Baurecht

Berechtigung einer Gemeinde zur Sperrung eines tatsächlich-öffentlichen Verkehrswegs, Anordnungsanspruch (verneint)

Aktenzeichen  W 4 E 21.1126

Datum:
1.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43234
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 3
GG Art. 20

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über die Berechtigung der Antragsgegnerin, zwei in ihrem Eigentum stehende Grundstücke, die der Antragsteller als Zufahrt zu seinem Grundstück nutzt, zu sperren.
Der Antragsteller ist Eigentümer der aneinandergrenzenden Grundstücke Fl.Nrn. …, … und … Gemarkung E … im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Die Grundstücke mit den Fl.Nrn. … und … sind mit einem Geschäfts- und Mehrfamilienhaus bebaut. Straßenrechtlich erschlossen sind beide Grundstücke durch den an die Fl.Nr. … unmittelbar angrenzenden öffentlich gewidmeten S.weg. Zudem verläuft an der östlichen Grenze der Grundstücke mit dem Fl.Nrn. … und … ein Teil des straßenrechtlich nicht öffentlich gewidmeten L …wegs, der sich nach Norden auf dem privaten Wegegrundstück Fl.Nr. … und im Südosten auf den unbebauten, im Eigentum der Antragsgegnerin stehenden Grundstücken Fl.Nr. … und … fortsetzt, bis er in den S.weg mündet. Der L. …weg wurde bisher neben dem Antragsteller auch von den Eigentümern der im Norden des Grundstücks Fl.Nr. … anschließenden Wohngrundstücke Fl.Nrn. … und … sowie Fl.Nrn. … und … als Zuwegung und Zufahrt zum S.weg genutzt.
Mit Schreiben vom 29. Juli 2019 beantragte der Antragsteller die Zustimmung der Antragsgegnerin zur Sperrung der Zufahrt über sein Grundstück an der Grundstücksgrenze Fl.Nrn. … und … Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 6. August 2019 ab. Mit Urteil vom 15. Februar 2021 (Az.: 8 B 20.2352) hat der Bayer. Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass der Antragsteller berechtigt sei, den sogenannten „L.…weg“ auf dem Grundstück Fl.Nr. … Gemarkung E.… an der Grenze zum Grundstück Fl.Nr. … zu sperren.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2021 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass sie bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde einen Antrag auf Sperrung der ihr gehörenden städtischen Flächen des L.…wegs (Fl.Nrn. … und …) gestellt habe. Mit Bescheid vom 5. Juni 2021 sei diesem Antrag stattgegeben worden. Die Stadtverwaltung werde nunmehr den Beschluss des Stadtrats vollziehen und somit sicherstellen, dass die Grundstücksflächen des Antragstellers nicht mehr von städtischen Grundstücken aus durch unerwünschte Nutzer betreten werden könnten.
Mit Schriftsatz vom 24. August 2021 an das Bayer. Verwaltungsgericht Würzburg, hier eingegangen am gleichen Tag, beantragte der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung:
1. Der Antragsgegnerin, der Stadt Erlenbach am Main, wird die Sperrung des städtischen Grundstücks Fl.Nrn. … und … für die städtischen Teilflächen zu der bestehenden Zufahrt zu Fl.Nr. … untersagt.
2. Die Antragsgegnerin hat die Nutzung der Flächen (etwa 20 m²) als Zufahrt zu dem Grundstück des Antragstellers Fl.Nr. … im Rahmen eines tatsächlich öffentlichen Weges im bisherigen Umfang zu dulden.
Zur Begründung führte der Antragsteller aus, die Eilbedürftigkeit ergebe sich aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin die Zufahrt ab dem 6. September 2021 sperren wolle. Der Stadtratsbeschluss, mit dem die Sperrung beantragt worden sei, sei im Ganzen, zumindest im Wesentlichen hier maßgeblichen Teil nichtig. Die Beschlussfassung zur Sperrung erfolge rechtswidrig, da willkürlich unter Verletzung der Güterabwägungspflicht der Stadt und zudem pflichtwidrig in nicht öffentlicher Sitzung. Sie sei auch gleichheitswidrig und insoweit rechtswidrig.
Mit Schriftsatz vom 27. August 2021 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag bedarf der Auslegung. Unter Berücksichtigung der nachfolgenden Begründung ist er offensichtlich darauf gerichtet, der Antragsgegnerin die Sperrung der in ihrem Eigentum stehenden städtischen Teilflächen zu untersagen, damit der Antragsteller diese weiterhin als Zufahrt zu seinem Grundstück mit der Fl.Nr. … im Rahmen eines tatsächlich öffentlichen Weges benutzen kann. So verstanden bleibt der Antrag allerdings ohne Erfolg.
Es kann zunächst dahingestellt bleiben, ob dieser Antrag überhaupt zulässig ist, er ist jedenfalls unbegründet.
1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Form der Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründe nötig erscheinen. Dazu hat der Antragsteller die besondere Dringlichkeit der Anordnung (Anordnungsgrund) und das Bestehen des zu sichernden Anordnungsanspruchs (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, 294 ZPO).
2. Zusätzlich ist im Rahmen des Verfahrens gemäß § 123 VwGO zu berücksichtigen, dass dieses Verfahren grundsätzlich nicht der endgültigen Befriedigung gestellter Ansprüche dient, sondern nur in einem summarischen Prüfungsverfahren vorläufige Regelungen treffen kann. Die eigentliche Entscheidung muss dem Klageverfahren (Hauptsache) vorbehalten bleiben, das nicht vorweggenommen werden darf (zum Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache vgl. Happ in Eyermann, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 63 m.w.N.). Im Regelfall kann daher nur eine vorläufige Regelung erstrebt werden, so dass ein besonders schneller Durchgriff auf das Ergebnis in der Hauptsache ausscheidet. Für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ergibt sich unmittelbar aus § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine Beschränkung der Entscheidungsbefugnis des Gerichts auf eine nur vorläufige – und damit nicht abschließende – Entscheidung im Eilverfahren. Der begehrte Ausspruch ist danach nur möglich, wenn es darum geht, wesentliche Nachteile bis zur Entscheidung in der Hauptsache abzuwenden. Die Grenzen einer vorläufigen Regelung werden jedoch überschritten, wenn durch die Eilentscheidung das Ergebnis der Hauptsache vorweggenommen wird. Eine solche Vorwegnahme ist nach allgemeiner Auffassung im Verfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO grundsätzlich nicht zulässig (vgl. Nachweise in Eyermann, a.a.O.).
Von einem derartigen grundsätzlichen Verbot ist auch vorliegend auszugehen, da die begehrte Verpflichtung des Antragsgegners das Ergebnis eines etwaigen Rechtsstreits in der Hauptsache vorwegnähme, da das Anordnungs- und das denkbare Klageziel, nämlich die Untersagung der Sperrung und die Duldung der Nutzung durch den Antragsteller als Zufahrt auf sein Grundstück mit der Fl.Nr. … identisch sind.
Für eine Durchbrechung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache ist nach herrschender Auffassung nur dann Raum, wenn es für den Antragsteller schlechthin unzumutbar ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Gründe für eine solche Unzumutbarkeit hat der anwaltschaftlich vertretene Antragsteller allerdings nicht vorgetragen, zumal sowohl das Grundstück mit der Fl.Nr. …, wie auch das Grundstück mit der Fl.Nr. … baurechtlich erschlossen werden durch den an die Fl.Nr. … unmittelbar angrenzenden, öffentlich gewidmeten S.weg (vgl. BayVGH v. 15.2.2021, 8 B 20.2352 – juris).
3. Doch selbst für den Fall, dass vorliegend von einer Durchbrechung des Verbots ausgegangen werden könnte oder dass der schriftsätzlich erhobene Antrag wohlwollend zu Gunsten des Antragstellers dahingehend ausgelegt wird, dass der Antragsteller lediglich eine vorläufige Untersagung der Sperrung der städtischen Grundstücke begehrt, ist der Antrag jedenfalls unbegründet, da der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen kann.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO ist nur begründet, wenn der prozessuale Anspruch auf Sicherung des Hauptsacheanspruchs besteht. Das ist der Fall, wenn der zu sichernde/regelnde Anspruch des Antragstellers nach den Vorschriften des materiellen Rechts besteht. Vorliegend ist ein solcher materielle Anspruch des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin für die Kammer jedoch nicht erkennbar.
Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. BVerwG, U.v. 18.1.1974 – VII C 25/71 – juris), dass eine Gemeinde öffentlich-rechtlich nicht verpflichtet ist, ein nicht durch straßenrechtliche Widmung, sondern von ihr nur tatsächlich dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung gestelltes Grundstück weiterhin für diese Zwecke bereitzustellen. Mit anderen Worten: Allein aus einer einmal existierenden straßenverkehrsrechtlichen Öffentlichkeit kann kein Recht des Antragstellers auf Fortbestand des tatsächlich öffentlichen Verkehrs hergeleitet werden. Es gibt auch keine Pflicht des Eigentümers und insbesondere keine Pflicht der Antragsgegnerin, Grundstücke, die mit ihrer Zustimmung oder unter Duldung tatsächlich allgemein benutzt werden, zur Aufrechterhaltung des Verkehrs zur Verfügung zu stellen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des in Art. 3 GG normierten Gleichheitsgrundsatzes und des in Art. 20 Abs. 3 GG normierten Rechtsstaatsprinzips.
Der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG abgeleitete Vertrauensgrundsatz kann zwar zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen, wenn diese durch ihr Verhalten einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen hat und der Bürger im Vertrauen darauf wesentliche Vorkehrungen getroffen hat oder hat treffen dürfen. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben, zumal seitens des Antragstellers hierzu auch nichts Substantiiertes vorgetragen wurde. Insbesondere aber konnte der Antragsteller auf die bisher ihm mögliche Zufahrt auf seine Grundstücke mit den Fl.Nrn. … und … über den L.…weg schon deshalb nicht vertrauen, da diese Grundstücke schon immer straßenmäßig erschlossen sind durch den an die Fl.Nr. … unmittelbar angrenzenden, öffentlich gewidmeten S.weg. Hiervon hatte der Antragsteller jedenfalls aufgrund des Baugenehmigungsbescheids vom 2. März 1993 bzw. vom 8. April 1993 Kenntnis. Auf den Fortbestand des tatsächlich öffentlichen Wegs auf den städtischen Grundstücken konnte der Antragsteller somit nicht vertrauen.
Die Antragsgegnerin ist auch nicht aus Art. 3 GG in der Verwendung ihres Grundstücks gebunden. Selbst wenn man eine umfassendere, nicht nur auf den Bereich hoheitlichen Handelns beschränkte Grundrechtsbindung der öffentlichen Hand grundsätzlich anerkennt, kann diese Auffassung nicht dazu führen, dass die Antragsgegnerin bei der Verwendung eines nicht aufgrund des Straßenrechts dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Grundstücks ihres Verwaltungsvermögens ebenso gebunden ist, wie wenn es sich um eine gewidmete Fläche handelt. Die Antragsgegnerin verliert hierdurch jedenfalls nicht die Befugnis, nach pflichtgemäßem Ermessen und sachgerechten Erwägungen über die Verwendung ihres Grundstücks zu entscheiden. Wenn sie im vorliegenden Fall ausführt, sie benötige die Teilflächen für einen neuen, provisorischen und vorübergehenden Ersatzweg, der angelegt werden solle, damit Feuerwehr und Rettungsdienst, aber auch interessierten Grundstückseigentümern der Weg auf ihr Grundstück ermöglicht und auch der Allgemeinheit weiterhin die Nutzung des „P.…“ L. …weg ermöglicht werden könne, ist dieses Verhalten grundsätzlich nicht zu beanstanden. Das gilt auch im Hinblick auf die weitere Argumentation, aufgrund der bisherigen Vorgänge könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller auch der Stadt eine strafbewährte Unterlassungserklärung für den Fall zukommen lasse, dass sein Grundstück von den städtischen Grundstücken mit den Fl.Nrn. … und … aus betreten werde. Deshalb sehe sich die Antragsgegnerin in der Verpflichtung, dies durch bauliche Maßnahmen zu verhindern.
Die Antragsgegnerin war somit durch die Grundrechtsbindung nicht verpflichtet, ihre Grundstücke dem Antragsteller als tatsächlich öffentlichen Weg zur Verfügung zu stellen, damit dieser sie als Zufahrt zu seinem Grundstück Fl.Nr. … benutzen kann.
4. Da der Antragsteller nach alldem schon einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen kann, kommt es auf die von ihm im Rahmen des Antragsschriftsatzes diskutierten Probleme nicht an. Der Antrag war demnach abzulehnen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. § 52 GKG, wobei sich die Kammer hinsichtlich des Streitwerts an Nr. 43.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. BayVGH, B.v. 14.3.2018 – 8 C 18.285 – juris) orientiert.


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