Baurecht

Beseitigungsanordnung für einen Carport

Aktenzeichen  15 CS 15.2451

Datum:
1.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 2
BauGB BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 22, § 31 Abs. 2
BauNVO BauNVO § 12, § 23 Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1 Ein Carport stellt keine Nebenanlage iSd § 14 BauNVO dar, sodass für Fragen der Zulässigkeit überbaubarer Grundstücksflächen § 23 Abs. 5 S. 2 BauNVO einschlägig ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Umstand, dass der Begriff Carport zum Zeitpunkt des Inkrafttretens eines Bebauungsplans nicht verbreitet gewesen sei, lässt den Schluss nicht zu, dass der Plangeber neben den festgesetzten Garagenanlagen keine weiteren Garagen oder Stellplätze im Plangebiet zulassen wollte, da auch zu dieser Zeit Regelungen zu überdachten Stellplätzen existierten. (redaktioneller Leitsatz)
3 Soweit sich für einen Bebauungsplan ergibt, dass die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen das Ziel verfolgen, neben den festgesetzten Garagenanlagen keine weiteren Garagen oder Stellplätze im Plangebiet zulassen, würde eine Abweichung für eine Vielzahl weiterer Grundstücke mit vergleichbarer Grundstückssituation ein weitgehendes Abrücken vom Plankonzept bedeuten. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.Die Antragstellerin wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen eine Beseitigungsanordnung für einen Carport.
Die Antragstellerin ist Miteigentümerin des mit einem Reihenwohnhaus bebauten Grundstücks FlNr. …/6 Gemarkung Z. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des am 19. Juni 1969 in Kraft getretenen Bebauungsplans „Teilbebauungsplan Z. – West“, der durch die am 17. April 1971 in Kraft getretene „Bebauungsplanänderung im Bereich westlich der W…strasse“ geändert wurde. Der Bebauungsplan weist ein allgemeines Wohngebiet und Bauräume für insgesamt sechs Reihenhausanlagen aus; innerhalb des nördlichsten Bauraums steht das Wohnhaus der Antragstellerin. Weiterhin sind im mittleren Teil und im südöstlichen Bereich des Änderungsplangebiets Bauräume für Gemeinschaftsgaragen festgesetzt.
Bei einer Baukontrolle am 30. April 2014 stellte die Antragsgegnerin fest, dass im nordwestlichen Teil des Grundstücks der Antragstellerin außerhalb der Baugrenzen ein überdachter Stellplatz errichtet worden war. Mit Bescheid vom 18. August 2015 gab die Antragsgegnerin der Antragstellerin auf, den Carport bis spätestens 30. Oktober 2015 und im Falle der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs innerhalb von sechs Wochen nach Bestandskraft des Bescheid vollständig zu beseitigen (Nr. 1 des Bescheidtenors). Der weitere Miteigentümer wurde verpflichtet, diese Anordnung zu dulden (Nr. 2 des Bescheidtenors). Nr. 1 und 2 des Bescheids wurden für sofort vollziehbar erklärt (Nr. 3 des Bescheidtenors). Für den Fall, dass die Antragstellerin der Verpflichtung nicht oder nicht fristgerecht nachkommt, wurde ihr ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 € angedroht (Nr. 4 des Bescheidtenors).
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg erhoben und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 21. Oktober 2015 mit im Wesentlichen folgender Begründung abgelehnt: Das Interesse an der sofortigen Vollziehung der überwiege das gegenläufige Interesse der Antragstellerin. Die auf der Grundlage von Art. 76 Satz 1 BayBO erlassene Beseitigungsanordnung sei nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Der Carport sei bauplanungsrechtlich unzulässig, weil er außerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten überbaubaren Grundstücksflächen errichtet worden sei. Eine Zulassung nach § 23 Abs. 5 BauNVO komme nicht in Betracht. Es könne offen bleiben, ob der Carport von § 23 Abs. 5 Satz 1 oder Satz 2 BauNVO erfasst sei. Der Bebauungsplan habe jedenfalls eine anderweitige Festsetzung getroffen. Eine solche Festsetzung sei in der Festsetzung der Sammelgaragen zu sehen, die zentral zwischen den sechs für die Wohnbebauung vorgesehenen Gebäudekomplexen ausgewiesen seien und in der Anzahl derjenigen der vorgesehenen Wohnungen entsprächen. Dieses planerische Konzept sei durch die tatsächliche Entwicklung nicht obsolet geworden. Soweit im Südosten auf den Grundstücken FlNr. …/7 und …/9 („W…straße 50“) ein Doppelcarport außerhalb der vorgesehenen Garagenstandorte errichtet worden sei, beruhe dies nicht auf einer Aufgabe des Planungskonzepts, sondern auf einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB. Im Übrigen sei die Erschließungssituation hier nicht vergleichbar. Auch die Errichtung mehrerer Nebenanlagen im Sinn des § 14 Abs. 1 BauNVO rechtfertigten nicht die Annahme der Funktionslosigkeit des Bebauungsplans. Eine Befreiung komme für das Vorhaben der Antragstellerin nicht in Betracht, weil hierdurch die Grundzüge der Planung berührt würden. Das städtebauliche Konzept sehe allein die Errichtung von zentral angeordneten Garagenkomplexen und Mehrfachgaragen vor, wobei sich die Zahl der Garagenflächen an dem Stellplatzbedarf orientiere. Insoweit liege auch keine nicht beabsichtigte Härte im Sinn des § 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB vor. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz sei ebenfalls nicht gegeben. Die Beseitigungsanordnung sei auch weder ermessensfehlerhaft noch unverhältnismäßig.
Hiergegen wendet sich Antragstellerin mit der Beschwerde. Sie beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 21. Oktober 2015 zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 18. August 2015 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu Recht abgelehnt.
Die Beseitigungsanordnung ist aller Voraussicht nach rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen des Art. 76 Satz 1 BayBO sind mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt. Der Carport steht in einem nicht durch Zulassung einer Ausnahme nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO oder durch Erteilung einer isolierten Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ausräumbaren Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften (vgl. unten 1.). Die Beseitigungsanordnung ist nicht deswegen fehlerhaft, weil die Antragstellerin im Bescheid (auch) als Handlungsstörerin bezeichnet wurde (vgl. unten 2.). Ebenso wenig ist die Zwangsgeldandrohung wegen einer zu kurzen Fristsetzung rechtswidrig (vgl. unten 3.). Das Vorbringen der Antragstellerin rechtfertigt keine andere Beurteilung.
1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Carport mit hoher Wahrscheinlichkeit bauplanungsrechtlich unzulässig ist, weil er außerhalb der wirksam durch Bebauungsplan festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche errichtet wurde und die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB oder einer Zulassung nach § 23 Abs. 5 BauNVO hat.
a) Der Bebauungsplan ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht deswegen unwirksam, weil seine Ursprungsfassung als „Teilbebauungsplan“ bezeichnet ist. Abgesehen davon, dass die Ursprungsfassung durch die hier maßgebliche Bebauungsplanänderung vom 17. April 1971, die diese Bezeichnung nicht mehr trägt, vollständig ersetzt wurde, ist der „Teilbebauungsplan“ vom 19. Juni 1969 nicht auf sachliche Teilregelungen beschränkt. Das Gesetz sieht bei einem Bebauungsplan – anders als beim Flächennutzungsplan, bei dem nach § 5 Abs. 2b BauGB als sachliche Teilregelung eine Darstellung von Vorrangflächen nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für die in § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB genannten Vorhaben mit Ausschlusswirkung für Vorhaben außerhalb dieser Flächen zulässig ist – die Möglichkeit solcher Teilregelungen nicht vor. Derartige Regelungen sind indes weder in der Ursprungsfassung des Bebauungsplans noch im Änderungsbebauungsplan enthalten.
b) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass ein Anspruch der Antragstellerin auf Zulassung des Carports nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO durch den Bebauungsplan ausgeschlossen sein dürfte.
Richtig ist zwar, dass hier nicht § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO, sondern § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO Anwendung findet, weil ein Carport keine Nebenanlage im Sinn des § 14 BauNVO ist. Dies ergibt sich aus der Bestimmung des § 12 BauNVO, der die Zulässigkeit von Garagen und Stellplätzen gesondert regelt (vgl. BVerwG, U. v. 21.3.2013 – 4 C 15/11 – juris Rn. 17; BayVGH, B. v. 25.4.2005 – 1 CS 04.3461 – juris Rn. 22 f.; König in König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 3. Aufl. 2014, § 23 Rn. 32). Unter den (bundesrechtlichen) Begriff der Stellplätze fällt – als überdachter Stellplatz (vgl. BVerwG, U. v. 4.10.1985 – 4 C 26/81 – NVwZ 1986, 120) – auch ein Carport. Dies ändert jedoch nichts am fehlenden Zulassungsanspruch der Antragstellerin. Denn abgesehen davon, dass es sich bei der Zulassungsentscheidung nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO um eine Ermessensentscheidung handelt, bei der die Haltung der betroffenen Gemeinde zu berücksichtigen ist (vgl. König in König/Roeser/Stock, BauNVO, 3. Aufl. 2014, § 23 Rn. 34; Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: November 2014, § 23 BauNVO Rn. 48), hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass der Bebauungsplan mit der Festsetzung von Gemeinschaftsgaragen die Zulassung von Garagen und Stellplätzen einschließlich der überdachten Stellplätze an anderen Stellen im Plangebiet ausgeschlossen hat.
Eine anderweitige Festsetzung im Sinn des § 23 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 BauNVO setzt nicht in jedem Fall eine ausdrückliche textliche Festsetzung voraus, sondern kann auch durch zeichnerische Festsetzungen erfolgen, wenn sich dadurch hinreichend bestimmt der Ausschluss oder die Beschränkung (vgl. § 12 Abs. 6 BauNVO) von in den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BauNVO fallenden baulichen Anlagen ergibt (vgl. BayVGH, U. v. 15.2.1999 – 2 B 95.1500 – BayVBl 2000, 113 = juris Leitsatz und Rn. 26; U. v. 26.2.2003 – 2 B 00.1313 – juris Rn. 27). So kann auch aus der Bestimmung der überbaubaren Grundstücksflächen durch Baulinien und Baugrenzen verbunden mit der Festsetzung von Gemeinschaftsanlagen für Stellplätze und Garagen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB folgen, dass der Bebauungsplan Einzelgaragen und Einzelstellplätze auf den Baugrundstücken ausnahmslos ausschließt (vgl. BayVGH, B. v. 16.5.1983 – 14.B-1294/79 – BayVBl. 1983, 593/594; VGH BW, U. v. 11.5.1989 – 5 S 3379/88 – BRS 49 Nr. 137 = juris Rn. 18; B. v. 9.4.1992 – 5 S 1233/90 – ZfBR 1992, 239 = juris Leitsatz und Rn. 19; B. v. 23.10.1997 – 5 S 1596/97 – BauR 1998, 521; Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 23 Rn. 24; Bielenberg in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 23 BauNVO Rn. 58; offen gelassen in BVerwG, B. v. 16.2.1998 – 4 B 2/98 – NVwZ 1998, 1066 = juris Rn. 5). Da anderweitige Festsetzungen im Sinn von § 23 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 BauNVO die Baufreiheit einschränken, müssen sie jedoch hinreichend bestimmt sein (vgl. König in König/Roeser/Stock, a. a. O., § 23 Rn. 31 m. w. N.).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Aus der zeichnerischen Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen durch die Bebauungsplanänderung vom 17. April 1971 mittels Baugrenzen und Baulinien einerseits und der Festsetzung von Flächen für Gemeinschaftsgaragen in der Mitte und im südöstlichen Randbereich des Plangebiets andererseits ergibt sich mit hinreichender Bestimmtheit, dass nach der planerischen Konzeption der Antragsgegnerin Garagen und Stellplätze für Kraftfahrzeuge nur an den im Bebauungsplan ausgewiesenen Standorten zulässig und an anderen Stellen ausgeschlossen sind. Dafür sprechen auch der Zusatz in der Erläuterung der Planlegende, dass die Flächen für die Gemeinschaftsgaragen „für die Reihenhäuser des Plangebiets“ bestimmt sind, sowie der Umstand, dass die Anzahl der festgesetzten Gemeinschaftsgaragenplätze bereits nach der Ursprungsfassung vom 19. Juni 1969 der Anzahl der ausgewiesenen Reihenhäuser entsprach, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Auch sind die Flächen für die Garagen innerhalb dieser Bauräume so angeordnet, dass sich die Zu- und Abfahrtswege für die Kraftfahrzeuge jeweils auf der von den Reihenwohngebäuden abgewandten Seite befinden. Dies lässt vermuten, dass aus Gründen des Lärmschutzes Fahrbewegungen von Kraftfahrzeugen möglichst weit entfernt von der Wohnnutzung der Reihenhäuser verlegt werden sollten. Aus allen diesen Umständen ergibt sich mit der gebotenen Eindeutigkeit, dass der Plangeber neben den festgesetzten Garagenanlagen keine weiteren Garagen oder Stellplätze im Plangebiet zulassen wollte. Auf die Frage, ob es ihm dabei tatsächlich darauf ankam, die Garagenstandorte zur Lenkung des Verkehrs und insbesondere zur Freihaltung der Wohnbereiche von Zu- und Abfahrtsverkehr abschließend festzulegen, wie vom Verwaltungsgericht angenommen und von der Antragstellerin bezweifelt wird, kommt es nicht an.
Der Ausschluss von Garagen und Stellplätzen an anderen Stellen als den für die Gemeinschaftsgaragen festgesetzten Standorten gilt auch für Carports. Der Auffassung der Antragstellerin, der Plangeber hätte Festsetzungen für Carports gar nicht treffen können, weil solche Anlagen im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans noch nicht verbreitet gewesen seien, vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar mag der Begriff des „Carport“ zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans nicht gebräuchlich gewesen sein. Auch war er im bayerischen Landesrecht noch nicht verankert (er wurde – soweit ersichtlich – erst mit der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen – Garagen- und Stellplatzverordnung – GaStellV – vom 30.11.1993 (GVBl S. 910) in das bayerische Recht aufgenommen). Regelungen zu überdachten Stellplätzen fanden sich zum damaligen Zeitpunkt aber bereits in der als Bundesrecht aufrechterhaltenen (vgl. BVerwG, U. v. 27.1.1967 – IV C 12.65 – BVerwGE 26, 103 ff.), erst mit Wirkung vom 1. Juli 1987 durch Art. 2 Nr. 27 des Gesetzes über das Baugesetzbuch vom 8. Dezember 1986 (BGBl I S. 2191) außer Kraft getretenen Vorschrift des § 13 Abs. 4 der Reichsgaragenordnung (RGaO) vom 17. Februar 1939 (RGBl I S. 219) in der Fassung des Erlasses vom 13. September 1944 (RArbBl I S. 325) („Schutzdächer über Kleineinstellplätzen“) sowie in der landesrechtlichen Garagenverordnung (GaV) vom 12. Oktober 1973 (GVBl S. 585) („Stellplätze mit Schutzdächern“). Es kann daher ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass überdachte Stellplätze bereits zum damaligen Zeitpunkt errichtet wurden, auch wenn sie noch nicht als „Carports“ bezeichnet wurden.
c) Dem Verwaltungsgericht ist auch darin zu folgen, dass der Antragstellerin aller Wahrscheinlichkeit nach kein Anspruch auf Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von der Festsetzung der Baugrenzen zusteht, weil durch die Abweichungen von dieser Festsetzung die Grundzüge der Planung berührt würden.
Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwider läuft. Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht (vgl. BVerwG, B. v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – NVwZ 1999, 1110; B. v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – BRS 67 Nr. 83; U. v. 18.11.2010 – 4 C 10/09 – BVerwGE 138, 166 = juris Rn. 37; U. v. 2.2.2012 – 4 C 14/10 – BVerwGE 142, 1 Rn. 22). Was den Bebauungsplan in seinen „Grundzügen“, was seine „Planungskonzeption“ verändert, lässt sich nur durch (Um-)Planung ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der Baugenehmigungsbehörde zugelassen werden. Denn die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 BauGB der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde; hierfür ist ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben, von dem nur unter engen Voraussetzungen abgesehen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 9.6.1978 – BVerwG 4 C 54.75 – BVerwGE 56, 71/79 = juris Rn. 27; U. v. 2.2.2012 – 4 C 14/10 – BVerwGE 142, 1 = juris Rn. 22 m. w. N.). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein. Eine Befreiung von einer Festsetzung, die für die Planung tragend ist, darf nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (vgl. BVerwG, B. v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – NVwZ 1999, 1110 = juris Rn. 6; B. v. 29.7.2008 – 4 B 11/08 – ZfBR 2008, 797 = juris Rn. 4; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2015, § 31 Rn. 36).
Nach diesem Maßstab ist die Erteilung einer Befreiung von der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen für Garagen und Stellplätze (einschließlich Carports) hier ausgeschlossen, weil eine Abweichung von dieser Festsetzung die Grundzüge der Planung berühren würde. Wie sich aus Vorstehendem ergibt, hat die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen erkennbar das Ziel, neben den festgesetzten Garagenanlagen aus städtebaulichen Gründen keine weiteren Garagen oder Stellplätze im Plangebiet zulassen, sondern die Bereiche außerhalb der Baugrenzen von Bebauung freizuhalten. Ein Abweichen von dieser Festsetzung würde – auch wegen der Bezugswirkung für eine Vielzahl weiterer Grundstücke mit vergleichbarer Grundstückssituation – ein weitgehendes Abrücken von dieser planerischen Konzeption bedeuten und eine Umplanung durch den Stadtrat der Antragsgegnerin mit einer erneuten Abwägung der Interessenlagen erfordern, die im Wege eines behördlichen Einzelaktes nicht erfolgen kann. Da mithin ein Anspruch auf Zulassung einer Befreiung somit bereits daran scheitert, dass dadurch die Grundzüge der Planung berührt wären, kommt es auf das Vorliegen der weiteren Tatbestandsmerkmale des § 31 Abs. 2 BauGB nicht an.
d) Der Antragstellerin steht auch kein Befreiungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV) zu, weil auf den ebenfalls im Plangebiet gelegenen Grundstücken FlNr. …/7 und …/9 eine Befreiung für einen Doppelcarport nach § 31 Abs. 2 BauGB zugelassen wurde, wie die Antragstellerin offenbar meint. Ist diese Zulassung rechtmäßig erfolgt, sind die Sachverhalte schon nicht vergleichbar. Wurde die Befreiung rechtswidrig erteilt, besteht kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (vgl. BVerwG, U. v. 3.6.1977 – IV C 29.75 – BauR 1977, 402 = juris Rn. 32). Soweit ihr diesbezügliche Einwand so zu verstehen sein sollte, dass ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot deswegen vorliege, weil das Landratsamt nicht auch gegen den Doppelcarport auf Grundstücken FlNr. …/7 und …/9 eingeschritten ist, kann die Antragstellerin damit ebenfalls nicht durchdringen. Denn abgesehen davon, dass eine Behörde grundsätzlich nicht fehlerhaft handelt, wenn sie in Einzelfällen, die wegen ihrer geringen Zahl noch kein Gesamtkonzept für planmäßiges Vorgehen gegen baurechtswidrige Zustände erfordern, Rechtsverstöße nicht sofort unterbindet (vgl. BVerwG, B. v. 26.3.2003 – 4 B 19/03 – Buchholz 300 § 21f GVG Nr. 7 = juris Rn. 8; BayVGH, U. v. 5.12.2005 – 1 B 03.2567 – juris Rn. 28), sind die Verhältnisse hier nicht vergleichbar, weil für den Doppelcarport offenbar eine bestandskräftige Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB existiert. Rechtlich unbedeutend ist daher auch, dass der streitgegenständliche Carport optisch ansprechender ist als der Doppelcarport oder die Gemeinschaftsgaragen, wie die Antragstellerin meint.
2. Die Beseitigungsanordnung ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil die Antragstellerin in der Begründung des angegriffenen Bescheids nicht nur als Zustandsstörerin, sondern – fehlerhaft – auch als Handlungsstörerin im Sinn des Art. 9 Abs. 1 Alt. 1 LStVG bezeichnet und zur Beseitigung des Carports herangezogen wird. Da eine (vorrangige) Heranziehung des Handlungsstörer offenbar nicht (mehr) möglich ist, ist jedenfalls ihre Heranziehung als Zustandsstörerin ermessensfehlerfrei (Art. 40 BayVwVfG).
3. Nicht durchzudringend vermag die Antragstellerin schließlich mit der Rüge, die sechswöchige Frist für die Beseitigung des Carports sei nicht angemessen.
Zum einen dürfte der Antragstellerin für einen vorläufigen Rechtsschutz insoweit schon das Rechtsschutzinteresse fehlen, weil die bis zum 30. Oktober 2015 gesetzte Frist bereits abgelaufen ist und die Bedingung für die ersatzweise gesetzte Frist („im Falle der Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs“) mit dem Erlass dieser Beschwerdeentscheidung endgültig entfällt. Zum anderen ist die Frist nicht zu kurz bemessen. Nach Art. 31 VwZVG kann die Anordnungsbehörde (Art. 30 VwVfG) eine von ihr erlassene Beseitigungsanordnung durch Zwangsgeld vollstrecken, wenn die Pflicht zur Vornahme einer Handlung nicht zur gehörigen Zeit erfüllt wird. Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG ist bei der Androhung der Vollstreckung für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann. Eine Frist ist angemessen und zumutbar, wenn sie einerseits das behördliche Interesse an der Dringlichkeit der Ausführung berücksichtigt und andererseits dem Betroffenen die nach der allgemeinen Lebenserfahrung erforderliche Zeit gibt, seiner Pflicht nachzukommen (vgl. Harrer/Kugele/Kugele/Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand Okt. 2015, Art. 36 VwZVG, Anm. 4 m. w. N.; OVG Berlin-Bbg, B. v. 11.9.2014 – OVG 10 S 8.13 – NVwZ-RR 2015, 90 = juris Rn. 4 zur gleichlautenden Bestimmung des § 13 VwZG).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beseitigung eines Carports erfordert nach allgemeiner Lebenserfahrung keinen besonderen Aufwand, der nicht innerhalb von sechs Wochen zu bewältigen wäre. Besondere Gründe, die hier eine andere Bewertung rechtfertigen, hat die Antragstellerin nicht vorgebracht. Der Umstand, dass der Carport bereits vor 15 Jahren errichtet wurde und seitdem – rechtswidrig – genutzt wird, spricht im öffentlichen Interesse eher für eine kürzere als für eine längere Frist.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nrn. 1.5 und 9.5 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).


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