenbestimmungen Nr. 4 und Nr. 8 des Vorbescheids vom 30. August 2018 nachbarrelevant sind. Denn die Einhaltung der – aufgrund der Vorbelastung um 6 dB(A) reduzierten – Lärmimmissionswerte gegenüber dem Kläger wird durch die Nebenbestimmung Nr. 3 sichergestellt. Dies gilt auch, wenn im Rahmen der Nebenbestimmung Nr. 8 ggf. andere Wertkombinationen möglich sind. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Einhaltung eines bestimmten Innenpegels der geplanten Halle, sondern nur darauf, dass der an seinem Immissionsort maßgebliche Lärmimmissionsrichtwert gem. Nebenbestimmung Nr. 3 nicht überschritten wird.
Entgegen der Behauptung des Klägers ist die geplante Lärmschutzwand auch Gegenstand des Vorbescheids vom 30. August 2018, da diese in den Antragsunterlagen (Plan „Erdgeschoss + Schnitte“) eingezeichnet ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Nebenbestimmung Nr. 10, die die Anforderungen an die Lärmschutzwand konkretisiert, unbestimmt ist. Darüber hinaus ist die Lärmschutzwand auch Bestandteil der immissionsschutzfachlichen Beurteilung, wie sich der graphischen Darstellung und den Berechnungen der unteren Immissionsschutzbehörde, die das Landratsamt Bad Kissingen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegt hat, entnehmen lässt. Substantiierte Einwendungen hiergegen lassen sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen.
2. Der Kläger kann sich auch nicht auf einen Gebietserhaltungsanspruch oder Gebietsprägungsanspruch berufen.
Das Verwaltungsgericht ist aufgrund einer Augenscheinnahme am 18. Juni 2020 und unter ausführlicher Würdigung der örtlichen Gegebenheiten in den Urteilsgründen davon ausgegangen, dass es sich bei der näheren Umgebung um eine Gemengelage handelt. Allein der Hinweis im Zulassungsvorbringen, dass die Heilpraktiker-Praxis, die das Verwaltungsgericht ebenfalls einbezogen hat, nicht störend sei, genügt nicht, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung darzulegen. Gleiches gilt für die pauschale Behauptung, die Gebäude des Beigeladenen seien – unabhängig von der konkreten Nutzung – allein aufgrund dessen sozialer Ausrichtung mit Werkstätten für Behinderte als Gebäude für soziale Zwecke zu beurteilen.
Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass die gewerbliche Nutzung im maßgebenden Bereich hinsichtlich der Flächenanteile und der Art der Gewerbebetriebe dominiert. Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen. Auch legt das Zulassungsvorbringen nicht dar, dass die beantragte Werkstatt/Lagerhalle nicht auch in einem Mischgebiet zulässig wäre, zumal der Vorbescheid hinsichtlich der immissionsschutzrechtlichen Beurteilung auf die Immissionswerte eines Mischgebiets abstellt. Dass durch das geplante Gebäude der Gebietsprägungsanspruch des Klägers verletzt ist, unabhängig davon, ob man einen solchen Anspruch überhaupt für denkbar hält (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2020 – 9 ZB 18.2074 – juris Rn. 11), zeigt das Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht substantiiert auf (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
3. Die vom Kläger geltend gemachte Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch das geplante Bauvorhaben wegen des Anfahrts- und Anlieferungsverkehrs und weil auf dem Grundstück kein Begegnungsverkehr möglich sei, liegt ebenfalls nicht vor.
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, U.v. 9.9.2020 – 9 BV 17.2417 – juris Rn. 29).
Dass der An- und Abfahrtsverkehr entsprechend der dem Antrag zugrundeliegenden Nutzungsbeschreibung vom 19. Februar 2018 für den Kläger nicht zumutbar ist, ist weder dargelegt und im Hinblick auf die im Vorbescheid vom 30. August 2018 getroffenen immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen auch nicht ersichtlich. Darüber hinaus sind Fragen der Erschließung nicht nachbarschützend (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 9 CS 19.1468 – juris Rn. 24) und die vom Kläger angegriffene Erschließungsstraße im wesentlichen Gegenstand der bestandskräftigen Baugenehmigung vom 5. März 2018. Das Zulassungsvorbringen zeigt insoweit nicht auf, dass die vorhandene/geplante Erschließung den in der Nutzungsbeschreibung vom 19. Februar 2018 angeführten (Werks-) Verkehr nicht bewältigen könnte, sich die Erschließungssituation für den Kläger durch eine vorhabenbedingte Überlastung erheblich verschlechtern würde (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 9 CS 19.1468 – juris Rn. 28) oder eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in Richtung auf das Dulden müssen eines Notwegerechts nach § 917 Abs. 1 BGB bewirken würde (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2018 – 1 CS 18.1265 – juris Rn. 11).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da der Beigeladene im Zulassungsverfahren einen rechtlich die Sache förderlichen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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