Baurecht

Bemessung der Geldrente für einen Überbau im unterirdischen Bereich

Aktenzeichen  7 C 1205/15

Datum:
1.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 153563
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Neu-Ulm
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 291, § 905, § 912, § 913

 

Leitsatz

Liegt ein nach § 912 Abs. 1 BGB zu duldender Überbau vor, hat der Eigentümer des betroffenen Grundstücks nach §§ 912 Abs. 2, 913 BGB einen Anspruch auf die Zahlung einer Überbaurente, auch wenn ein tatsächlicher Nachteil oder eine Beeinträchtigung durch den Überbau nicht vorliegen. Die Überbaurente bemisst sich allein nach dem Verkehrswert des überbauten Grund und Bodens im Zeitpunkt der Grenzüberschreitung ohne Abschlag dafür, dass der Grundstückseigentümer vorliegend nur im unterirdischen Bereich seines Grundstücks betroffen ist. (Rn. 14 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.210,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 30.10.2015 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine jährliche Überbaurente in Höhe von 605,28 €, jeweils zahlbar zum 01.11. eines Jahres beginnend ab dem 01.11.2015 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen, die Kosten der Streithilfe hat die Streithelferin selbst zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet. Bezüglich des Zinsbeginns war die Klage teilweise abzuweisen.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung einer Überbaurente gemäß §§ 912, 913 BGB.
Für die Jahre 2013 und 2014 besteht ein Anspruch in Höhe von 1.210,56 €. Ein jährlicher Rentenanspruch ergibt sich in Höhe von jährlich 605,28 € zahlbar zum 01.11. eines Jahres beginnend ab dem 01.11.2015.
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 912 liegen vor.
Die Beklagte hat ein Gebäude errichtet, welches die Grundstücksgrenze rechtswidrig um zuletzt unstreitig 0,30 Meter überschreitet. Der Überbau entstand, nachdem der Spundwandverbau auf dem Grundstück der Klägerin geschlagen war und die Schalung für die Bodenplatte so angebracht wurde, dass die Schalung dem Verlauf der Spundwand folgte und damit auf dem Grundstück der Klägerin zur Ausführung gelangte. Aufgabe der bauausführenden Firma … wäre es gewesen, die Lage der Spundwand und insbesondere die Lage der Außenwand des Kellers der Beklagtenseite einzumessen und somit zu verhindern, dass gemäß dem Spundwandverlauf die Betonplatte betoniert wird. Dass dies vorsätzlich oder grob fahrlässig geschah, wurde nicht behauptet.
Gemäß § 912 Abs. 1 hat die Klägerin den unrechtmäßigen Überbau zu dulden.
Gemäß § 912 Abs. 2 hat die Beklagte eine Geldrente zur Entschädigung für die Duldungspflicht als Ausgleich für den Nutzungsverlust zu entrichten (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Aufl. 2016, § 912 Rdnr. 13).
Die Bodenplatte der Tiefgarage im zweiten UG S.straße 2 reicht zuletzt zwischen den Parteien unstreitig auf einer Länge von 48,50 Metern und in einer Breite von 0,30 Metern über die Grundstücksgrenze. Dies ergibt eine überbaute Fläche von 14,55 Quadratmetern.
Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Streithelferin ist es für das Gericht für die Bemessung der Überbaurente gem. § 913 BGB unerheblich, ob die Klägerin durch den Überbau einen tatsächlichen Nachteil oder eine sonstige Beeinträchtigung erleidet.
Die Überbaurente stellt keinen Schadensersatz dar, sondern einen materiellen Anspruch auf Wertausgleich für den Nutzungsverlust. Die Überbaurente wird für die Duldung des Überbaus gewährt. Voraussetzung ist gem. § 912 BGB der tatsächlich vorliegende zu duldende Überbau und gerade nicht das Vorliegen einer Beeinträchtigung (BGH Urteil vom 19.12.1975 – V ZR 25/74 in NJW, 1976, 669).
Das Recht des Eigentümers eines Grundstücks erstreckt sich gemäß § 905 BGB auf den Raum über der Oberfläche und auf den Erdkörper unter der Oberfläche, sofern gemäß § 905 Satz 2 kein Ausschließungsinteresse vorliegt. Geschützt ist hierbei jedes schutzwürdige vermögensrechtliche oder immaterielle Interesse an ungestörter Benutzung des Grundstücks (vgl. Palandt a.a.O., § 905 Rdnr. 1).
Für die Bemessung ist maßgeblich der Wert des überbauten Grund- und Bodens im Zeitpunkt der Grenzüberschreitung. Oben genannte BGH-Entscheidung ist insofern vorliegend nicht maßgeblich, da in dieser Entscheidung ein Grundstück betroffen war, welches im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nicht gehandelt wird.
Vorliegend jedoch handelt es sich um Grundstücke in innerstädtischer Lage, welche zur Wohnbebauung genutzt werden. Der Wert eines Grundstücks bestimmt sich demnach auch durch die Möglichkeit eines Kellerbaus oder anderer tieferer Erdbauten.
Übereinstimmend gehen beide Parteien von einem Verkehrswert von 900 €/qm für die betroffenen Grundstücke aus. Dieser Verkehrswert ist demnach bei der Bemessung der Überbaurente zugrunde zu legen. (BGH Z 75, 304; NJW 1972, 201)
Die überbaute Fläche beträgt 14,55 Quadratmeter (48,50 Meter × 0,30 Meter), der Verkehrswert zum Zeitpunkt der Grenzüberschreitung beträgt unstreitig 900,00 € pro Quadratmeter. Der für die Verzinsung maßgebliche Liegenschaftszins beträgt 5,14 % pro Jahr. Demnach errechnet sich ein jährlicher Nutzungsverlust von 667,85 €.
Die Höhe des zur Anwendung kommenden Liegenschaftszinses steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen … vom 01.06.2017. Der Gutachter hat nachvollziehbar und schlüssig den ortsüblichen und angemessenen Liegenschaftszins für die gegenständlichen bebauten Grundstücke für das Jahr 2013, dem Zeitpunkt des erfolgten Überbaus, ermittelt. Unter Vornahme eines Abschlags von 0,75 % kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass der ortsübliche und angemessene Liegenschaftzins für die streitgegenständlichen Grundstücke im Jahr 2013 5,14 % betrug.
Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite ist dieser Liegenschaftszins auch anwendbar, unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Überbau in einer Tiefe im Bereich des zweiten Untergeschosses liegt. Unter nochmaliger Berücksichtigung dessen, dass die Überbaurente ein Ausgleich für den durch die Duldung erlittenen Nutzungsverlust darstellt, kann der Zinssatz nicht für verschiedene Teile eines Gebäudes unterschiedlich angesetzt werden. Der Liegenschaftszinssatz ist nämlich der Zinssatz, mit dem der Verkehrswert von Liegenschaften im Durchschnitt marktüblich verzinst wird.
Im Ergebnis übersteigt die somit errechnete, jährlich zu leistende Überbaurente, die von der Klägerin geforderte jährliche Überbaurente in Höhe von 605,28 €, sodass diese jedenfalls in vollem Umfang zuzusprechen war.
Für die Jahre 2013 und 2014 waren entsprechend der klägerischen Forderung 1.210,56 € zuzusprechen. Als weitere jährliche Überbaurente hat die Beklagte die begehrten 605,28 € jeweils zahlbar zum 01.11. eines Jahres beginnend ab dem 01.11.2015 zu bezahlen.
Die Beklagte hat Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.210,56 € seit dem 30.10.2015 an die Klägerin gemäß § 291 BGB zu bezahlen.
Der mit dem Klageantrag begehrte Zinsbeginn wurde nicht schlüssig vorgetragen, so dass Zinsen erst ab Rechtshängigkeit der Klage zuzusprechen waren. Insofern war die Klage abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben