Baurecht

Bebauungsplan zur Sicherung des Blicks auf die Alpen

Aktenzeichen  1 N 12.1955

Datum:
15.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 2 Abs. 3, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Die fehlerhafte Ermittlung und Bewertung von Blickbeziehungen (hier: freier Blick auf die Alpen) ist nach § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB beachtlich, weil diese Mängel nach Begehung des Geländes für jedermann erkennbar und damit offensichtlich und auch auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen sind. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bebauungsplan „Nähe W. Straße – …“ ist unwirksam.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der zulässige Antrag hat Erfolg, weil der Bebauungsplan an beachtlichen Abwägungsfehlern leidet.
Nach § 2 Abs. 3 in Verbindung mit § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB sind bei der Aufstellung eines Bebauungsplans die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten zutreffend zu ermitteln und zu bewerten. Damit nimmt der Gesetzgeber die vom Bundesverwaltungsgericht zur Gewinnung und Bewertung des Abwägungsmaterials entwickelten Anforderungen auf. Danach ist das Abwägungsgebot verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss oder wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt wird (BVerwG, U.v. 12.12.1969 – IV C 105.66 – BVerwGE 34, 301/309).
Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin, die zum Schutz der Sicht auf die Berge im Süden und auf die Ortschaft im Norden ein Bauverbot für den östlichen Teil des Grundstücks des Antragstellers festgesetzt hat, die Blickbeziehungen weder zutreffend ermittelt noch die Bedeutung dieser Belange sachgerecht bewertet. Wie der Ortstermin des Senats gezeigt hat, besteht entlang der W. Straße vom Ortsausgang bis zum Kreisverkehr, in den die W. Straße und die Staatsstraße … einmünden, kein freier Blick auf die Allgäuer Alpen, das Ammer- und Wettersteingebirge sowie die dem zuletzt genannten Gebirge vorgelagerten Walchenseeberge. Vielmehr verdecken der westlich der W. Straße zwischen dem Ortsausgang und dem Kreisverkehr ansteigende Hang, aber auch die weiter im Süden und Südosten liegenden, bewaldeten Hügelkuppen, sowie die großen Bäume entlang der W. Straße und die bereits bestehende Maschinenhalle des Antragstellers weite Teile der Berge. Die beschriebenen topografischen, landschaftlichen und baulichen „Hindernisse“ lassen je nach dem eingenommenen Standort entlang der W. Straße den Blick lediglich auf einzelne Gipfel oder Teile der Gebirgsgruppen zu. Nicht einmal der auf halber Höhe des Hangs westlich der W. Straße entlang führende K-weg erlaubt wegen des Waldstreifens am U.-weg einen ungestörten Blick auf die Berge im Süden. Die in der Begründung des Bebauungsplans zum Ausdruck kommende Einschätzung, dass der vom Antragsteller geplante Stallanbau zusammen mit der Maschinenhalle als „breiter Riegel die Aussicht auf die Alpenkette relativ massiv beeinträchtigen würde“, entspricht daher nicht der tatsächlichen Situation und macht zugleich deutlich, dass die Antragsgegnerin die objektive Bedeutung der Blickbeziehung nach Süden verkannt hat.
Dasselbe gilt für die Beeinträchtigung der Ortsansicht von I. durch den geplanten Stallanbau. Fährt man auf der Staatstraße von Süden kommend auf I. zu, fällt der Blick über den Kreisverkehr hinweg auf den südöstlichen Ortsrand von I. Da das Grundstück des Antragstellers westlich des Kreisverkehrs liegt, vermag selbst ein Baukörper, der die gesamte Breite dieses Grundstücks in Anspruch nimmt, die Sicht auf den Ortsrand nicht zu verdecken. Lediglich wenn man der Staatsstraße nach Süden folgt, die als Ortsumgehung südlich am Grundstück des Antragstellers vorbeiführt, würde sich nach dem Passieren der bestehenden Maschinenhalle ein Anbau vor die am südöstlichen Ortsrand stehenden Häuser schieben. Eine „relativ massive“ Beeinträchtigung wäre damit jedoch ebenfalls nicht verbunden, weil die Strecke bis zum Erreichen des Kreisverkehrs vergleichsweise kurz ist und die Bäume entlang der W. Straße nur Ausschnitte auf den südöstlichen Ortsrand freigeben. Auch insoweit hat die Antragsgegnerin diesen Belang nicht zutreffend erfasst. Da der südliche Ortsrand von I., der sich nicht vom Ortsrand anderer Gemeinden unterscheidet, kein herausgehobenes Ortsbild aufweist, hat die Antragsgegnerin darüber hinaus auch die objektive Bedeutung dieses Belangs verkannt.
Die fehlerhafte Ermittlung und Bewertung der Blickbeziehungen ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich, weil diese Mängel nach Begehung des Geländes für jedermann erkennbar und damit offensichtlich und auch auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen sind. Bei zutreffender Ermittlung und Bewertung dieser für die Planung ausschlaggebenden Belange besteht die konkrete Möglichkeit, dass der Gemeinderat sich für eine, wenn auch möglicherweise eingeschränkte Bebauung der östlichen Teilfläche des Grundstücks des Antragstellers entschieden hätte. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es der Antragsgegnerin auch darum gegangen sei, einen etwa 60 m langen Gebäudekörper auszuschließen. Nach der Begründung des Bebauungsplans kam es allein darauf an, die Beeinträchtigung der Blickbeziehung durch den „Riegel“ zu vermeiden, nicht aber einen als zu groß empfundenen Baukörper abzuwehren, zumal eine Gebäudelänge von 60 m der Größenordnung landwirtschaftlicher Betriebsgebäude entspricht, wie sie derzeit im Außenbereich errichtet werden.
Angesichts der durchgreifenden Mängel kann offen bleiben, ob der im Bebauungsplan festgesetzte Ausschluss der Zufahrt von der W. Straße auf das Grundstück des Antragstellers, der der tatsächlich genutzten Zufahrt entgegensteht, dem Gebot entspräche, die privaten Belange gerecht abzuwägen, zumal die Beschränkung der Zufahrt zum Planungsziel der Antragsgegnerin, die Blickbeziehungen zu erhalten, nichts beiträgt und darüber hinaus auch nicht geprüft worden ist, ob der Verkehr mit den schweren Maschinen des Antragstellers auf dem schmalen Feldweg im Norden seines Grundstücks bewältigt werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, § 709 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO muss die Antragsgegnerin Nummer I der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen wie die angegriffene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 und 8 GKG).


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